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Geheimnisvoller roter Kompressor-Sechszylinder
Der wohl älteste BMW-Rennwagen der Welt

Inhalt von

Eine wilde Vergangenheit verschleierte über 80 Jahre lang die Identität dieses BMW. Seit kurzem aber ergibt sich aus dem historischen Puzzle ein Bild, dass den roten Sechszylinder zum ersten BMW-Rennwagen macht.

Stösser BMW Rennwagen Oldtimer
Foto: Sven Wedemeyer

Ziemlich unglaublich erscheint die Vergangenheit dieses ganz besonderen Automobils, das erst vor kurzem zu seiner wahren Identität zurückfand. Zu sehr hatte sich der BMW von seinem Ursprung entkoppelt. Über Jahrzehnte hatte man die von Beulen übersäte Sonderkarosse als verschlimmbesserten 303 oder 315 missverstanden. Heute nennt man den Wagen am besten „Stösser-BMW“. Denn dieses Exemplar, von Eugen Stösser 1934 in Auftrag gegeben, darf wohl als erstes Rennfahrzeug der Marke BMW verstanden werden. Ganz nebenbei entstand mit ihm der erste und bis heute einzige Kompressor-BMW.

Unsere Highlights

BMW profitiert in den 30er-Jahren

Anfang der 1930er profitiert die junge Marke BMW mit dem Dixi von Aufschwung und Massenmobilisierung. Kleinwagen wie die deutsche Austin-Lizenz sorgen für sprudelnde Gewinne. 1932 entwickelt man in München das erste eigenständige Fahrzeug, den AM1. Ein Jahr später folgt die frühe 3er-Reihe, welche als rollendes Chassis oder kompletter Aufbau angeboten wird. Doch zum Ende der Weimarer Republik ist BMW immer noch ein relativ kleines Licht in der munter flackernden Automobilwelt. An elitäre Sportwagen oder Werks-Engagement im Motorsport ist noch nicht zu denken.

Stösser BMW Rennwagen Oldtimer
Archiv Marek Schramm
Wie auch sein Bruder Alois ist Eugen Stösser (im Bild) bereits auf Motorrädern im Sport erfolgreich gewesen und strebt mit dem leichten BMW nach Höherem.

Der wohlhabende Unternehmer Eugen Stösser ist jedoch vom Können der BMW-Ingenieure überzeugt. Er gibt ein Fahrgestell in Auftrag, das mit zwei längs verlaufenden Rundrohren dem des damaligen 303/315 ähnelt. Das Chassis mit der Nummer 46534 wird Anfang 1934 ausgeliefert. Wie auch sein Bruder Alois ist Eugen Stösser bereits auf Motorrädern im Sport erfolgreich gewesen und strebt mit dem leichten BMW nach Höherem. Der Renner aus Eisenach soll ihm zu Ruhm in der kleinen 1500er-Klasse verhelfen. Weil Stösser als Entrepreneur auch ein Investment am Unternehmen Zoller erwägt, soll sein BMW mit einem Kompressor aus ebendiesem Hause ausgestattet werden. Als Statement seiner unternehmerischen Ambition. Zoller-Gebläse sind damals das Maße der Dinge und werden in verschiedensten Rennwagen verbaut. Stösser ist optimistisch.

Supercharger im BMW

Um der damaligen Formel des boomenden Motorsports, der „nationalen Sache“, gerecht zuwerden, installiert man einen Zoller-Kompressor vom Typ 160 vor der Kurbelwelle des BMW Sechszylinders. Das Fahrgestell verfügt deshalb über eine Aufnahme der Verdichter-Druckleitung und platziert den Motorblock mit 1.098 Kubik viel weiter hinten, als es beim 303, 315 oder 319 üblich ist. Der spezielle Stösser-BMW hat einen echten Front-Mittelmotor – und damit wenig mit den Serienprodukten von BMW gemein.

Stösser BMW Rennwagen Oldtimer
Sven Wedemeyer
Der mit 75 PS recht kräftige Kompressor-Antrieb wird unter einer langen Karosserie aus Aluminium verborgen.

Der mit 75 PS recht kräftige Kompressor-Antrieb wird unter einer langen Karosserie aus Aluminium verborgen. Eugen Stösser bleibt für deren Bau nur wenig Zeit, denn im Mai 1934 soll er bereits gegen Bugatti, MG & Co. auf der AVUS antreten. Das älteste Foto des vollständigen Fahrzeugs wird hier geschossen. Eine riesige Niere im Grill und 19-Speichen-Felgen dominieren den Look des schlichten Autos, das aus unerfindlichen Gründen aber nicht zum Rennen erscheint. In der Saison 1934 nimmt der Stösser-BMW aber noch an sechs weiteren Wettbewerben teil, kommt als einziger 1100er auf dem Nürburgring ins Ziel und holt beim Bergrennen Ratisbona sogar den Gesamtsieg. 1935 wiederholt Stösser diesen Erfolg, beendet allerdings nach dem Großen Bergpreis im Schwarzwald die Karriere seines aufgeladenen Unikats. In den kommenden Jahren wird Stösser auf anderen Marken sein Glück versuchen.

Kritik an der Lader-Lösung?

Gründe für die frühe Rente des BMW sind nicht bekannt. Hatte sich Stösser mit Zoller, der selbst einen innovativen Zweitakt-Kompressor-Rennwagen konstruierte, überworfen? War ihm die Lader-Lösung auf einmal zu wider? Alles Spekulation. Klar ist nur: Das Einzelstück gelangt 1936 „für n´ Appel und n´ Ei“ in die Hände eines Herrn Stiller, der bei BMW arbeitet. Zu jener Zeit ist der Wagen bereits seines Kompressors beraubt. Von der Vergangenheit auf der Piste wird nichts überliefert. Stiller baut den Wagen mit einem BMW-Saugmotor im Look der modischen Silberpfeile um – mit aerodynamischer Vorderachs-Verkleidung wie beim Mercedes-Benz W25, mitlenkenden Schutzblechen und Scheinwerfern hinterm Kühlergrill. Der frühere Rennwagen soll fortan auf der Straße zu Hause sein.

Stösser BMW Rennwagen Oldtimer
Archiv Marek Schramm
Stiller baut den Wagen mit einem BMW-Saugmotor im Look der modischen Silberpfeile um – mit aerodynamischer Vorderachs-Verkleidung wie beim Mercedes-Benz W25.

Die Spur des BMW verliert sich in den Wirren des Krieges. Anfang der 40er wird der Wagen von Stiller verkauft und gerät über Umwege an einen Herrn Nonne, der den Sportwagen unter der Bezeichnung „315/1“ – eine naheliegende Fehleinschätzung – um 1961 veräußert. 1.000 Mark zahlt der neue Eigentümer Walter Schulz für den sonderbaren BMW, der nun einen Zweiliter-Motor hinter der Vorderachse trägt. Schulz hinterfragt die Identität seines Neuerwerbs nicht – auch, weil Stiller nochmals über den Wagen stolpert und eine Nachricht am Auto hinterlässt: „Freundliche Grüße vom Erbauer Ihres Wagens vor 25 Jahren – Stiller Autohaus“. Schulz kauft 1965 sogar einen vermeintlich passenden Motor vom Typ 315. 1968 wird der BMW im noch heute aktuellen Rot lackiert.

Unverkäuflicher BMW-Bastard

Mit der Zeit schreitet die Entfremdung voran: 1970 siedelt Schulz in die USA um. Das frühere Renngerät wird auch dort als von Stiller eingekleideter 315/1 verstanden und mit allerlei fragwürdigen Umbauten versehen: Windschutzscheibe, Gepäckträger, Klappverdeck und außen angebrachte Scheinwerfer verschleiern das Wesen des ehemaligen Racers. Der Tankstutzen wird versetzt, um etwas Platz für einen Kofferraum zu schaffen. Unzählige Löcher im Blech sind noch heute stumme Zeugen dieser Ära in Amerika, die in Rückleuchten vom 190er SL gipfelt.

Stösser BMW Rennwagen Oldtimer
Sven Wedemeyer
Nach 56 Jahren im Besitz entschließt sich der mittlerweile ergraute Walter Schulz (rechts) 2016, seinen lieb gewonnen BMW zu verkaufen.

Erst 2008 gelangt der BMW wieder nach Europa. Ein deutscher Fachbetrieb soll sich um den altersschwachen Wagen kümmern. Weil die Finanzkrise den nicht eben günstigen Service überschattet, bleibt das Auto lange unangetastet. Nach 56 Jahren im Besitz entschließt sich der mittlerweile ergraute Walter Schulz 2016, seinen lieb gewonnen BMW zu verkaufen. Zwei deutsche Händler werden mit dem Verkauf beauftragt, erkennen aber nicht die Herkunft des wenig eleganten Automobils. Auch das Publikum auf der Techno Classica weiß den „303 mit Stiller-Rennkarosserie“ nicht zu würdigen. Über Jahrzehnte nicht eben schöner geworden steht der BMW-Bastard unverkäuflich auf der Messe. Zwar existieren seit 2007 Belege der Klassik-Abteilung von BMW, die den Wagen als Stösser-Spezial und als früheren Rennwagen identifizieren. Doch scheinbar nimmt niemand von dieser Information Notiz. Vom Kompressor-Motor fehlt bis dahin jede Spur.

Ein Auto fürs Bergrennen

Wie die Jungfrau zum Kinde kommt schließlich Marek Schramm zum BMW. Denn eigentlich ist der Veranstalter des Gabelbach-Bergrennens in Ilmenau auf der Suche nach einem adäquaten Vehikel für sein Event. Er träumt von einem Bentley Blower. Gedankenschwanger ruft Schramm bei einem renommierten Händler an und erkundigt sich über ein konkretes Fahrzeug. Der erwähnt beiläufig den roten BMW, welcher „über eine relativ authentische Patina“ verfüge und schon zu lange in der Ecke steht. „Einen Kompressor-Sportwagen“, so der Händler, „haben wir leider nicht“. Wie falsch er damit liegt wird erst Ende 2017 deutlich.

Der zerzauste BMW gefällt Schramm sofort. „Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich erkannte im Wagen noch immer die Aura eines Rennwagens.“ Schramm erwirbt den „303 Stiller“, auch wenn dieser seine Sehnsucht nach einem Kompressor offenkundig nicht befriedigt. Erst BMW-Fachmann Dr. Dieter Rose, der im November 2017 vom Wagen erfährt, rüttelt mit historischen Fotos am Weltbild des neuen Besitzers. Archivmaterial zeigt das nackte Sechszylinder-Fahrgestell mit dem Zoller-Kompressor. Auch antiquarische Fachbücher erwähnen den aufgeladenen BMW als Unikat, das zwei Jahre lang mit Eugen Stösser am Volant Staub auf diversen Rennstrecken aufwirbelte.

Identitätskrise mit Reichweite

Stösser BMW Rennwagen Oldtimer
Sven Wedemeyer
Nun steht er auf Scheibenrädern im Stil des BMW 328. Zwar sind auch diese Felgen nicht original, doch nach einem höchst abwechslungsreichen Leben muss der BMW erst langsam zu sich finden.

Nun, da die zentimeterdicke Schicht der Vergangenheit vom welligen Blech des BMW gewischt wurde, macht sich Marek Schramm an die Recherche und den behutsamen Rückbau seines Überraschungs-Eis. In der schlanken Front fand er Schweißnähte, die auf den Grill mit Stiller-Niere zurückgehen. Die damals konstruierten Schutzbleche wurden abgenommen und versteckte Scheinwerfer wie 1936 montiert – denn der Wagen hat mittlerweile TÜV. Nun steht er auf Scheibenrädern im Stil des BMW 328. Zwar sind auch diese Felgen nicht original, doch nach einem höchst abwechslungsreichen Leben muss der BMW erst langsam zu sich finden. Schramm fahndet bereits nach einem passenden Kompressor und will den Wagen wieder tieferlegen. Weitere Schritte sind noch nicht klar. Weil nach 84 Jahren, davon nur zwei im ursprünglichen Zustand, trefflich darüber gestritten werden kann, was das Wesen dieses BMW auszeichnet.

„Wir werden sehen, wie sich die Sache entwickelt“, freut sich Schramm. In jedem Fall wird der BMW von Stösser/Stiller/Schulz beim Gabelbach-Rennen 2018 seine offizielle Jungfernfahrt vor Publikum feiern. Und vielleicht zum 100-jährigen Jubiläum der AVUS im Jahr 2021 seinen damals verpassten, allerersten Start nachholen. Dann würde sich die Geschichte nochmal fügen.

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Erscheinungsdatum 05.09.2024

148 Seiten