Während der Renault Kadjar hierzulande kein seltener Anblick ist, und sich dank günstiger Preise und problemloser Verfügbarkeit auch noch durch die Rohstoffkrise hindurch in großen Mengen verkaufte, ist der SsangYong Tivoli eher als Underdog zu betiteln. Zumindest sieht man den kantigen Koreaner auf der Straße doch eher selten. Schauen wir uns beide Kandidaten mal genauer an – auch mit Blick auf die Dauerhaltbarkeit als Gebrauchtwagen.
Der Renault Kadjar (2015 – 2022) im Detail:
Der Kadjar ist gleich in zweifacher Hinsicht ein typischer Renault. Erstens – ganz klassisch – weil er ein bequemes Komfortniveau, viel Platz und relativ zuverlässige Technik zum geringen Preis bietet, zweitens, weil bei ihm ein modisches Design mit verspielten Rundungen Vorrang vor funktionsmäßiger Vollkommenheit genießt. Letzteres muss nicht zwingend ein Problem darstellen (schließlich können sich nüchterne Naturen ja auch für gradlinigere Autos entscheiden) und ist dementsprechend Geschmackssache. Ähnlich wie der Ssangyong gehört der Kadjar zu den kompakten SUV, die hauptsächlich auf Straßenbetrieb ausgelegt sind. Geländetauglichkeit sucht man hier ebenso vergebens wie Motoren oberhalb von 165 PS oder eine nennenswerte Anhängelast. So rollten die meisten auch mit völlig ausreichendem Vorderradantrieb vom Band.
Stärken des Renault:
Der Kadjar erfüllt genau die Punkte mit Bravour, die sich Autonutzer wünschen, wenn es darum geht, Familie und Gepäck möglichst bequem von A nach B zu bringen. Das zeigt sich in tadelloser Sicherheit, in ausgesprochen angenehmen Sitzen mit viel Bewegungsfreiheit auch im Fond, im großen Kofferraum, sowie in der auffallenden Leichtgängigkeit von Lenkung und Pedalerie. Die Motoren glänzen allesamt mit guter Sparsamkeit. Damit all dies trotz angenehm hochwertigen Materialoberflächen im Interieur für Neu- und Gebrauchtkäufer stets einen gewissen Preisvorteil bieten kann, werden ingenieursmäßige Feinheiten traditionell etwas weniger in den Fokus genommen. Überzeugte Kadjar-Fahrer dürfte dies aber kaum stören.
Mit Blick auf die Dauerhaltbarkeit sei erwähnt, dass der Kadjar nur als 1,2-Liter-Benziner, dessen Steuerkette sich längen oder gar reißen kann, ernsthafte Probleme bereitet. Bis auf ein paar Infotainment-Abstürze und kurzstreckenbedingte Überlastung der Abgasnachbereitung sind uns keine wirklich gravierenden Schwachstellen, wie etwa Rost oder übermäßiger Verschleiß bekannt.
Schwächen des Renault:
Die Kehrseite der "hineinkonstruierten Einfachheit" ist, dass automobile Feingeister und Technikverliebte den Kadjar eher meiden. Nüchtern betrachtet ist dies zunächst mit der Abwesenheit von Techniklösungen zu erklären. Es gibt keine übermäßig große Motorenvielfalt, kein Matrixlicht, keine aktive Spurhaltefunktion und keine Hybrid- oder gar Elektroversionen. Benziner sind grundsätzlich nicht mit Allradantrieb zu haben, stärkere Diesel aber dafür zum Teil verpflichtend. Die vorhandenen Features wurden dafür oftmals suboptimal umgesetzt. Die Tasten der Sitzheizung finden sich versteckt an der vorderen Schmalseite der Mittelarmlehne. Die Bedienbarkeit des Infotainments verbesserte sich zum Facelift Ende 2018 von "katastrophal" zu "geht so". Das Kombiinstrument kommt stets digital daher, nutzt diesen Vorteil aber nicht zur flexiblen Anzeige verschiedener Funktionen. Lenkung und Schaltung sind so taub-taumelig abgestimmt, dass nur wenig Feedback in die Fahrerhände durchdringt. Die Einparkhilfe tönt in allerlei Tonlagen, reagiert aber zu sprunghaft, oder sieht gar gespenster. Wer mit der Schlüsselkarte in der Tasche ums Auto läuft, etwa zur Beifahrertür, muss den Wagen zunächst wieder entriegeln, weil der Kadjar voreilig von selbst absperrt. Muss das sein? Es geht weiter: Der Tempomat belegt eine ganze Lenkradspeiche, will dazu aber dennoch völlig außerhalb des Fahrerblickfeldes zwischen den Sitzen eingeschaltet werden. Aufschluss übers Tempo gibt ab etwa 100 km/h zudem die in vielen Fällen flatternde Motorhaube. Beim Fahren entsteht nicht selten der Eindruck, dass die Entwicklungsabteilungen von Fahrwerk, Antrieb, Karosserie und Co. sich höchstens bei der Betriebsweihnachtsfeier jemals gegenseitig über den Weg gelaufen seien.
Das ist eine Menge Kritik, doch muss sich, wie gesagt, auch der geneigte Autofan darüber im Klaren sein, dass viele der hier genannten Details für Fahrer mit alltäglicheren Ansprüchen schlicht keine Rolle spielen – das weiß auch Renault.
Der Ssangyong Tivoli (seit 2015) im Detail:
Als Volumenmodell des südkoreanischen Herstellers Ssangyong spielt der Tivoli eine wichtige Rolle. Den kompakten SUV gibt es in zwei verschiedenen Längen, die sinnigerweise entweder angenehm kompakt ausfallen (mit 4,21 m super für die Großstadt), oder richtig geräumig, mit 24 Zentimeter Längenzuwachs, die ausschließlich dem Kofferraum zugutekommen. Achtung: Bis zum Facelift 2019 hieß die Langversion nicht Tivoli, sondern schlicht XLV. Danach, nach einem einjährigen Produktionsstopp, wird er passenderweise als Tivoli Grand verkauft. Anders als im Renault finden sich im Interieur teilweise eher simple Materialien, die dafür jedoch mit Blick auf Ergonomie und Raumnutzung sinnvoller angeordnet sind. Das durchaus etwas würfelige Format erweist sich im Alltag als äußerst zweckmäßig. Sie ist heute in ihren Proportionen vergleichbar mit dem Hyundai Ioniq 5. Nach einigen Jahren auf der Straße kommt es vor, dass gelegentlich die Motorkontrollleuchte strahlt. Schuld sind dann meist nur kleine Motorsensoren, die mitunter qualitativ nicht erste Wahl sind. Die Technik selbst funktioniert meist zuverlässig und kennt keine großen Krisenherde.
Stärken des Ssangyong:
Wie gesagt, glänzt der Tivoli mit einem sehr durchdachten Raumkonzept. Das geriet derart funktionsoptimiert, dass dem einen oder anderen sein Design etwas unbeholfen vorkommen mag – zum Glück streiten wir nicht über Geschmack. Neben diesen Praxisvorzügen gefällt er zudem mit einer äußerst gelungenen Fahrwerksabstimmung, die auf kurvigem Geläuf sogar eine gewisse Fahrfreude aufkommen lässt. Die Lenkung ist recht präzise und gibt ausreichend Rückmeldung durch, während die Federung trotz eher komfortabler Auslegung dafür sorgt, dass es unterwegs nicht allzu nautisch zugeht. Noch eine Stärke ist die üppige Ausstattung, die je nach Linie enthalten ist. Verkehrszeichenerkennung, eine fein gemachte aktive Spurhaltefähigkeit, ein erstklassiges Digitalkombiinstrument, welches sich in unterschiedlichste Ansichten bringen lässt, und so weiter. Zugegeben: Einen Abstandstempomaten sucht man anders als im Kadjar vergebens.
Schwächen des Ssangyong:
Der Tivoli ist geprägt von einer Reihe echter Inselbegabungen: klasse Raumkonzept, prima Fahrabstimmung, gute Ausstattung. Umgekehrt fehlt ihm dafür an anderen Stellen der Feinschliff. So ist der beliebte 1.6er-Diesel zwar angenehm zu fahren und ein echter Drehmomentbulle, doch dafür klingt er beim Kaltstart wie eine kräftig abgenutzte Landmaschine. Auch ist er im Zusammenspiel mit der etwas ungelenk abgestimmten Sechsstufenautomatik nicht gerade sparsam – unter sieben Litern landet man kaum. Ein echtes Manko ist sein nicht optimales Abschneiden im Euro-NCAP-Crashtest. Maximal vier Sterne sind hier drin, und das auch nur mit entsprechender Sicherheitsausstattung. Objektiv weniger schlimm, dafür aber noch viel nerviger: Bis zum Facelift 2019 funktioniert das große Infotainmentsystem schlecht. Die Bedienung ist wirr, der Radioempfang schlecht, die Integration des TomTom-Navis nicht harmonisch gelungen. Danach geht's dann aber richtig gut.
Kaufvergleich: Welchen nehmen?
Der eine ist ein etwas komischer Kauz, der mit einigen großartigen Begabungen glänzt, der andere möchte es allen recht machen, bohrt aber dabei oft ein allzu dünnes Brett. Erraten Sie, wer womit gemeint ist?
Der Ssangyong ist unterm Strich das bessere Auto. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht auch seine Schwachstellen hat. Anders als im Renault nimmt man sie ihm aber liebevoll als Schrullen ab. Dafür gefällt er umso mehr, wenn es mal darum geht, einen langen Heimweg bei Mistwetter anzutreten, oder bei Schnee den Allradantrieb herauszufordern. Wenn Sie sich zu den begeisterten Autofahrern zählen, wird der Kadjar Sie einfach nicht befriedigen.
Wenn Ssangyong mit einer neuen Tivoli-Generation noch mehr Raffinesse in die Antriebe stecken würde, dann würde sie als echter Geheimtipp durchgehen.
Fazit
Wer Autos liebt, verträgt es nicht gut, wenn ein Hersteller ein Produkt abliefert, das durch die Summe seiner Funktionen gerade so sein Soll erfüllt. Das lässt man vielleicht bei einem günstigen Haushaltsgerät durchgehen, nicht aber wenn man ein wenig Benzin im Blut hat, oder schlicht Freude am Fahren. Deshalb, und weil SsangYong ein wirklich gutes Paket fürs Geld schnürt, ist der Tivoli vor dem Kadjar die erste Wahl.