Mercedes 450 SEL 6.9 im Test: Das beste Auto der Welt?

Mercedes-Benz 450 SEL 6.9
Luxuslegende von 1975 im Test

ArtikeldatumVeröffentlicht am 17.08.2025
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Wovon wirst du einmal stolz sagen können, dass du dabei gewesen bist? Und wovon, müsstest du aus all dem wählen, was du erlebt hast, bis genau jetzt, betrachtet im ersten Licht, das dem neuen Tag am Rande des Dunkels der Nacht graue Konturen schenkt?

Aha, denkst du, es ist mal wieder so weit. Erst das Flackerlicht der Tiefgarage, die endgültige Schwere, mit welcher der Türschlag ins Zapfenschloss fällt, der Schlüsseldreh, das Auftakten der acht Zylinder, ihr Widerhall von kahlen Wänden, die Fahrt zum Rolltor, durch das laternenschillernde Dunkel der Stadt auf die A 81. Endlich die Kilometer nach Boxberg, auf denen die Gedanken kreisen und reisen – in die Zeit, in der ein neues Auto noch ein Ereignis ist. Wie im Mai 1975, als der 450 SEL 6.9 den Rang des Spitzenmodells der Baureihe W 116 einnimmt. Mercedes hat ihn eher fertig, verschiebt das Debüt aber, bis sich die ölkrisengedrückte Stimmung zu Kraftwagen mit riesigen V8-Motoren aufhellt. Dann aber ist der 6.9 da – plötzlich, unverhofft, ein Ereignis, eine Sensation.

Mit besten Größen

Was ihn dazu erhebt? Erzählen wir gerne – mal sehen, ob die Reisezeit reicht. Denn der 6.9 mag zunächst als der Nachfolger des 300 SEL 6.3 der Vorgänger-Generation erscheinen – wobei es schon da einfachere Nachfolgen anzutreten gäbe. Doch ist er viel mehr – nach dem Test in Heft 21/1975 "Das beste Auto der Welt". Anders als der etwas selbstdarstellerisch daherkommende 6.3 unterscheidet sich der 6.9 äußerlich kaum vom 61 PS schwächeren, 25.000 DM günstigeren 450 SEL. Die Ingenieure verräumen alle Extravaganz diskret unter der Karosserie der 10 cm gereckten Langversion. Schließlich bewegt der 6.9 Kreise, in denen man nicht vorn links einen Wagen lenkt, sondern vom Fond aus die Geschicke von Konzernen oder Ländern. Im veloursgepolsterten Salon reisen solche Herrschaften serienmäßig klimatisiert und kopfgestützt.

Mercedes-Benz 450 SEL 6.9, Rückbank
Hans-Dieter Seufert

Das Fahrwerk steigert die abgeschiedene Behaglichkeit. Der 6.9 federt hydropneumatisch, an der Diagonal-Pendel-Hinterachse (vom /8) doppelt so weich wie der stahlgefederte 450 SEL, an der Querlenker-Vorderachse um 50 Prozent weicher. Schlauchleitungen verbinden jeweils die Feder-Dämpfer-Elemente einer Seite, die von zwei Reglern befehligte Druckölanlage hält das Karosserieniveau über die Querstabis konstant.

Das Hydrauliköl ist für Drücke bis 175 bar ausgelegt. (Entspricht 177,45 atü. Und sind es nicht solch exakten Kenntnisse, mit denen Sie beim Straßenfest als Neu-Zugezogener so gleich den Rang einer der Akkuratesse und Sorgfalt zugeneigten Bereicherung der Nachbarschaft erlangen? Da wird man Ihren Antrag, eine einheitliche Rasenschnitthöhe und Heckenbewuchsdichte einzuführen, gewiss zu würdigen wissen.)

V8-Power, die unter die Haut geht

Nun der V8: Er basiert auf dem des 6.3, vier Millimeter mehr Bohrung steigern das Volumen auf 6.834 cm³, die Leistung steigt auch durch das Mischgeschick der mechanischen Benzineinspritzung auf 286 PS. Für die Monumentalität des Drehmoments kramen wir die schöne Einheit Meterkilogramm hervor, gipfelt es doch bei 56 mkg, sinkt von 1.000 bis 4.200/min nie unter ein Hochplateau von 50 mkg (in Nm? 550 und 491). Das Überborden des trockensumpf-geschmierten V8 reicht die Dreigang-Wandlerautomatik nach hinten an ein Sperrdifferenzial. Durch dessen 40-prozentige Wirkkraft erführe die Überforderung der beiden Michelin XWX eine gewisse Abschwächung – ließest du es darauf ankommen.

Mercedes-Benz 450 SEL 6.9, Motor
Hans-Dieter Seufert

Doch das zeugte von Missverstehen. Du räumst all die Leistung und Kraft nicht aus einer Überhollaune ab wie ein Girokonto samt Dispo. Das Vermögen des V8 verstehe man als eine Anlage, bei der allein die Leerlaufdividende ein überaus entspanntes Tempo-Auskommen sichert.

Das soll nun reichen; da vorn, die Ausfahrt, dreimal rechts, dann siehst du sie dastehen, die zwei von der Tankstelle. Natürlich kamen sie eher, Hans-Dieter und Otto. Also: tanken, rüber auf die Waage. Die bescheinigt 1.939 kg. So ließe sich ein Leistungsgewicht von 6,78 kg/PS ausrechnen, was aber eine Zahl ohne nennenswerten, nun, Wert darstellte.

Viel interessanter sind die Werte, die wir nach dem Einbau der Messelektronik erheben: Jene der vorauseilenden Umsicht des Tachometers, lieber etwas mehr anzuzeigen, auf dass es gelinge, nicht immerzu die Geschwindigkeits-begrenzungen allzu sehr zu überrauschen. Oder jene der unverhofften Präsenz, die sich der V8 mit seinem Klangvolumen bei den Innengeräusch-messwerten zu verschaffen vermag. Oder jene der Verzögerungsleistung, bezeugt sie doch, dass die 1970er eine Zeit großen Optimismus gewesen sein müssen, wenn selbst die Mercedes-Entwickler meinten, dass die vier Scheiben mit 8,16 m/s² Verzögerungskraft dem Ungestüm des 6.9 Einhalt gebieten können.

Ein Concördchen mitreden

Als die Strecke von der Steilkurve zur Geraden abflacht, stoppt Otto. Zwei, drei kurze Gasstöße durchzucken Motor und Vorderwagen, an dessen Rand, knapp vor dem Horizont, bebt der Stern. Otto drückt den linken Fuß auf die Bremse, spannt den Antriebsstrang mit rechts durch sachten Druck aufs Gas vor. Fuß von der Bremse, der Stern reckt sich himmelwärts, bis Anfahrmoment-abstützung und Hinterreifen greifen und der SEL sich vorandrückt. Da die Achse wegen der Durchzugsepik des V8 lang, jede Stufe der Automatik noch länger gestuft ist, ereignet sich erst kurz vor 100 km/h der erste der ohnehin auf zwei beschränkten Schaltvorgänge. Gleich darauf sind sie vollbracht, die Null-Hundert – in 8,3 s. 0,1 s langsamer als beim Test 1975. Bis 140? Plus 0,5 s – ein Zehntel pro Jahrzehnt, was die Belanglosigkeit dieses Wertes in recht angemessene Relation setzt.

Mercedes-Benz 450 SEL 6.9, Cockpit
Hans-Dieter Seufert

Einst beschleunigt den 6.9 solch Eilfertigkeit in eine andere Dimension. Es ist die Zeit, in der ein schnelleres Auto einen wirklichen Unterschied macht. Der W 116 konkurriert mit Flugzeugen – als Reisemittel für Menschen, deren Zeit Geld ist.

Die reisen in konzentriertem Komfort. Wir fahren mit dem 6.9 über die Schlechtwegebahn acht – nach ihren 250 m über tiefschürfende Krater und hochragende Brocken könntest du das eine oder andere neuere Auto in Teilen zusammenfegen. Der Mercedes überflauscht die Bahn. Sein Federungskomfort war, ist, bleibt: unfassbar, unerreicht, überragend. Dass er den Slalom mit indirekter Lenkung und weichem Set-up schwankvoll durchkurvt? Bestärkt nur seine Bestimmung als Wagen für jene, die großen Zielen stets geradewegs entgegenstreben.

Mercedes-Benz 450 SEL 6.9
Hans-Dieter Seufert

Unser Bestreben gilt noch der Vermaßung des großflächigen Innenraums. Dann packen wir ein. Schlüsseldreh, der Öldruckmesser springt knapp vor die drei, signalisiert damit Abfahrtbereitschaft wie vor dem ersten der mittlerweile 649.580 km. Auf seinem langen Weg war der 6.9 Zeuge der Zeiten, in denen das geschrieben wurde, was wir heute Geschichte nennen. Der 450 SEL ist ein Teil von ihr, aber einer, der über Vergangenheit und Gegenwart hinausreicht – in eine Zukunft als Ewig-Bestriger.

Technische Daten
Mercedes 450 SEL 6.9
Außenmaße5060 x 1870 x 1410 mm
Kofferraumvolumen579 l
Hubraum / Motor6834 cm³ / 8-Zylinder
Leistung210 kW / 286 PS bei 4250 U/min
Höchstgeschwindigkeit225 km/h