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Zukunfts-Vorstellungen
10 Irrtümer zur Mobilität

Prognosen, das wussten bereits die Pointen-Publizisten Mark Twain und Oscar Wilde, sind schwierig – besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Die gern genutzte Möglichkeit zum grandiosen Scheitern: momentane Veränderungen linear in die Zukunft fortzudenken. So entstehen oft furchteinflößende Voraussagen hypothetischer Bedrohungen: saurer Regen, Waldsterben, Ozonloch, Kohlendioxid, der nahe Wärmetod. Zehn Fehlprognosen zur Mobilität schauen wir uns mal genauer an.

Irrtümer zur Mobilität, Zukunftsvorstellungen
Foto: Terrafugia

1. Die Erde ist eine Scheibe

Ein handfester Irrtum ist die Annahme, sämtliche Gelehrten der Welt hätten sich jahrtausendelang auf dem Holzweg befunden und die Kugelgestalt der Erde geleugnet. Die Philosophen der griechischen Antike etwa – Pythagoras, Platon und Aristoteles – hielten die Himmelskörper für Kugeln, also auch die Erde. Die Mesopotamier hingegen dachten sich die Welt als eine Insel auf dem Ur-Ozean, und dieser Gedanke hat sich bis ins Alte Testament fortgesetzt.

Gestützt wurde er auch von Lactantius (250 bis 320 n. Chr.), der die Antipoden bereits von der Unterseite einer Kugel ins Weltall stürzen sah. Kosmas Indikopleustes (600 n. Chr.) machte die Erde als flaches Parallelogramm aus, das von vier Meeren umgeben ist, und die amerikanische Flat Earth Society glaubt Ähnliches bis heute. Doch die Raumfahrt hat es endgültig bewiesen: Die Erde ist rund, und wer von Spanien aus westwärts nach China will, kommt dorthin – vorausgesetzt, er findet den Panamakanal.

Fantasy map of a flat earth
Antar Dayal
Vor einigen Jahrhunderten dachte man noch, die Erde sei eine Scheibe und das Zentrum des Universums

2. London geht im Pferdemist unter

Zum Ende des 19. Jahrhunderts nahm der Verkehr von Pferdefuhrwerken, Droschken und Kutschen in London außergewöhnlich zu. Auf den großen Hauptstraßen der Stadt fielen pro Tag und Meile etwa vier Tonnen Pferdemist an, begleitet von den flüssigen Betriebsstoffen der Tiere, die sich über die Hartholzpflöcke des innerstädtischen Straßenbelags ergossen. Um 1890 rechneten Statistiker aus, dass die Themse-Metropole spätestens 1942 unter einer Decke von anderthalb Metern Pferdeäpfeln liegen würde. Glücklicherweise trat diese Prophezeiung nicht ein – denn das Auto und die elektrische Trambahn waren gerade erfunden worden.

3. Das Auto ist 1927 technisch ausentwickelt

Kein Geringerer als Alfred P. Sloan trat 1927 mit dieser Einschätzung an. Der Boss der mächtigen General-Motors-Werke in den USA vermochte sich nicht vorzustellen, was technisch über den damaligen Stand hinaus in der Massenfertigung noch alles möglich werden sollte – selbsttragende Karosserien, Scheibenbremsen, gewölbte Flächen aus splitterfreiem Glas, Einspritzmotoren, effektive Heizungen, Sicherheitsgurte, Transistorradios und überhaupt die ganze Elektronik als Steuerungssystem.

Sloan war konsequent: Verkauft würden Autos, verriet er seinen Mitarbeitern 1927, künftig nur noch durch ihr Styling. Prompt gründete er die erste Design- Abteilung der Automobilindustrie, geleitet vom genialen Harley Earl. Seine Beurteilung der Technik war, Gott sei Dank, ein Holzweg.

4. Atomkraft ist ein langlebiger Treibstoff

Als die Nutzung der aus dem Atomzerfall stammenden Kernkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte – trotz der Erinnerung an die Bomben auf Japan –, kam bei den Technikern die Idee auf, neben Dampfern und U-Booten auch Automobile über einen handlichen Atomreaktor zu betreiben. Selbst Ferdinand Porsche dachte daran.

Bei den erwarteten Reaktionstemperaturen von bis zu 90.000 Grad würde der Reaktor jedoch den Wagen einschmelzen, weshalb vom Hubkolbenmotor mit Neutroneneinspritzung abgesehen wurde und das Prinzip Dampfturbine herhalten musste. Mit einem Gramm Uran 235 könne man, so ein zeitgenössischer Bericht, immerhin 5.000 Kilometer zurücklegen. Ford präsentierte 1957 die Studie Nucleon, eine Art atomgetriebenen Pritschenwagen. Seine Technik blieb dem Verkehr der Zukunft glücklicherweise erspart.

Irrtümer zur Mobilität, Zukunftsvorstellungen
Archiv
Der Nucleon sollte mit Atomkraft fahren.

5. In Deutschland gibt es kaum noch Autos

Als Paul Pietsch, treibender Kopf unter den Gründern der Motor Presse Stuttgart, 1946 im rohstoffarmen Nachkriegsdeutschland den im Südwesten zuständigen französischen Besatzungsoffi zier aufsuchte und um eine Papierzuteilung bat, musste er die Frage beantworten, was er denn damit vorhabe. Seine Antwort: „Ich will eine Automobilzeitschrift gründen.“ Der Besatzer lachte und entgegnete ihm: „Es wird in Deutschland nie wieder so viele Autos geben, dass ein Automagazin gebraucht wird.“ Mit der Vorhersage lag er voll daneben: Im nächsten Jahr feiert die Pietsch-Gründung auto motor und sport ihren 70. Geburtstag.

6. Das Auto geht in die Luft

Verstopfte Straßen und der Wunsch nach einem möglichst hohen Reisetempo waren in der Geschichte der Mobilität immer wieder der Stoff, aus dem ein Hybridfahrzeug der besonderen Art wuchs: ein Automobil, mit dem man sich nicht nur zu Lande, sondern auch in der Luft fortbewegen kann.

Für den fliegenden Kleinwagen Terrafugia Transition hat die US-amerikanische Luftfahrtbehörde jetzt sogar dem Hersteller eine Lizenz erteilt. Die Studentenidee des Luft- und Raumfahrtinstituts der Technischen Hochschule Massachusetts wird sich trotzdem nicht im großen Maßstab durchsetzen: Wenn ihn jeder nutzt, verlagert sich die Rushhour von der Straße in die Flugkorridore – mit extrem höherem, tödlichem Risiko.

7. Alles geht automatisch

Die urbane Mobilität der Zukunft, so zeigen es futuristische Schaubilder aus den 1950er- und 60er- Jahren, umfasst zum Beispiel endlose Laufbänder, auf denen wir stehen und die uns wie waagerechte Rolltreppen durch die Stadt schleusen. Zu unseren Köpfen zischt eine Magnetschwebebahn durch die Luft, neckisch umkreist von kleinen fliegenden Untertassen, in denen hübsche Menschenpaare sitzen und durch Plexiglas-Vollkuppeln mit großen Augen in die Umgebung schauen.

Die Mutti daheim programmiert währenddessen ihren automatischen Backherd mit einer Lochkarte, was in den 50ern der Gipfel der Modernität war. Der einst herrschende Automatisierungsfimmel, abgeschaut von den USA, blieb uns damals erspart. Mal sehen, was das heutige App-Zeitalter diesbezüglich noch bereithält.

10 Irrtuemer der Mobilität, ams2515, aktuelles
Alejandro Levacov
Endlos lange Laufbänder transportieren einen quer durch die Stadt. Damals ging man davon aus, dass in der Zukunft alles automatisch funktionieren würde.

8. Dem Wankelmotor gehört die Zukunft

Als Felix Wankel vor mehr als einem halben Jahrhundert seinen Motor zeigte, in dem ein dreieckiger Kolben in einer Trochoide rotierte, hielten das viele für genial: Kurbelwelle und Pleuel entfielen, und damit auch die Vibrationen des Hubkolbenmotors, den Wankel spöttisch nur den „Schüttelhuber“ nannte. Trotzdem setzte sich der Wankelmotor nicht durch.

Er war teuer zu fertigen, die Dichtleisten verursachten Defekte über Defekte, und schließlich war der Motor ein Säufer par excellence: Der Brennraum erstreckte sich über einen Kolbendrehwinkel von etwa 270 Grad, was einer vollständigen Durchzündung des Gemischs im Wege stand, zu einem gewaltigen Quench-Effekt führte und solcherart große Mengen unverbrannter Kohlenwasserstoffe in die Auspuffluft entließ. Als Stationärmotor brauchbar, als Autoantrieb jedoch problematisch: Zum Wankel gehört Mut.

9. Mobil ohne Fahrzeug: Wir beamen uns

Leser der zugegeben trivialen, aber doch sehr unterhaltsamen Science-Fiction-Serie „Perry Rhodan“ hegten stets Sympathien für Perrys tierischen Kumpel an Bord des Raumschiffs: Gucky, den Mausbiber. Gucky beamt sich im Hungerfall eine fette Mohrrübe vom nächsten Planeten mit Gemüsebeet direkt in die Raumschiff-Kantine. Diese Eigenschaft macht ihn zu einem Telekineten.

Dass er sich selbst quer durch den Kosmos beamen kann, kommt dazu: Gucky ist auch ein Teleporter. Damit erfüllt er ein altes Mobilitäts-Ideal: Teleportieren möchten sich die Menschen zu allen Zeiten, mal durch Betreten einer geheimnisvollen Röhre, mal eines Faraday'schen Käfigs, mal eines DeLorean-Sportwagens, der seine Passagiere durch die Zeiten pfeffert. Technisch möglich ist das Beamen lebender Organismen bis heute nicht.

10. Morgen fahren wir mit Solarzellen auf dem Dach

Die Solartechnik als Autoantrieb lag in den 1980er-Jahren sehr im Trend: Universitäten, Bastler, Autohersteller und Zulieferer entwarfen spinnenbeinige Leichtbau-Automobile, in die nicht mehr als der Fahrer hineinging und die von Elektromotoren angetrieben wurden – welche sich wiederum aus dem Strom speisten, der von Solarzellen auf dem Dach der käferförmig wirkenden Mobile erzeugt wurde.

Auch wenn Nuna II, der rasende Tragflügel aus Holland, bereits 2003 am Tag 830 Kilometer zurücklegte und sein Nachfolger Nuna III 102 km/h erreichte, sprechen die Bilder davon Bände: Die nötige Fläche an Solarpaneelen ist im Verhältnis zur transportierten Person so riesig, dass sich ein größerer Einsatz im normalen Verkehr verbietet.

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Erscheinungsdatum 20.06.2024

148 Seiten