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Schlumpf-Oldtimer in Kassel
Ab nach Kassel!

40 Oldtimer aus den lange verschlossenen Lagern der legendären Schlumpf-Collection in Mulhouse sind für drei Monate in Kassel zu sehen. auto motor und sport half beim Aufbau der einmaligen Schau.

Mercedes 770 K, Malte Jürgens
Foto: Dino Eisele

Manche sehen aus wie eiserne Zombies, um Mitternacht einem Grab entstiegen unter einem kaum je gehörten Namen: Theophile Schneider, Georges Roy, Clement-Bayard, Rochet-Schneider. Wiedergänger mit glühenden Scheinwerferaugen, umweht von grauschwarzem Rosshaar, das aus den tiefen Rissen im Sitzleder hervorquillt wie ein Büschel faulenden Strohs.
Veteranen, die so auftreten, scheinen bereit, auch dem stärksten Youngtimer den noch heißen Motor aus dem Leib zu reißen: einerseits furchterregend, andererseits aber unendlich faszinierend. Andere sind da schon manierlicher, graue Eminenzen von Hotchkiss, Daimler, Lorraine-Dietrich, Hurtu. Ein Alfa Romeo 6C 1750 GS bildet den nötigen Kontrast: Voll restauriert, wirkt der Zweisitzer mit der knappen Zagato-Karosserie von 1931 hier, in Halle 19 im Unternehmenspark Kassel, wie eine Schönheitskönigin im Feldlazarett.

Und erst die alten Rennwagen, die vor mehr als einem halben Jahrhundert zum letzten Mal eine Zielflagge gesehen haben: der Maserati 4 CM von 1935, der Bugatti 251 von 1955, und, Gewaltigster von allen, der Mercedes-Benz W 154. Mit dem, sagt das Archivblatt, traten die Haudegen der goldenen Kompressor-Ära von Rudolf Caracciola bis Hugo Hartmann 1939 erfolgreich an.

Viele Modelle vom Zerfall bedroht

Den Weg nach Kassel haben die zum Teil extrem wertvollen Raritäten aus Gründen einer besonderen Ehrung angetreten: Die Stadt an der Fulda feiert in diesem Jahr ihr 1.100-jähriges Bestehen. Richard Keller, Chefkonservator des französischen Nationalen Automobilmuseums in Mulhouse und damit Herr über die legendäre dort präsentierte Schlumpf-Sammlung, erläutert: "Als Partnerstadt von Kassel haben wir beschlossen, eine noch nie dagewesene Ausstellung aus unseren Lagerbeständen zu organisieren. In der Stadt der Documenta wird sich bestimmt eine interessante Diskussion entwickeln, inwiefern wir hier Kunstgegenstände oder einfach nur Autos in ihren Verfallszuständen zeigen."

Zusammen mit Keller haben der Kasseler Oldtimer-Fan Dietrich Krahn sowie besonders der Veranstalter des historischen Herkules-Bergrennens, Heinz W. Jordan, als Projektgeber die Organisation des Spektakels übernommen. Erfahrung miteinander hat das Trio bereits ausführlich gesammelt: Schon 2009 zeigte es eine phänomenale Bugatti-Ausstellung in einer Halle der Documenta, Weihestätte der modernen Kunst.

Bei der Auswahl der Fahrzeuge für die 1.100-Jahr-Feier wollte zunächst ein ganz banaler Grund berücksichtigt sein: Die ältesten der teils seit mehr als 50 Jahren in feuchten, schlecht gelüfteten Hallen abgestellten Oldtimer drohen bei leichter Bewegung förmlich zu zerbröseln. "Einige unserer seltensten und ältesten Schätze können wir einfach nicht mehr mit auf die 550 Kilometer lange Reise nach Kassel schicken", resümiert Keller, "die würden vermutlich am Ende als Pulver ankommen." Also wählte das Trio unter den Wagen der Epoche bis 1918 die stabilsten Zeugen jener Ära.

Klassiker von traumhaftem Wert

Für die diffizile Reise vertrauten Keller und Jordan das kostbare Gut dem pfleglichen Umgang der Mannschaft unter Manfred Längauer an, der mit dem auf Oldtimer spezialisierten Transport-Unternehmen Jutta Planitzer in der Branche hohes Vertrauen genießt. Längauer trommelte zehn luftgefederte Sattelzüge zusammen und konzentrierte den Ortswechsel der teuren Ladung auf einen Donnerstag: "Aus Versicherungsgründen und wegen der nötigen Sicherheitsleute haben wir den Transport an einem Tag gemacht." Der Kostensponsor: Volkswagen.

Es ist ein seltsames Gefühl, probehalber hinter dem Lenkrad des Mercedes Actros mit der teuersten Fracht zu thronen. In seinem Auflieger reisen Oldtimer im geschätzten Wert von 30 bis 40 Millionen Euro, was aber der Sache nur zum Teil gerecht wird. Falls der Auflieger tatsächlich stiften geht, entstehen im Klassiker-Universum schwarze Löcher, die nie mehr zu stopfen sind.

So ein rares Unikat ist zum Beispiel der Mercedes-Monoposto mit dem Werkscode W 154 II. Mit ihm gewann der erfolgreichste Rennfahrer der Vorkriegszeit, Rudolf Caracciola, 1939 den GP von Frankreich. Zwar fuhr er damals den Motor mit dem Kürzel K3, doch ist auch der heute montierte Dreiliter-V12 samt seiner beiden Kompressoren ein authentischer Teil der Silberpfeil-Legende: Manfred von Brauchitsch fiel mit dem Zwölfzylinder Nummer 17 am 5. August auf dem Nürburgring aus, in der siebten Runde.

Legendäre Schlumpf-Sammlung

Wie in der Branche kolportiert wird, liegt bereits ein Kaufgebot von 17 Millionen Euro für den 1966 von Fritz Schlumpf erworbenen Monoposto vor, doch das Museum darf sich von keinem einzigen seiner Exponate trennen. Hinter der Sammlung in Mulhouse verbirgt sich eines der größten Dramen in der Geschichte des Oldtimer-Sammelns. Kurz zusammengefasst: Die Brüder Fritz und Hans Schlumpf, Textilunternehmer im elsässischen Malmerspach, trugen ab 1945 in einem schon manisch anmutenden Sammelwahn Hunderte der edelsten und seltensten Oldtimer zusammen. Ihre Scouts waren bald oft und gern gesehene, weil flüssige Besucher der einschlägigen Schrottplätze.

Auf dem berühmtesten, jenem von Henri Malartre in Lyon, trieben sie zum Beispiel den kriegsgrauen Rochet-Schneider von 1912 auf, der sich in Kassel so präsentiert, wie er am 19. September 1962 von den Schlumpfs gekauft wurde. Zu Beginn der sechziger Jahre brach dann die Bugatti-Manie voll aus. Innerhalb weniger Monate kauften die fiebernden Sammler 59 der Molsheimer Oldtimer, von insgesamt 13 Vorbesitzern. Doch je voller die Hallen der Sammlung wurden, desto mehr leerten sich die Kassen der Schlumpf-Werke. 1977 stand die endgültige Firmenpleite ins Haus.

Die aufgebrachten Textilarbeiter stürmten die Klassiker-Sammlung, nahmen sich vor, die Autos zu verbrennen, belagerten die insolventen Brüder in ihrer Villa und drohten damit, beide an der nächsten Laterne aufzuknüpfen. Ein Polizeieinsatz rettete die Fabrikherren, die in die Schweiz flüchteten.

Die Autosammlung wurde mit Parlamentsbeschluss zum französischen Kulturerbe erklärt und ist seitdem im National-museum Cité de l‘Automobile zu besichtigen. Nur die Restaurierungsfälle stehen hinter verschlossenen Türen und warten auf bessere Zeiten. Doch einen Klassiker zu verkaufen, um von dem Geld drei andere zu restaurieren, geht nicht: Das nationale Erbe darf nicht versilbert werden.

Was alles gezeigt wird

Neben dem legendären Mercedes-Silberpfeil ist in Kassel der Formel 1-Monoposto von Bugatti zu bestaunen. Der Typ 251 besitzt einen von Gioacchino Colombo konstruierten Reihen-Achtzylinder, der quer hinter dem Fahrersitz liegt und aus 2,5 Liter Hubraum 250 PS schöpft. Zum Einsatz gegen die neuen W 196 von Mercedes und die Ferrari kam es nicht mehr. Einen zweistelligen Millionenbetrag ist jedoch auch er wert. Dann, als weitere Wert-Millionäre, der Maserati 4 CM von 1935 sowie der restaurierte Alfa Romeo 6C 1750 GS von 1931 mit Zagato-Karosserie. Ihm zur Seite steht ein zweiter 6C, unrestauriert, im Fundzustand.

Sofern Luft in den Reifen ist, lassen sich die automobilen Urahnen zu fünft oder sechst noch schieben. Wo um die Felgen geschlungene Seile die fehlenden Pneus ersetzen, ist das allerdings mühsamer. Den Besuchern kann das egal sein. Sie genießen in Kassel drei Monate lang einen exklusiven Blick hinter jene Kulissen, aus denen der große Schlumpf-Mythos gewirkt wurde.

Infos zur Ausstellung

Die französische Cité de l’Automobile Mulhouse stellt drei Monate lang in der Partnerstadt Kassel 40 Oldtimer unterschiedlicher Erhaltungszustände aus. Mehr Infos unter: www.schlafende-automobilschoenheiten.de

Ausstellungsort: Unternehmenspark Kassel (UPK), Lilienthalstr. 25, Halle 19
Öffnungszeiten: 1. Mai bis 31. Juli, Di.-Fr. 11-19 h, Sa./So. 10-19 h
Eintrittspreise: 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Kinder bis 12 Jahre frei

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 15 / 2024

Erscheinungsdatum 03.07.2024

148 Seiten