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Diesel-Skandal und kein Ende
Die Wahrheit über Software-Updates

Das ZDF-Magazin Frontal 21 hat festgestellt, dass eine Mercedes C-Klasse mit vom KBA genehmigtem Software-Update ähnlich viel NOx ausstößt wie vor dem Update. Warum es nichts Neues ist, dass Software-Updates bei älteren Dieseln nichts bringen und alle Antworten auf Fragen zum Abgasskandal und hohe Emissionswerte.

VW-Software-Update, Dieselaffären, NOX-Test
Foto: Achim Hartmann

Dieses Jahr wird der Dieselskandal fünf Jahre alt. Trotzdem tauchen immer wieder neue Hiobsbotschaften auf, der Skandal scheint nie vollständig aufgedeckt. Das liegt in vielen Fällen an der Komplexität des Problems, das sich aus jahrelangen Gesetzgebungsschwächen, in der Folge langanhaltenden juristischen Streitereien aber auch aus technischen Schwierigkeiten zusammensetzt.

EU5-Mercedes-C-Klasse bei Frontal 21

Aktuelles Beispiel für immer neue Enthüllungen: Im Auftrag der ZDF-Sendung Frontal 21 hat der englische Abgas-Spezialist Emissions Analytics, der auch für auto motor und sport misst, an einem "Mercedes C220 CDI (Euro 5) vor und nach dem Software-Update, das in einer Mercedes-Vertragswerkstatt durchgeführt wurde", Abgasmessungen vorgenommen. Das Ergebnis stellt der vom Kraftfahrt Bundesamt (KBA) angeordneten Maßnahme ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: Bei einer Stadtfahrt im realen Straßenverkehr emittierte der Kombi (Baureihe S 204, Bauzeit Dezember 2007 bis März 2014) vor dem Update 715 mg NOx pro Kilometer, nach dem Update aber zwischen 764 bis 792 mg/km aus (7 bis 11 Prozent mehr).

Unsere Highlights
Abgastest NOx Emissions Analytics VW Golf Variant
H.-D. Seufert
auto motor und sport nimmt bereits seit 2016 zusammen mit Emissions Analytics Abgasmessungen im Straßenbetrieb vor.

Wie ist das Ergebnis des Beitrags einzuordnen? Ein neuer Skandal? Noch mehr Fahrzeuge, die auch nach Software-Updates mit viel zu hohen NOx-Emissionen unterwegs sind?

Ausgangspunkt praktisch aller auch jetzt immer noch zu Tage tretenden Ungereimtheiten haben mit der Methodik der Abgas-Messungen zu tun: Werden sie auf dem Prüfstand unter Laborbedingungen (NEFZ) oder im Realbetrieb (RDE) durchgeführt? Denn die Fahrvorschriften für die RDE-Abgasmessungen sind hinsichtlich Temperatur, Steigung, Beladung und vor allem was die Lastanforderungen angeht extrem wenig limitiert. Sprich: Sie müssen nicht, können aber äußerst anspruchsvoll sein. In dem Fall ist das "kann" das, womit die Technik klarkommen muss. Zur Verdeutlichung: Beim gleichen Fahrzeug liefern die beiden Methoden Ergebnisse, die sich um den Faktor 15 bis 16 unterscheiden können. Auf der Suche nach Erklärungen muss man sich die Entwicklungen des Diesel-Skandals und der Abgasreinigungstechnik noch mal vor Augen führen.

Warum überschreiten welche Diesel die gesetzlichen Grenzwerte?

Hier sind wir wieder bei den erwähnten drei verschiedenen Ursachen: Über fast 20 Jahre lang war es gesetzliche vorgeschrieben, Verbrauch und Abgasemissionen von Autos nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) zu ermitteln, einem Messverfahren auf dem Prüfstand mit nur sehr geringen Lastanforderungen. Dass seine Ergebnisse zwar dank festgeschriebener Laborbedingungen hervorragend reproduzierbar und vergleichbar waren, aber wenig mit der Realität zu tun hatten, war bekannt; der Gesetzgeber änderte wohl auch unter dem Einfluss der Autolobby lange nichts.

Die Regularien zum NEFZ beinhalteten zu allem Überfluss eine juristische Grauzone: den Bauteileschutz. Er erlaubte die Einschränkung bis zur Abschaltung der Abgasreinigung im Fahrbetrieb beispielsweise bei kritischen Temperaturen, um zu verhindern, dass die Technik des Fahrzeugs Schaden nimmt. Etliche Hersteller machten die so genannten Thermofenster, während derer die Abgasreinigung inaktiv war, so weit auf, dass ihre Fahrzeuge die meiste Zeit mit wenig gereinigtem Abgas unterwegs waren.

VW EA189 Nachrüstung Strömungsgleichrichter 1.6 TDI
VW
Für bestimmte Versionen des Skandalmotors EA189 rüstete VW mit dem Software-Update auch Kleinigkeiten bei der Hardware nach.

Wie groß der Unterschied zwischen Labor und Realität sein konnte, zeigte sich bei Messungen, die auto motor und sport zusammen mit Emissions Analytics vorgenommen hatte: Diesel-Modelle, die den frühen Versionen von Euro 6 entsprachen (Euro 6b und c), emittierten im realen Fahrbetrieb zum Teil mehr als 1300 mg/km, obwohl sie es geschafft haben, auf dem Prüfstand unter 80 mg zu bleiben, dem Grenzwert für Euro 6. Damit wurde die Stadtluft trotz immer strengerer Grenzwerte (EU5: 180 mg NOx pro Kilometer) immer schlechter. Die Kluft zwischen Laborwert und Realemissionen zu schließen wurde immer dringender. Der Abgasskandal wirkte in dieser Situation wie ein Brandbeschleuniger auf die immer hitziger geführten Diskussionen.

Warum sind RDE-Tests so viel strenger?

Aber erst seit September 2017 und der Einführung von Euro 6d-Temp gelten in der EU andere Messvorschriften: Verbräuche werden im deutlich anspruchsvolleren WLTP (Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure) ermittelt, zudem wurden mit Euro 6d-Temp erstmals Grenzwerte für den Betrieb auf der Straße eingeführt, den Real Driving Emissions (RDE), deren Einhaltung mit portablen Messinstrumenten jederzeit überprüft werden kann.

Wie oben erwähnt sind nur die Mindestanforderungen der Messfahrten sehr konkret, während nach oben große Freiheitsgrade bestehen. So soll die Maximalgeschwindigkeit bei beträchtlichen 145 km/h liegen, aber für 3 Prozent der Autobahnfahrt darf sie gar 160 km/h betragen. Und bei Beschleunigung oder Gangwahl gibt es gar keine Einschränkungen. Nur sollen im Nachhinein 5 Prozent der langsamsten und kräftigsten Beschleunigungsphasen nicht zur Messung herangezogen werden. Auch festgeschrieben: Die Fahrten müssen zu einem Drittel durch die Stadt führen, zu einem Drittel über Landstraßen und zu einem Drittel über die Autobahn.

Die RDE-Messungen sind also so konzipiert, dass die Autohersteller tatsächlich die Realemissionen unter die Grenzwerte drücken müssen – was dann der oben beschriebenen Reduktion um zweistellige Faktoren gleichkommt. Der von der EU-Kommission für die Abgasnorm Euro 6d Temp eingeführte vorübergehende Korrekturfaktor (CF) von 2,1 ist daher, anders als von Kritikern konstatiert, kein großes Zugeständnis an die Autoindustrie gewesen. Denn auch wenn der NOx-Grenzwert damit nominell auf 168 mg/km ansteigt, sind die realen Abgasemissionen danach erheblich niedriger.

Sind höhere Grenzwerte für strengere Messungen legal?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese nominelle Lockerung der Grenzwerte per Conformity Factor (CF) allerdings Ende 2018 für rechtswidrig erklärt. Die Richter entsprachen damit einer Klage der Städte Paris, Brüssel und Madrid. Die Städte dürfen die Grenzwerte nun anfechten und im Zweifel auch Fahrverbote für neuere Diesel mit der Abgasnorm EU6 verhängen, auch wenn diese offiziell zugelassen wurden.

Aus technischer Perspektive ist dieses Urteil unsinnig. Denn die RDE-Messungen ergeben Emissionswerte, die um zweistellige Faktoren über denen der bisher gesetzlich vorgeschriebenen Messungen liegen. Sie sind also um ein Vielfaches strenger. Es wäre also nur logisch, dass mit der Messmethode zumindest vorübergehend auch die Grenzwerte angehoben werden müssen, de facto sinken die Abgasemissionen ja dennoch erheblich.

Waren oder sind die Grenzwertüberschreitungen illegal?

Übertragen auf die Probleme mit EU5-Dieseln und NEFZ ist die Betrachtungsweise des EuGH allenfalls juristisch erklärbar. Sprich: die Grenzwertüberschreitungen von Dieseln bei (neu eingeführten) RDE-Messungen sind in Wirklichkeit gar keine, weil zum Zeitpunkt der Erstzulassung andere Regularien galten. Und die haben die Fahrzeuge ja eingehalten. EU5-Diesel durften damals einen NOx-Ausstoß von 180 mg/km nicht überschreiten – während eines NEFZ-Prüfstandszyklus und nicht bei Abgastests auf der Straße nach RDE. Zwar fordert das Urteil, dass die Grenzwerte ausdrücklich auch unter "gewöhnlichen Verwendungsbedingungen" eingehalten werden sollen. "Gewöhnlich" lässt aber offenbar zu viel Spielraum. Das sieht die ursprüngliche Verordnung EVG 715/2007 wohl auch so. Denn in Absatz 15 heißt es: "Der Einsatz transportabler Emissionsmesseinrichtungen und die Einführung des "not-to-exceed"-Regulierungskonzepts (der Hersteller muss gewährleisten, dass sein Fahrzeug in allen Betriebszuständen die Grenzwerte nicht überschreitet) sollten ebenfalls erwogen werden". Erwogen hat man das lange, eingeführt erst viel später – woran die Autoindustrie dank eifriger Lobbyarbeit sicher nicht unbeteiligt war.

Auch wenn etliche Juristen das anders sehen: Aus hohen Messwerten bei RDE-Messungen lässt sich den Autoherstellern im Nachhinein schwer ein Vorwurf machen, wenn die Messvorschriften zum Zulassungszeitpunkt erfüll. Eher vielleicht daraus, wie sie danach damit umgegangen sind. Fahrverbote für die Besitzer von EU5-Autos, die wenige Jahre zuvor legal erworben wurden, waren die Quittung für die untauglichen Regularien der Politik, bestrafen aber die Autofahrer – auch finanziell. Denn die Restwerte von EU5-Dieseln rauschten in den Keller.

Einen Betrug zugegeben hat lediglich VW, obwohl Abgaswerte vieler Hersteller Fragezeichen hinterlassen. Kurioserweise waren die NOx-Messwerte bei RDE-Tests der VW-Modelle selbst auch nicht höher als die der meisten anderen Autos. Das führte dazu, dass der Betrugsvorwurf sich auf die gesamte Autoindustrie ausdehnte.

Was ist Schummel-Software?

Während die Thermofenster nicht grundsätzlich, sondern nur in ihrer Auslegung nicht regelkonform waren, hat der Volkswagen-Konzern unstrittig betrogen: Die Software des berüchtigten EA189-Dieselmotors enthielt einen illegalen Bestandteil, der eine akribische Abgasreinigung erst aktivierte, wenn das Fahrzeug einen Prüfstandslauf unter anderem durch einen ständig gleichen Lenkwinkel oder hohe Raddrehzahlen bei Stillstand erkannte. Die Prüfstandserkennung an sich ist dabei nicht illegal, aber die Veränderung des Abgasreinigungs-Verhaltens danach schon. Und zwar in den Europa und den USA. Vor allem dort konnte VW die Abgas-Grenzwerte ohne Betrug nicht einhalten. Da weltweit mehr als elf Millionen Fahrzeuge des VW-Konzerns diese Software enthielten, brach ab Herbst 2015 eine beispiellose juristische Lawine los, deren Ausläufer noch heute zu spüren sind.

Warum gibt es die Software-Updates?

Allein um die Schummel-Software zu eliminieren und die Fahrzeuge wieder zu zulassungskonform zu machen, sind entsprechende Updates nötig. In der Folge zwang das KBA aber auch andere Hersteller wie Mercedes und Opel wegen "illegaler Abschalteinrichtungen" zu Rückrufen und Software-Updates. Die Hersteller bestanden meist darauf, dass die Abschalteinrichtungen wegen des Bauteileschutzes legal seien. Illegal waren nach dieser Regelung nur bedingungslose Komplett-Abschaltungen der Abgasreinigung etwa nach einer bestimmten Betriebszeit, wie sie beispielsweise bei Fiat zu finden war (nach 22 Minuten).

Der Bauteile-Schutz ist dabei nicht nur Ausrede. EU5-Diesel arbeiten vor allem mit Abgasrückführung (AGR) zur Verringerung ihrer Emissionen. Bei niedrigen Temperaturen und zu hoher Rückführungsquote kam es tatsächlich zur Versottung der AGR-Ventile, die Abgasreinigung nahm dauerhaft Schaden.

Was bringen Software-Updates?

Bei VW-Fahrzeugen mit Schummelsoftware waren Updates unabdingbar, um die Autos wieder zulassungskonform zu machen, bis dahin waren sie nur noch aufgrund einer Sonderregelung betriebsfähig.

Software-Updates für Modelle anderer Marken waren teils freiwillige Maßnahmen, teils vom KBA erzwungene Rückrufe wegen "illegaler Abschalteinrichtungen". Bei Daimler sollen insgesamt rund 4,5 Millionen-Modelle in Europa betroffen sein. Von den Rückrufen und Softwareupdates gehen angeblich rund 1,3 Millionen auf Anordnung der Behörden zurück. Ein freiwillig upgedatetes Fahrzeug ist der C220 CDI aus dem Frontal21-Beitrag. Ob die Software wirklich illegal war, darüber waren sich KBA und Autohersteller uneins.

Aber wie sagte schon Helmut Kohl: "Entscheidend ist, was hinten rauskommt." Und da sieht’s für die Software-Updates nicht besonders gut aus. Vor allem dann, wenn die Hardware nicht leistungsstark genug ist. Nicht nur beim ZDF erwies sich das Software-Update als wirkungslos bis kontraproduktiv. Auch auto motor und sport hatte bereits im März 2016 zwei VW Amarok vor und nach dem Software-Update getestet – zusammen mit Emissions Analytics. Der Pick-up war das erste Modell, das VW nach dem Abgasskandal in die Werkstätten rief. Das Ergebnis ähnelte dem des Mercedes im Frontal-21-Beitrag: "Auf den Stickoxidausstoß hat die modifizierte Software keine messbaren Auswirkungen. Unsere Test-Amarok kamen auf der Gesamtrunde vorher wie nachher im Schnitt auf 1,5 g NOX pro Kilometer, womit er den für ihn gültigen Euro-5-Grenzwert (0,18 g/km) um das 8,5-Fache überschritt. Aber auch das ist legal, es ist ja ein reiner Prüfstandsgrenzwert"; so resümierte Dirk Gulde seinerzeit. Nur der Verbrauch lag nach der Maßnahme um 0,5 Liter höher.

Gibt es wirkungsvolle Software-Updates?

Hilfreich geht anders – zum Beispiel wenn ein Auto mit potenziell leistungsstarker Abgasreinigungs-Hardware ein Software-Update bekommt, wie etwa die Dauertest-Mercedes V-Klasse von auto motor und sport im Juli 2017. Der Van erhielt wie 270.000 Artgenossen und Kompaktklasse-Modelle ein Software-Update, verfügte aber als EU6-Modell bereits über einen SCR-Kat und Harnstoffeinspritzung. Auch hier maßen wir den Abgasausstoß mit Emissions Analytics. Das Ergebnis war in diesem Fall überaus erfreulich: Der Stickoxid-Ausstoß (NOx) des großen Vans wird auf weniger als ein Fünftel reduziert und genügt danach EU 6d Temp. Der Sprit- und selbst der AdBlue-Verbrauch stiegen im Testbetrieb allenfalls marginal. Praktisch: Schon ab März 2016 bot Mercedes die V-Klasse gegen gut 150 Euro Aufpreis mit 25 Liter (statt 10 Liter)großem AdBlue-tank an.

Warum schnitt das Software-Update beim KBA besser ab?

Das KBA, konfrontiert mit den Ergebnissen der Emissions Analytics Messungen aus dem ZDF-Beitrag, "verweist auf die Abgasmessung eines vergleichbaren Mercedes C 220 CDI. Bei diesem Fahrzeug sei im Straßenbetrieb eine Emissionsminderung nach dem Software-Update um 38 Prozent festgestellt worden, auf 311 mg/km NOx", so das ZDF. Ein Unterschied zwischen den Messungen: RDE-Messungen zur Zertifizierung müssen im oben beschrieben Drittelmix Stadt/Überland/Autobahn gefahren sein, das ZDF fuhr nur in der Stadt. Sorgt das für höhere NOx-Emissionen? Wohl eher nicht. Hohe Lastanforderungen schon. Und die kann man in der Stadt provozieren, bei höheren Geschwindigkeiten sind sie hingegen schwerer zu vermeiden. damit kommt man auch zu dem Punkt, woher die große Diskrepanz kommen dürfte: Beide Tests erfüllten die RDE-Messvorschriften (beim ZDF nur in der Stadt), aber das KBA hat – was die Fahrweise betrifft – zu deren Grenzen offenbar einen großen Abstand gehalten, während Emissions Analytics einfach nur innerhalb der Grenzen geblieben ist. Oder anders ausgedrückt: Das KBA ist vermutlich einfach nur langsamer gefahren, hat gemütlicher beschleunigt.

Im KBA-Bericht, der auto motor und sport vorliegt, sind die NOx-Emissionen für Prüfstandsläufe nach WLTP (bei verschiedenen Temperaturen) und RDE gelistet. Ein Vergleich der Werte zeigt indirekt, wie sehr die Werte von der Messmethode bzw. von den Lastanforderungen des Zyklus abhängen.

Ergebnisse des KBA-Tests mit einem Mercedes C220 CDI

NOx (mg/km)

Reduzierung

Messmethode

Software Serie

Software Update

Absolut (mg/km)

Relativ (%)

WLTP 5°C

287

149

139

48

WLTP 10°C

331

250

80

24

WLTP 15°C

291

218

73

25

RDE-Messung

503

311

192

38

Der NOx-Grenzwert für einen EU5-Diesel wie den Mercedes C 220 CDI liegt bei 180 mg/km – ermittelt im NEFZ mit seinen wie beschrieben vergleichsweise niedrigen Lastanforderungen auf dem Prüfstand (Ganze zehn Sekunden muss der Prüfling das Maximaltempo 120 km/h fahren, Durchschnittstempo ist 34 km/h). Im WLTP gibt es eine 5 Minuten lange Autobahnphase mit Beschleunigungsmanövern und einer Höchstgeschwindigkeit von 131,3 km/h. Die Verbrauchswerte steigen im Schnitt um etwa 20 Prozent. Entsprechend mehr NOx stößt der Motor aus. Beim Mercedes misst das KBA bis zu 331 mg/km (84 Prozent mehr). Auf öffentlichen Straßen bewegt, stößt der Mercedes-Diesel beim KBA 503 mg/km aus – das bedeutet, die Tester des KBA sind wohl im Straßenverkehr nicht so viel lastintensiver unterwegs gewesen wie im immer noch sehr langsamen WLTP. Das erklärt die gegenüber den Messungen von Frontal 21 niedrigeren absoluten Werte.

Und die Reduktion durch das Software-Update beim KBA, die bei den ZDF-Messungen fehlt? Der Mercedes kann höhere NOx-Rohemissionen des Motors bei höherer Last nur mit der Abgasrückführung reduzieren. Die Quote ist aber technisch bedingt limitiert und offenbar auch durch ein Software-Update nicht steigerbar. Darum steigen die NOx-Werte bei höherer Last und auch die Software kann daran nichts ändern – es sei denn, ein SCR-Kat und eine Harnstoffeinspritzung sind an Bord. Dann könnte die Motorsoftware die Menge eingespritzten AdBlues erhöhen und erreichte eine entsprechend stärkere Reduzierung des NOx.

Wie wird Diesel-Abgas sauber?

Dass SCR-Katalysatoren und Harnstoffeinspritzung NOx-Emissionen wirkungsvoll reduzieren, zeigen aktuelle Dieselmodelle, die der Abgasnorm Euro 6d Temp oder 6d genügen. auto motor und sport hat etliche getestet und mit Emissions Analytics NOx-Emissionen teils weit unter dem Grenzwert gemessen. Sauberstes Modell bislang: ein Mercedes. Der E 220 d Allterrain stieß 8 mg NOx pro Kilometer aus, ein Zehntel des Grenzwertes von 80 mg/km. Und selbst der einstige Diesel-Sünder VW baut Diesel, die kaum mehr NOx emittieren. Für die ARD testete Emissions Analytics einen VW Passat Variant mit zwei SCR-Kats (Twin Dosing) und maß 11 mg NOx pro Kilometer im RDE-Test.

Umfrage
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Weniger Abgasemissionen würden Diesel-Fahrverbote überflüssig machen. Darum sollte man mit viel CO2 produzierte Autos auch nachträglich sauber machen, statt sie zu entwerten. Nein. Lieber in Maßahmen für weniger Autoverkehr in der Stadt investieren als in die Frickelei an Millionen Gebrauchtwagen.

Fazit

Das Problem mit den Autoabgasen ist viel älter als der Dieselskandal. Aber dessen Betrugsgeschichte hat die Bedeutung der NOx-Emissionen vor allem von Selbstzündern für die Stadtluft ins Zentrum gerückt.

Trotzdem gilt es zwischen den beiden Themen zu unterscheiden. Die Abwicklung des VW-Abgasskandals neigt sich allmählich dem Ende zu. Die hohen Abgaswerte von mehreren Millionen Bestands-Pkw allein in Deutschland bleiben so lange ein Problem, wie die Fahrzeuge noch fahrbereit sind. Die Zahl der Diesel-Pkw mit einer Abgasnorm schlechter als EU6 lag im Herbst 2018 noch bei gut 10,5 Millionen, allein EU5-Diesel gibt es in Deutschland etwa 5,5 Millionen, aber selbst die ersten EU6-Diesel weisen bei RDE oft noch erhöhte NOx-Emissionen auf.

Software-Updates sind wie beschrieben von überschaubarer Wirkung, wenn die Hardware nicht leistungsstark genug ist. Hardware-Nachrüstungen mit SCR-Kats sind nicht für alle Modelle möglich und kosten 1400 bis 3300 Euro. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für die wenigsten Gebrauchtwagen lohnend.

Was also tun? Vielleicht wäre der Blick nach vorn hilfreicher als der Versuch, die Fehler der Vergangenheit mühsam zu korrigieren. Das Geld für die entweder nahezu wirkungslosen oder teuren Updates bzw. Nachrüstungen lieber in den Ausbau der Ladeinfrastruktur und den öffentlichen Personennahverkehr stecken. Damit ließen sich perspektivisch nicht nur die Abgas-Emissionen in den Städten reduzieren, sondern auch die CO2-Emissionen generell.

So was Ähnliches passiert ausgerechnet in den USA: Dort werden die meisten der etwa 25 Milliarden Euro Strafzahlungen von VW eben in Infrastruktur für die Elektromobilität gesteckt.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 15 / 2024

Erscheinungsdatum 03.07.2024

148 Seiten