Faszination Superleggera: Abnehmen im Wandel der Zeit

Faszination Superleggera
Abnehmen im Wandel der Zeit

Veröffentlicht am 10.04.2010

Wer dem Lamborghini 350 GT erstmals auf seine Kurven schaut, sieht sich seiner Sinne beraubt. Gedanken an Gina Lollobrigida, Fellini oder die legendäre Croissette schießen einem durch die kurzzeitig vernebelten Sinne. Nur Unwissende können diesen roten Grand Tourismo mit seiner Superleggera-Karosserie von Carrozzeria Touring mit einem Ferrari verwechseln.

Der Lamborghini 350 GT passt perfekt in die damalige Zeit

Man schreibt das Jahr 1963 und der Turiner Automobilsalon gilt beim Automobildesign als Maß der Dinge. Elegante Sportwagen kommen aus England oder Italien, Chromorgien sind ein absolutes Muss und Sicherheitsausstattungen sind allenfalls Hirngespinste in wilden Ingenieurshirnen. Ein Rundgang über die europäischen Automobilmessen raubt Automobilfans den letzten Atem. Schönheitsköniginnen sieht man allenthalben – wohlgemerkt mit einem hölzernen Lenkrad und zumeist mit den charismatischen Speichenrädern. Der 280 PS starke Lamborghini 350 GT passte perfekt in die damals so autobegeisterte Zeit; war er doch das erste Serienmodell, das die ehemalige Traktorenschmiede 250 km/h schnell gegen wild brüllende Konkurrenzprodukte von Ferrari und Maserati stellte.
 
Da sind die lange Motorhaube, die zahlreichen Chromelemente und die keck aus der Motorhaube herausschauenden Frontscheinwerfern, die einen verzaubern. Eine Augenweide bleiben bei jedem Blickkontakt die geteilten Stoßstangen an Front und Heck, die Kühlergrill und Heckkennzeichen umspielen und die weibliche Seite des Gran Tourismo unterstreichen. Für das Design des zarten Italieners zeichnete Nachwuchs-Kreateur Franco Scaglione verantwortlich. Der renommierte Turiner Karosserieschneider Sargiotto setzte seine Ideen eindrucksvoll um. Doch Firmeninhaber Ferrucio Lamborghini war nach dem ersten Auftritt in Turin nicht vollends zufrieden mit der Kreation. So wurde Bianchi Anderloni damit beauftragt, vor dem 64er Genfer Salon für einen letzten Feinschliff zu sorgen. Um Erscheinungsbild und Fahrverhalten zu optimierten, wurden beim 350 GT unter anderem der Radstand von 2,45 auf 2,55 Meter verlängert und das Dach um ein paar Zentimeter angehoben.

Den Begriff Superleggera prägte die Carrozeria Touring
 
Auf der nicht enden wollenden Motorhaube brennt sich der Schriftzug „Superleggera“ in das Hirn des verzückten Betrachters. Der Begriff, der übersetzt so viel wie „superleicht“ bedeutet, rückt in diesen Tagen erneut in den automobilen Fokus. Superleggera war ehemals das Zeichen dafür, dass sich Feingeist Carlo Felice Bianchi Anderloni, Sohn von Altmeister Felice Bianchi, der Karosserie des 350 GT angenommen hatte. Anderloni war Inhaber von Carrozzeria Touring, der jahrzehntelang wohl renommiertesten Karosserieschmiede in Europa. Die patentierte Superleggera-Bauweise sparte dadurch Gewicht, dass die Karosserie aus einem besonders leichten und festen Profilkontrukt bestand, das Materialien wie Aluminium, Stahl und Magnesium effizient miteinander verband. Die Bleche der Karosserie wurden mit diesem Rahmen unterschiedlicher Stärke verschweißt. So bekamen nicht nur Fahrzeuge wie der 350 GT mehr Stabilität. Die Superleggera-Konstruktionen galten lange Jahre als führend. In dieser Bauweise entstanden unter anderem Modelle wie Alfa Romeo 6C / 8C oder der legendäre BMW 328, mit dem BMW im Jahre 1940 die Mille Miglia mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 166 km/h gewann.
 
War der 350 GT Superleggera einst die eindrucksvolle Unterschrift des Karosseriebauers, belebt Lamborghini diesen Schriftzug mit neuem Leben. So trägt auch der neue Gallardo in aktueller Generation den Namensannex, der unterstreicht, dass die Leichtigkeit des automobilen Seins längst auch in Sant’ Agata angekommen ist. Bereits in den 60er Jahren war der 350 GT Superleggera mit seinem 280 PS starken Zwölfzylinder eines der leistungsstärksten Autos. Das hat sich bis heute kaum geändert.

Der Lamborghini Murcielago soll als nächstes abspecken

Doch die 570 PS Leistung des Gallardo Superleggera sind weit weniger innovativ als die Gewichtsspirale, die die Norditaliener vehement nach unten drehen wollen. Der nächste große Schritt soll mit dem neuen Supersportwagen Murcielago kommen. Er soll der erste sein, der dem Namen Superleggera zu neuem Ruhm verhilft. Ist der aktuelle Murcielago mit seinen rund zwei Tonnen Gewicht ein gewaltiger Stier, so soll das neue Modell mächtig abspecken. Im Gegensatz zum neuen Gallardo dürfte er den Schriftzug Superleggera trotzdem nicht im Namen tragen. Doch seine Karosserietechnik macht die Technik genauso zum Programm wie seinerzeit Mitte der 60er Jahre beim 350 GT. Die Zukunft hängt am dünnen schwarzen Faden, denn die Kohlefaser soll die neuen Karosserien von Murcielago und später auch Gallardo leicht, hochfest und verwindungssteif werden lassen.
 
Dabei will sich der sportlichste Ableger in der Volkswagen-Gruppe innerhalb des Konzerns als Kompetenzcenter in Szene setzen, das mehr kann, als nur schnelle und PS-starke Boliden auf die Straße bringen. „500, 700, 1.000 PS – ewig lässt sich diese Leistungsspirale nicht in die Höhe schrauben“, sagt Manfred Fitzgerald, Direktor für Brand Design bei Lamborghini, „hier scheint eine Grenze erreicht.“ Die neue Messgröße soll Leistung pro Kilogramm sein. „Nicht die absolute PS-Zahl ist ausschlaggebend, sondern die Zahl der Kilos, die jede Pferdestärke bewegen muss“, erklärt Manfred Fitzgerald mit Nachdruck, „ rund 1.100 Kilo sollten langfristig für einen Supersportwagen reichen.“ Ohne Karbonfasern, gewebt aus den dünnen Fasern des Kohlenstoffs, ist das kaum machbar. Die Komponenten würden so nur noch ein Drittel von Aluminium wiegen und deutlich stabiler sein, doch die Produktion ist bislang das große Problem. Denn dadurch, dass alle Teile in Handarbeit produziert und dann in großen Öfen „gebacken“ werden müssen, sind Karbonkomponenten extrem teuer. Ein Grund dafür, weshalb die leichten Kunststoffteile nur in Kleinserie gefertigt werden und zumeist im wenig kostensensitiven Motorsport verbaut werden.

Lamborghini kooperiert mit dem Flugzeugbauer Boeing

So innovativ wie die Karosseriebauer von Carrozzeria Touring bei der Konstruktion von Sportwagen  umgegangen sind, so sehr will Lamborghini den Begriff Superleggera wieder mit technischem Innovationswert füllen, wie es seinerzeit bei legendären Fahrzeugen von Alfa Romeo, Aston Martin, Lancia oder Lamborghini geschah. Aus diesem Grund hat der Autobauer aus Sant’ Agata eine weitreichende Kooperation mit dem Flugzeugbauer Boeing angestoßen. Boeing und Lamborghini betreiben daher seit einem knappen Jahr an der Universität Washington State in Seattle einen Lehrstuhl für Leichtbau und Kohlenstoff-Konstruktionen. Beide Firmen ziehen in die gleiche Richtung. Lamborghini will seine neuen Renner leicht und hochsteif mit einem Leistungsgewicht in neuen Gewichtsdimensionen auf die Straße bringen. Ins gleiche Horn stößt Boeing. Das neue Mittelstreckenflugzeug, der Dreamliner, soll als erstes Flugzeug einen Rumpf aus leichter Kohlerfaser bekommen. „Der Professor hat noch vor ein paar Jahren hier bei uns gearbeitet“, erzählt Manfred Fitzgerald am Rande, „jetzt forscht er an der Universität zum Thema Leichtbau.“ Zentral geht es um die technischen Eigenschaften, die insbesondere beim Crashverhalten entscheidend sein sollen und das Verhalten bei verschiedenen Temperaturen und Produktionsmethoden. Auf die Ergebnisse unter dem traditionsbehafteten Namen Superleggera darf man gespannt sein.