Dirt-Track-Szene: Rost und Staub und ganz viel Party

Dirt-Track-Szene
Rost und Staub und ganz viel Party

Veröffentlicht am 13.10.2013

Der Begriff „Fahr-Zeug“ kann hier durchaus wörtlich interpretiert werden. Man nimmt einen Stahlrahmen plus Achsen, zum Beispiel von einem Ford Model T. Auf den wird vorne eine fette Maschine montiert – vom Sechszylinder-Reihenmotor bis zum Achtzylinder-Bigblock. Dahinter schließt eine Blechwanne mit einem oder zwei Sitzen an – manchmal mit Türen, manchmal ohne – und ein Lenkrad. Fertig ist das Fahr-Zeug.

Oder: ein Lincoln Cosmopolitan aus dem Jahr 1953, der anmutet wie ein Elefant im Startfeld. Die Kiste ist komplett leer geräumt, es gibt nur einen Fahrersitz. Aber im Kofferraum ist der Kompressor des topmodernen Air-Ride-Fahrwerks. „Damit der Kontakt zur Bahn besser ist“, erklärt Eigentümer Marco Tschachert mit verschmitztem Lächeln und gibt noch mal Gas im Dirt-Track-Testoval. Das liegt gleich neben der Rennstrecke, hat einen Durchmesser von etwa 50 Metern und ist für Show-Time und Zuschauerbegeisterung gedacht. Ein städtischer Wasserwagen tränkt das ausgetrocknete Rund satt durch, und schon driften die ersten Dirt-Tracker durch Matsch und Dreck. Wer sich nicht schnell genug duckt, dem fliegt ebendieser um die Ohren. Egal. Das gehört dazu und wird mit viel Applaus und Gejohle quittiert.

Autos mit Rennhistorie

„Für unseren Rust ’n’ Dust Jalopy ist der Teterower Bergring optimal geeignet“, freut sich Veranstalter Torsten Kock. Die Rennstrecke ist die größte Natur-Grasbahn für Motorradsport in Europa und wurde Anfang 1930 offiziell eröffnet. Ihre Charakteristik: ein 1,8 Kilometer langer Kurs, der inmitten der Teterower Heidberge liegt. Es geht über Hügel, Links- und Rechtskurven mit Steigungen bis zu 16 Prozent, Gefälle bis 14 Prozent. Der Belag: Gras und festgestampfte Erde. Bei Regen eine richtige Sauerei, bei Sonne und Trockenheit staubig. Dirt Track pur – so oder so.

Manche Autos haben echte Rennhistorie, so wie Marco Tschacherts Lincoln Cosmopolitan. „Den haben wir in Amerika aus dem Wald gezogen“, erinnert sich der 2,04-Meter-Mann. „In 30 Jahren Standzeit waren da ordentlich dicke Bäume durchgewachsen.“ Als sie den Wagen in Deutschland haben und den – wohlgemerkt – Originalmotor – wieder zum Laufen bringen, findet Dirt-Tracker Tschachert heraus, dass dieser Lincoln Motorsportgeschichte geschrieben hat. In den fünfziger Jahren war der Cosmopolitan bei der Carrera Panamericana erfolgreich. Oder die Schweizer „Stöffel“ und „Hans-Peter“. Mitgebracht haben sie ihr 34er Ford Coupé mit originalem Achtzylinder Flat-Head-Motor. Das Auto wurde in den 1940er Jahren in den USA zum echten Stockcar umgebaut und ist es bis heute geblieben.

Christian – genannt „Biker“ – nimmt für den Renneinsatz ein letztes Tune-up an seiner 1944er BSA M20 vor. Zwölf PS aus 500 Kubik reißen am Hinterlauf. „Biker“ gehört zu den knapp 20 Motorradfahrern, die sich auf den Dirt-Track wagen. Schon als Jugendlicher schraubte er an Motorrädern und freut sich, „dass es hier endlich so was wie dieses Rennen gibt“. Sowohl bei den Bikern als auch den Autos geht es nicht darum, wer am schnellsten über den Bergring drischt, sondern um Gleichmäßigkeit. In einer ersten wird eine Zeit vorgegeben, die in der zweiten Runde so exakt wie möglich gehalten werden muss. Der beste Motorradfahrer schafft es mit einer Differenz von 0,0038 Sekunden. Bei den Autos fährt Ronald „Roni“ Schulz mit seinem Ford von 1927 auf Platz eins mit sagenhaften 0,0001 Sekunden Differenz. Respekt.

Zurück in die 50er

Es ist die Atmosphäre, die fesselt. Ein Ohrenschmaus für Motor-Maniacs, denn der ganze Bergring ist vom Sound der sonor klingenden Reihensechszylinder und V8-Motoren erfüllt. Dazwischen schallt immer wieder Rock ’n’ Roll. Wer nicht tätowiert ist, sollte über ein starkes Selbstbewusstsein verfügen, denn ohne Hautverzierung kommt man sich ein wenig nackt unter den Rock ’n’ Rollern vor. Die Mädels sind stilecht in Fünfziger-Jahre-Schale geworfen. Wasserstoffblonde Haare, hochtoupiert oder lang über die Schultern fallend, helle Haut und knallroter Lippenstift, die Augen von spitzwinkligen Sonnenbrillen geschützt. Entweder schreiten die Damen im schicken Cocktailkleid plus Sonnenschirm oder in klassischen Jeans mit weißem T-Shirt und Schirmmütze über den Platz.

Gesäumt ist das Lager von Händlern und Anbietern, die den Rock ’n’ Roller-Bedürfnissen mehr als gerecht werden. Von Klamotten über Teile und Zubehör ist alles da. Initiator Torsten Kock: „In diesem Jahr ist erstmals auch ein Rockabilly-Friseur hier … ich glaube, der hat genug zu tun.“ Hat er. Der Terminkalender ist komplett ausgebucht, die Warteschlange lang.

Große Party für alle

Ja, Rock ’n’ Roll ist eine Lebenseinstellung, das Rahmenprogramm in Teterow entsprechend. Am Tag dreht sich alles ums historische Dirt Track Racing, abends wird stilecht gefeiert. Im großen Partyzelt schmettern Lokalmatadore Songs, die jeder kennt und die Meute automatisch zum Grooven, Entschuldigung, natürlich ins Rock ’n’ Rollen bringen.

„Das Tolle bei uns ist“, philosophiert Schmidke, Spitzname „der Koch“, „es gibt keine Prügeleien oder Stress. Dazu sind wir einfach schon zu erwachsen.“ Stimmt. Das Durchschnittsalter liegt grob geschätzt zwischen 30 und 40 Jahren, vereinzelt sind natürlich auch Jüngere und Ältere zu finden. Das Treffen dient einmal mehr als freundschaftliches Get-together und ist nicht vom Konkurrenzdenken beherrscht. Fachsimpeln, sich austauschen und, klar: gemeinsam feiern – das steht hier im Vordergrund. Etwa 2.000 Besucher waren an zwei Tagen mit von der Rust ’n’ Dust-Party und sind nicht selten bei Bier und Hamburger bis spät in die Nacht geblieben.

Noch ist die Szene relativ überschaubar. Doch die Fangemeinde der Rust ’n’ Dust’ler wächst. Die nächste große Dirt-Track-Station im Jahreskalender ist Hindenberg im Spreewald. Und während sich in Teterow der Staub noch legt, sind die Vorbereitungen für dieses Event längst in vollem Gang.