Mit dem Aston Martin nach St. Moritz: Traumwagen in Traumkulisse

Mit dem Aston Martin nach St. Moritz
Traumwagen in Traumkulisse

Veröffentlicht am 11.03.2013

"Sie wollen über den Julier-Pass? Bei diesem Schneefall? Mit diesem Auto?" Das Gesicht des jungen Tankwarts im schweizerischen Thusis entgleist, als hätte er eine ganze Toblerone-Stange verschluckt. Wir müssen ihm nicht erklären, dass es keinen Aston Martin mit Allradantrieb gibt, Eckdaten hat er längst parat und seufzt: "En schöner Charre." Dem schönen Wagen hat Aston Martin jetzt auch als Roadster den 517 PS starken V12 eingepflanzt. Gucken Sie mal auf die Fronthaube. Die zusätzlichen Lufteinlässe sind das Erkennungsmerkmal.

Unser Tankwart schaut interessiert, hält inne, schüttelt abermals den schneebedeckten Kopf und murmelt "Hinterrad", was übersetzt wohl so was wie "Die spinnen, die Deutschen" heißt. Womit er ja recht hat. Wer sich mal eben überlegt, mit einem frisch aufgelegten V12 Vantage Roadster von Stuttgart nach St. Moritz zum Skifahren zu donnern, hat zumeist nicht mehr alle Nocken an der Welle oder die Grundsätze von statischer und dynamischer Gewichtsverteilung nicht verstanden.

Vantage mit Grip-Problemen

Der Briten-Bolide lagert seinen schweren Motor vorne, was die für guten Anfahrgrip so wichtige Hecklast nicht verbessert. Versucht man also, die mächtigen 570 Nm des Zweisitzers aus dem Stand bei frischer Schneedecke in Bewegung zu setzen, passieren zwei Dinge: Erst werfen die Räder hilflos Schnee wie eine ebensolche Fräse, dann – falls sie doch Grip erlangen – wird eine Seite einen Hauch mehr Halt finden. Was wiederum den Vantage zügig eindreht und – so wie in unserem Fall – einen Tankstellen-Drift bei spektakulären zehn km/h zur Folge hat. Wieder schüttelt unser Tankwart den Kopf und zeigt stumm auf die Berge. Wir stellen das Auto ab, kaufen eine Beruhigungs-Schoggi, suchen ein Hotel und hoffen auf besseres Wetter.

Der nächste Morgen: Es ist knackig kalt, aber die Sonne lacht durch die schönsten Blautöne. Auf teilgeräumten Straßen nehmen wir ordentlich Anlauf und übergehen das Thema Anfahren am Berg schwungvoll. Der eben noch mit Handschuhen und Eiskratzer aus der winterlichen Schockstarre befreite Aston stürmt den Julier-Pass mit unerwartetem Elan und frisch gefundener Traktion hinauf: Steigung und Tempo verlagern die Last nach hinten.

Aston Martin V12 kommt mit Gefühl

Es ist zum Glück noch sehr früh am Tag, und kein Lkw bremst diese Verve. So dauert es drei Kurven, bis ein Klick das ESP abstellt und der 200.000-Euro-Brite im Schneewalzer die schier endlosen Serpentinen hinauf carvt. Die feinen, sanften Lenkbewegungen fühlen sich an, als würde man einen großen Löffel durch feiste Mascarpone-Creme ziehen. Erinnern Sie sich an die Szene, als James Bond in "Stirb an einem anderen Tag" über die Eisfläche driftet? Darum: Wirklich nicht vermeidbar, stellt sich ein Ich-liebe-dieses-Wochenende-Gefühl ein. Vergessen ist die zarte Undefiniertheit von Lenkung und Fahrwerk (modifizierte Dämpfer und Federn), wenn der Roadster durch extraschnelle Autobahnkurven steuert.

Hatten wir in Deutschland zudem noch etwas damit gehadert, dass der Sechsliter-Sauger nicht endlos wuchtig aus dem Drehzahlkeller stürmt – mehr Peter Crouch als Wayne Rooney –, erweist sich gerade diese feine Zurückhaltung von Vorteil. Sicher drischt er einem beim Beschleunigen den Schädel nicht wie ein Porsche Turbo Cabrio gegen die Kopfstütze. Schiere Gewalt ist nicht das Credo des 1,8-Tonners, er entwickelt seine Wucht gefühlvoller – wie ein großer Bordeaux. Hier auf dem Flockenteppich ist Maximalleistung sowieso völlig unwichtig, Fahrbarkeit dagegen alles. Weich und gleichmäßig lässt sich die Kraft dosieren, der Schnee pulvert, das Heck schiebt quer über die Winterpneus, aber nie schlagartig, nie böse und immer kontrollierbar.

Der Sound betört, der Aston offensichtlich nicht

Natürlich mit offenem Dach – Bordeaux müssen atmen – und voll aufgedrehter Heizung, die gegen zugige Eiseskälte anbollert. Diese Offenheit und die prominent auf dem Beifahrersitz angeschnallten Ski zwingen den Schweizer Autofahrer abermals zu Zeigefinger-Kopf-Gesten, von denen wir hoffen, dass sie nur "Die spinnen, die Engländer" bedeuten – der Aston trägt ein britisches Kennzeichen.

Dick vermummt prallt der schneidende Fahrtwind etwas ab. Natürlich könnte man das Dach schließen, doch dem zwischen kehliger Angriffslust und samtweicher Laufruhe wechselnden V12 einen Stofffilter zu verpassen hieße, Wasser in den Rotwein zu schütten. Vielmehr muss der Gasfuß vor weiterer lustvoller Modulation dieses Heavy-Metal-Konzerts gezügelt werden. Viele Leute kaufen Cabrios, weil sie die frische Luft genießen. Wir genießen trotz der frischen Luft (minus zehn Grad) den berauschenden Super-Plus-Klang und fragen uns, ob ein Leben mit Dach in diesem Auto überhaupt möglich ist. Frei nach Loriot: möglich ja, aber nicht sinnvoll.

Als wir über den Pass hinweg einen ersten Blick auf das tief verschneite St. Moritz, den See und die Berge werfen können, ergießt sich ein Schwall mächtiger Alpen-Romantik über uns. Ein letztes Mal vor dem Ortsschild röhrt der Blechbeau seine bis 6.500 Touren reichende Drehfreude gegen die Bergmassive. Wir sind da, im Mekka der Superreichen, die zwischen Kaviar-Verkostung und Schnee-Polo auf dem zugefrorenen See mit ihrem Range Rover pendeln. Eine Villa am Suvretta-Hang, der teuersten Wohnlage der Schweiz, kostet locker 50 Millionen Franken. Sie wollen nur ein Appartement? Ab zwölf Millionen sind Sie für was Gemütliches dabei. Sie haben Hunger? Nehmen Sie die Gondel auf den Hausberg Corviglia. In 2.486 Meter Höhe gibt es in Europas höchstgelegenem Sterne-Restaurant "La Marmite" Trüffel und Hummer als Hüttensnack in der Skipause.

Hier verschieben sich die Probleme unserer Welt: Der Weihnachtskranz an der Haustür ist zu groß für einen Kleinlaster? Chartern wir doch einen Heli, von denen sowieso genug unten am Engadin-Flughafen auf die Jets der High Society warten. So kommt es, wie es kommen musste. Die Drachen, wie sich die Einwohner von St. Moritz nennen, fauchen eher, als dass sie sich freuen, als wir mit unserem Luxusstück für Fotos diesselbe Straße mehrfach queren.

Ein Aston ist hier nichts Besonderes, klärt uns der deutsche Besitzer der örtlichen Bulgari-Boutique auf. Seine Finger wirbeln durch die Luft: "Der da hat einen und der auch." Wir verzichten darauf hinzuweisen, dass zumindest dieser Vantage noch einzigartig ist und wahrscheinlich noch kein "Drache" ihn in seiner Garage parkt. Eine Gruppe Frauen, in Nerz und viel zu hohe Schuhe für diese Gripverhältnisse gekleidet, stöckelt vorbei. Wir bitten um ein Foto, ernten aber nur ein mildes, schneeweiß gebleachtes Lächeln.

Wahrscheinlich ist den Damen beim flüchtigen Blick nicht gleich aufgefallen, dass den Vantage zusätzliche Carbonfaserteile am Frontspoiler, den Seitenschwellern und dem Heck schmücken. Der Heckflügel biegt sich jetzt für mehr Abtrieb energischer nach oben. Aber wir Jungs brauchen ja bekanntermaßen ebenfalls immer einen Moment, bis wir Manolo-Blahnik-Pumps und Chloé-Taschen gebührend würdigen.

Genug Luxus geatmet, wo gehts zur Skipiste? Wieder weiß unser Bulgari-Mann Rat: "Ich hab gerade Mittagspause, wenn ihr mich mit zu meinem Haus nehmt (am Suvretta-Hang, versteht sich), zeig ich euch, wie man direkt an die Piste fahren kann." Also kurven wir Serpentinen hoch, von denen wir bei ihrer Steilheit nie erwartet hätten, dass sie jemals ein Aston erklimmen würde. An einer Spitzkehre zwingt uns ausgerechnet der Bus der deutschen Ski-Nationalmannschaft zum Halten. Für einen kurzen Moment droht unsere Mission wieder zu scheitern. Doch tapfer fräsen sich die Hinterräder ein Loch in den Schnee. Juckeln hilft heraus. So geht es ganz nach oben zu einer atemberaubenden Aussicht.

Jetzt hieße es nur noch, die Ski anzuschnallen und über die Schneepracht zu carven. Aber glauben Sie ernsthaft, dafür hätte ich diesen Zwölfzylinder-Traum auch nur eine Minute stehen lassen?