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Leserauto Maybach 62
Der Kilometer-Millionär

Im April 2004 kauft der Liechtensteiner Unternehmer Josef Weikinger einen Maybach 62. Er fährt ihn bis August 2013. Mehr als eine Million Kilometer weit.

Maybach 62, Josef Weikinger
Foto: Dino Eisele

Er weiß es schon, als er die Autotür hinter sich zuzieht und sich in Bielsko-Biala im äußeren Südwesten Polens auf den Weg macht. Er weiß, dass es an diesem Tag, es ist der 12. September 2009, passieren würde, und er weiß auch, wo in etwa: in Österreich. Es regnet wolkenbruchartig, als der Moment näher und näher rückt. Die Sicht geht gegen null, und er, Josef Weikinger, ist vorbereitet.

Er sitzt an einem ihm nur zu gut bekannten Platz, am Steuer seines Wagens, in Griffweite hat er eine Kamera platziert, um notfalls während der Fahrt am Lenkrad ein Erinnerungsfoto zu machen. Einen Schnappschuss nur, aber der würde zeigen, was danach wohl nie wieder zu sehen und auch nicht wieder zu erreichen wäre. Auf der Staatsstraße 33 hat Josef Weikinger kurz zuvor die Donau überquert und auf der Autobahn 1 gerade St. Pölten hinter sich gelassen, da greift er die Kamera, hält mit der Linken das Steuer, fokussiert durch den Lenkradkranz auf die Instrumente vor sich und drückt den Auslöser.

Keine Anzeige für die Million

Beinahe wie ein seltener Fehlercode sieht aus, was das Foto zeigt. Im zentralen Display des Tachos stehen sechs serifenlose Ziffern in kühlem Grün: 999999. Und während darüber der Tageszähler des Maybach 62 weiterläuft, verharren in der Gesamtanzeige die sechs Zahlen Kilometer für Kilometer, als stünde der große Moment der Million noch bevor. Als läge das Erreichte jenseits dessen, was sich erfassen, messen, ausdrücken ließe. Als wäre eine Grenze überschritten, die das Normale vom Besonderen trennt. Und als sei diese Grenzüberschreitung bestenfalls denkbar, nicht aber machbar, gibt es für sie keine Anzeige, selbst in diesem exklusiven Wagen nicht.

Er hat eine Länge von 6,17 Meter und ein Gewicht von über 2,8 Tonnen. Er hat einen 5,5-Liter-Biturbo-Zwölfzylinder mit 550 PS, ein Panoramaglasdach, Liegesitze mit Massagefunktion, einen Kühlschrank und einen Neupreis jenseits der 450.000 Euro. Doch er hat keine siebenstellige Kilometeranzeige im Tacho, die zeigen könnte, wie viele Kilometer Josef Weikinger zwischen April 2004 und September 2009 mit seinem Maybach zurückgelegt hat: eine Million.

Wie und wo sammelt man in so kurzer Zeit so viele Kilometer? Und wieso? Eine ferne Liebe? Der Beruf? Flugangst? "Nein, nein", sagt Josef Weikinger, "keine Flugangst und keine ferne Liebe. Aber es bringt einem niemand das Geschäft nach Hause, man muss es sich suchen. Und ein paar 100.000 Kilometer in so einem Auto, was ist das schon?" Die Frage gibt die Antwort.

Keine Alternative zum Maybach

Weikinger, Inhaber von Interfloat, der ersten europäischen Solarglasfirma, war viel selbst geflogen, bis es aus medizinischen Gründen mit der Lizenz nicht mehr hinhaute. "Aber die Strecken blieben ja dieselben", sagt Josef Weikinger, der sich nicht so recht damit anfreunden konnte, mit der Linie zu fliegen. "Wenn Sie zwischen europäischen Hauptstädten unterwegs sind, kann das Fliegen ideal sein. Aber wenn Ihre Kunden über die Länder verteilt sind, wenn Sie flexibel planen und häufig auch Gepäck dabeihaben, ob nun schwere Muster oder eine Flasche Wein, die Sie verschenken, wird es komplizierter. Sie sind immer von Lärm umgeben und Betriebsamkeit, terminlich gezwungen, und wenn Sie alle Zeiten rechnen, sind Sie oft schneller mit dem Auto."

Also fuhr Weikinger. Zunächst hunderttausende Kilometer auf einer Mercedes S-Klasse, dann bis 2013 weit mehr als eine Million mit dem Maybach. Den behielt er auch deshalb so lange, weil er keine Alternative sah. Der Komfort, die Ruhe, der Platz, das Fahrgefühl, die Materialgüte – noch immer wirkt das Interieur dieses Autos wie neu – entrücken es dem Feld der Konkurrenz und lassen den Unternehmer von seinem Auto als "Wohnzimmer" sprechen.

167.000 Liter Super Plus

Wie viele Stunden hat er zugebracht in diesem Auto-Wohnzimmer? Ein Durchschnittstempo von 80 km/h zugrunde gelegt, lässt sich die Zeit in Tagen, Wochen, Monaten, Jahren sogar besser ausdrücken: 521 Tage, 74 Wochen, 18,5 Monate, mehr als eineinhalb Jahre. Den Fahrtenbüchern entnimmt Josef Weikinger, er habe insgesamt 167.000 Liter Super Plus verbraucht auf seinen Reisen kreuz und quer durch ganz Europa, vom südlichen Portugal bis weit über den Polarkreis hinaus.

Oft zeigen die Einträge an einem Tag 1.500 oder gar 2.500 Kilometer. Die meisten fährt Josef Weikinger selbst. "Ich habe", sagt er, "oft mit mir gekämpft. Es ist so schön, hinten zu sitzen. Es lässt sich wunderbar dort arbeiten, aber es ist auch so schön, selbst zu fahren. Sie schweben dahin. Begleitet von Musik oder unterhalten von einem Hörbuch konnte ich das Fahren im Maybach immer genießen."

Erster Motor hält 600.000 km

Ein paar wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel. Nach gut 600.000 Kilometern gibt der erste Motor den Geist auf. "Aber das war nicht schlimm, ich konnte tatsächlich nach Hause laufen von dort." Zwei Monate später ist das Getriebe an der Reihe, die vorderen Stoßdämpfer müssen getauscht werden, und immer wieder spinnt zwischendrin etwas Elektrisches. "Ich habe die Trennung gefürchtet, weil es ja keinen adäquaten Ersatz gibt. Ich hätte mir auch wieder einen Maybach gekauft, aber er wurde ja eingestellt. Und mir tut es leid für Mercedes und Maybach, dass die sich die Marke selbst so kaputt gemacht haben."

Seit August 2013 fährt Josef Weikinger einen BMW 760Li anstelle des Millionen-Maybach. Doch als er sich bei einem Treffen mit dem jetzigen Besitzer seinem ehemaligen Auto wieder nähert, als er Platz nimmt am Steuer und im Fond, da ist ihm anzumerken, dass ihn mit dem Maybach etwas verbindet, das mit dem Verkauf nicht zu Ende gegangen ist. Aber es ist auch etwas, das nicht in der Zahl gemeinsamer Kilometer begründet liegt. Es ist ein Eindruck, der sich leise einstellt, wenn dieser Mann und der Maybach zusammenkommen: Sie haben dieselbe Klasse, dasselbe Format, Millionen hin oder her.

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