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Audi R18 RP6 im Tracktest
Abschiedsfahrt mit dem LMP1-Renner

Für Jörn Thomas ist es die LMP1-Premiere, für den R18 der Abschied. Nach 18 Jahren zieht sich Audi aus dieser Klasse zurück. Grund genug für feuchte Hände am Steuer.

Audi R18, Frontansicht
Foto: Audi

Gleich passiert’s. Formschlüssig in der Carbonwanne liegend, eingepackt in feuerfeste Unterwäsche, verzurrt in Sechspunktgurte, verkabelt am Funk, die Hände schon an den Lenkerhörnchen. Das vorerst letzte Ingenieursgebet ist gesprochen, auf der Strecke noch Verkehr. Zeit zum Denken. Viel Zeit. Fünf Minuten werden zu Stunden. Drücken die Ohrstöpsel nicht etwas, sitzt die Sturmhaube schief, juckt da etwa der kleine Zeh?

Audi R18, Jörn Thomas
Audi
Für Jörn Thomas ist es die Premiere, für den R18 die Abschiedsfahrt.

Zu spät, an den komme ich jetzt nicht mehr ran, meine Beine stecken schon im Schacht, links Bremse, rechts Gas. Warum fällt mir die Geschichte von damals bloß jetzt ein? Vor über 20 Jahren, am Ende meiner Jura-Ausbildung, tourte ich zum allerersten Mal als Amtsanwalt, so eine Art Staatsanwalt light, durch die hessische Provinz. Anzuklagen war bei meiner Premiere ein junger Kerl. Klar war: Der geht in den Knast. Was ihm anscheinend schnurz war. Ganz cool saß er da, mit Handschellen im Verhandlungssaal. Breitbeinig, breit grinsend, kaugummikauend, unterstützt von einer ansehnlichen Groupie-Clique. Und ich, der Hüter des Gesetzes? War klatschnass geschwitzt unter meiner schwarzen Klamotte, wäre am liebsten geflüchtet.

Nächste Station: Museum

Warum ich Ihnen das hier erzähle? Um zu erklären, dass Angst immer ihren eigenen Weg geht. Ich hatte damals nichts zu befürchten, im Gegenteil, Grund zur Freude. Große Chance, große Verantwortung. Und ich – starb fast vor Schiss. So wie heute, an diesem nebligen Dezembermorgen in Neuburg an der Donau. Audi Driving Experience Center, Tracktest R18. Ein letztes Halali für Startnummer 7 und 8, bevor die LMP1-Geschwister ins Museum rollen. Für immer. Und nie wieder auf eine Strecke, wie Sportchef Ullrich betont. Als ob die Situation nicht schon prickelnd genug wäre.

Wie sagte mein Chef am Vortag: „Ich habe da was für dich. 1.000 PS, drei Grad, Slicks.“ Klar, Chef, ich mach’s. Äh, was eigentlich? Okay, das hier. Viel mehr Ehre, viel mehr Freude geht ja nicht. Allzu viele Menschen schwingen ihren Hintern nicht ins Monocoque des R18. Bei mir genauer gesagt in die Carbonwanne mit ein paar Schaumstoffscheiben obendrauf – damit ich wenigstens etwas von der Piste sehe und nicht nur die Lenkerhörnchen mit den sechs Wippen, Drehschaltern und Knöpfen. Rein nach Gehör fahren wäre blöd. Satzfetzen aus Doktor Ullrichs Ansprache wie „Wir lieben die Autos wie unsere Babys“ und „Keine Möglichkeit, neue zu machen“, „Die gehen direkt ins Museum“ hallen nach.

Betäubend laut, obwohl es gerade ganz ruhig ist im Auge des Orkans. Ein Dutzend Mechaniker wuselt um die Autos herum, eine Handvoll Ingenieure hocken im Kontrollraum. „In Le Mans, wo Audi seit seinem Einstieg 1999 allein 13-mal gewann, ist die Kopfzahl des Teams auf 65 limitiert, das ist schon knapp. Anderswo sind wir bis zu 100“, so Projektleiter Stefan Dreyer.

LMP1 ist eine Teamleistung

Reinsetzen, losfahren? Vergiss es. LMP1 ist eine Ingenieurs-Rennserie. Es gibt nichts Komplexeres. Vierliter-V6-Diesel in der Mitte, die Elektromotor-Generator-Einheit (MGU) vorn, die Abstimmung von Rekuperation, Boosten, Aero-Performance, Fahrwerksbalance, Reifentemperatur. Alles muss stimmen, bei wechselnden Bedingungen, Tag und Nacht, bei Zweikämpfen, Strategie- und Wetterwechseln.

Audi R18, Jörn Thomas
Audi
Die komplexe Technik des R18 benötigt ein großes Team an Ingenieuren und Technikern.

Letzteres ist heute nicht zu befürchten. Diesig, drei Grad, feuchte Stellen auf der Strecke. Die Strategie: fünf Runden fahren, ankommen. Von der Beschleunigung (ein Kilo pro PS!) kosten. Vor allem: nichts kaputt machen. Wohlan. Autosuggestion wie „Du bist cool, du kriegst das hin“ hilft nichts, solange nur die schweißnassen Handflächen eiskalt sind.

Die greifen jetzt fest zu, es wird ernst. Die gut durchgebackenen Regenreifen sind drauf, zwei Runden sollten sie Grip bieten, bevor die Temperatur in den Keller fällt. Sie schieben uns, also mich und den R18, auf einem Rollbrett aus der Halle

Rums, wir stehen auf dem Asphalt. Hybridsystem per Kippschalter aktivieren, Handkupplung ziehen, ersten Gang reinklicken, Startknopf. Brrrrrr, der Diesel ist da. Halbgas, Kupplung leicht einrücken, losrollen, Kupplung ganz raus – und ab. Yippie! Mann, fährt das geil. Wie du so fährst und denkst: Idiot, die Angst war umsonst. Der R18 lenkt fromm, hängt fein am Gas. Alles passt plötzlich. Bei einem Tempo weit südlich des Limits. Ein Tritt aufs leichtgängige Pedal zeigt, was gehen könnte. Hinten schieben bis zu 514 PS sowie saftige 850 Newtonmeter des Vierliter-Diesel, vorn pusht der Elektromotor mit 350 Kilowatt.

Wie sich das anfühlt? Es macht verdammt schnell schnell. Nie auf die Schaltlampen gucken, deine linke Hand kommt mit der Schaltwippe eh nicht hinterher. Also gleich nach Gefühl. Zweiter, Dritter, anbremsen, runterschalten, einlenken, im langen ersten Gang durch den Scheitel retten und weiter zum nächsten Eck.

Aufwändige Aerodynamik

Wirklich Speed baut man auf dem engen Kurs nicht auf – oder ab, weshalb die Carbonbremsen heute einen buchstäblich lauen Job haben. Dabei brauchen sie Betriebstemperatur, um ordentlich zu funktionieren. Sind sie zu kalt, leidet die Wirkung und der Verschleiß steigt stark an. Beim R18 arbeiten sie überdies im Verbund mit der MGU, der elektrischen Motor-Getriebe-Einheit. Sie rekuperiert beim Verzögern vorn und treibt beim Beschleunigen wiederum die Vorderräder an. Das spart Energie und bringt dem R18 Extra-Traktion.

Schade, dass fahrerisches Können und äußere Bedingungen dem Ausschöpfen der Fahrdynamik dramatisch im Weg stehen. Davon hätte der R18 eine Menge zu bieten, speziell bei höherem Tempo, wenn er beginnt, massiv Abtrieb zu generieren. Dazu verhilft ihm seine radikale Aerodynamik mit der hohen Nase, die möglichst viel Luft kanalisiert: zur Unterströmung Richtung Unterboden und zur Durchströmung in die seitlichen Luftschächte. Das ist bezogen auf den Luftwiderstand effizienter als durch Überströmung, also über frei im Wind stehende Flügel, so der Technische Leiter Jörg Zander.

Audi R18, Frontansicht
Audi
Die aufwändige Aerodynamik sorgt für den nötigen Abtrieb bei hohen Geschwindigkeiten.

Hunderte von Windkanalstunden bei Vertragspartner Sauber F1 waren nötig, um das Ziel zu erreichen: Luftwiderstand senken, Abtriebsniveau halten. Schließlich hängt bei den LMP1-Autos alles zusammen, und alles dreht sich um die Effizienz. Wozu auch die Zentralhydraulik nach Formel-1-Vorbild beiträgt, die sich um Lenkung, Getriebe, Motor- und Bremskomponenten kümmert.

Alles ist vernetzt

Das Fahrwerk ist ebenfalls Teil des Konzepts, beide Achsen sind hydraulisch so verbunden, dass der Anstellwinkel des R18 seinem Tempo angepasst wird. Damit bleibt der Abtrieb sogar bei Kurvenfahrt konstant. Davon und von den weiteren Vorzügen des Hub-Wank-Fahrwerks bekomme ich heute allerdings kaum etwas mit.

Dennoch gut zu wissen: die Einstellungen lassen sich für unterschiedliche Fahrzustände separat justieren, ohne dass sie sich gegenseitig beeinflussen. Wenn die Abstimmung passt, ist es top, wenn man danebenliegt, dann richtig. Hier hatte Audi 2016 bisweilen zu kämpfen. Ebenso mit zu niedrigen Vorderreifentemperaturen und Pick-up, also Gummiresten von der Piste, die das Auto aus der Balance brachten. Das lief im Laufe des Jahres immer besser, bis hin zum letzten Rennen in Bahrain mit einem R18-Doppelsieg.

Meine Fahrt endet ebenfalls mit einem Sieg. Einem über die Furcht, die zu purer Euphorie wird. Ach ja, der Typ damals im Gericht ging schön in den Knast – und ich mit einem Bier an den Badesee. Ätsch!

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Erscheinungsdatum 26.09.2024

148 Seiten