VW-Entwicklungschef Kai Grünitz im Interview

VW-Entwicklungschef Kai Grünitz im Interview
China? Challenge accepted!

Veröffentlicht am 20.06.2023

Kai Grünitz ist diplomierter Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur – seit 26 Jahren arbeitet er bei VW. In der Entwicklung von Skoda war er in der Vorstandsassistenz tätig, 2012 kam er zu Volkswagen, wo er das Thema Unternehmensplanung betreut hat. 2014 übernahm er die Leitung Mechatronische Fahrwerksysteme, im Januar 2017 kamen die Fahrwerksentwicklung und im August 2018 die Elektrik-Electronic-Entwicklung hinzu. Anfang 2020 übernahm Grünitz die Funktion als CTO "Autonomous Vehicle & T7", im November 2020 kam die Funktion als Technischer Leiter von Volkswagen Nutzfahrzeuge hinzu. Seit dem 1. Oktober 2022 verantwortet Kai Grünitz den Bereich Technische Entwicklung von Volkswagen Pkw.

Sie sind der Vorstand für die Technische Entwicklung bei Volkswagen Pkw und kommen aus dem klassischen Mechanik-Bereich. Was ist aktuell Ihre größte Herausforderung?

Ja, ich bin Maschinenbauer – aber eingestiegen bin ich über Betriebsfestigkeit-Tests unserer ersten elektromechanischen Lenkung, damals im Touran. Bei so einer Lenkung gibt es ja nicht nur Mechanik, sondern auch ein Steuergerät und Software. Die Themen Mechatronik und Software ziehen sich seitdem durch meinen gesamten Lebenslauf. Und diese Kombination und Transformation beschäftigt uns momentan auch am meisten.

Sie haben analysiert, woran das lag, dass die Kunden mit der VW-Software teilweise unzufrieden waren?

Wir haben unseren Kunden in der letzten Zeit sehr genau zugehört. Und haben daraus unsere Schlüsse gezogen und mit einer steilen Lernkurve wirklich viele Verbesserungen in die neue Software unserer in diesem Jahr bereits vorgestellten und kommenden Autos gebracht, die zum Teil auch besser als die unserer Wettbewerber ist. Das zeigen ja auch Tests von Auto, Motor und Sport. Klar ist: Erst wenn die gewünschte Qualität erreicht ist, dann geben wir ein Auto für die Produktion frei.

An das Thema Software gehen verschiedene Firmen verschieden ran. Manche entscheiden sich, die Arbeit von zwei/drei Mega-Brains und ein paar Start-ups machen zu lassen, VW hat es mit einem großen Gebilde namens Cariad versucht. Funktioniert so eine Herangehensweise beim Thema Software vielleicht gar nicht? Hat VW vor, sich da umzustellen?

Eine "Software-Schmiede", die sich um Elektrik, Elektronik und das Betriebssystem kümmert, ist erst einmal grundsätzlich richtig. Es braucht aber auch in den Marken ein Basis-Knowhow und eine eigene Basis-Entwicklung.

VW war gemeinsam mit Ford Hauptinvestor beim auf autonomes Fahren spezialisierten Unternehmen Argo AI. Von der Außenansicht her war Ihr Engagement von heute auf morgen vorbei – was war da los? Hatte Ford keine Lust mehr?

Nein – wir hatten da sehr viel Geld und Herzblut in das Thema gesteckt. Und wir haben wahnsinnig viel gelernt. Fragliche Themen waren die Stabilität der Systeme und ob sich die Systeme industrialisieren lassen. Am Ende muss es ein System geben, dass mit den richtigen Funktionen und der richtigen Sicherheit zu den richtigen Kosten einen Mehrwert bietet.

Ist autonomes Fahren aktuell überhaupt noch angesagt? Glauben Sie daran?

Ja, das ist nach wie vor angesagt und ich glaube an das autonome Fahren. Die ersten Lösungen werden den Gütertransport oder den Personentransport mit Taxis betreffen. Da das finanziell ein signifikanter Gamechanger für die diese Leistungen anbietenden Firmen sein wird, glaube ich auch, dass das kommen wird. Für Kunden in ihrem Privatfahrzeug wird das Thema allerdings erst später kommen.

Kai Grünitz
VW
Es heißt ja teilweise, dass autonomes Fahren auf Autobahnen einfacher realisierbar ist, da es dort beispielsweise keinen Querverkehr und keine Ampeln gibt. Fußgänger und Radfahrer kann es aber auf der Autobahn, unvorhergesehener Weise, trotzdem geben – die Technik zum autonomen Fahren müsste also auch dort diese Themen beherrschen. Dann wäre die Umsetzung auf der Autobahn doch gar nicht so viel einfacher, oder?

Die Wahrscheinlichkeit, mit der bestimmte Ereignisse eintreten können, ist anders. Der Verkehr ist beherrschbarer. Einen Showcase herzustellen, bei dem wir eine Stunde ohne Fahrereingriff durch die Stadt fahren, ist einfach. Aber das auch nachhaltig unter Berücksichtigung aller Corner Cases (Situation, die nur außerhalb der normalen Betriebsparameter auftritt. Anm. d. Red.) hinzubekommen und das auch sicher nachgewiesen zu haben, das ist die Kunst.

Wie stark hat sich die Entwicklungsarbeit bei Fahrzeugen weg von klassischen Bereichen wie Karosserie und Fahrwerk hin zu Softwarethemen und anderen Dingen verschoben?

Wir reden inzwischen viel mehr über Funktionen. Wir haben ja vernetzte Systeme und beispielsweise auch eine Klimaanlage funktioniert nur, wenn Hardware und Software zusammenspielen.

Teilweise hatten und haben die Autos enorm viele Steuermodule, die jeweils mit ihrer eigenen Software arbeiten, für die der Autohersteller wiederum Lizenzen zahlen muss. Wäre die Zusammenfassung der Steuerung sämtlicher Funktionen auf einer zentralen Recheneinheit auch mit Kosteneinsparungen verbunden, oder geht es dabei gar nicht um diesen Aspekt?

Die Beherrschung der Software wird am Ende ein Geschwindigkeitsthema sein – je besser man die Software versteht, desto besser kann man auf Themen reagieren. In Sachen Online-Updates haben wir beispielsweise viel gelernt, wie das geht, indem wir es auch einfach mal gemacht haben.

Es hieß bei VW ja mal, dass man sicherheitskritische Update in der Werkstatt und die anderen Updates drahtlos macht, also Over the Air. Sollen bald alle Updates drahtlos möglich sein?

Das Ziel ist natürlich, dass man das komplette Auto drahtlos updaten kann. Das wird aber schrittweise erfolgen. Wir haben kürzlich die magische Grenze für eine Millionen Over-the-Air Updates für Infotainment-Systeme überschritten.

Es gibt ja durchaus auch Kunden, die die Sorge haben, dass es beim Auto mal sein könnte wie beim Smartphone: Ab einem bestimmten Zeitpunkt gibt es keine Updates mehr und kurz danach kann man die Hardware nur noch eingeschränkt oder gar nicht nutzen, weil beispielsweise die Apps nicht mehr funktionieren.

Solange es nicht irgendwelche regulatorischen Dinge gibt, bei denen der Gesetzgeber sagt, wenn das Auto dieses oder jenes Feature nicht mehr hat, darf es nicht mehr fahren, glaube ich nicht, dass das Nicht-mehr-Bereitstellen eines Updates dazu führt, dass das Auto nicht mehr fahren kann.

VW hat jetzt gerade den ID.Buzz mit langem Radstand vorgestellt. Beim T6.1 hätten Zuverlässigkeit und Kosten für den Kunden besser sein können. Haben solche Themen bei der Entwicklung des ID.Buzz und des T7 eine Rolle gespielt?

Wir hören unsere Kunden immer gut zu und handeln dann. So haben wir uns beim T7 ganz bewusst dafür entschieden, die gleichen Aggregate wie in den Pkw zu nehmen. Wir wollten millionenfach bewährte Pkw-Teile haben, um dem Kunden bei den Kosten entgegenzukommen.

Elektroautos sind wegen ihrer Batterie im Vergleich zu Autos mit Verbrennungsmotor sehr schwer. Zeichnet es sich ab, dass die Batteriegewichte in den kommenden fünf Jahren signifikant sinken?

Grundsätzlich werden die Gewichte runtergehen. Wir sehen das gerade, während wir bei unseren Entwicklungen Richtung Einheitszelle gehen. Bei der weiteren Entwicklung von Zellchemie und den Kapazitäten werden wir nochmal einen Sprung haben – da werden bei gleicher Kapazität kleinere Batterien möglich sein.

Einheitszelle ist ein gutes Stichwort: chinesische Hersteller wie CATL entwickeln sich weg von der Produktion von Batteriemodulen. Hat sich die Einheitszelle vielleicht technisch schon überholt?

Als wir uns überlegt haben, wie es mit der Batterie weitergehen soll, haben wir viele Untersuchungen gemacht, was denn das richtige Format für eine Batteriezelle wäre. Wir haben die Abmaße, die Innenwiderstände, das Thermomanagement, die Kosten und die Skalierbarkeit untersucht und sind dann zu der Einheitszelle gekommen. Die stellt unserer Meinung nach bei den eben genannten Punkten das Optimum dar. Und sie reduziert Kosten, weil ich sie in den weltweit genormten Fabriken günstig einbauen kann.

Können Sie sich auch eine Einheitsbatterie vorstellen? Eine Batterie, die über die Konzerngrenzen hinausgeht – so wie wir es in viel kleinerer Ausführung beispielsweise bei A-, AA-, und AAA-Batterien für kleine elektrische Geräte haben?

Ich glaube schon, dass es perspektivisch gewisse Grundstandards geben wird. Die Anfragen hinsichtlich unserer Einheitszelle sind sehr positiv. Im Wettbewerbsvergleich haben wir mit dem Konzept einen Nerv getroffen.

Der ID.2all, der ja mal der ID.2 werden könnte, ist für einen Preis von unter 25.000 Euro angekündigt. Aus europäischer Sicht ist das günstig. BYD hat aber den Seagull für etwas unter 11.000 Euro vorgestellt. Kann VW bei den Preiskämpfen mit chinesischen Herstellern überhaupt noch mithalten?

Einstiegsmobilität gehört zu Volkswagen dazu – ich finde, dass Volkswagen Einstiegsmobilität anbieten muss. Deshalb wollen wir die Serienversion des ID.2all für unter 25.000 Euro anbieten. Die chinesischen Wettbewerber bieten ihre Autos noch preisgünstiger an – challenge accepted. Wettbewerb belebt den Markt. Volkswagen war immer am besten, wenn wir herausgefordert wurden – deshalb finde ich das mit dem Wettbewerb nicht schlecht. Wir arbeiten auch an einem Auto für unter 20.000 Euro – da haben wir schon ganz konkrete Pläne, wie das aussehen kann.

Kai Grünitz
VW
Beim Thema Batterie-Entwicklung ist China weit vorn – sind die deutschen Hersteller da schon am Haken und können sich nicht mehr freistrampeln?

Wir werden von unseren batterieherstellenden Wettbewerbern sehr genau beobachtet und sehr ernst genommen. Wir sind bei den Herstellungsthemen sehr wettbewerbsfähig. Dass das ein signifikanter Wettbewerbsvorteil ist, zeigt auch das Interesse von dem ein oder anderen Hersteller. Wir sind noch nicht abgeschlagen – weder als Volkswagen noch in Deutschland noch in Europa.

Sie kommen ja aus der Verbrennungsmotor-Zeit. Verwenden Sie noch Zeit auf die Entwicklung von Verbrennungsmotoren?

Mit dem Tiguan und dem Passat bringen wir komplett neue Fahrzeuge mit hocheffizienten Verbrennungsmotoren. Auch Plug-in-Hybride sind für uns nach wie vor ein Thema.

Die Zeit des Verbrennungsmotors vermissen Sie also nicht?

Für mich persönlich ist ein Verbrennungsmotor nicht faszinierender als ein Elektromotor oder umgekehrt. Ich kann beiden Themen etwas abgewinnen. Bis 2030 wollen wir in Europa 80 Prozent rein batterieelektrische Fahrzeuge im Angebot haben. Wenn man sich das Thema Nachhaltigkeit anschaut, ist das für mich der richtige Weg – der ist für mich alternativlos.

Haben Sie ein altes Verbrennungsmotor-Auto, was sie hegen und pflegen?

Nein. Ich bin Baujahr 1977 und suche gerade einen 1977er Golf GTI. Das wäre für mich ein Auto, an dem ich echt Spaß hätte. Allerdings in einem guten Zustand schwierig zu bekommen, unverbastelt und nicht durchgerockt. GTIs waren zum Fahren da.

Abschließend noch: Was halten Sie von E-Fuels?

Ich glaube, dass E-Fuels eine Ergänzung sein können – gerade in den Ländern, die die Möglichkeit haben, dass auch aus nachhaltigen Energien herzustellen. Das ist aber wirklich nur eine Ergänzung – für mich geht der Weg im Volumen ganz klar Richtung Elektroauto.

Vielen Dank für das Gespräch.