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Mercedes EQS mit cW-Rekord
Warum Luftwiderstand bei E-Autos wichtig ist

Je weniger Luftwiderstand, desto geringer der Verbrauch – vor allem auf der Autobahn. Bei E-Autos schlägt das 1:1 auf die Reichweite durch. Darum ist der neue Mercedes EQS besonders windschlüpfig. Wir zeigen den Effekt auch im Vergleich zur S-Klasse.

Mercedes EQS Hyperscreen MBUX
Foto: Mercedes-Benz

Das Vorankommen mit dem Auto ist ein Kampf gegen Widerstände. Schon bei 100 km/h ist der Luftwiderstand der größte Fahrwiderstand. Und er wächst mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Exponentielles Wachstum ist seit Corona in aller Munde. Aber es fällt schwer, ein Gefühl für diesen mathematischen Zusammenhang zu entwickeln. Beim Luftwiderstand bedeutet doppelte Geschwindigkeit eine Vervierfachung. Noch krasser wird das Verhältnis bei der zur Überwindung des Luftwiderstandes aufzubringenden Leistung, weil hier die Geschwindigkeit noch einmal eingeht (Leistungsbedarf = Kraft * Geschwindigkeit) – in der dritten Potenz bedeutet eine Verdopplung dementsprechend eine Verachtfachung (2³ = 8).

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Die Website spare-benzin.de hat das für einen Golf 7 bei 100 und 200 km/h ausgerechnet: Bei Landstraßentempo braucht der Kompakt-VW demnach 7,6 kW, um den Luftwiderstand zu überwinden, bei 200 km/h sind es rund 61 KW. Eine Stunde 200 km/h saugten also nur zur Überwindung des Luftwiderstands 61 kWh aus einer E-Auto-Batterie, der Rollwiderstand kommt noch dazu. Kein Wunder also, dass die Höchstgeschwindigkeit bei den meisten E-Autos limitiert ist.

Wovon hängt der Luftwiderstand ab?

Im Video ist gut zu erkennen, dass die Stirnfläche und der cW-Wert die zwei Einflussgrößen sind. Die Stirnfläche ist quasi ein Schattenriss der Frontansicht des Fahrzeugs. Daraus lässt sich schon folgern, dass der SUV-Trend, bei E-Autos wegen der hoch bauenden Batterie zwischen den Achsen vom Layout her naheliegend, für die Reichweite ungünstig ist. Deswegen kommen auch die etablierten Hersteller jetzt vermehrt mit flachen E-Autos, die Tesla (Model S) zuerst auf den Markt brachte. Auch die Absenkung der Karosse bei höheren Geschwindigkeiten durch ein höhenverstellbares Fahrwerk lohnt sich bei E-Autos. Porsche Taycan und Audi E-Tron GT beispielsweise haben so was.

Rumpler Tropfenwagen
Volkswagen Aktiengesellschaft
Flach, schmal, kaum Stirnfläche und ein guter cW-Wert: Der ARVW kommt auf 0,15.

Auch im Video zu sehen: Der zweite entscheidende Faktor ist die Windschlüpfigkeit der im (Fahrt-)Wind stehenden Form. Gemessen wird er mit dem so genannten Luftwiderstandsbeiwert oder -index (cW-Wert). Er geht als Faktor in die Berechnung des Luftwiderstands ein. Bei besonders ungünstigen Formen ist er größer als 1, bei modernen Pkw deutlich kleiner als 0,5. Ein unverkleidetes Motorrad kommt auf etwa 0,8, mancher Lkw ist offenbar ähnlich ungünstig geformt wie eine in die Fahrtrichtung geöffnete Halbkugel (1,3 bis 1,6). Bemerkenswert: Dreht man die Kugel mit der geschlossenen Rundung in den Wind, sinkt der cW-Wert auf 0,35.

Warum der cW-Wert so wichtig ist

Die Luftwiderstandskraft hängt ansonsten nur mehr von der Größe der (Stirn-)Fläche, der Dichte der Luft und eben der Geschwindigkeit (im Quadrat) ab. Und zwar linear. Das heißt, ein halbierter cW-Wert bringt entsprechend eine Halbierung der Luftwiderstandskraft. Auch wenn seine Verbesserung nur linearen Einfluss hat, ist der cW-Wert bzw. die Windschlüpfigkeit bei Autos zentral. Denn die Stirnfläche ist vom Fahrzeugsegment weitgehend vorbestimmt und die Geschwindigkeit möchte man im Sinne schneller Reisen nicht vorab reduzieren, sondern den Verbrauch dabei.

Das Potenzial ist theoretisch enorm: Der Golf VII beispielsweise hat einen cW-Wert von 0,27, die ideale Tropfenform kommt auf 0,055. Der Kompaktwagen aus Wolfsburg bringt dem Wind also nahezu 5 mal so viel Widerstand entgegen wie ein Tropfen gleicher Stirnfläche. Er hat deshalb so eine gute Aerodynamik, weil der "Fahrtwind" dem Wasser beim Fallen die strömungsgünstigste Form gibt.

Meilensteine der Aerodynamik

Schon früh (1921) versuchte beispielsweise der Flugzeugbauer Edmund Rumpler diese Form auf ein Auto zu übertragen. Sein Tropfenwagen hatte quasi den Grundriss eines Tropfens mit gerundeten Scheiben und einem spitz auslaufenden Heck. Damit kam er schon damals auf den cW-Wert des Audi E-Tron von 2018 (0,28) – und das sogar noch mit aerodynamisch ungünstig frei stehenden Rädern. Das macht auch klar, dass das Auto im Gegensatz zum Tropfen auch ein paar formal-funktionalen Zwängen unterworfen ist, die es verhindern, der idealen Stromlinienform unendlich nahe zu kommen. Neben den Rädern, und Details wie Spiegeln und Griffen ist das zum Beispiel der Unterboden. Bei immer mehr modernen Fahrzeugen ist er weitgehend glatt verkleidet, aber eine Wölbung nach oben ist schwer denkbar. Und Windschlüpfigkeit ist nicht das einzige Ziel der Aerodynamik, Abtrieb beispielsweise soll das Fahrzeug auf der Straße halten, Lüftungsöffnungen den Motor kühlen. Beides bringt im Gegenzug Nachteile beim cW-Wert. Das zeigte sich auch beim Schlörwagen von 1939.

Rumplers Auto war kein Erfolg beschieden, weil damals die Geschwindigkeiten noch nicht so hoch waren (die schnellste Variante des Tropfenwagens schaffte 115 km/h) und eher auffiel, das der Form wegen der Kofferraum fehlte. Nach gut 100 Stück mit verschiedenen Motoren war Schluss.

Rumpler Tropfenwagen
VW
Der Tropfenwagen von 1921 macht in der Moderne noch eine gute Figur im Windkanal.

Das Bemühen um gute Aerodynamik spielte lange vor allem im Rennsport eine Rolle. Der Auto Union Rennwagen Typ C Stromlinie von 1937 stellte mit mehr als 400 km/h nicht nur einen Geschwindigkeitsrekord auf, sondern erreichte auch einen Spitzen-cW-Wert von 0,237. 1938 bsi 1941 entwickelte der Fahrzeugtechniker Wunibald Kamm einige sogenannter Kamm-Wagen, denen ein cW-Wert von 0,23 nachgesagt wurde. Bekannt wurde das BMW Kamm-Coupé für die Mille Miglia 1940 mit einem cW-Wert von 0,25. Für Serien-Autos trat die Windschlüpfigkeit bzw. vor allem die Stromlinienform lange in den Hintergrund. Bis auf ein paar rühmliche Ausnahmen wie etwa der Porsche 356 (cW 0,31) lag der cW-Wert der meisten Pkw lange eher bei 0,5. 1967 brachte der NSU Ro 80 die Sensation: Sein cW-Wert lag trotz vergleichsweise konservativer Form bei 0,37.

Eine Trendwende brachte das nicht, vermutlich auch, weil der Wankelmotor auch im Ro 80 viel verbrauchte. Als der Golf I 1973 auf den Markt kam galten seine 0,41 als guter Wert. Die Ölkrise brachte dann wieder Bewegung. 1980 zeigt VW den strömungsgünstigsten Volkswagen. Der ARVW erreichte einen cW-Wert von 0,15, 1982 kam der Audi 100 C2 auf den Markt. Unter anderem dank bündig eingebauter Fenster kam er auf einen cW-Wert von 0,30 und galt als strömungsgünstigstes Serienfahrzeug seiner Zeit. 1984 durchbrach Mercedes mit der (später E-Klasse genannten Baureihe) W124 erstmals die 0,30 Marke beim cW-Wert eines Serienautos. Die erstaunlich konventionell gestaltete Stufenheck-Limousine kam auf 0,29.

Audi 100
Audi
Als Kombi schaffte der Audi 100 C3 nur einen cW-Wert von 0,34.

Opels zweitüriges Coupé Calibra holte sich 1989 mit einem cW-Wert von 0,26 zwischenzeitlich den Weltrekord für Serienautos. In ganz neue Dimensionen stieß dann aber ein Elektroauto vor: Der GM EV1 erreichte angeblich 0,195. Der von 1996 bis 1999 wohl 1117 mal gebaute Zweitürer war aber nur als Leasingauto zu haben. Nach Ablauf des Programms zog GM die Autos ein und verschrottete die meisten, was für allerlei Theorien sorgte, warum der US-Hersteller sein E-Auto-Engagement so harsch einstellte. Aber der Wagen mit dem Alu-Chassis und Karosserieelementen aus Kunststoff zeigte eindrucksvoll den Einfluss der Aerodynamik auf die Reichweite von E-Autos. Trotz einer Batterie mit deutlich unter 30 kWh Kapazität schaffte der Stromer bis zu 240 Kilometer mit einer Ladung.

GM EV1
GM
Windei: Der GM EV1 hatte einen cW-Wert von 0,195.

2013 schnappte sich der Mercedes CLA den Titel "aktuell strömungsgünstigstes Serienauto" mit 0,23 bzw. 0,22 (CLA 180 Blue Efficiency Edition).

E-Autos lassen sich strömungsgünstiger bauen

Bei Elektro-Autos ohne Wärmekraftmaschine ist der Kühlbedarf geringer, deshalb kann der cW-Wert beim E-Auto potenziell geringer sein – vergleichbare Karosserieformen vorausgesetzt. Stufenheck-Autos kommen der Tropfenform offenbar wegen des sich über die Höhe verjüngenden Hecks offenbar näher als Kombiformen mit steilem Heck, wie es auch konventionell gezeichnete SUVs kennzeichnet. So kommt der Audi E-Tron wie erwähnt auf 0,28, das Model Y von Tesla mit seinem flach auslaufenden Heck schafft 0,24; der coupéhafte E-Tron Sportback ordnet sich mit 0,26 dazwischen ein.

Tesla Model S Facelift
Tesla
Teslas Model S soll nach dem Facelift auf einen cW-Wert von knapp 0,21 kommen.

Gut zu beobachten sind die Auswirkungen sowohl von Karosserieform als auch von Antrieb bei Mercedes, wo aktuell mit die strömungsgünstigsten Autos entstehen. Die A-Klasse mit Schrägheck etwa toppt den VW Golf 8 mit 0,25 zu 0,275. Und: "Mit einem cw-Wert von 0,22 und einer Stirnfläche von 2,19 m² erreicht die neue A-Klasse Limousine den niedrigsten Luftwiderstand aller Serienfahrzeuge weltweit und verteidigt damit den ursprünglichen Weltrekord des CLA Coupés", konnten die Schwaben im Juli 2018 melden.

Den geringsten Luftwiderstand hat ein Verbrenner

Die Weltrekord-Autos mit Verbrenner sind also beides Viertürer, die aktuelle A-Klasse-Limousine ist mit ihrem Stummelheck formal nicht weit vom CLA der ersten Generation entfernt. Er ist ein viertüriges Coupé wie der neue EQS. Dank Elektroantrieb kann bei ihm die Haube kürzer werden, die Windschutzscheibe rückt weit nach vorne, das Profil verschiebt sich Richtung Tropfenform. Der geringere Kühlluftbedarf tut sein Übriges: Beim cW-Wert setzt der EQS mit 0,20 die Benchmark für aktuelle Serienautos.

Mercedes A-Klasse Limousine, Exterieur
Mercedes
Aktuell das Serienauto mit dem geringsten Luftwiderstand: Mercedes A-Klasse Limousine.

Beim Luftwiderstand bleibt die kompakte A-Klasse Limousine aber vorn – wegen der kleineren Stirnfläche (2,19 m²). Die elektrische S-Klasse schiebt 2,51 m² in den Wind, so dass es nach Multiplikation insgesamt 0,48 zu 0,5 m² für das Verbrenner-Auto steht – was aber nur heißt, dass die A-Klasse-Limousine etwas weniger Leistung aufbringen muss, um den Luftwiderstand zu überwinden, weil sie kleiner ist – sie bietet ja auch entsprechend weniger Platz. Besser im Wind liegt der EQS.

Seine Form mit der Stirnfläche der A-Klasse Limousine käme auf einen Luftwiderstand von nur 0,44 m², bei 200 km/h müsste ein solches Auto nur gut 45 kW zur Überwindung des Luftwiderstands aufwenden. Zur Erinnerung: Beim Golf VII waren es rund 61 kW. Beim EQS werden es dann im günstigsten Fall (mit 19-Zoll-Rädern) knapp 52 kW sein. Die Luxuslimousine liegt hier also um 9 kW günstiger als der Kompaktwagen aus Wolfsburg. Würde der EQS konstant 200 km/h fahren, würde die Verlustleistung für den Luftwiderstand die Batterie erst nach gut zwei Stunden bzw. nach 417 Kilometern leer gesaugt haben (Batteriekapazität 107,8 kWh). Die Höchstgeschwindigkeit beschränken die Schwaben dennoch auf 210 km/h. Die WLTP-Reichweite gibt Mercedes mit bis zu 770 Kilometern an.

SPERRFRIST 15.04.21 18 Uhr Mercedes EQS
Mercedes
Der Mercedes EQS debütierte im April

Spannend ist auch der Vergleich mit der neuen S-Klasse: Die ähnlich große Luxuslimousine mit Verbrennungsmotor hat einen cW-Wert von 0,22 und praktisch die gleiche Stirnfläche wie der EQS, das Produkt kommt auf 0,56 m². Damit verbraucht die S-Klasse bei konstant 200 km/h rund 58 kW zur Überwindung des Luftwiderstands, also etwa 6 kW mehr als der EQS. Die Verlustleistung für den Luftwiderstand der S-Klasse bei 200 km/h saugte die EQS-Batterie also schon nach 377 Kilometer leer. Graue Theorie, denn es gibt ja noch andere Fahrwiderstände, aber ein guter Maßstab für den Effekt des besseren cW-Werts: 40 Kilometer mehr Reichweite.

Wie der EQS den Aerodynamik-Weltrekord erreicht

Auch laut Mercedes bringt E-Auto-Design aerodynamische und aeroakustische Vorteile. Zur hilfreichen, coupéhaften Grundform mit flacher Frontscheibe spendierten die Ingenieure dem EQS einen glatten Unterboden. Der Kühlluftbedarf des E-Autos ist gering, eine Jalousie hält die Öffnungen meistens geschlossen. Die Felgen in 19, 20 und 21 Zoll gibt es im Aerodesign, die Türgriffe sind versenkbar. Weiteren Feinschliff bringen pfeilförmige Radspoiler vorne und hinten sowie ein auf Auftrieb und Luftwiderstand gleichermaßen optimierter Spoiler am Heck.

Die Entwicklung einer ganzen EQ-Modellfamilie erlaubte Mercedes nach eigenen Angaben entsprechend großen Aufwand bei der übergreifenden Aerodynamikkonzeption. Man habe mehrere 1.000 Rechenläufe im virtuellen Windkanal mit etwa 700 CPUs pro Berechnung fahren können, was vor allem der Außenhaut und Unterbodenkonzepten geholfen habe.

Audi e-tron 55 Sportback (2020)
W. Groeger-Meier/Audi
Aerodynamik ist Detailarbeit: Beim Audi E-Tron bringen die kleineren Kameraspiegel eine cW-Wert-Verbesserung von 0,01.

Weil die elektrischen Antriebe erheblich leiser sind, achteten die Entwickler auch stärker auf geringe Windgeräusche. Laut Mercedes zählt der EQS hier zur Spitze. Geholfen hätten hier zahlreiche Optimierungen im Bereich des Türrohbaus, der Tür- und Seitenscheibendichtungen bei erstmals sechs Seitenscheiben in einem Mercedes. An der A-Säule soll ein speziell geformter Zierstab sowohl zur Reduzierung von Windgeräuschen als auch zu einem geringeren cw-Wert beitragen.

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Jede Menge. Ich würde mich auch hinter den Fahrer setzen - Hauptsache wenig Verbrauch.Keine. Ich fahre nicht oft schnell, aber wenn mir beim Einsteigen der Hut vom Kopf fällt, stört mich das jeden Tag.

Fazit

Schon wenig über Ortsgeschwindigkeit wird der Luftwiderstand bei Konstantfahrt der größte Leistungs- und damit Energiefresser. Das ist nicht neu, gewinnt aber mit dem Schwenk zum Elektro-Antrieb enorm an Bedeutung. Denn auch der 700 Kilogramm schwere Akku im EQS mit seinen rekordverdächtigen 107,8 kWh Kapazität speichert nur etwa so viel Energie wie elf Liter Diesel. Zum Glück sind E-Autos um mehr als den Faktor 3 sparsamer, so dass der EQS immerhin etwa 35 Liter Diesel in seinem Energie-"Tank" mitnimmt.

Die Effizienz des E-Autos steigert Mercedes jetzt beim EQS mit dem, was schon Verbrenner sparsam machte: besonders strömungsgünstige Karossen. Gleichzeitig ducken sich immer mehr neue E-Autos viel tiefer auf die Straße als SUVs das tun können – Stichwort Stirnfläche. Wer weiter hoch sitzen will, bezahlt künftig mit weniger Reichweite und niedrigeren Reisegeschwindigkeiten.

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Erscheinungsdatum 03.07.2024

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