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Mercedes Benz 220S
Mode-Schöpfung, zeitlos schön

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Der Mercedes Benz 220 S ist ein Musterbeispiel für Ästhetik und stammt aus einer Zeit, als Mode elegant und nicht provokant war. Außerdem fährt sie sich so gut, wie sie aussieht. 

Mercedes-Benz 220S
Foto: Frank Herzog

Der Aussenspiegel fehlt am Mercedes Benz 220 S. Dieses schöne verchromte Accessoire, geformt wie ein Schwanenhals. Mit der Leichtigkeit eines Singvogels ließ es sich vorne auf dem Kotflügel nieder. Dort, wo die Panoramascheibe die sanft geschwungene Motorhaube berührt. Holger Braun, der Besitzer des schwarzen Mercedes Benz 220 S Automatic, schwört, dass es an seinem Auto nie einen Außenspiegel gab. Denn seine bis heute unrestaurierte und ungeschweisste große Flosse ging 1965 als Exportmodell nach Schweden. Dort herrschten damals noch Linksverkehr und besondere Zulassungsvorschriften.

Unsere Highlights

Große Heckflosse aus Schweden re-importiert

Eine Frontscheibe aus Verbundglas musste sein und Gurtpunkte, der Außenspiegel war offensichtlich entbehrlich. Aber es gibt einen Nachrüstungsbeschluss, denn er ist nicht nur schön, sondern beim Spurwechsel sinnvoll. In der Nähe von Göteborg stöberte der 45-jährige EDV-Kaufmann die alte S-Klasse vor drei Jahren auf. Die heute knapp 95.000 Kilometer auf dem Zählwerk des skurrilen Balkentachos sind authentisch. Ein Abgleich mit dem vollgestempelten Wartungsheft des Mercedes Benz 220 Sb, wie er im Werkstattjargon hieß, beweist dies.

Der Tacho des Mercedes Benz 220 S wurde im Volksmund Fieberthermometer genannt, er hat sich mit den Anzeigen für Tankinhalt, Wassertemperatur und Öldruck verbündet. Sein vertikaler Zeiger wechselt munter die Farben, startet bei gelb bis 50 km/h und ist bis 60 km/h gelb-rot gestrichelt. Mit tiefrotem Tempo 80 fahren wir in Fahrstufe 4 über die Ausfallstraße der Großstadt in die neondurchflutete Nacht.

Das griffige Herrengedeck Lenkrad und Wählhebel, beides im modischen Elfenbeinlook der Nierentischära, wird fleißig bedient. Hier ein Tankstopp – die Zapfpistole muss beim Mercedes Benz 220 S ungewohnt mittig ins Heck gehoben werden -, dort ein Besuch im Schnellrestaurant, der Tisch am Fenster, natürlich mit Blick auf den Wagen. Die imposante Karosserie des Mercedes Benz 220 S weist auch auf der schmalen, ausgefahrenen Drive-In-Spur unbeirrbar den Weg nach vorn. Der Stern dient als Navigationshilfe und Schutzpatron auf allen Straßen. Hydraulisch unterstützt, gehorcht der schwere Wagen willig, aber mit jener bedächtigen Verzögerung den Lenkbefehlen, wie sie nur großen Limousinen eigen ist.

Der Motor des Mercedes Benz 220 S schnurrt ruhig, beim kräftigen Gasgeben stemmt er sich spürbar in die weiche Aufhängung. Doch Tempo 140 bleibt in dieser entspannten Nacht ferne Utopie. Das ist die Grenze der Kultiviertheit, danach erhebt er drohend seine Stimme. Noch dominiert das charakteristische Zirpen der alten Mercedes-Sechszylinder, gefolgt von einem leisen Pfeifen und sonoren Grummeln bei höheren Drehzahlen.

Der Zweivergaser-Motor vom Typ M180 ist als Querstrom-Verächter mit vier Kurbelwellen-Lagern kein Sonnyboy, sondern ein kerniger Geselle mit sportlicher Akustik und athletischer Literleistung. Dessen rustikale Manieren hat die Viergang-Automatik im Mercedes Benz 220 S übernommen. Die Schaltvorgänge teilen sich über einen deutlichen Ruck mit, vor allem wenn im Leerlauf auf „4“ oder auf „R“ geschaltet wird und nach drei Gedenksekunden der Vortrieb abrupt einsetzt. Doch dieser Fauxpas sei ihr verziehen. Denn seit der W123 das Amt des letzten echten Mercedes hartnäckig bekleidet, wissen wir erst, was wir an der Heckflosse haben: Einen wirklichen Mercedes-Klassiker im Stil der sechziger Jahre.

Passive Sicherheit trifft auf zeitlose Schönheit

Harmonie trifft beim Mercedes Benz 220 Sb auf Glamour, ein spannender Kontrast, verkörpert durch eine prächtige, mit großen Leuchten vorne und hinten geschmückte Trapezform. Die eher schüchternen, aber trotzdem verchromten Flossen blieben ebenso wie die zart angedeuteten Panoramascheiben „in Rufweite der Mode“, wie es Karl Wilfert, Leiter der Abteilung Karosserie-Entwicklung, so treffend formulierte. In korrektem Daimler-Jargon heißen sie Peilstege, weil sie dem Fahrer Orientierungshilfe beim Rückwärtsfahren bieten, denn das Heck des Mercedes Benz 220 S ist ein weites Land.

Ihr Design folgt nicht nur auf hinreißende Weise dem damaligen Schönheitsideal, sondern auch auf vorbildliche Art der passiven Sicherheit. Mit programmierten Knautschzonen, Sicherheits- Zapfenschlössern, einer teleskopartig einschiebbaren Sicherheitslenkung und dem entschärften, weil gepolsterten Armaturenbrett, unter dem nur noch die Stockhandbremse wie eine Lanze hervorlugte. Béla Barényi und Karl Wilfert gaben für den Mercedes Benz 220 S eine strenge, wissenschaftlich erforschte Karosseriestruktur vor.

Die Stilisten Friedrich Geiger und Paul Bracq verstanden es, sie beim Mercedes Benz 220 S mit verspielter Leichtigkeit zu tarnen. Beim Strichacht dominiert nüchterne Funktionalität, ein konsequenter Weg, den der leicht schwülstige W123 wieder verlässt. Der scheint immer noch am nächsten Taxistand zu warten, oder er steht drüben beim Gebrauchtwagenhändler. Wo er in zehn Jahren und mit 100.000 Kilometern mehr immer noch die gleichen 1.900 Euro kostet, weil der 123er seine eigene Währung ist.

Seine Dauerpräsenz als Sympathieträger im Fernsehen suggeriert, dass er auf ewig Gast in deutschen Garagen sein wird. Die Heckflosse ist dort schon längst ausgezogen. Sie ist zwei Generationen älter, „nur“ eine knappe Million sind von den eleganten Wagen mit der so genannten Einheitskarosserie gebaut worden, vom volkstümlichen Zweiliter-Diesel mit 55 PS bis zu den luftgefederten 112er-Luxusmodellen 300 SE und 300 SE lang.

Großzügiges Raumangebot

Vom W123 liefen 2,7 Millionen Exemplare vom Band. Nach dem Wohlstand für alle folgte der Mercedes für Jedermann: Stilistisch von der S-Klasse abgeleitet, im Design jedoch raffiniert verkleinert, statt einfach nur verkürzt wie einst der 190. Eine Heckflossen-Limousine, ganz gleich ob kleiner Vierzylinder-Typ 190 oder das vor der A-Säule um 14,5 Zentimeter längere Sechszylinder-Modell Mercedes Benz 220 S ist dagegen selbst auf Oldtimer-Rallyes und Mercedes-Clubtreffen ein eher seltener Anblick. Die bildschönen Coupés, ob Hoch- oder Flachkühler, stehlen dort den Limousinen die Schau.

Ab 1965 löste der kleine Vierzylindertyp 200 den 190 ab. Der gleichzeitig präsentierte Mercedes 230 packte den Sechszylinder sogar unter die kurze Haube der kleinen Flosse. Er firmiert folgerichtig als W 110 mit zunächst 105 PS Leistung, später 120 PS. Der Mercedes 230 S durfte noch zwei Jahre als Auslaufmodell im S-Klasse-Offiziersrang parallel zum 250 S/SE regieren. Solch seltsame Zwittermodelle hatten bei Daimler-Benz stets Tradition.

Der Mercedes 219 etwa, ein kleiner Ponton mit Sechszylindermotor, war solch ein Vertreter-Wagen, genau wie sein Nachfolger Mercedes Benz 220b. Formal und technisch eine vollwertige S-Klasse mit den schmalen Rückleuchten des Mercedes 190 und gedrosselten 95 statt 110 PS.

Mit sattem Abrollgeräusch saugen sich die schmalen 175er-Reifen des Mercedes Benz 220 S an der trockenen Fahrbahn. Geschmeidig rollt der Mercedes Benz 220 S über den Asphalt. Großer Fahrkomfort ist eine Tugend des aufwendigen Mercedes-Fahrwerks mit vorderer Doppelquerlenker- und hinterer Pendelachse. Sein Grenzbereich bleibt lange neutral. Zwei Kreisverkehre werden forsch genommen.

Die elegante Silhouette des Mercedes Benz 220 S spiegelt sich im abgehackten Stroboskoplicht des gläsernen Tunnels. Das großzügige Raumgefühl im Mercedes Benz 220 Sb ist außergewöhnlich, es schließt Geborgenheit nicht aus. Die Sitze sind vorne straff , aber hinten zu nachgiebig, ihre Stoffbezüge wirken eher strapazierfähig als behaglich. Zum dunklen Holz des Interieurs würde Leder oder Velours besser passen. Den edlen Wollstoff gab es serienmäßig nur für den doppelt so teuren Mercedes 300 SE lang mit Leichtmetallmotor und Luftfederung.

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Erscheinungsdatum 04.07.2024

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