Das Auktionshaus Artcurial versteigert am 7. Februar während der Rétromobile in Paris einen seltenen Kompressor-Mercedes. Das 1929 gebaute Chassis des 710 SS 27/140/200 PS wurde 1930 auf der New York Motor Show ausgestellt und bekam 1931/32 eine Karosserie, die heute dem französischen Karosseriebauer Fernandez & Darrin zugeschrieben wird. Hinweise darauf geben laut Artcurial die Form der Kotflügel, die so auch an Duesenbergs und Hispano-Suizas zu finden sei, sowie zeitgenössische Texte und Details an der Karosserie. Typisch Kompressor-Mercedes sind die chromglänzenden Auspuffrohre auf der rechten Seite der Motorhaube.
Anfangs war der Mercedes weiß lackiert
In Weiß mit rotem Leder wurde der Wagen an seinen ersten Besitzer in Washigton DC ausgeliefert. Mehrere Besitzerwechsel später kam das Auto zu einem Mr Pitcairn, der den Mercedes länger behielt und von 1956 bis 1957 restaurieren ließ. Dabei bekam die Karosserie eine schwarze Lackierung. Das Auto tauchte 1987 in einem Zeitschriftenartikel auf und wurde 1993 in einem Automagazin zum Kauf angeboten. Zuletzt kam es 2009 zu einem Käufer nach Deutschland, der bei Mercedes-Benz Klassik ein Zertifikat erstellen ließ. Der Motor wurde 2016/2017 überholt und seither 50 Kilometer gefahren. Den Wert des Autos schätzt Artcurial auf 6 bis 8 Millionen Euro. Bieter müssen sich mindestens 48 Stunden vor der Auktion in einem speziellen Verfahren registrieren.
Der Motor: 6 Zylinder, 7 Liter, Kompressor
Nur zwei Jahre lang baute Mercedes den SS 27/140/200 PS. Ab 1930 leistet der Motor ohne Kompressor 160 PS. Entsprechend änderte sich ab 1930 die Modellbezeichnung: 27/160/200 PS. Die Spitzenleistung mit zugeschaltetem Roots-Kompressor bleibt bei 200 PS. Der Motor mit dem internen Kürzel M 06 hat sieben Liter Hubraum und ist mit einem Bohrungs-Hub-Verhältnis von 100x150 mm sehr langhubig ausgelegt. Die Leistung ohne Kompressor (bis 130: 140 PS) liest sich weniger beeindruckend als das Drehmoment von 45,9 mkg bei 1920/min – das entspricht 450 Newtonmeter. Eine über Königswelle und Schraubenräder angetriebene, obenliegende Nockenwelle steuert die zwölf Ventile – je Zylinder eines für Ein- und Auslass. Zwei Steigstrom-Ringschwimmer-Vergaser versorgen den Reihensechszylinder mit zündfähigem Gemisch. Die Tankgröße von 120 Litern deutet an, dass der Verbrauch nicht eben gering war. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 200 km/h.
Rennerfolge mit Carraciola am Steuer
Mercedes fuhr mit dem Sechsliter-Kompressor Rennen. Rudolf Carraciola und Otto Merz steuerten die Wagen bei der International Tourist Trophy. Am 17. August 1929 gewann Carraciola auf dem Ards-Rundkurs bei Belfast die Klasse bis acht Liter Hubraum, fuhr die beste Zeit des Tages, einen Strecken- und einen Rundenrekord. Merz belegte den zweiten Platz in der Klasse.
Der Mercedes 710 SS im Film
Im 1932 erschienen Tonfilm „Lied einer Nacht“ fährt der Tenor Jan Kiepura einen Mercedes-Benz 710 SS von 1928 mit zweitüriger Cabriolet-Karosserie.
Fazit
Rennerfolge, Messeauftritt, Ausnahme-Fahrleistungen: Die Besonderheit eines Kompressor-Mercedes ist schnell erklärt. Kein Wunder, dass dieses Exemplar mehrere Millionen kosten soll. Mal sehen, wie hoch die Gebote steigen und bei welchem Concours d'Elegance das Auto auftaucht. Wenn der Schätzpreis bezahlt wird, hat dieser Kompressor-Mercedes gute Chancen, eines der teuersten Auktionsautos 2020 zu werden.