MISSING :: structure.inactiveTabOverlay
{"irCurrentContainer":"4983132","configName":"structure.inactiveTabOverlay"}

Rolls-Royce Silver Shadow damals und heute
Ein Silver Shadow ist mehr als ein Auto

Inhalt von

Für auto motor und sport-Testredakteur Reinhard Seiffert war der seinerzeit abgehobene Silver Shadow mehr als ein Auto. In seiner Phantasie erwachte der Rolls zum Leben und zeigte vor allem in seinen Schwächen menschliche Züge. Treffend schildert Seiffert den Charakter des Wagens.

Rolls-Royce Silver Shadow, Frontansicht, Kühlergrill
Foto: Frank Herzog

Der Butler öffnet das schwere, schmiedeeiserne Tor. Sir Rolls gleitet lautlos hindurch. Der Butler schließt das Tor. Ein Schuss kracht, im Fond sinkt eine Gestalt getroffen zusammen. Aber Sir Rolls gleitet weiter. Aus so nichtigem Anlass hält er nicht an.

Sir Rolls, mit vollem Namen Rolls-Royce Silver Shadow, ist das renommierteste Auto der Welt. Ein Butler, der für Sir Rolls das Tor öffnet, würde es deswegen noch lange nicht für einen Mercedes 600 öffnen. Und kein anständiger englischer Mörder würde ohne triftigen Grund in einen Mercedes hineinschießen. Eher schon in einen Bentley, denn als Bentley reist Sir Rolls inkognito: komplett, aber ohne Rolls-Royce-Kühler. Ohnehin schätzt Sir Rolls es nicht, von jedermann gleich erkannt zu werden. Er verzichtet auf Chrom und ausladende Formen. Er ist teuer genug, um sich das leisten zu können.

Unsere Highlights

Die Society hält zu Sir Rolls

Von Autotestern hält Sir Rolls nicht viel. Die amerikanische Zeitschrift "Car and Driver" stufte den Rolls-Royce Silver Shadow vor einigen Jahren hinter dem Mercedes 600, dem Cadillac und dem Lincoln erst an vierter Stelle ein und meinte, dass bei den nur halb so teuren Konkurrenten doch einiges mehr geboten würde. Sir Rolls kann über solche kleinlichen Vergleiche nur lächeln. Die Society hält zu ihm. Sir Rolls ist ein Verkaufserfolg. Begehrtestes Karosserieteil ist die „Emily“ auf dem Kühler. In kleptophilen Gegenden (kleptophil – mitnehmefreudig) ist es ratsam, eine zusätzliche Sicherung einzubauen. Wenn dann jemand der Emily um ihren neusilbernen Busen fasst, ertönt umgehend die Kompressorfanfare.

Für eine neue Emily müssen 400 Mark angelegt werden, der Kühlergrill des Rolls-Royce Silver Shadow steht im deutschen Ersatzteilkatalog mit 4.000 Mark verzeichnet. Die Buchstaben RR sind bekanntlich seit dem Jahr 1933 nicht mehr rot, sondern schwarz eingelegt. Das ist das Jahr, in dem Frederick Henry Royce das Zeitliche segnete. Am Heck hat Sir Rolls einen gewaltigen Kofferraum, der sich durch eine niedrige Ladekante auszeichnet. Er öffnet sich aber nicht, wie derjenige des Mercedes 600, auf Knopfdruck von selbst.

Auch in anderen Punkten wurde zum heutigen Stand der Karosseriebautechnik strenge Distanz eingehalten: Die Türen des Rolls-Royce Silver Shadow können nur mit Kraft und vernehmlichem Geräusch geschlossen werden, eine Zentralverriegelung - bei Cadillac und Mercedes selbstverständlich - muss der Rolls-Besitzer trotz erheblich höherem Preis entbehren.

Kompliziertes Klima

Die Motorantennedes Rolls-Royce Silver Shadow reagiert nicht mit Einschalten des Radios, man muss einen besonderen Knopf so lange drücken, bis die gewünschte Antennenstellung erreicht ist. Über vielerlei Knöpfe, Hebel und Klappen lässt sich warme, bei eingebauter Klimaanlage auch kalte Luft in großen Mengen in den Wagen leiten.

Vier Wochen Testzeit reichten nicht aus, um die Beherrschung dieses Systems bis zur Virtuosität zu erlernen. Dass geheime Kräfte am Werk sind, hört man nach jedem Drücken, Drehen oder Ziehen an schnaufenden und zischenden Geräuschen. Die in Leder gebundene Betriebsanleitung des Rolls-Royce Silver Shadow hilft nicht weiter: Wenn man sie gelesen hat, man sich erst recht nicht mehr aus. Aber deshalb braucht niemand zu verzagen: Laut Prospekt hat Rolls-Royce Lehrgänge eingerichtet, "um den Fahrzeugeigentümern oder ihren Chauffeuren behilflich zu sein, sich in der Handhabung von Rolls-Royce und Bentley-Fahrzeugen zu üben".

Sir Rolls ist schweigsam, über seine Leistung spricht er nicht.

Es war nie eine sensationell hohe Leistung, die in Crewe so vornehm verschwiegen wurde. Die alten Sechszylinder-Rolls-Royce bewegten sich höchst gemächlich vorwärts. Der jetzige 6,2-Liter-Achtzylinder hat es ebenfalls nicht überaus eilig. Aber mit Sir Rolls hat man auch nicht den Ehrgeiz, jemandem davonzufahren. Von 0 auf 100 km/h beschleunigt er in 12 Sekunden, als Maximum erreicht er 186 km/h. Das automatische Getriebe ist, um die Schaltvorgänge unmerklich zu machen, zum Hochschalten bei niedriger Drehzahl erzogen: Schon unterhalb von 100 km/h befindet es sich meist im oberen (3.) Gang, und dann ist das Temperament des Rolls-Royce Silver Shadow nicht gerade feurig.

Auf schnelles Fahren kommt es bei dem Rolls-Royce Silver Shadow nicht an, umso mehr aber auf leises: Sir Rolls spricht nicht, Sir Rolls flüstert. Das ist in der Tat eine Besonderheit, die nur wenige Autos der Welt zu bieten haben. Sir Rolls hat manches nicht nötig, eines aber hat er ganz besonders nötig: Benzin. Zweieinhalb Tonnen sind nicht wenig, die Geräuschdämpfung kostet Leistung und Kraftstoff, die Klimaanlage ebenfalls.

Lenkung heißt hier eine ungefähre Beeinflussung der Fahrtrichtung

Die Freude, dieses große Automobil mit der leichtgängigen Servolenkung ohne Mühe dirigieren zu können, wich bald dem Gefühl, dass mit dieser Lenkung höchstens eine ungefähre Beeinflussung der Fahrtrichtung möglich war. Der Rolls-Royce Silver Shadow entwickelte eine ausgeprägte Neigung, allen Unebenheiten der Straße zu folgen.

Von selbst geradeausfahren das gehört leider zu den Dingen, die Sir Rolls nicht nötig hat. Je besser die Straßenoberfläche wurde, um so mehr war Sir Rolls bereit, die Spur zu halten. Auf der Autobahn vermag der Rolls-Royce Silver Shadow die Erwartung, er sei eines der komfortabelsten Reisefahrzeuge der Welt, einigermaßen zu erfüllen. Besonders das geringe Fahrgeräusch trägt dazu bei, aber auch die Ruhe, mit der das gewichtige Auto dahingleitet.

Hohe Fahrsicherheit

Ein Plus ist die Niveauregelung des Rolls-Royce Silver Shadow, die bei leerem und beladenem Wagen auch den Federungskomfort konstant hält. Während sich Sir Rolls in der Komfortfrage noch gerade aus der Affäre ziehen kann, zeigt er sich in der Fahrsicherheit auch ernsteren Prüfungen gewachsen. Versucht man, eine Kurve schneller als üblich zu nehmen, erweist sich Sir Rolls zunächst als Anhänger der Übersteuerpartei: Er schwenkt mit dem Heck nach außen.

Lässt man den Rolls-Royce Silver Shadow mit spektakulärem Driftwinkel um Hockenheims Kurven rennen, was zu seinem vornehmen Habitus natürlich gar nicht passt, scheint er fast so etwas wie ein geheimes Vergnügen zu empfinden. Sir Rolls hat wirksame Bremsen, die in drei Kreise geteilt sind, er hat dicke Diagonalreifen, die auch bei vollbesetztem Auto und beladenem Kofferraum hohes Dauertempo klaglos mitmachen.

Keine Frage: Es gibt Autos mit perfekterer Karosserie, höherer Leistung und besser abgestimmtem Fahrwerk als den Rolls-Royce Silver Shadow, und die sind durchweg billiger. Aber deswegen bleibt Sir Rolls doch Sir Rolls.

Trotz seiner sachlichen Form geriet der Rolls-Royce Silver Shadow zur imposanten Erscheinung. Die distanzierte Kühle, die er zunächst ausstrahlt, weicht einer warmen Geborgenheit, sobald man hinter dem schlichten Bakelit-Lenkrad Platz genommen hat. Wenn per Schlüsseldreh der säuselnde V8 erwacht, wird die Straße zum Wohnzimmer.

Handlichkeit und Erhabenheit

Die Sitzposition hinter dem simplen Zweispeichenlenkrad, das auch aus einem 59er Ur-Mini stammen könnte, ist wahrlich erhaben. Der Fahrer genießt einen wundervollen Ausblick auf die Motorhaube, samt Kühlerfigur Spirit of Ecstasy und Straße. Die Handlichkeit des Rolls-Royce Silver Shadow verblüfft, die extreme Servounterstützung erlaubt ein spielerisches Dirigieren.

Mit seinen modellierten Kotflügelpeilkanten und der markanten Bügelfalte in der Motorhaube lässt sich der große Rolls-Royce Silver Shadow problemlos durchs Münchener Verkehrsgewühl zirkeln. Trotz seines majestätischen Auftritts, der vom wuchtigen Pantheon- Kühler geprägt wird, ist der Silver Shadow gerade einmal so breit wie ein Ford Granada.

Die erste Serie des Rolls-Royce Silver Shadow bis Baujahr 1970 bietet zwar allen erdenklichen Bedienungskomfort, verzichtet aber auf eine Zentralverriegelung. Andererseits öffnen und schließen die Fenster wie von Geisterhand erstaunlich zügig.

Leder von Connolly

Vorn bieten die elektrisch verstellbaren Connolly-Clubsessel höchsten Sitzkomfort, aber wenig Seitenhalt. Die Lenkung des Rolls-Royce Silver Shadow hat viel Spiel um die Mittellage. Es fällt dem Rolls-Neuling zunächst sehr schwer, Kurs zu halten, was keinesfalls am Rechtslenker-Status unseres Fotomodells liegt. Für den 68er Black Shadow ruft Mario Walter aus Gräfelfing nahe München 18 900 Euro auf, ein ehrliches Auto mit liebenswerter Patina und einwandfreier Technik.

Der Silver Shadow – einst mit seiner modernen Konstruktion auf dem Stand der Technik –, verkörpert in Temperament und Habitus den krassen Gegenentwurf zu einer lebendigen, fahraktiven Limousine. Ein ausgewachsener Mercedes 300 SEL 6.3 mutiert im Vergleich zum rasanten Sportwagen, ein vitaler BMW 3.3 Li fährt gar Kreise um das britische Stilmöbel. Selbst ein würdevoll-gediegener Jaguar XJ 6 der ersten Serie wird im Vergleich zum Rolls als extrem dynamisch empfunden.

Kurzhubiger Alu-V8

Rund 180 PS leisten wie zufällig beide Exponate britischen Maschinenbaus. Sie tun dies, ob Jaguar-XJ-Triebwerk oder Rolls-Royce-V8, extrem leise, unauffällig und mit einem kraftvollem Antritt. Konstruktiv trennen sie Welten, ihr Charakter ist seltsamerweise ähnlich. Warum das so ist, bleibt wieder einmal ein britisches Geheimnis.

Hier der Jaguar mit seinem raffinierten DOHC-Langpleuel-Reihensechszylinder, dort der Rolls-Royce Silver Shadow mit kurzhubigem Alu-V8, konstruiert nach amerikanischem Vorbild. Der schöpft wie ein Falstaff aus dem vollen Volumen der 6,2 Liter. Seine beiden kuppelartigen, über ihm thronenden SU-Vergaser fluten die Brennräume gerne mit 100-oktanigem Superbenzin, aktuell für 1,82 Euro pro Liter. Wer zahm fährt, rollt kommod mit 16 Liter auf 100 Kilometer dahin.

Sanftes Gleiten im Silver Shadow

Die Schaltvorgänge der GM 400-Dreigang-Automatik liegen bei derart gemächlicher Gangart unter der Wahrnehmungsgrenze. Vor Baujahr 1968 kam in den Rechtslenkern noch die alte Rolls-Royce Viergangautomatik mit Flüssigkeitskupplung zum Einsatz. Ein Prinzip mit besserem Wirkungsgrad, jedoch härteren Schaltvorgängen - wie es auch bei Mercedes bis 1973 verwendet wurde.

Man muss sich beim Rolls-Royce Silver Shadow nicht einmal zum sanften Gleiten zwingen. Kein Wagen eignet sich besser zum gemächlichen Reisen als dieses Automobil. Der Vorteil dieser ausgeklügelten Langsamkeit liegt in der langen Verweildauer hinter dem Volant. Die holzfurnierte Instrumententafel mit den vielen Registerhebeln für das Kabinenklima ist stets im Blick, sind Öldruck und Temperatur okay? Die Smiths-Uhren melden volle Fahrt voraus. Tempo 120 liegt an, man fühlt sich trotz sanften Säuselns schneller, der Rolls hat sein Wohlfühltempo erreicht. Noch mehr Speed würde Rasen bedeuten.

Unpräzise Lenkung

Wer Geld hat, hat auch Zeit. Theoretisch sind 180 km/h drin, aber die wollen wir dem Rolls-Royce Silver Shadow nicht zumuten. Schnelle Fahrt mit dem Shadow erfordert Konzentration, der Geradeauslauf lässt bei hohem Tempo erst recht zu wünschen übrig. Denn dann pendelt der Chauffeur mit dem Austin-Lenkrad um die Bankette.

Einen Drehzahlmesser gibt es ab 1969 nur im Corniche-Zweitürer, die Limousine muss ohne auskommen. Der Leistungsprüfstand des TÜV-Rheinland hat dem Düsseldorfer Importeur Auto Becker das Rolls-Royce-Geheimnis verraten. "Genügend", wiegelten die Hoflieferanten in Crewe stets mit kühlen Snobismus ab. Dabei liegen eher spärliche 176 PS bei 4.000/min am Drehmomentwandler an, die ein Leergewicht von 2,1 Tonnen Rolls-Royce Silver Shadow stemmen müssen. Das klappt beim Dahinrollen ganz gut, erst beim beherzten Gasgeben wird der behäbige Achtzylinder hörbar, mit fauchendem Atem teilt er sich Sir Rolls not amused mit, ohne je angestrengt zu wirken.

Stattliche Produktionszahlen

Als der Rolls-Royce Silver Shadow 1965 rauskam, war er für Rolls-Royce-Verhältnisse geradezu progressiv. Sachliche Pontonform, selbsttragende Karosserie, Niveauregulierung, hinten Einzelradaufhängung und Scheibenbremsen rundum stempeln ihn zum Revoluzzer gegen das viktorianische Zeitalter der Silver Cloud-Modelle.

Der Rolls-Royce Silver Shadow wird, obwohl er quasi die unprätentiöse Rolle des Strichacht von Rolls-Royce spielt, zum Erfolgsmodell. Drei Serien inklusive des schüchternen Schwestertyps Bentley T und der Dauerbrenner Corniche bringen es bis 1995 auf stattliche 40.556 Exemplare. Auch das ist ein Grund dafür, warum es gute Fahrzeuge heute schon für 20.000 Euro gibt.

Technische Daten
Rolls-Royce Silver Shadow 6.8 V8
Außenmaße5196 x 1827 x 1518 mm
Kofferraumvolumen620 l
Hubraum / Motor6750 cm³ / 8-Zylinder
Leistung147 kW / 200 PS bei 4200 U/min
Höchstgeschwindigkeit187 km/h
Die aktuelle Ausgabe
Motor Klassik 08 / 2024

Erscheinungsdatum 04.07.2024

164 Seiten