Touristenfahrten auf der Nordschleife: Ring frei zur Achterbahnfahrt durch die Eifel

Touristenfahrten auf der Nordschleife
Ring frei zur Achterbahnfahrt durch die Eifel

Inhalt von
Veröffentlicht am 08.10.2012

Das Alter, so sagt man, macht gelassener. Als Hubert Hahne jung war, wurde er Tourenwagen-Europameister. Heute ist er 77, aber über eines kann er sich aufregen: „350 Millionen haben die in den Sand gesetzt.“ Grund des Zorns sind die Nürburgring GmbH, die Investoren, die Politik. Ein Geschäft kann schiefgehen, aber nicht dieses. „Es gibt kein besser zu vermarktendes Objekt in der ganzen Welt“, sagt der Mann, der als Erster im Tourenwagen die Zehnminuten-Schallmauer durchbrach.

Hahne ist Vermarktungs-Profi und von Italien an den Ring gezogen, um neue Geschäftsideen zu entwickeln, vom Mountainbike-Verleih bis zu einer Eispiste. Hahne sieht „100 Geschäftsfelder, die alle Gewinn bringen könnten“, und da kann er sich gleich wieder aufregen: „Alle reden hier immer schlecht über den Ring. Je weiter man weggeht, umso besser wird über ihn geredet.“

Nummernschilder aus den Benelux-Staaten gelten als einheimisch

Die zwei Männer aus Cornwall hatten mit ihrem Caterham einen weiten Weg. Der Regen konnte ihre gute Laune nicht trüben, sie sind auf einer Mission: „Ich habe als Kind die Nürburgring-Rennen im Fernsehen gesehen, seitdem träume ich davon, hier zu fahren. Ich bin sozusagen auf einer Pilgerreise“, sagt der groß gewachsene Mann von der Insel. Die beiden Freunde aus Britannien haben die 30 Zentimeter hohe Steckscheibe gegen ein halb so hohes Exemplar getauscht und sind bereit.

Auf dem Parkplatz steht ein Mini Cooper aus Russland. Nummernschilder aus den Benelux-Staaten gelten fast schon als einheimisch. Mancher verschifft seinen 911 GT2 aus Dubai in die Eifel, einen Norweger hat das Ring-Fieber nach dem ersten Besuch dermaßen gepackt, dass er gleich zwei Porsche gekauft und im nahen Meuspath eingemietet hat. Einmal im Monat kommt er mit Ryanair von Oslo, um sich ein Wochenende auszutoben.

Der Nürburgring ist für Liebhaber wie Urlaub

Conny Fricke ist nicht ganz so weit angereist, dafür ist sie geblieben. Die Berufsschullehrerin aus Trier hat mit ihrem Freund Andreas Otto ein Haus in Adenau gekauft, um näher am Ring zu sein. Otto kommt eigentlich aus Neuss, beide arbeiten noch in der alten Heimat und pendeln täglich. Conny fährt jeden Tag 100 Kilometer zur Arbeit, Stress will sie das nicht nennen, sie freut sich jeden Nachmittag auf die Rückkehr: „Ich sage zu meinen Kollegen zum Feierabend immer, dass ich in den Urlaub fahre.“

Das Pärchen hat zwei Jahreskarten und verbringt jeden freien Tag auf der Nordschleife. „Ich wüsste keinen Ort, wo man so schön fahren kann“, sagt Conny. Andreas fügt an: „Man trifft so viele nette Leute.“ Die Lehrerin und der Chemie-Techniker drehen ihre Bahnen mit dem BMW 120i oder zwei Suzuki 1000 GSXR. Bestzeiten interessieren sie nicht. Den höchsten Genuss bringt eine saubere, fehlerfreie Runde ohne Stress. An den Wochenenden arbeitet das Paar freiwillig als Marschalls. Sie fahren regelmäßig die Strecke ab, um nach dem Rechten zu sehen und bei Unfällen abzusichern.

Besucher drehen jährlich 300.000 Runden

Gerade kommt an der Einfahrt wieder einmal die Lautsprecher- Durchsage, dass die Strecke gesperrt ist. Ein Opel Astra ist in die Leitplanke eingeschlagen. An den Wochenenden werden regelmäßig Hunderttausende von Euro vernichtet. Eine Runde kostet 26 Euro, egal ob für Motorräder oder Autos. „Die Autos machen mehr kaputt, aber die Motorradfahrer sorgen für mehr Sperrungen“, rechnet Eckhard Rommel vor. Der 49-Jährige fuhr 1984 seine erste Runde, auch er ist geblieben.

Seit fünf Jahren ist der gebürtige Westfale mit 30 Mitarbeitern verantwortlich für das Streckenmanagement. An 200 Tagen im Jahr ist der Nürburgring für den Touristenverkehr geöffnet. Die Besucher drehen im Jahr etwa 300.000 Runden, allerdings ist die Zahl etwas rückläufig. Das Wetter war nicht besonders, wegen der steigenden Kosten stiegen die Eintrittspreise, und schließlich ist auch das Benzin wieder teurer geworden.

Pro Tag ein Tankwagen Super Plus

Davon hat Hans-Joachim Retterath wenig, der Finanzminister bedient sich kräftig bei jedem Liter. Retterath führt in dritter Generation die Tankstelle an der Döttinger Höhe, die so alt ist wie der Ring selbst. Wenn es am Wochenende richtig brummt, braucht er am Tag einen kompletten Tankwagen Super Plus. Der 61-Jährige trauert ein bisschen um seine Karriere. Er weiß schon, wie man eine schnelle Runde fährt, doch nach einem Schlüsselbeinbruch beim Kartfahren stimmte der Familienrat gegen die Rennerei. „Aber ich bin ja auch so mittendrin“, sagt er lachend.
Neben der Tankstelle ist ein Hotel gewachsen, der Tankstellen-Shop verkauft Devotionalien wie Modellautos und Rennsportbücher. An der Wand hängen in Acryl gemalt Formel-1-Weltmeister Fernando Alonso und die zweimalige 24-Stunden-Siegerin Sabine Schmitz. Alonso kostet 200 Euro, für Schmitz muss man 220 berappen. Sie ist berühmt, seit sie in der englischen Fernsehsendung Top Gear Kultmoderator Jeremy Clarkson in einem Ford Transit alt aussehen ließ. Im Alltag fährt sie eines der Ringtaxis. Man kann sie nicht direkt buchen, sonst würden die meisten Gäste nur mit ihr fahren wollen.

Eine Runde kostet 99 Euro, inklusive Sprit, Briefing und Versicherung

Schmitz Rennpartner Johannes Scheid ist auf einen Sprung vorbeigekommen. Den Renn-Helm hat der 61-Jährige an den Nagel gehängt, „wegen der Schulter“. Scheid ist eine Legende, er muss viele Hände schütteln, das schafft die Schulter noch. Nur wenige Kilometer entfernt aufgewachsen, war er der Nordschleife rettungslos verfallen. Der Mitbegründer des Langstreckenpokals hat die Runden in 40 Jahren nie gezählt. Er ist dankbar, dass die Strecke heute so viel sicherer ist. „Früher hieß es ja noch: Hecke auf, Hecke zu.“ Im Winter baute der Frost die Strecke um. „In jedem Frühjahr musstest du dir die Ideallinie neu suchen“, sagt der Eifelaner lachend und lobt, in welch gutem Zustand die Strecke mittlerweile ist.

Als der Ring im vorigen Jahrhundert gebaut wurde, legten die Ingenieure die Piste einfach der Topographie folgend durch die hügelige Landschaft um die Nürburg. Sie stürzt sich hinter Aremberg atemberaubend steil in die Tiefe und springt ebenso steil zum Adenauer Forst wieder hoch. Die richtig schnellen Autos heben an der Kuppe am Pflanzgarten ab. Und dann ist da noch das Karussell, das selbst langsam Reisende tief in ihre Sitze drückt. „Besonders die Amerikaner sind überrascht, dass man hier einfach so ein Ticket kaufen kann“, sagt Theo Kleen, der eine Marktlücke gefunden hat. Er vermietet Rennautos an Leute, die ihr eigenes Auto nicht zu sehr beanspruchen wollen. Eine Runde kostet 99 Euro, inklusive Sprit, Briefing und Versicherung.
 
In Japan haben Streckenplaner berühmte Passagen auf Teststrecken nachgebaut, und es war auch ein Japaner, der mit einer Rennsimulation namens Gran Turismo die Nordschleife virtuell so exakt nachempfunden hat, dass zig Millionen Playstation-Spieler ihre Runden vor dem Bildschirm drehen. Aber es ist gerade das reale Achterbahn-Gefühl, dass die Faszination Nordschleife ausmacht und Menschen auch von weit her in ihren Bann zieht.

Hans Walther ist Schweizer und fährt gern schnell, das verträgt sich nicht. Trotz toller Bergstraßen hat er das Pässe fahren aufgegeben. Er fuhr schon in Monza oder Hockenheim, aber seine wahre Heimat hat er auf der Nordschleife gefunden. Eine Runde und eine halbe Stunde Zuschauen am Brünnchen haben gereicht, um ihn zu infizieren. Mittlerweile hat er einen Clubsport- Elise und seine dritte Jahreskarte. Er verbringt in der Saison ein Dutzend Wochenenden in der Eifel. Natürlich kostet das einiges, „aber ich habe eine ganz kleine Einzimmer-Wohnung und mache sonst keinen Urlaub.“

Ammar Owega packte es bei einem Fahrer-Lehrgang: „Ich dachte, das ist ja wie Rallye fahren auf Asphalt.“ Eigentlich mag er eher Understatement, doch er hat sich einen Porsche GT3 RS gekauft, „weil man den nicht groß umbauen muss.“ Motorsport hat den Mediziner schon immer fasziniert, Rennen fahren weniger. „Ich war zehn Jahre lang Rennarzt, außerdem habe ich genug Stress.“ Heute erholt er sich mit seinem Sohn Honza am Ring. Man teilt sich Auto und Leidenschaft: „Es ist die Größe, die Landschaft, der Abwechslungsreichtum.“

Auch Hubert Hahne kommt schließlich ins Schwärmen. Er hat hier schon über 20.000 Runden gedreht, doch die erste fährt er aus Respekt immer noch langsam. Hahne macht Mut: „Man braucht keine 50 Jahre um den Ring zu lernen, man braucht 50 Runden.“ Niemand aber sagt, dass das Alter auch ruhig und vernünftig macht. Hahne verrät: „Am meisten Spaß macht mir die Nordschleife im Regen.“

Zahlen und Fakten
Die 20,8 Kilometer lange Nordschleife ist an etwa 200 Tagen für Autos und Motorräder geöffnet. Als öffentliche Kraftfahrstraße klassifiziert, dürfen Fahrzeuge ab 60 km/h Höchstgeschwindigkeit auf die Strecke. Es gelten die Regeln der StVO, überholt werden darf also nur links. Für Schäden an den Leitplanken kommt die Haftpflichtversicherung auf. Achtung: Mietwagen sind nicht versichert. Öffnungszeiten, Preise und Anfahrtshinweis finden sich auf www.nuerburgring.de.