Genial oder Unfug? Reservekanister für Elektroautos

Genial oder Unfug?
Reservekanister für Elektroautos

Veröffentlicht am 22.07.2025

So etwas kennen allenfalls noch Gartenbesitzer mit Benzinrasenmäher: Die großen, grünen Kraftstoffkanister sind inzwischen nahezu ausgestorben, moderne Verbrenner sind mittlerweile so sparsam und mit akkurater Messtechnik ausgestattet, dass die berüchtigten "Liegenbleiber" mit leer gefahrenem Tank aus dem vergangenen Jahrtausend heute praktisch Geschichte sind. Das kroatische Unternehmen EV Clinic, spezialisiert auf die Reparatur defekter Elektroautos, bringt jetzt eine Neuauflage für das E-Auto-Zeitalter: Einen Notfall-Akku im Kanister-XXL-Format, um mit leerem Akku gestrandete Stromer wieder flott zu bekommen.

Recycling-Zellen aus dem Model S

Verwendet werden dabei 18650NMC Panasonic-Zellen aus dem Tesla Model S, die bei Akku-Reparaturen als Altteile angefallen sind und so ein zweites Leben bekommen. Kombiniert wird das Akku-Pack mit einem Vitron Wechselrichter, eingebaut wird die Technik in ein handgefertigtes und aufklappbares Gehäuse mit 230-Volt-Steckdose und Transport-Rollen. Der enthaltene Akku verfügt über eine Nennkapazität von 5,2 kWh, davon sind 4,2 kWh nutzbar. Der Inverter liefert eine Maximalleistung von 3 kW; die im Paket enthaltene Ladetechnik kann den recycelten Tesla-Akku mit 250 Watt wieder vollladen.

Diese technische Beschreibung liest sich zunächst recht interessant, die optische Aufmachung in der Form klassischer Armee-Kanister hat Charme, die ganze Geschichte jedoch etliche Fragezeichen. Begonnen beim Gewicht des Notfall-Kanisters, der mit rund 50 Kilo nicht mal so eben gemütlich aus dem Kofferraum gelupft werden kann. Dass EV Clinic die Technik in Einzelkomponenten zum Eigenbau liefert, macht die Angelegenheit außerdem zu einem Fall für handwerklich begabte Tüftler mit Experimentierfreude. Der endgültige Party-Crasher dieser Idee ist der Preis. 4.999 Euro ruft der Anbieter für die "Not-a-Canister" getaufte Notfallhilfe auf.

Dürftiges Ladetempo

Bedenkt man schließlich, dass mit den maximal 4,2 kWh Kapazität und 3 kW Ladeleistung das "Nachfüllen" von – inklusive Ladeverlusten – geschätzt im besten Fall 20-25 Kilometer Reichweite fast zwei Stunden dauern dürfte, wird die Notfall-Lösung insgesamt fragwürdig. Zumal es deutlich günstigere Alternativen (siehe Bildergalerie) gibt: Eine 4 kWh-Powerstation gibt es bereits für rund 2.300 Euro, und die muss man nicht selbst zusammenbasteln. Ganz verwegen könnte man auch zu einem 3kW-Benzingenerator greifen, ist leichter, kostet rund 300 Euro, sollte aber vor hämischen Handy-Fotografierern geschützt werden, wenn man nicht unfreiwilliger Social-Media-Star werden möchte.

Doch wie realistisch ist es überhaupt, mit leerem Akku zu "stranden" und dafür eine Notfall-Ladehilfe zu benötigen? Wir haben beim ADAC nachgefragt, welche Erfahrungen aus der täglichen Pannenhilfe der "Gelben Engel" zu diesem Themenbereich vorliegen. Die Kurzfassung: Praktisch keine. Ein ADAC-Sprecher erklärte gegenüber auto motor und sport, dass es sich in den vergangenen Jahren um "Einzelfälle, allenfalls im Dutzendbereich" gehandelt habe. Bei über 3,6 Millionen Hilfseinsätzen des ADAC im Jahr 2024 wird deutlich, wie selten diese Problematik ist. Tatsächlich gäbe es beim ADAC ein Pilotprojekt, bei dem Pannenhilfsfahrzeuge in den Großräumen der Flughäfen Frankfurt und München mit Notlade-Technik ausgerüstet seien, um vor Ort als Stromspender aktiv zu werden. Doch zum echten Einsatz seien diese bislang nicht gekommen.