Hauptuntersuchung ohne Blinker und Sicherheitsgurte: Wie ist das möglich?

Mercedes Benz Victoria
TÜV ohne Blinker und Sicherheitsgurte?!

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Veröffentlicht am 07.07.2025

Ein kleiner Steinschlag in der Windschutzscheibe, ein defektes Rücklicht oder das Standlicht glimmt nicht hell genug – und schon fällt der Wagen bei der Hauptuntersuchung durch. Für viele Autofahrer ist das ein Ärgernis, vor allem wenn man bedenkt, dass es sich oft nur um Kleinigkeiten handelt, die mit ein paar Handgriffen oder Euro zu beheben wären.

Umso überraschender: Es gibt Fahrzeuge, die weder Sicherheitsgurte noch Blinker oder gar Bremslichter besitzen – und dennoch ganz offiziell den TÜV bestehen. Wie passt das zusammen? Die Antwort liegt tief verankert in der deutschen StVZO. Dort heißt es: "Maßgeblich für die Beurteilung der Vorschriftsmäßigkeit eines Fahrzeugs ist grundsätzlich der Zeitpunkt seiner Erstzulassung."

Die StVZO teilt in Epochen

Während die Prüfer moderne Fahrzeuge bei der Hauptuntersuchung nach einem klaren technischen Regelwerk beurteilen, gilt für gewisse Oldtimer ein anderes Prüfprinzip. Der Maßstab ist nicht der aktuelle Stand der Technik, sondern der Zustand, den das jeweilige Fahrzeug zur Zeit seiner Erstzulassung hatte. So ist es im § 29 der StVZO geregelt. Dieser berücksichtigt, in welchem Jahrzehnt ein Fahrzeug gebaut wurde und was damals als Stand der Sicherheitstechnik galt.

Ein Beispiel: Fahrzeuge, die vor Einführung der gesetzlichen Gurtpflicht (ab 1970 bei Neuwagen) gebaut wurden, müssen keine Gurte nachrüsten. Dasselbe gilt für Blinker – sie sind erst seit den 1960er-Jahren verpflichtend. Davor reichten Winker oder gar Handzeichen. Und noch früher? Da war der Blickkontakt mit dem Kutscher das Maß aller Dinge.

Der TÜV-Prüfer beurteilt solche Fahrzeuge deshalb nach den maßgeblichen Vorschriften ihrer Epoche. Alles, was zum Baujahr des Wagens gehörte – selbst wenn es nach heutigen Maßstäben fahrlässig wirkt – ist dann auch zulässig. Entscheidend ist nur: Das Fahrzeug muss sicher funktionieren, nach den Maßstäben seiner Zeit.

Diese Sonderregelung verlangt nach dem H-Kennzeichen

Für diese freizügige Behandlung braucht der Oldtimer in der Regel ein H-Kennzeichen. Dieses signalisiert, hier fährt ein "kraftfahrzeugtechnisches Kulturgut". Die Voraussetzungen für das begehrte "H" sind streng: Das Fahrzeug muss mindestens 30 Jahre alt sein, sich in einem originalgetreuen, gut erhaltenen Zustand befinden und darf keine stilfremden Umbauten aufweisen. Wer diese Kriterien erfüllt, erhält nicht nur steuerliche Vorteile, sondern auch Sonderrechte bei der HU.

Der Benz Victoria

Ein Beispiel für diese Sonderregelung ist der Benz Victoria von 1893. Dieses Fahrzeug ist gewissermaßen der Ur-Ur-Großvater des modernen Automobils. Kein Gurt, kein Blinker, kein Bremslicht – ja nicht einmal ein Lenkrad. Und dennoch darf der Victoria ganz legal auf Deutschlands Straßen fahren.

Der vierrädrige Benz war eine Weiterentwicklung des berühmten dreirädrigen Patent-Motorwagens. Als Antrieb kommt ein liegender Einzylinder mit etwa drei PS Zum Einsatz. Statt eines Lenkrads hat er eine Lenkachse, und der Aufbau erinnert stark an eine Pferdekutsche. Komfort gibt es hier kaum, ebenso wie Sicherheit. Man braucht Vertrauen in die damalige Technik. Dennoch erfüllt dieser gut restaurierte Benz Victoria alle Anforderungen an ein H-Fahrzeug – und besteht damit auch die Hauptuntersuchung.