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Ex-Audi-Entwicklungschef Peter Mertens im Interview
„Wir haben die Batterie alle unterschätzt“

Peter Mertens zog sich nach zwei Krebserkrankungen von seinem Posten als Audi-Entwicklungschef zurück. Heute geht es ihm wieder gut, auf die Branche schaut er dennoch mit gemischten Gefühlen.

Peter Mertens Ex-Audi-Entwicklungschef
Foto: AUDI AG
Nach Ihrer Krankheit können Sie jetzt mit Abstand auf die Autoindustrie blicken. Wie sehen Sie die aktuellen Bemühungen der Unternehmen in Sachen E-Mobilität?

Es passiert einiges. Der Zug ist nicht abgefahren, aber am Anrollen. Ich muss leider zugeben, dass auch ich die Entwicklung der Elektromobilität so nicht kommen sah. Die Akzeptanz von E-Autos hat sich in den letzten Monaten signifikant verbessert. Die Zulassungen steigen. Wir dürfen uns jetzt aber nicht verrennen. Ich bin mir sicher, dass die Lithium-Ionen-Batterie in den nächsten zehn Jahren die Technologie sein wird, die es braucht und bei der es noch einige Potenziale zu heben gibt. Bei allen Fortschritten, die wir machen, sind Elektroautos aber noch signifikant teurer als Verbrenner, und da muss der Kunde willens sein, tiefer in die Tasche zu greifen. Man darf der Technik jetzt aber nicht hinterherlaufen. Die Autoindustrie muss sich auf die Zukunft konzentrieren.

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Gerade Tesla setzte auf die Zukunft und galt bei den Batterien als Vorreiter. Ist das noch so?

Keine Frage, es ist sehr beeindruckend, was Tesla geleistet hat. Sie haben die fortschrittlichsten Batterien und sind den traditionellen Herstellern mit ihrer Batterietechnologie voraus. Tesla arbeitet seit 10 oder 15 Jahren daran und hat sich komplett auf die Batterietechnologie fokussiert. Dadurch haben sie heute ein besseres Batteriesteuerungssystem als jeder Wettbewerber. Außerdem kommt Tesla mit weniger als sechs Prozent Kobalt aus, was von der Kostenseite her bedeutend ist; bei der nächsten Batteriegeneration, die gemeinsam mit CATL entwickelt wird, soll der Kobaltanteil sogar noch weiter sinken.

Aber auch bei der Software, der Digitalisierung des Autos, ist Tesla Benchmark, oder?

Absolut. Sie waren die Ersten, die Over-the-Air-Updates gemacht haben und das auch sehr medienwirksam einsetzten. Etwa als sie die Reichweite der Tesla-Fahrer während eines Hurrikans per Update over the Air signifikant erhöht haben. Das war aber nicht nur medienwirksam, das war ein Schauspiel von Technologie. Da sage ich: Hut ab. Die anderen Hersteller sind hier nicht so weit. Tesla erreichte diesen Vorsprung, weil sie sich von Anfang an auch auf diese Themen konzentrierten, während die anderen Hersteller sich um ihr Brot-und-Butter-Geschäft kümmern mussten. Ich denke, Tesla unterscheidet sich vor allem darin, dass sie eine viel höhere vertikale Integration in ihren Fahrzeugen haben. Alles, was wichtig ist, machen sie selbst und entwickeln sie selbst, das gilt ganz besonders auch für die wesentlichen Elektronik-Komponenten und die Software. Das ist auch etwas, wofür ich mir nur an die eigene Nase fassen kann. Da haben wir falsche Entscheidungen gefällt. Wir haben zu sehr darauf vertraut, dass die Lieferanten das schon irgendwie lösen würden. Mit dem Ergebnis, dass wir jetzt eine viel zu niedrige Entwicklungstiefe haben und die Kompetenz im Haus nicht mehr da ist, um diese Dinge auch nur beurteilen zu können oder abzunehmen. Das ist eine ganz schlechte Entwicklung. Tesla ist da mustergültig.

Peter Mertens Ex-Audi-Entwicklungschef
Thomas Pirot
Bevor er wegen seiner beiden Krebserkrankungen den Posten als Entwicklungsvorstand bei Audi räumte, trieb Mertens die Entwicklung des e-tron und des autonomen Fahrens voran.
VW versucht jetzt mit der Software AG die vertikale Integration wieder hochzufahren.

Ich denke, das ist prinzipiell der richtige Weg. Man könnte ihn aber noch konsequenter gehen. Ich tue mich schwer damit, dass nach wie vor jeder Hersteller meint, er müsse sein eigenes Betriebssystem entwickeln, und jeder gleich 10.000 Leute daransetzt. Es wäre schön, wenn es eine europäische Initiative gäbe und man den sehr amerikanisch dominierten Konzernen und Entwicklungen etwas entgegensetzen könnte. Mindestens ein Start der deutschen Premium-Hersteller wäre schön. Es gab wohl Gespräche zwischen VW und Daimler. Aber das wird nichts, wenn man wieder zu viel Zeit mit irgendwelchen Vertragsgestaltungen und Risiko-Koordinations-Gremien verbringt. Da koordiniert man sich zu Tode. Es bräuchte jetzt eher eine kleine Truppe von ein paar hundert Leuten – und das finde ich schon eine große Zahl. Nicht über 10.000 Mitarbeiter. Ich weiß nicht, wie viele Entwickler Tesla hat. Vielleicht 6.000? Die arbeiten aber an allen Themen, und sicher nicht einmal ein Drittel davon sind Software-Entwickler. Oder wie viele Entwickler hat Waymo? Vielleicht 1.500, aber was die bereits geleistet haben, ist beachtlich. Ich denke, die Autoindustrie geht das zu traditionell an und es fehlt ein gemeinschaftlicher Ansatz. Ohne den wird es kaum möglich sein, ein eigenes Betriebssystem zu entwickeln und zu pflegen, das auch nur halb so leistungsfähig ist wie Android oder etwas Vergleichbares. Software-Entwicklung kann man nicht wie eine Fabrik organisieren. Hier braucht es superflache Strukturen, wenig Überbau und viele kleinere, autarke Teams, mit top Leuten. Klasse geht vor Masse.

Sie sind großer Verfechter von Plattformstrategien und Vereinfachung. Auf Ihre Kappe geht, dass Volvo nur noch Vierzylinder baut. Ein wichtiger Schritt für die Schweden. Aber wie wichtig sind Plattformen und solche Vereinheitlichungen fürs Elektroauto?

Plattformen sind ein wichtiges Instrument, um profitabel zu sein, aber nicht das einzige. Gerade bei den E-Autos gibt es Einschränkungen, etwa wegen der Rohstoffe. Es verhält sich daher sogar eher andersherum: Denn je mehr man braucht, umso eher steigen die Preise. Europa muss dringend dafür sorgen, sich unabhängiger von Asien zu machen. Tesla ist auch kein Spezialist für die Batterieentwicklung, hat aber die Batteriesteuerungssysteme perfektioniert. Die Platzhirsche in der Batterietechnologie sind asiatische Unternehmen wie Panasonic, LG, Samsung oder CATL. In Europa ist das Know-how zur Batteriezelle nur rudimentär verfügbar. Aus industriepolitischer Sicht ist es keine gesunde Entwicklung, dass wir ausschließlich von chinesischen und koreanischen Herstellern bei der Zelltechnologie abhängig sind. Wir haben hier alle ein bisschen geschlafen und das Thema Batterie unterschätzt. Unabhängig von der Antriebsart werden sich Plattformen in Zukunft auch nicht mehr an Länge, Breite, Höhe orientieren, sondern am "Usecase", also dem wesentlichen Einsatzgebiet des Fahrzeuges und den sich daraus ableitenden Services.

Ist der Batterie-Zug doch schon abgefahren?

Nein, aber wir müssen aufholen. Es gibt zum Beispiel mit Northvolt einen ernst zu nehmenden Hersteller, der die Sache ökologisch korrekt angehen möchte. Zum einen wollen sie auf Wasser- und Windkraft setzen, zum anderen die Rohstoffe möglichst umweltschonend in Schweden abbauen und dort produzieren. Diesen Schritt finde ich wahnsinnig mutig. Europa darf sich da aber nicht verzetteln. Die Lithium-Ionen-Batterie ist noch nicht am Auslaufen, aber in der zweiten Lebenshälfte angekommen. Es gibt Ankündigungen zur Feststoffbatterie, die spätestens 2025 ihren Durchbruch haben können. Da sollte Europa jetzt rein.

Verzettelt haben sich einige beim autonomen Fahren. Noch immer gibt es kein Level-3-Fahrzeug in Serie. Trotz Ankündigungen. Die für den aktuellen Audi A8 wurde jetzt endgültig kassiert.

Das stimmt. Die Sache mit dem autonomen Fah- ren ist aber eine große Gemengelage. Technisch ist es möglich, in bestimmten Lagen autonomes Fahren nach Level 3 zuzulassen. Das konnten wir auch schon demonstrieren. Die Frage der Zulassung als solche und der Abnahme und Zertifizierung ist eine schwierigere. Wir haben damals bei Audi eng mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zusammengearbeitet und Pionierarbeit geleistet. Irgendwann muss man aber realistisch genug sein und sich fragen, ob es sich noch lohnt, wenn sich die Technologie parallel deutlich schneller entwickelt. Meine Vorgänger haben da vielleicht etwas überambitioniert kommuniziert. Neben dem rechtlichen Rahmen, der in Europa jetzt einen großen Schritt vorwärts gemacht hat, fehlt uns aber auch noch einiges an Rechenpower. Hier wird noch viel passieren, damit das Auto sich in seiner Umgebung zurechtfindet und die Daten der Sensoren verarbeiten kann.

Wollte man dieses Thema nicht mit HD-Karten, Updates und 5G lösen?

Das Thema Updates over the Air und 5G ist wichtig fürs autonome Fahren. Ich bin aber der Meinung, dass man nicht nur dort automatisiert fah- ren können soll, wo es 5G gibt. Es ist nicht nötig, ständig unzählig viele Kartendaten über die Luft zu transportieren, um sie vor Ort zu verarbeiten. Ich denke, das muss autonomer und autarker gehen. Das Auto muss selbst verstehen, wo es ist und wie sein Umfeld aussieht.

Dafür müssen die Recheneinheiten in den Autos aber deutlich schneller werden.

Das ist richtig. Da gibt es einige Start-ups und Unternehmen, an denen ich unter anderem auch beteiligt oder in deren Aufsichtsrat ich bin. Etwa Valens oder Recogni, die an schnelleren Daten- übertragungen und schnelleren Rechnern arbeiten. So kommt die Computer-Sensor-Kommunikation von Valens beispielsweise auf bis zu 16 Gigabit, während das aktuelle automotive Ethernet nur 100 Megabit, bestenfalls 1 Gigabit schafft und technisch deutlich aufwendiger ist. Und zu den Rechnern: Teslas Chip fürs autonome Fahren liegt etwa bei 150 TOPS, also einer Rechenleistung von 150 Billionen Operationen pro Sekunde, und braucht etwa 300 Watt. Nvidia hat einen Chip angekündigt, der auf 2.000 TOPS kommen soll, allerdings bei 800 Watt. Der Recogni-Chip soll auf etwa 1.000 TOPS kommen, aber nur 10 bis 20 Watt verbrauchen. Gerade im Elektroauto ist das enorm wichtig, weil es direkten Einfluss auf die Reichweite hat.

Haben Sie das so kommen sehen?

Ich muss zugeben, dass es schwer ist, dieses Thema den Leuten in der Branche zu vermitteln. Ich habe damals schließlich auch entschieden, dass diese Dinge so gemacht werden, wie sie heute sind, und hinter denselben Türen gesessen. Jetzt muss ich den Kollegen erklären, dass technische Quantensprünge notwendig sind, die zukunfts- sicher sind. Dazu braucht es Mut und Weitsicht, beides ist nicht unbedingt die Stärke der Automobilindustrie.

Vita

Geboren 31. März 1961

1985–1990 Abteilungsleiter Technologietransfer Uni Kaiserslautern, Promotion zum Dr. Ing.

1990–2002 Verschiedene Positionen bei der Daimler AG

2002–2010 Diverse Positionen bei Opel und General Motors Europe

2010–2011 Leitung Corporate Quality Tata Motors Group

2011–2017 Entwicklungsvorstand Volvo Car Corporation

2017–2019 Entwicklungsvorstand der Audi AG

Seit April 2020 Aufsichtsratsvorsitzender Valens Semiconductor

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 21 / 2024

Erscheinungsdatum 26.09.2024

148 Seiten