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Selbstversuch Alterungsanzug
Die "Hintern-zuerst-Strategie"

In zehn Minuten um 30 Jahre altern: Ein Anzug von Ford macht es möglich, Autos aus der Sicht eines alten Menschen zu erfahren. Ein Selbstversuch von René Olma.

Alterungsanzug, Cockpit
Foto: Dino Eisele

Altern geschieht selten bewusst. Erst wenn alltägliche Dinge nicht mehr selbstverständlich funktionieren wie einst, kommt die Erkenntnis: Man wird alt. Beispiel? Sie versuchen, mit Ihrem sechsjährigen Sohn auf einem Klettergerüst mitzuhalten. Das ging doch mal deutlich souveräner. Wie wird das erst, wenn man vom Vater zum Opa reift? Die Antwort erhalte ich innerhalb von zehn Minuten. So lange dauert es, bis mich die Mitarbeiter des Ford-Forschungszentrums in Aachen in den Alterungsanzug geschnürt und von 41 auf rund 70 Jahre getrimmt haben.

Unsere Highlights

Halskrause, Orthesen an Ellbogen, Knien und Fußgelenken, ein Korsett, verbunden mit Schulterriemen schränken die Beweglichkeit ein. Der normale Alterungsprozess wird hier im Zeitraffer erledigt. Latex- und fingerlose Handschuhe simulieren zusätzlich ein Nachlassen des Tastsinns, Ohrstöpsel erschweren das Hören, und die Brille verschafft den Eindruck, wie man mit Grünem Star auf dem linken Auge sieht: Eigentlich gar nicht, denn die Scheibe ist aus Milchglas. Zugegeben: Das alles stellt ein Worst-Case-Szenario dar, denn natürlich gibt es 30-jährige Couchpotatoes, die gegen sportlich aktive Senioren verdammt alt aussehen können.

Alterungsanzüge für Hersteller unerlässliches Hilfsmittel

Für Ford und auch andere Hersteller sind Alterungsanzüge jedoch angesichts des stetig steigenden Durchschnittsalters der Autokäufer ein unerlässliches Hilfsmittel, um jungen Ingenieuren einen Eindruck davon zu vermitteln, was eben irgendwann nicht mehr so flüssig geht. Ein Perspektivenwechsel, der zeigen kann, ob ein Fahrzeug altersgerecht ist.

Und auch wenn man sich frisch eingepackt noch gar nicht so gehandicapt fühlt, kommt das erste Aha-Erlebnis schon beim Einsteigen in einen Ford C-Max: Mit künstlich versteiften Gelenken fühle ich mich so beweglich wie ein Ritter in voller Montur. Die an sich großzügig dimensionierte Tür erscheint plötzlich wie ein Nadelöhr. Immerhin: Einmal an Bord, machen sich die Einschränkungen nur wenig bemerkbar. Man blendet sogar die per Brille verursachte Sichtbehinderung aus, zumindest bis man eine Taste treffen möchte und dabei bemerkt, dass dies mangels räumlichen Sehvermögens nicht auf Anhieb klappt. Und dass man auf dem linken Auge praktisch blind ist, realisiert man erst beim Schulterblick. Der entpuppt sich – auch wegen der durch die Halskrause eingeschränkten Beweglichkeit – ohnehin als Ding der Unmöglichkeit. Beruhigend, dass es heute Toter-Winkel-Assistenten gibt.

Wenn Gelenkigkeit nachlässt, muss man zum passenden Auto greifen

Gar nicht so ohne, das Alter. Doch bei Sehproblemen – wie dem hier simulierten Grünen Star – kann der Augenarzt eingreifen. Wenn aber die Gelenkigkeit nachlässt, muss man eben zum passenden Auto greifen. Doch wie sieht das aus? Das zeigt der Selbstversuch.

Der VW Golf VI stellt mich als künstlich gealterte Person vor keine Probleme. Weitgehend reibungslos entere ich den Fahrersitz. Nur beim Versuch, ans Handschuhfach zu kommen, macht mir der Anzug einen Strich durch die Rechnung: Die Tiefen der Ablage bleiben unerreichbar. Also weiter zum Golf Plus, der ja dank höherer Sitzposition bei Senioren hoch im Kurs stehen soll. Doch als so viel größer empfinde ich den Unterschied nicht, dass er mir rund 800 Euro Aufpreis wert wäre. Das mag auch daran liegen, dass der Anzug eines nicht simulieren kann: den Kraftverlust im Alter. Während ich beim Ein- und Aussteigen die Bewegungseinschränkung so zum Teil ausgleichen kann, gelingt das Senioren nicht mehr ganz so einfach.

Doch Kraft hin oder her: Bei der Sitzprobe im VW Polo gelange ich an meine Grenzen: Das versteifte Knie passt nicht an der Lenksäule vorbei. Umständlich fädle ich die Füße unter den Pedalen durch, so klappt es schließlich. Besser geht es mit weit zurückgeschobenem Sitz; ihn anschließend wieder in Fahrposition zu bringen, gestaltet sich ebenfalls als knifflig. Eine Easy-Entry-Funktion oder zumindest elektrische Sitzverstellung wären jetzt nett.

Dank breiter Tür gelingt Einstieg in Porsche 911 gut

Doch wenn der Einstieg in einen Kleinwagen schon solch ein Hindernis darstellt, wie klappt es dann eine Stufe niedriger – in einem Sportwagen? Auf das Schlimmste gefasst, öffne ich die Tür des Porsche 911. Mittlerweile habe ich mir, wie nach Erfahrung der Ford-Forscher rund 80 Prozent aller Probanden, die "Hintern-zuerst-Strategie" angewöhnt. Die Beine folgen dabei als Letztes. Die Überraschung: Der Carrera ist alles andere als schwer zu entern. Dank breiter Tür lassen sich die Beine recht problemlos in den Fußraum bringen, wobei man das linke Bein ein wenig schwerer über den Schweller kriegt. Einen Nachteil hat die breite Coupé-Tür jedoch – der Gurt sitzt hier so weit hinten, dass ich ihn gerade eben noch greifen kann.

Probleme bereitet bei den Porsche-Modellen der Panamera: Während die vorderen Plätze leicht zu erreichen sind, gelingt das im Fond kaum. Nur mit Mühe lassen sich die Beine ins Auto quetschen, beim Verlassen muss man sich mit Kraft aus dem Sitz durch den engen Türausschnitt wuchten.

Letztlich, so die Erfahrung an diesem Tag, kommt es gerade auf die Breite der Zugangsöffnung an. Immerhin bleibt der bequeme Zustieg nicht nur den vermeintlichen Rentnerautos vorbehalten. Wie gut mich der Anzug wirklich altern ließ, erfahre ich erst später: in 30 Jahren.

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AUTO MOTOR UND SPORT 21 / 2024

Erscheinungsdatum 26.09.2024

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