Plötzlich geht nichts mehr. Mitten auf der Hauptstraße in einer kleinen Stadt 40 Kilometer vor La Paz steht eine Schlange von Minibus-Taxen. Aufgebrachte Menschen laufen herum, Steine blockieren die Durchfahrt. "It’s a f…..g blockade", flucht Luis, unser einheimischer Guide auf dem Beifahrersitz des Land Rover Defender . Die Bewohner des Ortes haben die Blockade errichtet, um gegen die Regierung zu demonstrieren – so etwas passiert regelmäßig im Hinterland Boliviens.
Jetzt beginnt ein Katz- und Maus-Spiel. "Alle Mann Scheinwerfer aus und links abbiegen", bellt Dag Rogge, Leiter der Land Rover Experience Tour, ins Funkgerät. Der Konvoi muss sich unauffällig einen Weg durch die Seitenstraßen bahnen, bevor die Demonstranten sämtliche Wege aus der Stadt abriegeln und der Konvoi gefangen ist. Solche Blockaden können bis in die Nacht dauern, manchmal sogar mehrere Tage. Die erste Seitenstraße ist eine Sackgasse, wütende Demonstranten haben sie bereits gesperrt. Unser Guide Luis lehnt sich aus dem Fenster, fragt nach Ausweichrouten.
Untersetzung rein und Vollgas
Doch Blockade-Brecher mögen die Leute im Ort gar nicht. Als die 14 Land Rover ausscheren und quer durch die Rabatten fahren, werfen ein paar Frauen Steine. Der einzige Ausweg führt durch einen tiefen Graben mitten im Ort, der eigentlich nicht zu überqueren ist. Jetzt muss der Defender zeigen, was er kann. Wir legen die Geländeuntersetzung ein und geben Vollgas – der Offroader wühlt sich durch den Graben, setzt einmal knirschend auf. Darauf können wir jetzt keine Rücksicht nehmen und verlassen uns auf den massiven Unterbodenschutz. Im Zick-Zack-Kurs bahnt sich der Konvoi seinen Weg, endlich geht es aus der Stadt heraus.
"Jetzt langsam fahren und zusammen bleiben", befiehlt Dag Rogge über Funk. Alle Fahrer gehorchen wie ein Trupp Soldaten, im Gänsemarsch geht es langsam voran. Große Staubfahnen nämlich würden den Konvoi schon aus der Ferne verraten und könnten neuen Ärger bringen. Mit Militärkarten ermittelt die Expeditions-Crew eine ungefähre Ausweichroute nach La Paz, und die führt mitten durch die Steppe. Vorbei an einer verdutzten Alpaka-Herde kämpfen sich die Defender durch die Landschaft. Der GPS-Empfänger am Armaturenbrett zeigt bald eine Höhe von 4.000 Metern an, während sich in der Ferne mehr als 6.000 Meter hohe schneebedeckte Berggipfel erheben.
Bolivien zeigt sich gastfreundlich
Jetzt bloß das Trinken nicht vergessen: Die Wasserflasche in der Mittelkonsole ist immer griffbereit, denn ausreichend Flüssigkeit ist eine gute Vorbeugung gegen die Höhenkrankheit. Trotzdem lässt die Konzentrationsfähigkeit nach, und beim kurzen Aussteigen für die unvermeidlichen Pinkel-Pausen merkt man, wie jeder Schritt anstrengender wird.
Nach einer halben Stunde erreicht der Konvoi endlich eine Schotterpiste, die in einem weiten Umweg nach La Paz führt. Die Anspannung lässt langsam nach, als die an majestätische Berghänge geschmiegte Stadt mit ihren Backsteinhäusern rötlich in der Abendsonne leuchtet. "Ich muss mich für die Leute in dem Ort entschuldigen, aber so ist das nun mal bei Blockaden", sagt Luis. Doch die Entschuldigung ist überflüssig, denn während der gesamten Land Rover Experience Tour zeigt sich Bolivien fast ausschließlich von seiner extrem gastfreundlichen Seite. Bauern, Taxifahrer und zahllose Kinder winken dem Konvoi zu, Ortskundige ersetzen so manches Mal die nicht vorhandenen Straßenschilder. Und in jedem größeren Dorf findet sich irgendwo ein Handwerker, der seine Arbeit unterbricht, um schnell sein Schweißgerät auszuleihen – so ziemlich das einzige, was die erfahrenen Mechaniker des Expeditionsteams nicht selbst im Gepäck haben.
Warnungen per Bordfunk
Doch die Ausfallrate bleibt niedrig: Zwei Reifenschäden und eine gebrochene Achse beim Benzin-Anhänger, den einer der 14 Defender hinter sich her zieht, sind die einzigen nennenswerten Zwischenfälle. Dabei versuchen die gnadenlosen Schlamm-, Schotter- und Geröllpisten Boliviens mit ihren gewaltigen Schlaglöchern praktisch ununterbrochen, Autos den Garaus zu machen. Das Schlimmste ist der Staub: Manchmal ist die Sicht buchstäblich null, rechts und links lauern tiefe Abhänge und trotzdem muss man irgendwie dem unbeleuchteten Lkw ausweichen, der einem mit Karacho entgegen kommt und den man erst im letzten Moment sieht. Die Funkverbindung zwischen den Fahrzeugen wird zur rettenden Lebensader, wenn es heißt: "Achtung hinter uns, Taxi kommt von oben" oder "Vorsicht, Personen auf der Fahrbahn". Einmal müssen wir anhalten und den Staubfilter des Defender ausklopfen, damit dem Dieselmotor nicht die Luft wegbleibt.
Lohn der Anstrengungen sind unvergessliche Landschaften. Um fünf Uhr wird aufgestanden, spätestens um sechs klemmen sich alle hinters Steuer. In Bolivien ist es im Juni dann noch dunkel. Plötzlich bricht die Sonne durch den Morgennebel und enthüllt fantastische Bergpanoramen, malerische Wasserfälle oder den grün funkelnden Dschungel. Auf der Fahrt von Caranavi nach Mapiri säumen Coca-Plantagen die Piste, und Goldgräber versuchen an den Flüssen oder in Minen ihr Glück.
Straße des Todes
Besonders spektakulär ist die Fahrt über die nebelverhangene "Camino de la Muerte", die Straße des Todes. Zwar erleben wir während der Tour gefährlichere Straßen – die berüchtigte "Camino" ist heutzutage wenig befahren und eher eine Attraktion für die wenigen Touristen im Land – doch wenn man direkt an der Klippe steht und hunderte Meter tief hinab in den grünen Schlund des Dschungels blickt, klopft das Herz trotzdem bis zum Hals.
Als es am Schluss der Tour wieder zum Flughafen von La Paz geht, kommt bei allen eine wehmütige Stimmung auf, das Abenteuer Bolivien wird noch lange im Gedächtnis bleiben. Und etwas ist plötzlich seltsam ungewohnt, als sich der Konvoi der quirligen Großstadt nähert. "Keine Sorge, Leute", sagt Dag Rogge über Funk, "was euch da gerade so komisch vorkommt, nennt man Asphalt."