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Trend-Thema Patina
Konservieren statt Überrestaurieren

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Vergilbter Lack und abgegriffenes Leder werden bei Klassikern immer beliebter - Patina heißt das Zauberwort. Doch bislang fehlt eine allgemeingültige Definition für diesen Begriff. Außerdem fragen sich Experten, ob vollrestaurierte Oldtimer ohne authentische Altersspuren künftig ihren Wert einbüßen.

BMW 326
Foto: Archiv

Eine Kamera hat Johannes Hübner immer dabei. Seit Jahrzehnten sammelt der leidenschaftliche Autofan und Veranstaltungsmacher Bilder von interessanten, vor allem aber schönen Autos. Heute richtet er sein Objektiv allerdings auf ein weniger schönes Exemplar. "Schau dir diese Siffkarre an", ruft Hübner und zeigt auf eine Limousine aus der Youngtimer-Ära, die auf dem Parkplatz einer Oldtimerveranstaltung steht.

Nicht alles ist Patina!

Schon bannt er das Bild des vor Dreck starrenden, ungepflegten 70er-Jahre-Autos auf die Speicherkarte. Als Hübner den Besitzer erspäht, stellt er ihn zur Rede: "Warum pflegen sie ihr Auto nicht besser und waschen es mal?" Doch der antwortet nassforsch: "Wieso, is' doch Patina." Das bringt Oldtimerfan Hübner erst recht auf die Palme. Mit Patina hat der verlotterte Zustand nun wirklich nichts zu tun.

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Patina - seit Jahren schon geistert der Begriff durch die Oldtimerszene. Viele verwenden ihn, jeder auf eine andere Weise, manche gar als Ritterschlag für einen Zustand, der schon auf den ersten Blick ganz andere Namen verdient. "Patina steht für Ehrlichkeit und Originalitätscharakter", erklärt Frank Wilke vom Marktbeobachter Classic-Car-Tax in Castrop-Rauxel.

Mit dem Qualitätssiegel namens Patina möchte so mancher seinen Klassiker gerne sprachlich adeln - es macht das alte Auto aus dem Stand wertvoller. Schließlich kann dieser Zustand in einem Auto-Leben nur einmal bestehen: Wird er durch zu starken Verschleiß oder eine Restaurierung vernichtet, lässt er sich selbst mit größtmöglichem Aufwand nicht wieder herstellen - Wilke betont: "Ist der Originalzustand weg, dann ist er für immer weg."

Patina als historische Instanz

Patina ist besonders bei alten Autos gerade schwer in Mode, als Gegenpol zu Zeitläuften mit immer höheren Umdrehungszahlen und immer kürzerer Dauerhaftigkeit. Patina steht für ein Bewahren zum Anfassen, unmittelbar erlebbare Geschichte und für nachvollziehbare Vergänglichkeit.

Doch einfach ist die Beschäftigung mit in Würde gealterten Autos nicht. Gundula Tutt ist auf dem Weg in ihre Werkstatt. Die engagierte Restauratorin aus Vörstetten untersucht Lackproben eines Prototyps aus der Vorkriegszeit. Für das Einzelstück muss der richtige Lack gefunden werden. Die 43-Jährige schreibt nach ihrer aufwändigen Tagesarbeit gerade ihre Doktorarbeit über historische Lacke. Ihr Rat ist immer häufiger gefragt.

Konservierende Maßnahmen und die Charta von Turin

Auch Gundula Tutt plädiert für die Nutzung eines genau definierten Begriffs von Patina - zu wertvoll ist der so beschriebene Zustand, als dass der Begriff einen inflationären Gebrauch verdient. Ein patiniertes Auto wie der Bugatti T 43, der sie selbst zur Oldtimerei brachte, verlangt Geduld, viel Sachverstand und mikroskopisch genaues Hinsehen. "Noch zu wenige wissen, dass man allein schon mit konservierenden Maßnahmen viel erreichen kann", unterstreicht die Restauratorin, "es bringt ja nichts, wenn der Lack zwar noch original ist, aber bei der Fahrt mehr und mehr abblättert."

Gundula Tutt hat auch am Entwurf der Charta von Turin der FIVA (Fédération Internationale des Véhicules Anciens) mitgewirkt. Diese Schrift soll das gemeinsame Grundverständnis des Verbandes dokumentieren und zugleich "die Selbstverpflichtung, das fahrzeughistorische Erbe zu bewahren und auf den Straßen dieser Welt präsent zu halten."

In der FIVA sind 75 Mitgliedsorganisationen aus 60 Ländern präsent. Einige Definitionen im Entwurf der Charta enthalten Zündstoff. Neben der Restaurierung wird dort der Begriff "Sanierung" (englischer Originalbegriff: renovation) eingeführt. Darunter verstehen die Charta-Autoren eine mehr oder minder exakte Imitation eines "fabrikneuen" Zustands. "Damit ist mit anderen Worten die 100-Prozent-Restaurierung gemeint", kommentiert Johannes Hübner den Entwurf der Charta.

Die Brisanz steckt in der Schlussfolgerung der Definition: Durch eine solche Sanierung veränderte Fahrzeuge "laufen Gefahr, ihren Wert als Quelle für die Kulturgeschichte zu verlieren. Die Sanierung steht normalerweise nicht im Einklang mit der Definition der Charta für ein historisches Fahrzeug." Der Grund: Bei einer solchen Maßnahme werden alle Spuren des ursprünglichen Alters und der Geschichte des individuellen Fahrzeugs beseitigt.

Gibt es eine Zukunft nur noch für Autos mit Patina?

Verbirgt sich hinter dieser Ausgrenzung von vollrestaurierten Fahrzeugen die Gefahr, dass sie nicht mehr als historische Fahrzeuge anerkannt und damit zugelassen werden können, dass sie den wesentlichen Teil ihres Nutzens und damit zwangsläufig auch ihren Wert verlieren? Gibt es eine Zukunft nur noch für Autos mit Patina? Und wie wird die Patina eines vor 30 Jahren restaurierten, gepflegten Klassikers beurteilt? Auch ein solches Auto ist schließlich in Würde gealtert und ein mobiler Zeitzeuge.

"Zumindest mittelfristig besteht die Gefahr auf keinen Fall", dämpft Gundula Tutt die Sorgen, "wir wollen ja niemandem den Spaß an seinem Auto nehmen." Auch Restaurierer und Händler reagieren gelassen. Wie Klaus Kienle aus Heimerdingen bei Stuttgart etwa, der sich für einen internationalen Kundenkreis auf Klassiker von Mercedes-Benz spezialisiert hat und seit über 20 Jahren Oldtimer restauriert: "Ich sehe keinen Unterschied zwischen einem mit Originalteilen restaurierten Wagen und einem unrestaurierten originalen."

Gute Substanz erhalten

Wie Kienle kennen auch die Händler Dietrich Groß und Michael Schläger Kunden beider Interessenlagen - Geschmäcker sind eben verschieden. Erst kürzlich haben sie in ihrem Geschäft in Bernau am Chiemsee einen Frazer Nash Targa Florio von 1954 mit "schöner Patina" verkauft - nach Thailand. "Der Käufer wollte gezielt dieses Auto haben", erzählt Dieter Gross, seit fast 40 Jahren Experte für Sammlerfahrzeuge.

Patiniert war auch ein BMW 326 von 1940, seit den Fünfzigern stillgelegt, der als Scheunenfund in den Ausstellungsraum kam. Ein Restaurierer kaufte das Auto und baut es wieder auf. "Schade", meint Groß und begründet: "Der Wagen hatte eine gute Substanz."

Um die Erhaltung einer guten Substanz geht es auch Mario Linke. In einem alten Lokschuppen in Köln kümmert er sich vor allem um historische Rennfahrzeuge, an denen die Spuren ihrer Zeit noch deutlich sichtbar sind. Schon früh hat Linke den unschätzbaren Wert und ganz besonderen Reiz von Patina entdeckt - und seinen Kunden mit großer Begeisterung vermittelt.

Eine Restaurierung kann verfälschen

Der Ferrari Dino 196S zum Beispiel, mit dem 1960 die mexikanischen Rodriguez-Brüder über den Nürburgring tobten, wird bei Veranstaltungen wie dem AvD-Oldtimer-Grand-Prix noch in Rennen eingesetzt.

Der offene Sport-Prototyp zeigt dabei selbstbewusst die Patina wie auch ein unrestaurierter Porsche 904 Carrera GTS, der 1964 in die USA ausgeliefert wurde: an den Rennwagenbauer Hap Sharp (Chapparal). Nie in einem Rennen eingesetzt und gut gepflegt überdauerte der Porsche mit Kunststoffkarosserie bis heute - für Linke ein Referenzauto. "Nichts ist durch eine Restaurierung verfälscht", gerät er ins Schwärmen. "Man kann nachempfinden, wie das Auto damals das Werk verlassen hat."

Alle Spuren seines langen und wechselvollen Autolebens zeigt ein Bugatti T 37 aus dem Jahr 1927, den Motor Klassik vorgestellt hat. Der offene zweisitzige Sportwagen wurde bis 1932 bei verschiedenen Wettbewerben eingesetzt - von der ADAC Winterfahrt bis zur Targa Florio auf Sizilien.

Besitzer Martin Strohhammer kannte das Auto schon lange, bevor er es 2001 erwarb. Er hatte die ganze Geschichte des Bugatti recherchiert: Erstbesitzer war ein Münchner Bankier, über den Berliner Rennfahrer Hans Simons kam der Wagen mit dem Hufeisenkühler 1948 nach Thüringen, wo er als Fahrschulauto eingesetzt wurde. Dieser Bugatti T 37 zeichnet sich zudem durch eine außergewöhnlich gute Wartung aus - die Fahrwerksteile zum Beispiel waren original und ohne nennenswerten Verschleiß.

"Autos mit Patina sind etwas für Sammler und Kenner"

Strohhammer oder auch der Kunde von Dieter Groß, der einen von nur 15 gebauten Frazer Nash Targa Florio suchte, sind typische Vertreter für Patina-Liebhaber. Sie müssen teilweise extrem viel Geduld aufbringen und auch Nachforschungen anstellen, um ein entsprechendes Auto aufzuspüren und schließlich zu besitzen.

"Autos mit Patina sind etwas für Sammler und Kenner", betont Michael Haag, der deutsche Vertreter des britischen Auktionshauses Coys, der sich seit Anfang der siebziger Jahre in der Oldtimerszene tummelt. Verwundert stellt der Auktionsspezialist fest, dass für Restaurierungsobjekte vereinzelt sogar höhere Preise erzielt werden als für ein restauriertes Fahrzeug der gleichen Modellreihe. "Erklären kann ich das aber nicht", meint Haag.

Wichtigstes Ziel: die Technik muss funktionieren

Ein Extrembeispiel für den hohen Wert eines unrestaurierten Fahrzeugs mit gealterter Originalsubstanz ist der Austin-Healey 100 S, der im Dezember 2011 von Bonhams für über eine Million Euro versteigert wurde. Der in den Fünfzigern in Le Mans eingesetzte ehemalige Werkswagen mit vielen Spezialteilen gehört jetzt einem Sammler aus der Schweiz. Dieser hatte sich zum Ziel gesetzt, den Wagen technisch so zu überholen, dass er damit bei Oldtimerveranstaltungen teilnehmen kann. Typisch für den Umgang für Autos mit Patina: Die Technik muss funktionstüchtig sein, die Besitzer wollen mit dem historischen Auto auch fahren. Mobile Patina ist nichts fürs Museum.

Autos mit Patina bringen aber im gesamten Handel das gewohnte Preisgefüge durcheinander - ein Problem für Marktbeobachter wie Frank Wilke: "Wenn ein Auto mit Patina mit einer Zustandsnote 3 bewertet wird, es sich aber wie das vergleichbare Modell im Zustand 2 verkauft, verrutscht die ganze Skala."

Indizien dafür, welchen Reiz Oldtimer mit Patina ausstrahlen und wie rar sie sind. "Bei jedem 300 SL-Treffen sind die Fahrzeuge in der Regel im Zustand zwischen 1 + und 1 -", so Wilke. Nur einer fällt aus dem Rahmen: der grüne patinierte Flügeltürer des belgischen Sammlers Valkenburg. Beim Concours d’Elegance bei den Classic Days Schloss Dyck gewann das Coupé von 1955 die "Sleeping Beauty"-Wertung. Wilke fasst treffend zusammen: "Vor dem Auto bleibst du stehen und sagst: einfach toll!"

Definition: das ist Patina

Das Wort Patina stammt aus dem Italienischen und bedeutet eigentlich Belag oder dünne Schicht. Im ursprünglichen Sinn bezeichnet es die grünfarbene Firnis auf Kupfer oder Kupferlegierungen. Diese Oxidschicht bildet sich durch Witterungseinflüsse und verhilft dem Material durch seine Schutzfunktion zu Langlebigkeit. Als Synonyme nennt der Duden die Begriffe Grünspan oder Edelrost.

Bei einem historischen Fahrzeug bezeichnet Patina einen Zustand mit unvermeidlichen Abnutzungsspuren bei optimaler Pflege und voller Funktionstüchtigkeit. Dreck, Rost und Schimmel durch Nachlässigkeit oder falschen Ehrgeiz fallen eindeutig nicht unter die Definition von Patina.

Fazit zum Trend-Thema Patina

Patina liegt im Trend: Autos mit altersgemäßen Abnutzungserscheinungen werden verstärkt als authentische Zeitzeugen erhalten. Werden vollrestaurierte Autos ohne Spuren ihrer Geschichte künftig wertlos sein? Eher nicht - doch möglicherweise weniger wert. Klar ist aber auch: Bevor ein Klassiker als Stehzeug vergammelt, sollte er besser restauriert werden.

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