Als das Gewicht runterhämmert, geht ein Raunen über den Messestand. Uhhhh. Danach beschäftigt alle Zuschauer dieselbe Frage: Wie kann ein kleines Stück Plaste solchen Kräften widerstehen? Andere Frage: Wie kann ein kleines Auto wie der Trabant 25 Jahre ohne Fortschritt auskommen? Durchhalten. So wie das Stück Duroplast vom Messestand, das 1954 in Leipzig aller Welt zeigt, dass man Autos auch ohne Blech stabil einkleiden kann. Was keiner wissen soll: Das Material unter dem Hammer wird jeden Abend ausgetauscht.
Trabant als Leichtbaupionier
Der Trabant nicht. Er muss sein ganzes Leben mit einer einzigen, großartigen Erfindung auskommen, die ihn am Anfang seiner Tage, 1957, zum Meisterwerk macht. Mit seinen zehn Kunststoffteilen auf dem Stahlgerippe ist er der Großserienpionier des Leichtbaus. Einer, der selten rostet. Die Onkel meiner Familie sahen das anders. Sie fuhren Lada und Fiat und amüsierten sich jedes Wochenende, wenn wieder ein Trabi mit durchgerostetem Geweih anrollte – eine Art stählerner Hilfsrahmen unter der Stehwand, an der der Motorschemel angeflanscht wurde. Ohne Korrosionsschutz überstand er höchstens zwei Winter. Dumm nur, dass es diesen Schutz nicht ab Werk gab. Was die unwissenden Besitzer mit bleichen Gesichtern in unserer Garage registrierten – und ihre Beziehung zum Trabi nicht verheimlichten. Sie liebten und hassten ihn, ersehnten ihn, bis er da war, und verfluchten ihn, wenn er dann da war. Ein passenderes Auto hätte es für die DDR nicht geben können. Irgendwie musste der Trabant mit der Wende sterben.
Und mit ihm einige Rekorde: Kein Auto hatte längere Wartezeiten, wurde vom Trendsetter zum Ladenhüter heruntergewirtschaftet – kein anderes Auto roch so wie es klang, tuckerte 1989 glücklicher über den Berliner Kurfürstendamm und trug Tausende in die Freiheit. 22 Jahre später ist es an der Zeit, sich an ihn zu erinnern.
Regierung fordert Volks-Wagen
Die Produktion des Trabant endet 1991 so ereignisreich, wie sie begann. Im Süden der noch jungen DDR berappelt sich die Pkw-Produktion Ende der Vierziger nur schwerlich. Lähmend wirkt die schrumpfende Zulieferindustrie, die der Verstaatlichungspolitik der DDR eine Absage erteilt: durch den Umzug in den Westen – samt Kapital und Spezialisten. Zudem handeln die beiden deutschen Staaten nur auf Sparflamme, das Kräftemessen des Kalten Krieges beginnt. Mit Mühe kann ab 1948 in Sachsen der DKW F 8 wieder aufgelegt werden, zwei Jahre später abgelöst vom F 9 – einer ähnlich rückschrittlichen, lederbespannten Holzkarosse mit Dreizylinder. Fehlendes Tiefziehblech blockiert neue Ideen. Es steht auf der Embargoliste des Westens und lässt sich nur für Unsummen beschaffen. Kunststoff könnte ihn ersetzen, wenn er nur robust genug wäre. Die Entwicklung läuft auf Anschlag, dauert aber länger als erwartet. Am 14. Januar 1954 macht die Regierung offiziell Druck. Um dem Mangel an Autos aus volkseigener Produktion abzuhelfen, wird folgender Kleinwagen gefordert: vier Sitzplätze, 600 Kilogramm leicht, 5,5 Liter Verbrauch, 12.000 Stück Jahresproduktion, Stückpreis 4.000 DDR-Mark ab Werk. Die Geburtsstunde des Trabi – wenn auch nur auf dem Papier.
Der Trabant rollt an
Vier weitere Jahre vergehen, bis das erste Trabant-Modell (P 50) den richtigen Reifegrad erreicht. In der Zwischenzeit bauen die Entwickler heimlich einen Versuchsträger, den P 70. Er basiert noch auf dem Holzrahmen des F 8, besitzt aber schon eine Kunststoffkarosse. Der stabile Werkstoff aus Phenolharz und gepressten Baumwollfasern heißt Duroplast und ist das richtige Puzzleteil. Im Oktober 1954 erfährt die Regierung von dem Projekt und stimmt zähneknirschend einer Serienproduktion zu. Noch im selben Jahr stehen Limousine und Coupé auf der Leipziger Messe. Die Begeisterung wächst über die Ostgrenzen hinaus. Im Folgejahr bekommt die DDR ihr erstes Leichtbauauto; der P 70 verkauft sich bis 1959 rund 38.000 Mal.
Lieferzeit von bis zu 15 Jahren
Im September 1958 ist dann der erste Trabant mit Blechchassis und aufgenieteter/ aufgeklebter Duroplast-Karosse soweit. Sein luftgekühlter Zweizylinder leistet anfangs 18 (später 26) PS und bringt die 620-Kilogramm-Fuhre gut in Schwung – sofern man die Krückstockschaltung im Griff hat. Anfang der Sechziger stellt sich eine absurde Situation ein: Während Gerüchte über den Mauerbau aufkommen, bringt der Trabi ein Gefühl von Freiheit ins Land. Spontan können Familien an die Ostsee oder auf den Fichtelberg düsen. Vorausgesetzt, der Vorschalldämpfer ist mal wieder nicht defekt und lässt keine Abgase über die Heizung in den Innenraum. Schneller als der Zweitürer auf 90 km/h (später 125 km/h) beschleunigt, explodieren seine Lieferzeiten und Schwarzmarktpreise. Irgendwann dauert die Auslieferung bis zu 15 Jahre. Aus dem Grund ist es völlig normal, jedem Kind einen Neuwagen zu bestellen. So würde ich heute in einem Trabant de luxe sitzen oder ihn auf einem der gängigen Samstag-Märkte anbieten. Die Plätze hatten etwas Besonderes an sich. Andächtig schlich man um polierte Oldtimer, einige standen besser da als Neuwagen, andere waren krumm wie eine Banane. Wegwerfen galt aber nicht. Ein Trabant wurde nicht verschrottet. Niemals. Selbst wenn die Nase einen russischen Panzer geküsst hatte, bauten pfiffige Köpfe das Heck zum Anhänger um. Hoch im Kurs standen beispielsweise die in Eigenregie vergrößerten Tanks. Serienmäßig passten nämlich nur 24 Liter Gemisch unters Häubchen.
Polo-Motor, Mauerfall und das Aus
1968 entscheidet sich das weitere Leben des Trabant. Seine Erfinder stellen der Regierung den P 603 vor, einen Kompaktwagen, ähnlich dem Golf I – nur sechs Jahre früher. Die Ministerrunde lehnt jedoch ab. Sozialausgaben und gestützte Lebensmittel sind wichtiger. So bleibt es beim kantigen Facelift für den Typ 601 von 1964, der in den Folgejahren nur ein paar Lebenserhaltungsmaßnahmen bekommt. Als 1990 die DDR aufgelöst wird, lassen sich die Zweitakt-Emissionen nicht schönreden. Der überalterte Trabant erhält einen Polo-Motor, was den Neupreis auf 20.000 DM treibt, die Nachfrage auf null sinken lässt und die Produktion 1991 zum Stillstand bringt.
Mein spätes Trabi-Glück währt 1997 nur ein Jahr. Nachdem ich den Delphingrauen vor der Schrottpresse gerettet hatte, schlidderte er gegen einen Brückenpfeiler – es fühlte sich an, als ob ihn eine Abrissbirne traf. Warum hat er das nicht wie damals auf dem Messestand weggesteckt?
Herstellung
4.000 Teile machen einen Trabant komplett. Einzigartig sind seine Duroplast-Anbauteile, die nach dem Pressen zurechtgeschnitten werden müssen. Lackiert wird anfangs per Hand und später von Roboter. Während 1962 bis 64 beim 500er aus 14 Farben ausgewählt werden konnte, waren es später beim 601 nur noch sechs Lacke. In den über 30 Jahren musste sich die Produktion nie wirklich umstellen, die Bodengruppe blieb nahezu gleich. Veränderung brachte 1965 die Kombiversion Universal, 1967 der Tramp (ein Cabrio ohne Türen), 1970 ein neues, weiches Armaturenbrett, 1983 das 12- Volt-Bordnetz und die Verwendung von H4-Licht und 1986 die Schraubenfedern hinten. Mehr über die Herstellung gibt‘s im August-Horch-Museum in Zwickau
Erprobung
Belastungstest ist ein Wort, das der Trabant nicht mehr hören kann. Als seine Entwickler die erste Duroplast-Karosse (P 70) Mitte der Fünfziger zusammen hatten, stellten sie sich darauf und demonstrierten, dass sich keine Risse bilden. Danach spulte der Wagen Tausende Kilometer ab – er fuhr sogar bis nach Ägypten und schwitzte vor Kamelen. Um in alle Himmelsrichtungen für Aufsehen zu sorgen, wurde 1954 auf der Leipziger Messe ein Versuch vorgeführt: Dabei schlug ein Hammer den ganzen Tag auf ein Stück Kunststoff ein – das Experiment sollte zeigen, wie haltbar dieser ist. Da die Messe mehrere Tage geöffnet hatte, ließ man das Material jede Nacht austauschen ... Ebenfalls geheim sollten die Testkilometer mit einer Dreizylinder-Dieselversion des Trabant bleiben, die nicht mehr als vier Liter auf 100 Kilometer brauchte. Die Regierung stoppte die Entwicklung aus Kostengründen
Werbung
Große Kunst: Die Reklame zum jungen Trabant ist wie der Wagen selbst – großartig. In Zeichnungen erfährt der Interessierte, was der Trabi kann. Dabei wird auch Lebensgefühl transportiert. Leider passt sich die Entwicklung der Werbung dem technischen Stillstand des Trabant an. Die DDR-Bürger reagieren mit passendem Humor: Was ist der Unterschied zwischen einem Trabant und einem Kondom? Es gibt keinen. Beide behindern den Verkehr