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Reportage Autobahn-Raststätte
Eine Nacht an der Autobahntanke

Wie fühlt es sich an, wenn man einmal länger bleibt, wo man sonst immer schnell wieder weg ist? Was passiert an einem Ort, der eigentlich keiner ist, wenn kaum einer dort ist? Passiert überhaupt was? Das Stimmungsbild einer Nacht an der Autobahn-Raststätte Dammer Berge an der A 1 zwischen Bremen und Osnabrück.

Autobahn-Raststätte, LKW, Nachtruhe
Foto: Dino Eisele

Man soll dort auftanken können und rasten, Ruhe finden auf einem sonst ruhelosen Weg. Bei Gott ist noch Licht um halb zwei, aber es ist keiner dort. Neben dem Altar vergeht ein Strauß Tulpen, in einem Buch bleiben die Wünsche der Reisenden: "Lieber Gott, ich komme gerade aus der JVA in Essen, wo mein Freund ist. Sonst waren wir immer zusammen hier. Beschütze und vergib ihm, bitte."

Einsam liegt die Autobahnkapelle hinter dem Rasthof Dammer Berge. Fahl strahlt die Tankstelle durch die Spaliere der Lastwagen, gelb punkten darüber die Laternen den Himmel. Monoton brummend untermalen Kühlaggregate das Rauschen und Jaulen, das Autos und Laster auf der A 1 hinter sich herziehen. Im Blauschwarz schwebt wie ein Raumschiff das Brückenrestaurant der Raststätte über der A 1. Vor Stunden schon dröppelten die letzten Reise-Rentner aus Nightliner-Bussen, um sich vor den Toiletten aufzureihen und Erleichterung zu finden. Wenn für die auch "unverschämt teuer" bezahlt werden muss. Weshalb manche sie doch lieber bei Gott suchen. Sie machen in die Büsche um die Kapelle.
großartiger Ort – "Dammer Berge".

Auf der anderen Seite, Fahrtrichtung Bremen, schläft Trucker Wilfried Krause noch vier Stunden, dann muss er wieder los. 14 Tonnen Schweißdraht hat er dabei und romantische Vorstellungen in 38 Jahren am Steuer gegen Realismus getauscht. "Nirgends", erzählt er, "steht man mehr sicher, egal ob Parkplatz, Autohof oder Rastanlage." In der Lenkpause dreht er Zigaretten auf Vorrat und lässt einen Kaffee durch. "Bezahlen kann man den im Rasthof nicht mehr. Ich ess mir da nur mal n Whopper."

Laster, aber keine Nutten

Dass auf den Parkplätzen Nutten mit leeren Augen und vollen Blusen umherstaksen, gehört ins Reich des Klischees wie Fernfahrer, die über Resopaltischen hängend alte Frikadellen aus braunhäutiger Instantsoße schaufeln, dabei Gesichter, die mehr nach Schwerlast aussehen als ihre Lkw.

Tatsächlich aber hängt dort, wo sich so viel verändert hat, auf den Toiletten, noch immer der Automat links neben der Tür. Zwei Schächte sind nicht mit Kondomen bestückt. Für fünf Euro kann man dort eine "Travel Pussy" ziehen. Bei den Damen bedient an selber Stelle platziert ein Ganzkörperspiegel elementare Grundbedürfnisse.

Um alle weiteren geht es im Spannbetonhohlkasten acht Meter über der Autobahn. "Willkommen in der Wohlfühlzone" steht auf einem Plakat rechts der Schiebetür, daneben verlangt eine gelbe Dudelmaschine "pro Versuch ein Euro" für vermutlich giftstrotzende Plüschtierchen, und an einem Drehständer mahnen "romantische Geschirrtücher" den Reisenden: "Vergiss nicht, den Duft der Blumen wahrzunehmen, während du durchs Leben gehst." So was werde gern genommen, sagt Frau Knappwerth, während sie kurz vor dem Ende ihrer Spätschicht die Schokolade neben den Seifenblasen sortiert. Leise mischt sich Musik in das Summen der Kühltheken, die Eile des Tages weicht dem Stillstand der Nacht. An den Fenstern sitzend halten sich ein paar Gestalten an ihrem Kaffee fest und lassen die Gedanken den Autos folgen, die unten Richtung Bremen oder Osnabrück ziehen.

Tagsüber ist das anders. An manchen Tagen an die 10.000 Leute, im Schnitt 4.000. Ein Fünftel von ihnen bleibt nur zehn Minuten, der Rest maximal eine halbe Stunde. Längst ist die Rast so durchbeschleunigt wie die Reise, immer dasselbe Ritual: das Auto voll- und sich leer laufen lassen. Kommen und Gehen im Zeitraffer. Niemand bleibt, weil niemand ankommt. Das Ankommen setzt ein Ziel voraus, und Ziele sind Rast-höfe nicht. Sie sind Teil des Dazwischen, des Weder-hier-noch-dort. Sie sind nicht Orte, sondern Nicht-Orte irgendwo im Nirgendwo. "Am Haarstrang", "Schauinsland", "Mücke", "Wonnegau", "Teufelstal", "Dammer Berge." Jeder kennt solche Orte, die keine sind. Und doch kennt sie fast niemand.

Ein großartiger Ort

Frau Smuda und Herr Recchia verbringen viele Nächte in der Raststätte. Sie arbeiten dort. Und mögen die Atmosphäre der Nacht. "Es sind wenig Gäste da", sagt Frau Smuda. "Aber wenn ein Bus kommt, ändert sich das schlagartig. Außerdem ist zu erledigen, wofür am Tag zu viel los ist. Maschinen säubern, auffüllen, aufräumen, damit der Laden steht, um sechs für die Kollegen der Frühschicht." Mit großer Sorgfalt macht Herr Recchia einer Frau ihren Milchkaffee. Er lächelt sie an. "Vielen Dank", sagt die Frau und balanciert ihr Tablett zu einem der Tische. Wo kommt sie her? Wo fährt sie hin? Die Frau sagt: "Ich bin ganz weit weg von zu Hause und ganz weit weg von da, wo ich gerne zu Hause wäre, und auf dem Weg halte ich immer hier." Sie ist aus Iserlohn und will nach Pellworm.

Ein paar Kunststoff-Buchsbäume weiter heißt die Heimat Kongo, der Wohnort Herning in Dänemark, das Ziel Paris. Noch 700 Kilometer für Cathy und ihren Verlobten, Rex, Byemba und die kleine Aziza, die über die Feiertage bei der Familie sein wollen. Von Papptellern essen sie Fisch, gebackene Bananen und Huhn, das sie in Chilisoße tunken. "He", sagt Byemba, "nimm dir, versuch das, es ist scharf und stark, und es hilft beim Kindermachen." Die anderen lachen, als das Angebot mit viel Dank und furchtweiten Augen abgelehnt wird. "Es ist hell und sicher für uns. Wir dürfen sogar hier drin essen, was wir mitgebracht haben", sagt Rex. "Normalerweise nicht", meint Frau Smuda. Doch diese eine Ausnahme hilft beiden Seiten. Kurz bevor die Zeitungen des nächsten Morgens kommen, machen Byemba und die anderen sich auf, begleitet von einer Erinnerung. Diese hat nichts mit Qualitätsrichtlinien, Convenience und Kundenorientierung zu tun. Sondern damit, dass sich einer dieser Nicht-Orte, die Rastanlagen tagsüber sind, wandelt zu einem "endroit formidable". So hat es Cathy genannt: eingroßartiger Ort - "Dammer Berge".

Rastanlagen an der Autobahn

Die Raststätte Dammer Berge liegt zwischen Holdorf und Neuenkirchen-Vörden an der A1. Besonderheit: das 103 Meter lange Brückenrestaurant über der Fahrbahn. Die Anlage gehört zu 390 Betrieben, die die Firma Tank und Rast verpachtet. Jede Raststätte, im Schnitt kommt alle 60 Kilometer eine, hat jährlich etwa 1,3 Millionen Kunden. An Reisewochenenden gehen locker sechs Zentner Fritten weg, über 1.000 Eis und 5.000 Kaffees. Das Preisniveau erklärt Tank und Rast damit, dass es hohe Kosten verursache, jeden Tag rund um die Uhr optimalen Service zu bieten. Bei normaler Frequenz verkauft die Avia-Tankstelle in Fahrtrichtung Süd pro Tag schon gut 10.000 Liter Benzin.

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Erscheinungsdatum 26.09.2024

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