Finnlandreise: Driften mit einem Weltmeister

Rallyetraining in Finnland
Driftspaß mit dem Rallye-Weltmeister

Veröffentlicht am 05.08.2010

Untermalt von einem lauten Rauschen krallen sich die Spikes ins Eis. Gleich kommt die Linkskurve. Was sagte Trainer Ossi Lahtinen noch mal? Das Auto durch eine kräftige Lenkbewegung destabilisieren und dann per Gasfuß den Drift kontrollieren. Alles klar.

Aller Anfang ist schwer

Zumindest mit dem Instruktor am Steuer wirkte es spielerisch leicht. Also Lenkrad hart einschlagen und Gas. Der VW Tiguan stellt sich quer und folgt grob der angepeilten Route. Nun die Wechselkurve. Was Lahtinen seit seiner Jugend nahezu täglich übt, lernt man nicht in fünf Minuten. Konzentration, Koordination? Hier und jetzt zeigt sich der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Die Schneewechte kommt näher, instinktiv zieht man den Kopf ein, ein Rumpeln, dann steckt der Allradler im Schneehaufen. Der Grund? Zu viel Gas, zu wenig Gas, zu stark eingelenkt oder zu schwach. Was auch immer. Aller Anfang ist schwer. Auf der 70 Zentimeter dicken Eisschicht denkt der Pilot an Sokrates und weiß, dass er nichts weiß. Zumindest nichts vom Quertreiben.

Auf den Eis-Seen trainineren nicht nur Laien, sondern auch Formel-1 Teams

Einsicht ist der erste Schritt zur Erkenntnis oder in diesem Fall zum perfekten Drift. An der Juha Kankkunen-Driving Academy bei Kuusamo, 800 Kilometer nördlich der finnischen Hauptstadt Helsinki, versuchen erfahrene Quertreiber, zumindest einen Teil ihrer Fähigkeiten zu vermitteln. Die Ausgangsbedingungen sind ideal: Das dünn besiedelte Waldgebiet ist ein Paradies für Outdoorfreaks, die per Ski, Schneemobil oder Hundeschlitten die Welt der Rentiere erkunden. Auf einem der 166 Seen schlägt Kankkunen im Winter seine Basis auf. Hier trainieren nicht nur Laien, sondern auch Formel 1-Teams den Drift bis zur Perfektion. An der ersten Station scheint das noch eine schier unlösbare Aufgabe, was aber an den Ambitionen der Teilnehmer liegt. Für den Geschmack der Trainer lassen sie es zu zügig angehen. Jedenfalls leidet der Fahrer des Acht-Tonnen-Traktors der Rallye-Schule nicht an Unterbeschäftigung. Das Ungetüm ist dafür zuständig, die in den Schnee gerammten und havarierten Fahrschulwagen wieder flottzubekommen.

Keine Sorge, das Eis bricht nicht so schnell

Der gefrorene Boden kracht laut, wenn die Zugmaschine vorbeirollt. "Keine Sorge", grinst Lahtinen, als er den skeptischen Gesichtsausdruck seiner Gäste bemerkt, "das Eis bricht nicht so schnell. Selbst wenn man im späten Frühling schon knöcheltief im Schmelzwasser steht, trägt die Schicht." Beruhigend. Im Laufe des Tages kommen an wechselnden Stationen unterschiedliche Fahrzeuge zum Einsatz. Vom VW Tiguan mit abgeschaltetem ESP geht es in einen VW Golf mit aktivierten Fahrhilfen. Der liefert somit auch gleich die richtigen Ausreden für verpatzte Drifts: Der elektronische Schleuderverhinderer mit seinem besserwisserischen Herumgeregel ist schuld. Beim Slalom muss man allerdings die Vorzüge der Elektronik anerkennen: Wie stur der Tiguan auf Eis seinen Kurs um die Pylonen zirkelt, beeindruckt.

Nach VW Golf und VW Tiguan kommt ein Subaru Impreza WRX zum Einsatz

Doch letztlich steht den Teilnehmern weniger der Sinn danach, die Vorteile der technischen Helfer zu erproben, als vielmehr das Quertreiben zu erlernen. Und am Nachmittag zeigt sich: So langsam klappen die zügigen Runden, auch ohne die Autos im Schnee zu versenken. Zum Abschluss geht es zum freien Fahren auf einen verwinkelten Handlingkurs. Um die Strecke im Blick zu haben, schauen wir nun vornehmlich durch die Seitenfenster und ahnen, was Rallyelegende Walter Röhrl damit meinte, als er sagte, gute Autofahrer erkenne man daran, dass die Fliegen an den Seitenscheiben kleben. Euphorisch ob des neu erworbenen Fahrkönnens dann der letzte Wagenwechsel. Nach VW Golf und Tiguan ist Rennfeeling angesagt, ein Subaru Impreza WRX steht bereit. Am Steuer: Juha Kankkunen. Na ja, vielleicht kann man sich ein paar Tricks abschauen.

Gegen Ende zeigt der Meister sein Können

Bereits nach der ersten Kurve ist jedoch klar: Egal, wie sicher sich viele nach dem Training fühlen, Können ist etwas ganz anderes. Kankkunen hat nur eine Hand am Volant. Ein Lenkimpuls pro Kurve genügt, danach dirigiert er den Impreza nur mittels gezielter Gasstöße über den Handlingkurs. Wie schnell er dabei ist, merkt man, wenn er die anderen Fahrer passiert, als wären die gerade beim Boxenstopp. Die Frage, ob er es auf den Rallye-Etappen durch die Wälder vorsichtiger angehen lässt, beantwortet der Finne auf seine Art: Eine Stunde später hat sein Team eine kaum fahrzeugbreite Straße abgesperrt. Mit Helm auf dem Kopf und festgezurrt im Copilot-Sitz seines 350 PS starken Renn-Impreza geht es zu einer besonderen Ausfahrt.

Mit 210km/h durch die finnischen Wälder

Der Motorsound erinnert an einen Düsenjäger. Kankkunen gibt Gas. Die schmalen, spikegespickten Eis-Pneus krallen sich in den rutschigen Untergrund. Das Gröhlen des Motors wird vom wasserfallartigen Abrollgeräusch untermalt. Dem Passagier ist der Blick auf den Tacho nur bedingt möglich. Die 70 ist gerade noch zu erkennen, die Nadel schon nach wenigen Metern außer Sicht. Der Subaru Impreza rauscht auf eine Kuppe zu, Bäume huschen am Fenster vorbei, dann ist nur der Motor zu hören: Der Subaru hat abgehoben und fliegt einer Kurve entgegen. Kankkunen zupft am Lenkrad, der Subaru wird instabil, rutscht mit dem Heck an die Schneewechte. Der Weltmeister begeht Fahrfehler? Keineswegs. So stabilisiert der Profi den Wagen. Dann ist der Ausflug viel zu früh vorbei. Wie schnell wir unterwegs waren? "210", antwortet Kankkunen mit seinem harten finnischen Akzent. Wie lang musste er trainieren, um so fahren zu können? "Ich habe auf Papas Schoß begonnen - mit sieben Jahren." Diesen Vorsprung holt man nicht auf.