Es ist noch Nacht, als die Motoren angelassen werden. Der Mond steht prall und hoch am Himmel und bescheint den Konvoi der elf Autos der zehnten Land Rover Experience Tour. Heute ist der Tag der Tage. 1.150 Kilometer stehen auf dem Programm. Nach zwei Nächten im Basislager Golmud auf 3.800 Metern Höhe führt die einzige Straße, die von Norden in Richtung Tibet führt, im Dunkeln über übelste Steinpisten in Richtung Süden und steigt dabei stetig an. Im Morgengrauen geht es wieder über Asphalt, der aber ist gespickt mit Bodenwellen und Schlaglöchern. Kein Wunder, hier oben im Permafrostboden des Hochlandes taut der Untergrund im Sommer auf und die schwer beladenen Lastwagen drücken tiefe Dellen in die Straße.
Motoren oder die Getriebe zicken
Etwa alle 100 Kilometer ist ein Polizei-Checkpoint. Wer keine Passierscheine für Tibet dabei hat, kann wieder umdrehen. Das erste, was an diesem so unerreichbaren und magischen Tibet beeindruckt ist, dass man es scheinbar nie erreicht. Auch nach 800 Kilometern Fahrt, völliger Übermüdung und im Drogenrausch der Höhe über 4.400 Metern knarzt auf die Frage, ob das jetzt endlich Tibet sei immer noch ein knappes "Nein" von Konvoichef Dag Rogge durch den Funk.
Langeweile kommt trotz der langen Strecke nicht auf. Gelb leuchtende Gräser färben die sanften Hänge dieser Hochwüste. Immer wieder tauchen am Horizont Schneegipfel auf. Unsere Karawane klettert bis auf 5.230 Meter an die Schneegrenze. Mechaniker Boris macht Liegestütze um zu beweisen, dass ihn die dünne Luft nicht halb so beeindruckt wie die Autos. Deren Elektronik ist für europäische Höhenzüge ausgerichtet, etwa 3.000 Meter.
Hier oben zicken zuweilen die Motoren oder die Getriebe. Oft wollen die Diesel nicht mehr richtig hochdrehen. Boris wechselt Luftfilter, durch den mäßigen Sprit verstopfte Ölfilter und liest hier und da die Fehlerspeicher aus, um Unregelmäßigkeiten zu löschen. Kein Auto bleibt liegen, aber die Vorfälle zeigen, dass sich der Mensch, wenn er nicht Tibeter ist, sich hier in einer lebensfeindlichen Gegend befindet.
Potala, der ehemalige Palast des Dalai Lama
Und trotz des Schwindels, des ständigen Hechelns nach mehr Sauerstoff, fühlt sich der Tibet-Reisende sehr lebendig, denn die monumentale Weite dieses vor der Annektierung durch die Volksrepublik China nahezu unzugängliche Land und seit der Okkupation zeitweilig immer wieder gesperrten Gebiets haut auch jene um, die die Weiten der Anden oder der Atacama-Wüste in Südamerika kennen.
Hier ist alles höher, größer und damit auch unfassbarer. Das gilt auch für den Potala, den jeder von Fotos oder TV-Dokumentationen kennt. Der ehemalige Palast des Dalai Lama thront auf einem 130 Meter hohen Felsen in Lhasa. Die Legende sagt, dass er 999 Räume enthält, plus einen. Eine Höhle, in der König Songtsen Gampo im Jahr 637 seine Gebete an Buddha richtete.
Doch abgesehen von dem gewaltigen Heiligtum, dass täglich tausende Tibeter im Uhrzeigersinn betend umrunden und der Altstadt mit dem wichtigen Jokhang-Tempel im Zentrum ist Lhasa heute eine zutiefst chinesische Stadt von rund einer Viertelmillion Einwohner, in der die Tibeter bereits eine Minderheit sind und an allen Ecken und Enden von der Polizei observiert werden. Wer als Buddhist etwas auf sich hält pilgert einmal im Leben hierhin und umkreist den Tempel drei Mal im Uhrzeigersinn. Wer sich für die nächste Wiedergeburt beste Chancen sichern will, nicht als Yak auf die Welt zu kommen, nimmt den Weg lieber zwei Mal auf sich, bei drei Malen sind die Chancen auf Eintritt ins Nirwana noch besser.
Rettungseinsatz auf der Strecke
Abgesehen von Fußgängen zum Potala bei Tag und Nacht oder Runden um die Altstadt arbeiten auch wir an der Verbesserung unseres Karmas. Auf dem Weg zu einem der bedeutendsten Klöster Tibets parkt ein silberner Kleintransporter an einem Baum. Nur auf den ersten Blick scheinen alle Passagiere draußen und nur leicht verletzt zu sein. Eingeklemmt zwischen herausgerissenen Sitzen liegt stöhnend ein junger Mann in dem Wrack.
Mit vereinten Kräften wird er aus dem Auto gezogen und der mitgereiste Arzt Dominik Doerr leitet unmittelbar die Rettung ein. Der Schädel ist möglicherweise gebrochen, der Kiefer definitiv. Gleiches gilt für den rechten Unter- und Oberschenkel und die Hüfte. "Jeden Tag eine gute Tat", hat Tourchef Rogge gesagt, damit aber eher den Einsatz seiner Winsch am Range Rover Discovery gemeint, wenn sich mal wieder ein Einheimischer festgefahren hatte. Nach Infusion mit Kochsalzlösung gegen den Blutverlust und der Gabe von Schmerzmittel wird der arme Kerl mit Sauerstoffflasche beatmet und mit vereinten Kräften festgehalten, damit er sich nicht zu sehr bewegt, und der auto-motor-und-sport-Reporter auf dem elektronischen Messgerät Puls und Sauerstoffsättigung im Blut ablesen kann. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit kommt ein Krankenwagen. Der Arzt spricht nur chinesisch, das Auto ist nur mäßig ausgestattet, um einen Menschen mit Polytrauma am Leben zu erhalten. Die Angehörigen bedanken sich und auch die anwesende Polizei. Manche aus der Reisegruppe sind geschockt. Heute wird nicht über den Funk gealbert. Stattdessen funken einige zum Himmel, dass doch bitte nicht alles umsonst gewesen sein dürfe und möglichst an diesem Tag kein junger Mann in Lhasa wiedergeboren wird.
Unser Tross reist nach drei Tagen in Lhasa weiter in Richtung Nepal, denn es wartet ein noch bedeutenderes Heiligtum. Chomolungma oder Sagarmatha im Nepalesischen heißt der Berg, den wir als Mount Everest kennen, und der für die Menschen im Himalaya einer der Wohnsitze der Götter ist. In der Snow Lepard Lodge isst die Land-Rover-Mannschaft scharfe Nudelsuppe, weil das draußen Dargebotene so fade ist. Eigentlich kann man den höchsten Berg der Erde hier trotz siebzig Kilometer Entfernung in seiner ganzen Pracht sehen, aber nicht dann, wenn er sich in Wolken hüllt. Wir warten, schinden Zeit, quengeln, aber die Reiseleitung mahnt zum Aufbruch. Es ist mal wieder ein langer Weg.
Warten am Zoll
Der längste Tag ist der mit der kürzesten Fahrt. Dafür aber stehen wir an der chinesisch-nepaleeischen Grenze fünf Stunden am Zoll. Anschließend gehen wie schon bei der Einreise eineinhalb Stunden verloren, weil die Grenzer erst Mittagspause machen wollen. Dabei stauen sich auf beiden seiten der Grenze die Lastwagen fünf Kilometer weit. Die enge Schlucht mit der schmalen Straße ist ständig verstopft, wenn sich bergauf und bergab zwei Autos begegnen. Vor dem Grenzgebäude herrscht zudem ein beachtlicher Fußgängerstau. Hunderte von vorwiegend weiblichen Lastenträgern drängeln, schubsen, stürzen und richten sich mit 40 Kilo-Lasten wieder auf, um hauptsächlich billig produzierte Kleidung nach Nepal zu bringen, weil die Lkw ohnehin nicht durchkommen. Es dauert elf Stunden, bis die Grenze überquert ist und die Kolonne durch eine von tropischen Pflanzen und Wasserfällen gesäumte Holperpiste Richtung Kathmandu rollt.
Wer den chinesischen Verkehr zu wuselig und unübersichtlich findet, sollte nicht in der Hauptstadt Nepals Auto fahren. Unter ständigem Gehupe wälzen sich Busse, Tuktuks, Mopeds und Autos durch den Moloch. Kathmandu ist schmutzig, heiß, stickig und anstrengend, aber dennoch ein Ort der Verheißung. Von hier geht zwei Mal am Tag eine Maschine der Buddha Air nach Osten. Kurz nach Sonnenaufgang hebt der kleine zweimotorige Flieger mit 16 Plätzen ab und erhebt sich über zwei dicke Wolkenschichten.
Land Rover Experience Tour zieht weiter
Darüber liegt die Welt der Götter. Aus der weißen Watte erhebt sich die Hauptkette des Himalaya mit dem heiligen Kailash und nach einer halben Stunde Flug schließlich dem Everest. Klar sind im blauen Morgenlicht die Südwand des Lhotse, der Everest-Gipfel und dazwischen der Südsattel zu sehen. Nach der Rückkehr haben wir vier Achttausender geschafft, und das gleich zwei Mal. Das muss uns erst mal jemand nachmachen.
Der Reporter fliegt von Kathmandu nach Hause. Die Experience Tour fährt weiter. Eine Woche durch Nepal und dann noch eine weitere durch Indien bis Mumbai. Das Taj Mahal hätten wir schon auch noch gern gesehen und den Palast der Winde und den See von Udaipur. Aber man kann zum Glück nicht immer alles haben. Und nachdem wir dem Berg der Berge im Morgenlicht auf Augenhöhe begegnet sind, was soll jetzt noch kommen?