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Formel Student vs. Porsche 918 Spyder
Ungleiches Beschleunigungsduell

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Es ist ein ungleiches Duell, doch der Formel Student mit Elektroantrieb schafft das schier Unmögliche: Er bezwingt den 887 PS starken Porsche 918 beim null-auf-100-km/h-Duell. Der auto motor und sport-Bestwert liegt nun bei 2,26 Sekunden.

Formel Student, Porsche 918 Spyder, Impression, Beschleunigungsduell
Foto: Achim Hartmann

Freudentränen, die über die Schläfen waagerecht Richtung Kopfstütze strömen. Hemdsärmel, die von alleine über die Ellbogen bis hoch zur Schulter rutschen. Oder gar Backen, die von der Beschleunigung beinahe über die Ohren gekrempelt werden: Die blumige Testfahrer-Prosa kennt kaum Grenzen, wenn es darum geht, die Wucht der Längsdynamik zu beschreiben.

Seit letztem Jahr sitzt der Porsche 918 auf dem Sprinter-Olymp. 2,6 Sekunden – das ist der beste Null-auf-hundert-Wert, den auto motor und sport je gemessen hat. Selbst ein wilder Rallycross-Apparat wie der in der WM siegreiche Audi S1 von Mattias Ekström, vierradgetrieben und fast 600 PS stark, konnte nur ein bisschen rütteln am Thron des Porsche. Sehr zu seinem Leidwesen fehlten dem DTM-Star aus Schweden zwei Zehntel auf die Bestmarke.

Porsche 918 Spyder bisheriger Sprintkönig

Doch jetzt, an einem sonnigen Septembertag, naht die Götterdämmerung für den Hightech-Platzhirsch aus Zuffenhausen. Der Herausforderer wurde von seinen Ziehvätern und -müttern, einer extrem motivierten Schar von Studenten der Uni Stuttgart, in einem schmucklosen Anhänger zum Duell auf dem Schwarzwald-Flugplatz Lahr karriolt. Unter der Plane: ihr Baby, der Formel-Student-Monoposto mit der etwas sperrigen Bezeichnung E0711-5. Die 0711 ist die Vorwahl von Stuttgart, und das E steht, richtig geraten, für Elektropower.

Zum Ausladen des filigranen E-Renners genügen fünf Mann, und die müssen sich nicht mal besonders anstrengen: Der E0711-5 wiegt nämlich nur 165 Kilo. 38 davon entfallen auf den Akku des E-Renners: Die 284 Lithium-Polymer-Zellen (kurz: „Lipo“) aus chinesischer Produktion zum Stückpreis von zwölf Euro wurden von den Studiosi des Stuttgarter Teams (www.greenteam-stuttgart.de) selbst qualitätsgeprüft, verdrahtet, zusammengelötet und verschraubt. 6,62 Kilowattstunden (kWh) beträgt die Kapazität der Batterie. „Das reicht locker aus für ein paar Dutzend Beschleunigungsversuche“, sagt Dusko Mitrovic, einer der Elektronikspezialisten der Studenten-Equipe. Zum Vergleich: Der Lithium-Ionen-Akku des Hybrid-Porsche kann 6,8 kWh speichern, wiegt aber stolze 138 Kilo - ein Beleg dafür, wie rasant die Batterietechnologie voranschreitet.

Noch ein Vergleich zu dem aus Zuffenhausen stammenden Superstar deutscher Ingenieurskunst: „Schau mal diese irre Lackierung an“, sagt Porsche-Werksfahrer Marc Lieb, der mit dem 918 selbstredend auf Achse nach Lahr gebraust war. „Liquid Metal. Kostete aber Aufpreis.“ Und zwar 47.600 Euro, um genau zu sein. Also etwas mehr, als der Formel Student laut Reglement kosten darf. Das ganze Auto, natürlich.

Platznehmen im Formel Student

Obwohl der Mini-Renner auf den ersten Blick kaum größer wirkt als eine Seifenkiste, haben es sogar Burschen mit Gardemaßen ziemlich bequem im Kohlefaser-Monocoque, dank der verstellbaren Pedalerie. Der Begriff Sitzposition wäre im Falle des Formel Student allerdings irreführend: Ich liege beinahe in dem kleinen E-Renner. Der Helm kuschelt sich an die am Überrollbügel montierte Kopfstütze. Wie wichtig und angenehm das ist, wird sich bald herausstellen.

Bloß das winzige CFK-Lenkrad, natürlich selbst gefertigt, ist für mich etwas zu oberschenkelnah angebracht. Egal, heute geht es nicht, wie bei den Wettbewerben der Formel Student auch, ums flotte Kurvenfahren, sondern ausschließlich ums Geradeausbolzen. Gut im Blickfeld des Fahrers liegt das Mini-Display. Es gibt Auskunft über die Spannung im Niedervolt- und im Hochvolt-Bereich. Die vier E-Maschinen im Format einer Konservendose wohnen an den Radnaben. Sie arbeiten mit einer Betriebsspannung von 600 Volt. Oben auf der Cockpitröhre thronen die Feder-Dämpfer-Einheiten der Pushrod-Vorderradaufhängung. Sie sind kaum größer als bei einem Mountainbike, und der Fahrer kann den Liliput-Federn und den bleistiftdünnen Streben der Radaufhängung prima beim Arbeiten zuschauen.

Computer berechnet die optimale Verteilung der E-Power

Das Gehirn des E-Renners ist das Steuergerät: „Drehzahlsensoren an allen vier Rädern, ein optischer Sensor für den Schwimmwinkel und Gierratensensoren an der Vorder- und an der Hinterachse“, rattern die Studenten herunter. Aus diesen Parametern errechnet der Computer die optimale Verteilung der Elektropower an die Räder. Das Funktionsprinzip müsse man sich ähnlich vorstellen wie beim ESP in Serienautos, sagen die Nachwuchs-Ingenieure. „Du kannst dich mit unserem Auto nur drehen, wenn wir das wollen“, fasst Dusko zusammen, der an diesem Tag als Renn-Ingenieur für mich fungiert. Stets mit dem aufgeklappten Laptop auf dem Arm, so wie auch die Jungs im ganz großen Profi-Motorsport.

Nach so viel Theorie wird's jetzt endlich ernst: erstes Training für das große 0-auf-100-km/h-Duell mit dem Porsche 918. Der Fahrer hat's einfach: zuerst den Hauptschalter ziehen, dann den Knopf mit der Aufschrift PTM drücken. „Power to motor“ ist nun freigegeben – sofern man mit dem linken Fuß schön brav auf der Bremse steht.

1.200 Nm melden sich zum Dienst

Und jetzt: Vollgas! Der Formel Student wird zur Wuchtbrumme. Innerhalb von Nanosekunden melden sich 1.200 Newtonmeter Drehmoment vollzählig zum Dienst. Der Kleine schießt so furios in Richtung Horizont, dass wortgewandte Autoren große Mühe haben, dieses Gefühl in Worte zu fassen. Eine Assoziation mit einer alten Zirkusnummer kommt mir in den Sinn. Sie hieß: Die menschliche Kanonenkugel. Ein offenbar irrer Artist ließ sich quer durch die Manege schießen. Wie durch ein Wunder überlebte er dieses Kunststück offenbar.

Ich rolle zurück zum Start – und kann nicht anders: Ich lache mir schier einen Ast. Offenbar lösen starke g-Kräfte in Längsrichtung große Heiterkeit aus. Ist es infantile Euphorie? Hat mich gerade ein Pferd getreten? Oder bin ich schon vom Wahnsinn umzingelt? Das seltsame Fahrgeräusch würde dazu passen: Der E0711-5 klingt wie eine Mischung aus Küchenmaschine und Carrera-Rennbahn.

Auch Werksfahrer Marc Lieb amüsiert sich prächtig. Er zeigt mir auf seinem iPhone ein Video vom Start: „Du rutschst schräg nach oben“, grinst er, „mindestens fünf oder zehn Zentimeter. Echt ulkig.“ Ich denke an meine häufigen Besuche beim Physiotherapeuten und frage mich, ob das grimmige Beschleunigen wohl eine günstige Wirkung auf meine etwas desorientierten Halswirbel hat. Auf jeden Fall ist es empfehlenswert, den Helm an die Kopfstütze anzulehnen. Sonst könnte es leicht ein Schleudertrauma geben, ganz ohne Unfall. Nach ein paar Versuchen steht mein Bestwert bei 2,26 Sekunden. Anders ausgedrückt: Eine Strecke von nur 31,93 Metern genügt dem Kleinen, um sich auf Tempo 100 zu kanonieren. Unglaublich.

Weltrekord für Stuttgart

Doch es geht noch besser: Im Juli stellten die Stuttgarter mit sagenhaften 1,779 Sekunden einen neuen Weltrekord für Nicht-Dragster auf. Lothar Bloschies, der Pressemann des Teams, erklärt die Zeitdifferenz: „Erstens wiegt unsere Rekordfahrerin Prisca nur halb so viel wie du. Und zweitens sind wir beim Rekord ohne den riesigen Heckflügel gefahren.“

Egal, für den Sieg gegen den 918 reicht's auch so: Obwohl der fast eine Million Euro teure Über-Porsche von Werksfahrer Lieb mit 887 PS so kräftig bemuskelt ist wie kaum ein zweites Straßenauto, hat er in der Königsdisziplin der Auto-Freaks, dem 0-auf-100-Spurt, keine Chance auf die Goldmedaille. Dabei blieb Lieb mit 2,55 Sekunden sogar noch leicht unter der Werksangabe von 2,6 Sekunden. Doch im direkten Duell sieht er kein Land: Entscheidend sind die ersten Meter. Der Kleine springt förmlich aus den Startlöchern. Um auf 50 km/h zu kommen, genügen ihm 7,04 Meter. Der 918 braucht hierzu schon fast zwei Meter mehr. Der fahrerische Aufwand ist in beiden Autos denkbar gering: Im Prinzip genügt es, ein paar Knöpfchen zu drücken und entschlossen auf den Pinsel zu treten. Den Rest erledigt die Elektronik, auf wahrhaft begeisternde Art und Weise.

Rückreise im 918: Nördlich von Freiburg erfreut uns die A 5 mit äußerst geringem Verkehr. Jetzt schlägt die große Stunde für den 918: kurz Vollgas, schon stehen 320 km/h auf der Digitalanzeige. Der E0711-5 muss auf dem Hänger heimreisen, mit beschaulichen 80 km/h.

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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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