Wer mit einer höheren Geschwindigkeit auf der Autobahn unterwegs war, kennt es bestimmt: Das Fahrzeug agiert aufgrund der enormen Kräfte, die auf das Auto wirken, anders. Besonders, wenn es windig ist, macht sich der Luftwiderstand bemerkbar. Eine umso wichtigere Rolle spielt die Aerodynamik. Ingenieure suchten schon dabei bereits in den 1920er-Jahren Möglichkeiten, im Windkanal Fahrzeuge sparsamer und schneller zu machen.
Windkanal: Aufbau und Funktion
Die heutigen großen Windkanäle besitzen alle einen Luftkreislauf, der über einen oder mehrere große Propeller angetrieben wird. Windkanäle mit einem solchen geschlossenen Kreislauf nennt man Windkanäle der Göttinger Bauart. Der Antrieb benötigt bis zu 5.000 kW Leistung – damit ist der Betrieb sehr teuer.
Die Luft muss an vier Ecken umgelenkt werden. Um die Strömungsgeschwindigkeit der Luft über den Querschnitt zu harmonisieren, werden zusätzliche Leitbleche eingesetzt, die die Strömung gleichrichten. Die Luft wird nach dem Propeller zweimal umgelenkt und dann in einer Düse auf das Fahrzeug gerichtet. Durch die Verengung auf den Düsenquerschnitt erhöht sich die Luftgeschwindigkeit. Nach der Messstrecke wird die Luft wieder um zwei Ecken dem Propeller zugeführt.
Die Leitbleche hinter der Messstrecke lassen sich wegklappen, wodurch ein Austausch des Fahrzeugs ermöglicht wird.
Im oben dargestellten Mercedes-Benz-Windkanal lassen sich Windgeschwindigkeiten von bis zu 265 km/h realisieren.
Anforderungen an den Windkanal
Im realen Fahrbetrieb auf der Straße findet eine Relativbewegung zwischen Straße und Auto statt. Fehlt diese Relativbewegung im Windkanal, so wird ein zu kleiner Luftwiderstand gemessen. Um die Messungen im Windkanal realistischer und präziser zu gestalten, muss sich auch die Fahrbahn unter dem Fahrzeug bewegen, auch realistisch rotierende Räder liefern ein wirklichkeitsnäheres Bild der auf der Straße auftretenden Verwirbelungen. Um das zu erreichen, ist bei einigen Windkanälen neuester Bauart ein Laufband unter dem Fahrzeug angebracht, das sich relativ zum stillstehenden Fahrzeug nach hinten wegbewegt.
Damit wird das Verhältnis des auf der Straße fahrenden Fahrzeugs nachgebildet. Mehr noch: Zusätzlich können zum zentralen, fahrzeugmittigen Laufband für jedes einzelne Rad eigene Laufbänder angebracht sein. So können auch die Turbulenzen in den Radkästen naturgetreu nachgebildet werden, außerdem lassen sich so auch aerodynamische Effekte beim Bremsen beobachten. Damit befinden sich in einem modernen Windkanal in Summe fünf Laufbänder.
Ein solcher Windkanal befindet sich etwa im FKFS, dem Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren in Stuttgart. Hier können sogar die beiden Laufbänder auf der linken und auf der rechten Fahrzeugseite durch jeweils ein längeres Laufband ersetzt werden. Man spricht dann vom 3-Laufband-System.
Kleinerer Maßstab: Modelle bringen Entwicklungsvorteile
Um ein Fahrzeug aerodynamisch auszulegen, können die Ingenieure auch auf maßstabsgetreue Modelle zurückgreifen. Üblich sind Maßstäbe von 1:2 bis 1:5. Das FKFS verwendet Modelle im Maßstab 1:5. Porsches Modellwindkanal hat den Maßstab 1:4.
Damit können die Grundform und die Druckverhältnisse des Autos überprüft werden. Im Gegensatz zum großen Windkanal sind die Betriebskosten pro Stunde weitaus preisgünstiger.
Ein Windkanal, viele Möglichkeiten
Der Windkanal ist ein wichtiges Werkzeug für Ingenieure und Designer, um ungewollte Strömungen, etwa Turbulenzen, auszumachen und neue aerodynamische Kniffe zu testen. Sichtbar wird die Umströmung des im Windkanal zu testenden Fahrzeugs dabei mithilfe von Rauchfahnen. Diese Rauchfahnen können entweder durch eine etwa durch den Ingenieur frei bewegliche Rauchsonde oder einem vor dem Testobjekt fest installierten Rauchsonden-Rechen emittiert werden.
Das Ziel bei Straßen-Pkws ist dabei immer dasselbe: Senkung des Luftwiderstands. Während der Messung im Windkanal steht das Fahrzeug auf Messwertaufnehmern. Diese messen die Kraft, mit der der Luftdruck auf das Fahrzeug einwirkt. Diese Kraft entspricht dabei dem Luftwiderstand. Üblicherweise werden die Experimente bei etwa 140 km/h unternommen. Das ist die Geschwindigkeit, bei der die meisten Probleme erkannt werden können und bei der sich ausreichend Hinweise auf Geräuschquellen ergeben.
Damit auch der Einfluss von Seitenwind auf das Fahrverhalten gemessen und beurteilt werden kann, sind große Windkanäle heutzutage mit einem Drehteller versehen, auf dem das zu messende Fahrzeug steht.
So können verschiedene Anströmwinkel simuliert und untersucht werden – schließlich soll ein Windstoß das Fahrzeug nicht von der Fahrbahn abdrängen. Je weniger Einfluss der Seitenwind auf das Fahrzeug hat, desto sicherer und entspannter lässt es sich vom Fahrer auch bei hohen Geschwindigkeiten auf Kurs halten.
Die meisten Windkanäle besitzen eine Zusatzeinrichtung, in der die Stirnfläche des Fahrzeugs mit Laser oder CCD vermessen wird. So kann der cW-Wert genau berechnet werden.
Klimawindkanal
Funktioniert das Auto auch bei Hitze oder Kälte? Bevor die Versuchsmannschaften zum Hitzetest ins amerikanische Death Valley oder zum Erproben der Fahrzeugeigenschaften bei eisiger Kälte bis weit nördlich des Polarkreises fahren, werden die ersten Prototypen bereits in einem Klimawindkanal unter realistischer Anströmung extremen Temperaturbedingungen ausgesetzt.
Ist etwa bei großer Hitze das Kühlsystem für Motor, Peripherie, Getriebe oder auch für den Speicherakku und den E-Antrieb ausreichend ausgelegt? Gelingt es der Klimaanlage auch bei extremen Außentemperaturen von bis zu 60° C, die Innentemperatur für die Insassen auf angenehme Werte zu senken? Arbeitet das Thermomanagementsystem, das die Klimaanlage teils auch zur Ladeluftkühlung oder Batterietemperierung nutzt, in diesen Bereichen noch effizient?
Doch nicht nur Heißlandbedingungen können in Klimawindkanälen ausgetestet werden, ein gewaltiges Kühlsystem kann den Kanal auf Knopfdruck auch in eine eisige Hölle verwandeln: Kann das Auto seine Insassen bei Extremtemperaturen auf der negativen Seite des Gefrierpunkts ausreichend warmhalten? Gibt es temperaturbedingte Spannungen in Karosserie und Formteilen? Und, vor allem bei E-Fahrzeugen, gelingt es dem Thermomanagement, die wichtige, aber kälteempfindliche Traktionsbatterie auf ein leistungsbereites Level zu transferieren? Fragen, auf die der Klimawindkanal bereits zu einem sehr frühen Entwicklungsstand des Fahrzeugs und ungesehen von neugierigen Blicken Antworten geben kann.
Geräuschen auf der Spur
Ein neu entwickeltes Auto soll natürlich möglichst leise fahren. Abgesehen von den – teils erwünschten – Motor- und Auspuffgeräuschen sind es insbesondere die Abroll- und Windgeräusche, die weitgehend minimiert werden sollen. Während die Abrollgeräusche der Reifen von den Reifenherstellern herunterentwickelt werden, sind die Fahrzeughersteller den Windgeräuschen aus der das Fahrzeug umströmenden Luft auf der Spur.
Auch bei diesem Entwicklungsschritt liefert der Windkanal wichtige Ergebnisse: Hochauflösende Richtmikrofone erkennen etwa, an welcher Stelle des Fahrzeugs Schwingungen, Resonanzen und damit Geräusche erzeugt werden (siehe Technik Info am Ende des Artikels). Ist die Problemstelle entdeckt, können die Konstrukteure wirksam dagegen ankämpfen.
Wind-Waschstraße
Wer bei schlechtem Wetter und dreckigen Straßen sein Auto öffnet, will sich beim Aussteigen nicht verschmutzen. Deshalb werden moderne Autos so konstruiert, dass der Wind die Seitenwände des Fahrzeugs nicht mit Dreck verschmiert.
Durch gezielte windleitende Formgebung diverser Karosserieteile reinigt der Wind außerdem Teile der Außenhaut, die häufig berührt werden – wie etwa Türgriffe oder Rückleuchten.
Um den Weg des schmutzigen Wassers auf der Karosserie deutlich zu machen, wird dem vor dem Fahrzeug verwirbelten Wasser Kreide oder Fluoreszenzmittel zugesetzt. An den Ablagerungen der zugesetzten Stoffe lässt sich der Weg des Schmutzes präzise nachverfolgen, und etwaige Problemstellen lassen sich zielgerichtet beseitigen.
Technik-Info
Resonanz: das Auto als Orgelpfeife
Wer schon mit offenem Fenster auf der Autobahn gefahren ist, hat manchmal ein von der Fahrgeschwindigkeit abhängiges Wummern gehört. Doch woher kommt das? Wird ein Hohlkörper, in dem sich stehende Luft befindet, parallel zu seiner Öffnungsfläche angeströmt, gerät die Luft in seinem Inneren in Druckschwingung. Diese Schwingungen können auch an die umgebende Luft abgegeben werden – gewollt etwa bei Orgelpfeifen, beim Überblasen einer leeren Bierflasche – aber auch beim Autofahren mit nur einem offenen Fenster.
Die Orgelpfeifen, die Bierflasche sowie der Fahrzeuginnenraum fungieren dabei als Resonanzraum, in dem die Luft pulsiert. Und zwar je nach vorgegebenem Volumen mit davon abhängiger Eigenfrequenz. Aus diesem Grund besteht eine Orgel zur Abstufung sämtlicher Töne aus vielen verschiedenen, in ihrem Volumen unterschiedlichen Orgelpfeifen. Je größer das Volumen, desto niedriger die Frequenz und desto tiefer der Ton.
Beim Auto wird die Innenraumluft etwa durch den schnell am geöffneten Fahrerfenster vorbeiströmenden Fahrtwind zu Schwingungen angeregt. Dabei entsteht nach dem Gesetz von Bernoulli im Innenraum zunächst ein Unterdruck, wodurch Fahrtwind zum Druckausgleich nach innen strömt, bis dort ein Überdruck herrscht.
Wie in einem schwingenden Feder-Masse-System entweicht diese Luft dann wieder aus dem Fenster – ein sich wiederholender Kreislauf beginnt, der sich in Form eines niederfrequenten Pulsierens unangenehm auf die sehr druckempfindlichen Trommelfelle auswirkt. Durch Öffnen eines weiteren Fensters oder des Schiebedachs können diese wummernden Druckschwingungen einfach abgestellt werden.
Fazit
Windkanäle sind ein unerlässliches Werkzeug für Ingenieure, den Luftwiderstand und daraus resultierend Effizienz, Kraftstoffverbrauch oder auch die erzielbare Höchstgeschwindigkeit zu optimieren. Darüber hinaus wird die Funktionalität des Gesamtfahrzeugs bei Extremtemperaturen im Klimawindkanal überprüft. Außerdem werden Verschmutzungszonen, Geräuschentwicklung und Seitenwindanfälligkeit im Windkanal perfektioniert. Ohne Windkanäle wären heutige Automobile weniger komfortabel, weniger pflegeleicht und bräuchten um einiges mehr Kraftstoff.