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Beste Autos aller Zeiten 1960–1969
Mercedes 600, es geht aufwärts

Aufschwung und Konventionsbruch ergeben eine wilde Mischung. Auch bei den Autos. Jörn Thomas genoss das wohl herrschaftlichste Modell der 1960er: den Mercedes 600.

Mercedes 600, Frontansicht
Foto: Karl-Heinz Augustin

Nur damit eins gleich mal klar ist: Es ist nichts besonders Erhebendes und Ungewöhnliches, einen Mercedes 600 zu fahren, aber es ist etwas sehr Angenehmes. So steht es jedenfalls im zeitgenössischen auto motor und sport-Testbericht aus dem Jahr 1966 – der übrigens erst drei Jahre nach der Vorstellung des Über-Mercedes auf der IAA 1963 entstand. Bis dahin erschien es ob der Exklusivität unnötig, ihn zu testen.

Doch Künstler und Potentaten griffen gern zu. Ob Mao, der Schah von Persien, Idi Amin, Leonid Breshnew, Fidel Castro, Herbert von Karajan, John Lennon, Elvis Presley oder Udo Jürgens – der 600 eint die Weltanschauungen. Vielleicht auch deshalb, weil – so der damalige auto motor und sport Redakteur – „es Mercedes nicht fertigbrachte, dem 600 ein solches Maß äußerlicher Neutralität zu verleihen, dass seelische Komplexe beim Betrachter ausgeschaltet werden können“. Wie süß. Wo doch heutzutage ganze Abteilungen offiziell damit beschäftigt sind, ihren Modellen genau diese Neutralität abzuerziehen, um Komplexe beim Betrachter vollumfänglich zu bedienen.

Mercedes 600 mit überwältigendem Komfort

Sei es, wie es sei: Der Mercedes 600 beeindruckt auch ein halbes Jahrhundert nach seinem ersten Erscheinen durch schiere Präsenz. Oder seine Komfort-Hydraulik, die mittels Hochdruckpumpe (150 bar) plus verzweigtem Leitungsnetz Türen zuzieht, Fenster hebt und senkt, das Schiebedach bewegt, den Kofferraum öffnet und schließt, Sitze verstellt sowie die Stoßdämpfer justiert. Nicht zu vergessen die elektrisch gesteuerte Klimaanlage, deren Klappen sich ebenfalls hydraulisch bewegen. Die ganze Chose läuft nicht unbedingt flotter als mit Elektromotoren, jedoch unerreicht majestätisch, weil quasi lautlos. Nach dem Abschalten des Motors weicht das Majestätische ein wenig, wenn der schwere Wagen langsam in die Bälge seiner Luftfederung sinkt und der Bewegungselan des Rests schwindet.

Angst vorm endgültigen Einschluss durch die Zentralverriegelung muss trotzdem niemand haben, das Systen agiert unabhängig mit Unterdruck. Im Gegensatz zur Luftfederung, die nicht als geschlossenes System arbeitet, sondern das Entweichen kleiner Luftmengen durch das Ansaugen frischer kompensiert. Die Folge: Spätestens alle 500 Kilometer muss das Kondenswasser raus, im Winter Spiritus als Frostschutz rein.

Doch vergessen wir solch kleingeistige Wartungssorgen, genießen die hervorragende Funktion. Wie etwa die trotz Beladung akkurate Nulllage der Karosserie durch die Luftbälge, die davon unabhängigen, in zwei Kennungen verstellbaren Stoßdämpfer sowie ein regelrecht sportives Fahrwerk mit Aluminiumlenkern vorn. Lage und Kinematik verhindern sowohl das Eintauchen der Front beim Bremsen als auch die unziemliche Weitergabe von Fahrbahnunebenheiten an die reisenden Herrschaften. Damit bügelte der Mercedes 600 damals nicht nur zerfurchte Straßen, sondern auch die Konkurrenz – etwa von Rolls-Royce und Cadillac.

Hubraumstarker V8-Zieher

Ohne dass der Daimler deswegen zum Hetzer würde. Der 6,3-Liter im Bug des Mercedes  600er gibt lieber den kompetenten Zieher, der das Trumm in zehn Sekunden auf 100 und maximal auf 209 km/h bringt. Anstatt gierig zu drehen entwickelt der Big Block beschauliche 250 PS bei ebenso beschaulichen 4.000/min. Viel wichtiger: 500 Newtonmeter bei 2.800/min, was in Verbindung mit der Vierstufen-Automatik zur gewünschten Antriebs-Souveränität führt.

Alle, die dem M100 seine 250 PS nicht glauben, liegen richtig: Die kräftezehrenden Nebenaggregate rauben ihm rund 50 PS. Wohl auch ein Grund für die stattlichen 25 Liter Testverbrauch. Aber wer im 600er – zumal der 6,24 Meter langen Pullman-Version – logiert, wird sich über solche Petitessen keine Gedanken machen, den Blick über das massive Echtholz wandern lassen und an die mindestens 50 Tage Bauzeit eines jeden Exemplars denken.

Das Beste oder nichts – der Mercedes 600 lebt dieses Motto wie kaum ein anderer.

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Erscheinungsdatum 03.07.2024

148 Seiten