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Fahrwerkstrends von BMW, Daimler, Ford und ZF
Worauf Autos wirklich stehen

Das Fahrwerk: Quer- und Längslenker, Dämpfer, Federn – fertig. Wirklich? Nein. Mehr denn je definiert das gesamte Fahrzeug die Dynamik- und Komfortqualitäten. Wie? Bitte weiterlesen.

ZF, Fahrwerk
Foto: ZF

Ein Destillat, vielleicht ein Konzentrat oder auch eine Reduktion: Das Titelbild illustriert im Prinzip das, was sich wohl die meisten Autofahrer unter einem Fahrwerk vorstellen – um die Vorderachskonstruktion ergänzt, natürlich. Sieht einfach aus: Federn, Dämpfer, ein paar Metallteile drumherum, fertig. Doch schon die Reifen hätten vermutlich nur die wenigsten als relevante Fahrwerkskomponente identifiziert.

Daher gleich mal eine Zahl zu Beginn: „Während der Entwicklung des aktuellen Focus haben wir rund 1.000 verschiedene Reifen getestet“, sagt Alfons Kaufmann, Leiter Gesamtfahrzeugentwicklung C-Car-Line bei Ford. Denn: Im Prinzip muss heute das gesamte Fahrzeug als Fahrwerk verstanden werden. Mit jedem Modell gibt der Hersteller ein Versprechen hinsichtlich eines klar definierten markenspezifischen Fahrverhaltens ab. Das mag zwischen einem Kompaktwagen und einer Luxuslimousine einer Marke variieren, transportiert zugleich aber bestimmte Grundwerte in unterschiedlicher Ausprägung: Agilität, Komfort, Sicherheit, Souveränität, je nachdem.

Unsere Highlights

Zum Beispiel BMW: „Wir stecken alle Fahrzeuge in eine Charaktermatrix, mit deren Hilfe wir auf einen Blick sehen können, in welche Ecke ein Fahrzeug entwickelt werden muss“, erklärt Jos van As, Leiter Integrierte Fahrdynamik. Teils schweifen die Entwickler dabei schon mal ins Philosophische ab, geben den Projekten Namen, die sie charakterisieren sollen: Der BMW X5 beispielsweise lief als „The Boss“, der X6 als „The Beast“ der X7 als „The President“.

Eine Frage des Charakters

Mercedes, Fahrwerk
Daimler
Beim E-Active-Body-Control-Fahrwerk lassen sich die Feder- und Dämpferkräfte radindividuell regeln. So soll der GLE Geländetauglichkeit, Agilität und Komfort kombinieren.

Markus Riedel, Director Ride and Handling bei Mercedes, widerspricht nicht: „Ein Mercedes hat einen Charakter, der von den Kunden klar erkannt wird. Auf den ersten Blick über das Design, aber auch über das Fahrverhalten.“ Dieser Charakter stützt sich bei Mercedes auf die Werte Komfort, Sicherheit und Souveränität. Auf Basis von Kundenmeinungen lässt sich der Nachfolger eines Modells subjektiv beschreiben. „Diese Eigenschaften können wir in Kennwerte übersetzen, die sich wiederum in Messwerten ausdrücken lassen: Gierwerte, Schwimmwinkel an der Hinterachse, Lenkmomentverläufe, Wanken, Stuckern, Stößigkeit und vieles mehr“, erklärt Riedel. Ford definiert ebenfalls eine DNA, konzentriert sich auf den Fahrspaß: „Jeder Ford soll das jeweils agilste und präziseste Fahrzeug in seinem Segment sein“, sagt Kaufmann und ergänzt: „Die Zielvorgaben sind numerisch natürlich nicht immer die gleichen Werte, das Gefühl soll jedoch baureihenübergreifend ähnlich sein.“

Und so beginnt die Entwicklung des Fahrwerks mit dem Karosserierohbau. Es geht um lokale und globale Steifigkeiten, um Biege- und Torsionsfestigkeit, wo und wie Kräfte sinnvoll eingeleitet werden können. Guy Mathot, Leiter Fahrdynamik C-Car-Line bei Ford, sieht im Karosseriebereich viel Potenzial: „Das ist wichtiger als teure Fahrwerkskomponenten. Da haben wir schon viel gelernt, aber da geht noch mehr.“

Einmal mit allem, bitte!

BMW, Fahrwerk
Achim Hartmann
Beim neuen 3er rückt BMW die Fahrdynamik in den Vordergrund. Einfach nur ein hartes Set-up? Reicht nicht.

Hier helfen den Ingenieuren immer bessere Simulationen am Rechner, die schon vor dem Bau der ersten Prototypen klar definieren können, wie der grundsätzliche Aufbau aussehen muss, um dem gewünschten Ergebnis nahezukommen. Auf dieser Basis beginnt dann die Definition der Hardware-Komponenten. Die Auswahl ist riesig: Luftfederung, adaptive Dämpfer, Wankstabilisierung, Hinterachslenkung – und die Zulieferer planen noch mehr. „Wir sehen zwar keine grundsätzlich neuen Konzepte, aber die Digitalisierung kann einige Produkte im Fahrwerk deutlich anreichern“, sagt Peter Holdmann, Leiter Division Pkw-Fahrwerktechnik bei ZF. Dabei stehen der Ausbau der Sensorik und die Vernetzung im Vordergrund („Wir können weltweit jedes Auto als Sensor nutzen“), um Fahr- und Straßendaten bei der Auslegung adaptiver Fahrwerks-Hardware zu berücksichtigen.

Also greift der Entwickler einfach in ein gut gefülltes Regal, stimmt alles ab und schwupps kommt dabei ein Auto heraus, das virtuos auf der riesigen Klaviatur des Fahrverhaltens herumtänzelt? Etwa wie das E-Active-Body-Control-Fahrwerk des neuen Mercedes GLE? Luftfederung, adaptive Dämpfer, die blitzschnell einzeln angesteuert werden und Kräfte aufbauen können plus Hinterachslenkung? Nein, der Preis entscheidet. „Da lässt sich noch etwas optimieren, aber diese Technik bleibt den oberen Fahrzeugsegmenten vorbehalten“, gibt Mercedes-Mann Riedel zu. Sein BMW-Kollege van As sieht das ähnlich. Obwohl bei der Entwicklung des 3ers Agilität ganz oben im Lastenheft stand, kam eine Hinterachslenkung nicht infrage. „Für uns spielt das Thema Kosten ebenso eine Rolle wie die Frage, ob die Kunden bereit sind, entsprechende Aufpreise zu zahlen. Daher haben wir das Prinzip des hubabhängigen Dämpfers für den 3er perfektioniert.“ Was kann dieser Dämpfer? Ein Zusatzdämpfer ergänzt den Hauptdämpfer. So ergibt sich trotz einer straffen Grundabstimmung dennoch eine Sensibilität für niederfrequente Anregungen von der Fahrbahn. Und adaptive Dämpfer? Bleiben im Angebot, wenngleich sich beim Vorgänger nicht einmal zehn Prozent der Kunden für diese Option entschieden.

Neue Voraussetzungen

ZF, Fahrwerk
ZF
In diesem Versuchsträger erprobt Zulieferer ZF ein aktives Fahrwerk, das zusätzlich kamerabasiert arbeitet und so Straßendaten an eine Cloud weiterleitet.

ZF-Manager Holdmann registriert jedoch, dass „bei den deutschen Premium-Herstellern der Ausstattungsgrad mit Fahrwerkssystemen aktuell steigt“, was er auf den Trend zu SUV zurückführt. Die Vernetzung der Systeme ist hingegen vor allem für die zu erwartende fortschreitende Autonomie der Fahrzeuge relevant. Wenn der Fahrer das Steuer aus der Hand gibt, empfindet er die auftretenden Kräfte ganz anders. „Diese Motion Sickness versuchen wir, stärker wissenschaftlich zu analysieren“, erklärt Holdmann. Um Unwohlsein vorzubeugen, könnte die Hinterradlenkung eine Grundvoraussetzung werden, allerdings anders abgestimmt, etwa mit stärkerem Lenkeinschlag für sanftere Spurwechsel. Ebenso ein Anwendungsbereich gelenkter Hinterräder: E-Fahrzeuge wegen ihres oft längeren Radstandes. „Einer unserer Kunden will künftig alle seine batterieelektrischen Modelle damit ausrüsten“, sagt Holdmann

Darüber hinaus erfordern die schweren Batteriepakete Gewichtsreduktion an anderer Stelle, weshalb ZF derzeit Produktionskapazitäten für geschmiedete Aluminium-Fahrwerksteile aufbaut – die auch konventionelle Pkw leichter und somit effizienter machen können. Jedenfalls soll unabhängig von der Antriebsart ein Auto ein Versprechen bezüglich des Fahrgefühls halten.

Um dieses Fahrgefühl einem Modell anzuerziehen, hilft jedoch Simulation alleine nicht, sei sie auch noch so ausgefuchst. „Einzelne Bauteile können in einer virtuellen Umgebung getestet und optimiert werden, die Lenkung beispielsweise. Am virtuellen Fahrzeug lassen sich in kürzester Zeit Faktoren wie Gewicht, Achslasten, Lagerhärten, Feder- und Dämpferkennung ändern“, erklärt Mercedes-Ingenieur Riedel. Er bezeichnet das als Garage voller virtueller Prototypen. Ja, das hilft, doch es ersetzt nicht das Fahren. Riedel spricht gar vom „goldenen Popo“, denn das menschliche Empfinden lasse sich nun mal nicht simulieren, „der Dreiklang ist wichtig, er besteht aus der Simulation des Fahrverhaltens am Rechner, der Messung auf Prüfständen und auf der Straße sowie der subjektiven Abstimmung am realen Modell.“

Einfaches, hoch entwickelt

Ford, Fahrwerk
Achim Hartmann
Der neue Focus bietet bei hoher Agilität mehr Komfort als das Vorgängermodell.

Letztere nutzt Jos van As, um bei den BMW-Entscheidungsträgern „Begehrlichkeiten zu wecken“, da die Fahrzeuge mit unterschiedlichen Systemen ausgerüstet sind. So fand beispielsweise das mechanische Sperrdifferenzial wieder seinen Weg in die Sonderausstattungsliste. Ford-Entwickler Kaufmann legt ebenfalls besonderen Wert auf die Abstimmung: „Unsere Stärke ist die Detailverliebtheit, wir wollen alles rausholen.“ Dennoch darf sich nicht nur das Topmodell top fahren. Daher leistet sich Ford beim Focus je nach Motorisierung unterschiedliche Hinterachskonstruktionen. Die einfachere Verbundlenker-Hinterachse wird aber noch um eine spezielle Feder ergänzt, die aufgrund ihrer Krümmung bei Kompression nicht in Achs-, sondern auch in Querrichtung eine Gegenkraft aufbauen kann und so für mehr Stabilität sorgt. Die Mehrlenkerachse der stärkeren Modelle kann noch um adaptive Dämpfer ergänzt werden.

Eine Mercedes E-Klasse soll auch dann besonders komfortabel federn, wenn der Kunde nicht die Luftfederung bestellt hat. „Daher nutzen wir die wegselektive Dämpfung“, sagt Riedel – ein ähnliches Prinzip wie der hubabhängige Dämpfer von BMW. Und die Dynamik? „Da wollen wir auf Augenhöhe mit dem Wettbewerb sein.“ Und van As kontert: „Die Konkurrenz hat aufgeholt, also mussten wir nachlegen“ – was speziell die 3er-Generation G20 verdeutlicht. Es kann allerdings durchaus passieren, dass die Motivation für ein neues Fahrwerks-Feature aus einer ganz anderen Richtung kommt. ZF registriert derzeit eine hohe Nachfrage nach Hinterachslenkungen von Herstellern großer Pickups. Warum? Weil die ab einem bestimmten Tempo gleichsinnig mit den Vorderrädern gelenkten Hinterräder das Fahrverhalten stabilisieren und so eine nochmals höhere Anhängelast ermöglichen – immens wichtig für ein Nutzfahrzeug. Manchmal ist eben doch alles ganz einfach.

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