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Interview mit Lkw-Hersteller Traton
„Wir benötigen eine Ladeleistung von 900 kW“

Der Chef-Stratege Andreas Kammel für alternative Antriebe der Volkswagen-Nutzfahrzeug-Tochter Traton erklärt, weshalb die Elektrifizierung von Langstrecken-Lkw Sinn ergibt.

Traton Interview, Andreas Kammel
Foto: Traton Group
Im Gegensatz zu anderen Nutzfahrzeug-Herstellern favorisiert Traton mit den Marken MAN und Scania klar den batterieelektrischen Antrieb selbst im Lkw-Fernverkehr. Wie soll das funktionieren?

Der Lkw-Bereich wird von den sogenannten Total Cost of Ownership bestimmt, die sowohl Anschaffungs- als auch Betriebskosten umfassen. Weil unsere Kunden üblicherweise eine Marge von nur etwa drei Prozent haben, ist es für sie entscheidend, ob eine neue Technologie im Gesamtbild günstiger ist als eine bisherige. Hier kommt der batterieelektrische Antrieb ins Spiel, denn kommerzieller Strom ist billiger als Diesel, im europäischen Mittel etwa um den Faktor zwei. Auch im Vergleich zu Wasserstoff ist Strom deutlich günstiger. Da ein Lkw als Investitionsgut extrem viel genutzt wird, macht das einen vollelektrischen Lkw deutlich wirtschaftlicher, speziell auf der Langstrecke. Über die Lebensdauer eines Lkw betrachtet übersteigen die Kraftstoff- die Anschaffungskosten um ein Vielfaches. Wir könnten uns zum Beispiel eine Batterie für über 100.000 Euro leisten, und es rechnet sich trotzdem, selbst wenn wir wie angestrebt vollständig Grünstrom nutzen. Was nicht bedeutet, dass es keine Herausforderungen gibt. So stößt eine Batteriezelle aus dem Pkw-Bereich hier an ihre Grenzen. Während man im Pkw von etwa 1000 Zyklen ausgeht, rechnen wir hier mit mehreren Tausend. Das geht mit einigen Modifikationen der Zelle, aber das würde jetzt zu sehr ins Detail gehen.

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Dann gehen wir doch mal ins Detail.

Beispielsweise können die Kathoden etwas anders gestaltet werden. Bei einer NMC-Zelle (einem speziellen Typ der Lithium-Ionen-Batterie) ist ja Kobalt das stabilisierende Element. Nun kann man sich überlegen, wie man das Kobalt aufteilt, es beispielsweise in Randnähe etwas stärker ausführen, um die Zelle stärker zu stabilisieren. Darunter kann jedoch zum Beispiel die Schnellladefähigkeit leiden. Die brauchen wir nicht im gleichen Maße wie beim Pkw, denn der Lkw steht alle viereinhalb Stunden ohnehin für 45 Minuten wegen der vorgeschriebenen Ruhepausen.

Scania 25P
Traton Group
Der Scania 25P ist als vollelektrischer Verteiler-Lkw konzipiert, leistet 210 kW.
Jetzt sind 45 Minuten bei der zu erwartenden Batteriekapazität aber auch keine ausufernd lange Zeit zum Laden, oder?

Eben durch diese Größe – wir rechnen in vielen Fällen mit 600 kWh oder mehr – ist die C-Rate, eine Angabe für die Belastung der Batterie, vergleichsweise niedrig. Und ja, auch die Ladekurve einer solchen großen Batterie fällt irgendwann ab. Wir starten zum Beispiel in manchen Fällen mit rund 900 kW Ladeleistung, die dann recht bald auf rund 700 kW heruntergehen wird. Im Durchschnitt landen wir dann bei rund 700 kW – für die Größe dieser Batterie relativ gemächlich. Dazu benötigen wir aber auf jeden Fall den neuen MCS-Standard.

Es gibt kaum Ladesäulen, die mehr als 150 kW liefern können. Wo soll denn für den Lkw-Anwendungsfall der Strom herkommen?

Wir haben weniger Lkw als Pkw auf der Straße, das hilft schon mal ein bisschen. Natürlich ist der Strombedarf pro Lkw größer, ebenso wie der Schnelllade-Anteil an allen Ladevorgängen. Aber es wird noch nicht einmal jeder zweite Ladevorgang an einer Schnellladestation stattfinden müssen. Zusammengerechnet ist der absolute Strombedarf damit etwas niedriger als beim Pkw. Zudem gibt es eine Reihe von asymmetrischen Faktoren. So ist die zweite Fahrstrecke nach der Pause oft die kürzere, und in der Batterie ist ein großer Puffer vorgesehen, da wir um jeden Preis die viereinhalb Stunden Fahrzeit am Stück garantieren müssen. Dabei hilft, dass die Nebenaggregate beim Lkw relativ zum Pkw oft weniger Strom benötigen. Auch sonst ist vieles planbarer. Damit kommen die Lkw an einem Megacharger oft mit einer Restkapazität von rund 30 Prozent an. Wir laden also in einigen Fällen nur von 30 auf 85 Prozent. Dennoch reicht der existierende CCS-Standard von bis zu 350 kW meist nicht aus; wir brauchen wie beschrieben den neuen MCS-Standard. Abgesehen davon wollen wir perspektivisch mit Festkörper-Batterien vielleicht sogar auf eine Ladezeit von zehn bis zwölf Minuten kommen. Aber das ist heute noch ferne Zukunftsmusik. Jetzt brauchen wir überhaupt erst einmal den Startschuss für die Infrastruktur an sich.

Scania 25P
Traton Group
Die Ladeleistung des Scania liegt bei 130 kW, die Akku-kapazität bei 300 kWh.
Wenn der Lkw mal völlig autonom fährt, muss er aber auch keine Ruhepausen mehr einlegen. Rechnet sich das dann immer noch?

Schon, denn dann gibt es ja auch keine Personalkosten mehr. Die Kosten des Stillstands sinken also fast auf null.

Aber sind die Personalkosten nicht ohnehin schon extrem gering?

Über fünf Jahre betrachtet kostet ein Fahrer aus Arbeitgebersicht rund 200.000 Euro. Der Lkw hat dabei nur mit etwa 100.000 Euro zu Buche geschlagen. Der Fahrer ist also teurer, gerade wenn man noch den Restwert des Fahrzeugs berücksichtigt. Auch die Energiekosten übersteigen die Fahrzeugkosten bei Weitem. Bei einem Verbrauch von knapp 30 l/100 km und einem Literpreis von gut einem Euro wären das bereits etwa 40.000 Euro Dieselkosten pro Jahr.

Schmerzen nicht die – sagen wir mal – rund fünf Tonnen Batterie an Bord?

Derzeit rechnen wir in vielen Anwendungen eher mit vier Tonnen Batteriegewicht. Das reicht auch von der Energiedichte, da der Verbrauch niedriger ist als oft angenommen. Dann darf man nicht vergessen, dass ein Dieselmotor alleine rund 1,2 Tonnen wiegen kann, der entfällt ja. Ebenso die Abgasnachbehandlung, Teile des Getriebes und die Dieseltanks, die vollgetankt in die Kalkulation einfließen. Insgesamt entfallen rund 2,5 Tonnen. Die EU erlaubt für alternativ angetriebene Lkw übrigens zwei Tonnen zusätzliches Gewicht, die Nutzlast bleibt also in vielen Fällen gleich. Zum Teil müssen wir auch kreativ werden mit Achsabständen und Achsanzahl, weil die Achslasten ein Problem sein können.

Hilft Ihnen dabei die Tatsache, dass Lkw maßgeschneidert für den jeweiligen Einsatz sind – so wie heute beispielsweise schon bei Motorleistung und Achsübersetzung?

Das hilft vor allem in der Entwicklungsphase, da wir ja längst nicht alle Anforderungen mit ein und demselben Elektro-Lkw bedienen können. Das ist vergleichbar mit dem Pkw-Bereich, wo es ja zunächst auch Lösungen gab, die schon gut, aber noch nicht perfekt waren, bevor dann das voll optimierte Produkt kam. Vielleicht sind hier der VW E-Golf und der ID.3 ein gutes Beispiel. Bei uns wäre das E-Golf-Äquivalent zum Beispiel der MAN eTGM von 2018. Auch wir werden noch unseren vollen "ID-Moment" im Schwerlast-Fernverkehr haben. Bis dahin sammeln wir möglichst viele Daten, um später ein BEV – ein "battery electric vehicle" – exakt auf die Kundenbedürfnisse zuschneiden zu können. Eine der verrückteren Ideen ist, ob sich nicht vielleicht für bestimmte Anwendungen die Entladungstiefe der Batterie dynamisch verändern ließe. Es gibt viele Parameter, an denen man drehen kann. Natürlich lässt sich auch die gesamte Flotte optimieren, indem zum Beispiel übergangsweise nur rund 90 Prozent der Fahrzeuge elektrisch fahren, um mit den übrigen eine hohe Flexibilität zu gewährleisten. Dennoch: Gerade auf der Langstrecke ist ein elektrischer Lkw besonders wirtschaftlich, weil hier der Anteil der Energie- an den Gesamtkosten besonders hoch ausfällt.

MAN eTGE
Traton Group
Das zulässige Gesamtgewicht des MAN eTGM liegt bei 26 Tonnen, die Reichweite gibt der Hersteller mit 200 km an. Sein Antrieb leistet 264 kW, das maximale Drehmoment liegt bei 3100 Nm. Ladeleistung: zwischen 22 und 150 kW
Wann rechnen Sie mit dem ID-Moment bei Traton – 2023 oder 2025?

Diese Größenordnung ist nicht völlig verkehrt.

Was ist mit den Märkten, in denen noch nicht einmal an die Entwicklung einer Lade-Infrastruktur gedacht wird?

Immerhin gibt es wenige Länder, die einerseits schärfere Abgasnormen durchsetzen wollen und andererseits kein Interesse an Infrastrukturausbau haben. Aber ja, wir werden auch noch viele Märkte mit immer saubereren Diesel-Lkw beliefern, finden dazu noch clevere lokale Lösungen, sei es Bio-Diesel, Bio-Ethanol, Bio-Gas. Weltweit allerdings sehen wir dieselbe Ausrichtung: Der BEV ist gerade langfristig fast immer die günstigste und umweltfreundlichste Lösung.

Bislang rechtfertigen Sie BEV-Lkw vorwiegend mit den Kosten. Wie sieht es denn mit dem ökologischen Aspekt aus?

Ein BEV-Lkw wird jeden Tag intensiv genutzt. Damit ist der ökologische Rucksack der Batterie sehr schnell amortisiert, selbst mit dem aktuellen deutschen Strommix. Das wären auch die beiden wichtigsten Hebel, um den CO2-Ausstoß fast auf null zu bringen: zum einen volles Recycling der Batterie, mittlerweile fast nur noch eine Frage der Skaleneffekte, da eine alte Batterie eine besonders kosteneffiziente Rohstoffquelle darstellt; zum anderen der Anteil erneuerbarer Energie. Hier hat der BEV-Lkw auch einen Riesenvorteil gegenüber zum Beispiel einem Wasserstoff-Lkw: Für jeden gefahrenen Kilometer braucht er durch seine weit höhere Energieeffizienz mit passendem Speicher nur ein Drittel der Primärenergie und damit zum Beispiel dreimal weniger Windräder.

Vita

Andreas Kammel, Jahrgang 1985, legte seinen Master in Physik bei Stephen Hawking an der Universität Cambridge ab. Nach seiner Promotion war er als Berater für McKinsey und als Autor tätig. Kammel ist seit 2017 bei der Traton Group, zu der Scania, MAN und Volkswagen Caminhões e Ônibus gehören. Dort verantwortet er die Strategie für alternative Antriebe und autonomes Fahren.

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