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Auto-Betriebssysteme
Auto-Hersteller kämpfen ums digitale Überleben

Die Software im digitalen Auto entscheidet über Erfolg oder Untergang. Wer den Standard setzt, gewinnt – alles. Tesla und Google haben die Nase vorn. VW, BMW und Daimler stemmen sich mit aller Macht dagegen.

Betriebssysteme im Auto
Foto: auto-motor-und-sport.de

Den Wandel zum Elektroantrieb haben vor allem die deutschen Autobauer fast verschlafen. Und bei der Software im Auto sieht es wenig besser aus. Während die etablierten Hersteller gerade erst anfangen, leistungsfähige Betriebssysteme für ihre Fahrzeuge zu programmieren, verdient Tesla damit bereits Milliarden. Kooperationen könnten helfen. Mit der Konkurrenz. Oder mit Google. Das Problem: Wer sich auf den Riesen-Konzern aus dem Silicon Valley einlässt, bezahlt mit den Daten seiner Kunden. Ein Deal, der einen gestandenen Autobauer im Zweifel langfristig zum Lieferanten einer austauschbaren Hardware degradiert. Nach dem Herz geht’s jetzt also ums Hirn des Autos.

Unsere Highlights

15.000 Programmierer bei VW

Das wissen sich auch bei Volkswagen und haben sich deshalb gleich eine komplette Software-Firma (Car.Software-Organisation) in den Konzern geholt, in der sich bis Ende 2025 rund 15.000 Mitarbeiter darum kümmern sollen, dass in den Autos des Konzerns digital kein Stein auf dem anderen bleibt. Etwa 50 Prozent der Mitarbeiter werden in Europa tätig sein, der Großteil davon in Deutschland. Der Rest verteilt sich auf China, Nordamerika, Israel und Indien. Investitionsumfang: 7 Milliarden Euro. Mindestens.

Die Car.Software-Organisation fast die gesamte Software-Entwicklung zusammen und fokussiert sich grob auf fünf Bereiche: Das einheitliche Fahrzeug-Betriebssystem "vw.os" für alle Konzernfahrzeuge und deren Anbindung an die Volkswagen Automotive Cloud, eine flexible aber standardisierte Infotainment-Plattform inklusive dem digitalen Cockpit, alle Assistenzsysteme bis hin zum automatisierten Fahren (Level 3) und Parken, sowie Mobilitätsdienste und digitalen Geschäftsmodelle der Marken.

Autos müssen können, was Smartphones können

Klingt nach einer gewaltigen Aufgabe, die deshalb so gewaltige Investitionen verschlingt, weil VW brutal aufs Tempo drückt. Drücken muss. Konzern-Chef Herbert Diess will auf Augenhöhe mit den IT-Dickschiffen aus dem Silicon-Valley kommen und weiß genau, dass das nur funktionieren wird, wenn er die Hoheit über die Daten seiner Kunden behält. Dafür braucht er Autos, die können, was Smartphones können. Updates übers Internet empfangen, "Over the Air” (OTA), in der IT-Sprache. Nicht, weil man damit im Zweifel um den einen oder anderen Rückruf herum kommt, bei dem in der Werkstatt bislang lediglich eine neue Software aufgespielt wurde, sondern weil sich damit gutes Geld verdienen lässt. Tesla macht’s vor, die Elektro-Marke bügelt via OTA nicht nur Fehler aus, sondern verkauft Softwareupdates, die teilweise mehrere tausend Dollar kosten. Über eine Milliarde Dollar hat Elon Musk auf diese Weise bislang bei seinen Kunden eingesammelt.

Weg mit dem Steuergeräte-Babel

Das kann er, weil alle Tesla von Beginn um ein einheitliches Betriebssystem herum konzipiert wurden. Die Tragweite dieser Entscheidung wurden den etablierten Autobauern aber offensichtlich erst im Laufe der Zeit klar, sie hatten zunächst genug damit zu tun, sich am Elektroantrieb der Teslas abzuarbeiten. Diesem Rückstand laufen sie jetzt alle hinterher: Daimler, BMW, Volkswagen. Und abgesehen von der Software geht es auch darum, die Elektronik der Autos umzukrempeln. In den Autos, die aktuell vor unseren Garagen stehen, sorgen zwischen 70 und 120 Steuergeräte dafür, dass die Elektrik tut, was man als Autofahrer gerne von ihr hätte: Elektrisch Fenster heben, die Lenkung unterstützen, die Bremskraft verstärken, radarbasiert den Abstand halten oder auch ganz profan das Radio einschalten. Und jedes dieser Steuergeräte spricht seine eigene "Programmier”-Sprache. In diesem Programmiersprachen-Babel das Auto per OTA-Update schlauer oder besser zu machen, ist schlicht unmöglich. Alleine schon deshalb, weil sich die digitale Infrastruktur von Baureihe zu Baureihe unterscheidet.

Der wichtigster Schritt auf dem Weg zum einheitlichen Betriebssystem ist deshalb eine komplett neue Fahrzeugelektronik. Wenige zentrale Rechner, statt zig einzelner Steuergeräte. Ob dabei künftig einer, zwei oder drei Computer die Arbeit übernehmen, oder vielleicht sogar nur ein zentrales System, ist nicht wirklich relevant. Entscheidend ist lediglich, dass sie die gleiche Sprache sprechen. Vernetzt sind die Computer im Auto künftig übrigens nicht mehr per CAN-Bus-System, sondern über klassische Ethernet-Verbindungen. Die sind schneller, günstiger und auch noch leichter. Mit den aktuellen Ansätzen schaffe man weder die nötigen Datenraten, noch den geringen Energieverbrauch, noch die Zuverlässigkeit in einem bezahlbaren Rahmen. Dafür brauche man Chips wie die von Valens; sie kodieren die Signale in einer völlig neuen Dimension, mit in Zukunft einer Bandbreite bis 16 Gbit/s (aktuell bereits 2,5 GBit/s), bei Latenz nahe Null und hoher Rauschunempfindlichkeit bzw.unschlagbarer EMV.

Der digitale Wandel dauert

Das Problem: Anders als Tesla, fangen die etablierten Autobauer eben nicht bei Null an, sondern müssen mit ihren bekannten Modellzyklen klar kommen. Heißt: Bis wirklich der letzte VW, der letzte BMW und der letzte Mercedes digital umgekrempelt ist, wird es noch viele Jahre dauern. Dennoch kommen langsam aber sicher die ersten Fahrzeuge mit einer zumindest teilweise OTA-fähigen Elektronik auf die Straße. Die kommende S-Klasse soll im Laufe ihres Lebens per Update immer besser werden. Und im Premium-Segment lassen sich zumindest die Infotainment-Systeme updaten. Im Zweifel sogar kostenpflichtig. Wobei sie bei BMW bereits gesehen haben, dass das alles gar nicht so einfach ist. Als BMW versuchte, seinen Kunden für die Nutzung von Apple Carplay 80 Dollar im Jahr zu berechnen, zeigten die sich davon wenig begeistert. Die Folge: Ende 2019 lenkten die Münchener ein und strichen die Gebühr.

VW bezahlt mit dem ID.3 Lehrgeld

Der wohl prominenteste OTA-Kandidat ist der VW ID.3. Der basiert auf dem neuen Modularen Elektro-Baukasten (MEB), für die Volkswagen ein neues Steuergeräte-Konzept entwickelt hat, bei dem drei In-Car Application Server (ICAS) die Hauptrolle spielen. Den wichtigsten Rechner, den so genannten ICAS1, liefert Continental. Er wird auch andere E-Autos des VW-Konzerns auf Basis des MEB steuern. ICAS 1 regelt die Fahrfunktionen, ICAS 3 ist unter anderem für das System eines Augmented-Reality-Headup-Displays sowie das gesamte Infotainment vorgesehen, ICAS 2 steuert die Assistenzsysteme bis hin zum automatisierten Fahren. Kurz: Der ID.3 (und mit ihm alle anderen kommenden ID-Elektroautos) macht alles anders, als jeder aktuelle VW. Kein Problem, wenn man viel Zeit und Erfahrung hat, das sauber in ein Auto zu kriegen. Beides haben sie aber bei VW aktuell nicht. Und deshalb kommen die ersten ID.3 ab September ohne zwei Software-Funktionen zu den Kunden: Dem so genannte Fernbereich des Headup-Display, also jenes Großformat mit Augmented Reality-Funktionen. Und der Integration der Smartphone-Betriebssysteme Apple Car Play und Android. Die Funktionen werden nachträglich aktualisiert, bzw. zur Verfügung gestellt. Tesla-Fahrer kennen das. Mal sehen, ob VW-Kunden auch bereit sind, auf solche Updates zu warten.

Betriebssysteme im Auto Tesla
Tesla
Das digitale Hirn aller Teslas basiert auf dem Betriebssystem Linux. Auch BMW und Daimler setzen bei ihren OS-Projekte auf Linux.

Linux setzt den Standard

Hardware abgehakt? Dann fehlt ja nur noch das einheitliche Betriebssystem. Bei VW, Daimler und BMW versuchen sie mit aller Macht, eigene Lösungen zu entwickeln. Spannend dabei: Sowohl bei Daimler als auch bei BMW setzen sie dabei im Kern auf das Betriebssystem Linux und sind damit in bester Gesellschaft. Auch das Tesla-Hirn basiert auf Linux. Warum also nicht kooperieren? Gemeinsam könnten BMW und Daimler eine Art Basis-Betriebssystem auf Linux-Basis entwickeln, das sie dann für die einzelnen Fahrzeuge mit individuellen Benutzeroberflächen und Funktionalitäten ausstatten könnten. Gerüchteweise wird genau dazu zwischen München und Stuttgart relativ viel telefoniert. Wobei auch eine Kooperation mit VW möglich wäre, die sich technisch noch nicht final auf Linux festgelegt haben. Das ist möglich, weil die drei ICAS-Rechner in den ersten ID-Modellen noch nicht mit dem finalen "vw.os” ausgestattet sind. Mit dem rechnen sie in Wolfsburg erst 2023.

Betriebssysteme im Auto
Volvo
Volvo, Polestar, GM und Fiat-Chrysler setzten künftig auf Android Auto als Betriebssystem.

Google liefert alles fix und fertig

Zu dem Zeitpunkt werden einige Konkurrenten bereits Fahrzeuge mit einem hochvernetzten, updatefähigen Betriebssytem am Start haben: mit Android Automotive. Neben Volvo und der Volvo-Tochter Polestar stehen bereits General Motors und Fiat Chrysler als Android Automotive-Kunden fest. Vorteil: vergleichsweise minimale Entwicklungskosten und Services, die die Kunden vom Smartphone kennen. Wer Android Automotive an Bord hat, holt sich eben auch den Google Assistant ins Auto. Und den kennen weltweit rund eine halbe Milliarde Kunden von ihrem Smartphone. Der kann dann eben nicht nur die passende Musik abspielen, sondern auch die Fenster öffnen und die Klimaanlage regeln. Ganz zu schweigen davon, dass er auch völlig problemlos mit dem intelligenten Thermostat zu Hause interagieren kann, der über die Google-Tochter Nest ebenfalls Teil des Assistant-Universums ist. Aber es hat natürlich einen Grund, warum Tesla von Beginn an jegliche Kooperation mit einem der großen IT-Konzerne abgelehnt hat und sich zumindest die europäischen Autobauer auf gar keinen Fall zu weit auf Google, Amazon und Co. einlassen wollen: Die lassen sich schlicht mit den Daten der Autofahrer bezahlen. Das öffnet Tür und Tor für künftige Abhängigkeiten: Fahrzeuge mit vorinstalliertem Android Automotive könnte irgendwann auch zur Nutzung weiterer Google-Dienste verpflichtet werden, angefangen von Googles Cloud-Plattform bis hin zu den autonomen Fahrservices und Sensoren der Google-Tochter Waymo. Und dann fehlt nicht mehr viel, um einen gestandenen Autobauer zum Lieferanten einer austauschbaren Hardware-Hülle zu degradieren. Die Maschine kommt "dumm” aus dem Werk und bekommt ihr Google-Hirn aus dem Internet. Für Kunden, die sich eh im digitalen Ökosystem der Plattformkonzerne aus dem Silicon Valley bewegen, kann das eine ganz attraktive Vision sein. Für den Produzenten der Hardware heißt es aber auf lange Sicht, sich von digitalen Erlösmodellen zu verabschieden.

Genau deshalb ist es sinnvoll und nachvollziehbar, dass sich die Autohersteller schon vor einigen Jahren eigene Assistenten wie MBUX oder Hey BMW entwickelt haben, um Google und Co. aus ihren Autos fernzuhalten und die Kunden an ein herstellereigenes Betriebssystem gewöhnen zu können. Das Problem: Über Schnittstellen wie Android Auto oder Apple CarPlay sind die IT-Konzerne längst ganz nah am Kunden. Und der hat sich längst an den Komfort gewöhnt, auf dem Display in seinem Auto die gleichen Buttons, Apps und Services vorzufinden, wie auf seinem Smartphone.

Betriebssysteme im Auto Mercedes MBUX
Mercedes-Benz
Mercedes hat mit dem MBUX-Sprachassistenten einen wichtigen Schritt zum vernetzten Auto gemacht.

Besser sein als die Tech-Giganten

Die einzige Chance für Daimler, BMW und VW kann also nur darin liegen, besser zu sein, als die Plattform-Konzerne aus dem Silicon Valley. Bessere Sprach-Assistenten anzubieten, nutzerfreundlichere Services, einfachere Nutzeroberflächen und innovativ verknüpfte Hard- und Software. Dabei muss nicht zwingend ein zentrales Betriebssystem für alle deutschen Autobauer herauskommen. Wer aber mit Google, Apple oder Amazon mithalten will, wird um Kooperation nicht herumkommen.

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Fazit

Weil die allermeisten Modellgenerationen der klassischen Autobauer erst in ein paar Jahren wirklich komplett Update fähig sein werden, ist die Frage nach dem richtigen Betriebssystem und bezahlten OTA-Updates für die meisten Kunden noch sehr weit weg von ihrer automobilen Wirklichkeit. Dennoch ist es wichtig, dass die Hersteller jetzt mit Maximaltempo die Grundlage dafür schaffen, nicht in den nächsten Jahren von den IT-Konzernen aus Amerika wegdisruptiert zu werden. Ach ja: Google lässt sich in dieser Gleichung übrigens durch fast jeden Tech-Konzern aus den USA (und China) ersetzen. So hat beispielsweise auch Amazon längst Ambitionen, Alexa als Betriebssystem ins Auto zu bringen. So oder so: Leichter wird es auf absehbare Zeit für die deutschen Autobauer auf keinen Fall.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 15 / 2024

Erscheinungsdatum 03.07.2024

148 Seiten