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Delage 6.11N Coach
Adieu, ma belle

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Delage galt als gute Wahl - doch das ist lange her. Schon 1935 strauchelte die große Marke. Kurz bevor es zu Ende ging, stellten die Franzosen den 6.11 vor - ein eleganter, schneller und solider Wagen. Das ist er heute noch.

Delage 6.11 N Coach
Foto: Mutschler, Hardy

Uralt ist dieser Trick. Was heute beim Chrysler 300 wie ein Top Chop aussieht - dieses niedrige Fensterband, das ihn so grimmig auftreten lässt, war bei Delage schon vor über 70 Jahren gestaltendes Element. Markant, nur ungleich eleganter, und: beeindruckend lässig. Das konnte Delage. Gute Autos bauen, die voller Esprit waren. Nichts davon hat dieser Sechszylinder bis heute verloren. Die letzten Jahrzehnte überlebte der Delage 6.11 N weit gehend unberührt.

Unsere Highlights

Moderne Konstruktion

Vielleicht ist der Delage 6.11 N so präsent, weil er nie auf links gedreht und restauriert wurde. Seit Monsieur France, so hieß der Erstbesitzer wirklich, seinen Delage Mitte der sechziger Jahre abgab, hat sich der Zustand des Wagens vermutlich kaum verändert. Warum Monsieur France aus Paris sich 1934 für einen Delage 6.11 N entschieden hatte, bleibt im Verborgenen. Der Buchstabe N stand für die Normalausführung. Delage soll zudem einen S als sportivere Variante angeboten haben. Dessen Linie muss noch niedriger, noch impressiver ausgefallen sein. Aber die Wahl ist leicht zu verstehen, wenn man den Wagen startet.

Stark und angenehm fährt sich der Delage 6.11 N, sehr sanft obendrein. Gemessen an den Angeboten jener Zeit lief sein Motor seidenweich, zudem bot er mit rund 2,1 Litern Hubraum eine mehr als respektable Leistung von zirka 62 PS bei 4.000/min. Etwa 115 km/h erreichte der Delage damit - er galt seinerzeit als schneller Wagen. Das hohe Leistungsniveau verdankte er unter anderem den Ventilen, die er bereits im Zylinderkopf trug. Den nahezu quadratisch ausgelegten Sechszylinder hatten die Delage-Ingenieure Albert Lory und Maurice Gaultier selbst entworfen. Sie besaßen reichlich Erfahrung, wie eloquente Reihenachtzylinder und irrwitzige Renntriebwerke bewiesen.

Grand-Prix-Sieg mit Reihenachtzylinder anno 1927

Ein V12 mit nur zwei Litern Hubraum zum Beispiel, der 1925 dank zweier Kompressoren 190 PS leistete, oder - wenig später - ein dem neuen Klassement folgender 1,5-Liter-Reihenachtzylinder, mit 170 PS bei 8.000/min. Mit ihm gewann Delage 1927 die Grand-Prix-Weltmeisterschaft. Die Marke funkelte wie ein Edelstein. Doch der Absturz kam schnell, trotz hoher Qualität und exquisiter Technik. Die Strudel der Weltwirtschaftskrise hatten die reichen Kunden mit sich gerissen, die Nachfrage nach Fahrzeugen von Delage brach ein, zugleich war die Kapitaldecke der Firma dünn geworden. Was nicht der Rennsport aufgezehrt hatte, verbrannte Patron Louis Delage, der lustvoll dem feudalen Leben seiner Klientel nacheiferte. 

Hektische Modellwechsel, hohe Preise

Fahrig blieb die Modellpolitik. Ständig lösten neue Typen kaum eingeführte ab. Man experimentierte mal mit Frontantrieb, mal mit einem aufgeladenen V12-Flugtriebwerk, verzettelte sich heillos unter einem autokratischen, aber konzeptlosen Louis Delage, der sich zudem Perfektion auf die Fahnen geschrieben hatte. Alles geriet aus dem Ruder. Das war Anfang der dreißiger Jahre. Nur eine letzte Chance blieb. 1932 schob man hektisch drei neue Modelle an, die endlich Stückzahlen bringen sollten: je einen Vier-, Sechs- und Achtzylinder. Immenser Aufwand war nötig, um die Produktion umzustellen. Besonders auf den D 6.11 setzte Delage. Er war stark, gut verarbeitet, allerdings nicht ganz preiswert. Volksnähere Hersteller wie Citroën oder Renault boten ähnliche Fahrzeug-Konfigurationen bereits für etwa die Hälfte des Delage-Tarifs. Allerdings fehlte den Konkurrenten in der Regel Klasse und Raffinement, auch in der Technik. Der Fahrzeugbau jener Jahre setzte auf bewährte Lösungen wie Starrachsen. Delage war einen Schritt weiter.

Die vorderen Räder des Delage 6.11 N waren an Dreieckslenkern einzeln aufgehängt, was die Werbung unterstrich: Eine überragende Fahrstabilität und beste Spurtreue attestierte Delage seinem Hoffnungsträger. Das stimmte. Zu seiner Zeit zählte der Delage 6.11 N zum Fortschrittlichsten, was es in diesem Segment zu kaufen gab. Ein tiefer Schwerpunkt, dazu eine fast ausgewogene Gewichtsverteilung zwischen vorn und hinten sicherten dem Wagen ein Handling, das unter den Fünfsitzern jener Tage als sportlich galt.

Vier unsynchronisierte Gänge sortiert der Fahrer im Delage 6.11 N mit etwas Geduld, und selbstredend stammt auch dieses Getriebe wie die Hinterachse von den Zeichenbrettern der Delage-Ingenieure. Nichts kam von der Stange. Die Ansprüche des Patrons waren erst bei einer Fertigungstiefe befriedigt, die sich an die 100-Prozent-Marke schmiegte. Man produzierte eigene Zündkerzen und Vergaser, wenn auch in Lizenz. Wer nach Perfektion strebt, delegiert nicht gern. 

Schmachvolle Übernahme durch Delahaye

Automobile wie der Delage 6.11 N sind Zeugen dieser konsequenten Linie. Selbst der drohende Untergang bot nicht genug Argumente für Kompromisse. Louis Delage zahlte teuer dafür, seine Egozentrik und sein mangelnder wirtschaftlicher Weitblick ließen sein Unternehmen straucheln. La belle voiture française, das schöne französische Auto, textete Delage kurz vor dem Ende noch in Anzeigen. Sie lobten die perfekte Stille und das Fehlen jeglicher Vibration. So gut sei der Motor gelagert, der mit deutlich stärkeren Automobilen mithalten konnte.

Wer heute das Vergnügen hat, mit dem Delage 6.11 N  des Monsieur France zu fahren, erfühlt seine Finesse in allen Details. Es sind noch die gleichen Polster, auf denen Monsieur France einst saß. Ihr Stoff hat durchgehalten, etwas brüchig ist er, aber noch der alte. Das gilt für die Instrumente und die Schalter, selbst für das Glas, das im Heck keinen Durchblick erlaubt, so vergilbt ist seine Folie. Allein das Ansehen bereitet Vergnügen.

Die Coach-Karosserie des Delage 6.11 N, vermutlich von Letourneur & Marchand entworfen, beherrscht das Spiel mit Flächen und Proportionen. Denn so niedrig, wie er scheint, ist der Delage 6.11 N gar nicht: Das flache Glasband täuscht über die wahren Dimensionen hinweg. Das Aufbäumen jedoch war eine vergebliche Mühe. Der ersehnte Erfolg blieb aus, und Louis Delage, dem autokratischen Fabrik-, Schloss- und Yachtbesitzer, entglitt sein Lebenswerk. 1935 gehörten Namen und Werk dem Mitbewerber Delahaye. 1946, im Jahr vor seinem Tod, soll der Patron einsam vor seinem einstigen Showroom auf der Pariser Champs Elysées gestanden haben, schäbig gekleidet und eine zersplitterte Brille vor den Augen. Seinen rauschenden Traum, das wusste er, hatte er gelebt. Doch der war längst Geschichte. 

Technische Daten
Delage 6.11 N Coach
Außenmaße4450 x 1750 x 1500 mm
Höchstgeschwindigkeit115 km/h
Die aktuelle Ausgabe
Motor Klassik 09 / 2024

Erscheinungsdatum 08.08.2024

164 Seiten