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Borgward 2,3 Liter im Fahrbericht
Borgwards letzter Großer Wagen

Inhalt von

Der Borgward P 100 war die letzte Blüte vor dem eiskalten Ende. Der Borgward-Konkurs stoppte jäh die Karriere des luftgefederten Flagschiffs. Der Große Borgward will mehr sein als ein Souvenir für Sentimentale. Er ist ein Erlebnis.

Borgward 2,3 Liter, Frontansicht
Foto: Frank Herzog

Der Borgward P 100, diese repräsentative Limousine in modischer Trapez-Form, könnte auch von Pininfarina sein. Ein Schuss Lancia Flaminia oder Peugeot 404 mischt sich mit ihren eigenwilligen Linien, die der Chef selbst gezeichnet hat. Der große 2,3 Liter - mit Luftfederung und Sechszylinder Sinnbild des ingeniösen Ehrgeizes von Firmenpatriarch Carl Friedrich Wilhelm Borgward - war der schöne Schwan der sterbenden Marke aus Bremen.

Unsere Highlights

Borgward mit Luftfederung - noch vor Mercedes_Benz 600

Bei seiner Premiere auf der IAA 1959 erregte der Borgward P 100 großes Aufsehen. Aufwendige Technik fand in seltenem Gleichklang zu einer attraktiven Form. Die erste Alternative zu Mercedes 220 S und Opel Kapitän wurde gebührend mit Kaufabschlüssen gefeiert.

Der neue Große Borgward, konsequente Oberklasse-Fortsetzung der bezaubernden Auto-Schönheit Isabella, brachte binnen kürzester Zeit einen enormen Image-Gewinn. Selbst Daimler-Benz-Chefkonstrukteur Fritz Nallinger war neidisch auf die deutsche Premiere der Luftfederung, die für die neuen Repräsentationswagen Mercedes 600 und 300 SE bereits im Versuch lief.

Wie so manches ultimative Komfort-Attribut jener Tage kam die Luftfederung des Borgward P 100 aus den USA. Der 56er Cadillac Eldorado Brougham fuhr bereits niveaureguliert auf kompressorgefüllten Luftbälgen. Aber das System war unausgereift und anfällig. Ein Desaster für die Kunden.

Borgward parierte die simultane Mercedes-Herausforderung in Gestalt der großen Flosse mit dem P 100. Er konnte einen neuen strahlenden Stern in seinem Bremer Auto-Universum gut gebrauchen. Der Ruf des Borgward-Gruppe war durch die heftigen Kinderkrankheiten der zu anspruchsvoll gebauten Arabella ausgerechnet im Umsatz-Rekordjahr 1959 heftig ins Gerede gekommen.

Borgward: In zwei Jahren vom Zenit in den Untergang

Doch der zukunftsträchtige Borgward P 100, wie die 2,3-Liter-Limousine intern genannt wurde, konnte das Blatt nicht mehr wenden. Das Wirtschaftswunder entlässt seinen ersten großen Helden, Carl F. W. Borgward galt als Archetyp des Industriekapitäns.

Zwei Jahre später war ausgerechnet die fortschrittliche, hübsch gezeichnete Arabella der Sargnagel des Borgward Konkurses. Strukturprobleme, Zahlungsschwierigkeiten und eine falsch ausgerichtete Modellpolitik der drei teilweise konkurrierenden Marken Borgward, Goliath-Hansa und Lloyd führten in nur zwei Jahren vom Zenit in den Untergang. Der Große Borgward konnte seine Strahlkraft nicht mehr entfalten. Er wurde nach nur knapp 2600 im Werk Sebaldsbrück gebauten Exemplaren mit in den Abgrund der spektakulären Borgward-Pleite gerissen.

Die nagelneuen Werkzeuge, Pressen und Werkzeugmaschinen für den Borgward P 100, die noch vier Jahre zuvor rund 78 Millionen Mark verschlungen haben, wurden 1963 in Holzkisten gepackt und nach Mexiko verschifft. Dort wollte ein Industrie-Konsortium den großen Wagen weiterbauen, ihn auch in die USA exportieren, zu Hunderttausenden.

Auch die zweite Karriere des Borgward P 100 scheiterte

Ein tragischer Fehlstart verhinderte ein zweites Mal die Karriere des P 100, nur vier Jahre lang lief er in Mexiko vom Band. Als 230 GL ohne die komplexe Luftfederung und als Basistyp 230 ohne die kessen Heckflossen. Es waren mit knapp 2.300 Exemplaren noch weniger als in Bremen.

Heute ist dem Großen Borgward späte Reputation gewiss. Der Wagen mit dem unverdienten schweren Schicksal ist ein Sympathieträger ohnegleichen, nicht nur für sentimentale Borgward-Verehrer und eiserne Verschwörungstheoretiker, die immer noch glauben, Borgward musste sterben, damit BMW lebt.

Nur noch etwa 50 fahrbereite Borgward P 100-Exemplare soll es in Deutschland geben. Reinhard Kleissler, Oldtimerhändler aus Gundelfingen bei Freiburg und eigentlich spezialisiert auf klassische BMW-Automobile, besitzt wohl einen der besten. Nur knapp 67.000 Kilometer hat das arabergraue Prachtexemplar in unrestauriertem Originalzustand gelaufen. Er stammt aus erster Hand, das komplette Bordbuch liegt im Handschuhfach.

Rarität hat ihren Preis

Reinhard Kleissler verlangt selbstbewusste 75.000 Euro für die repräsentative Rarität: "So etwas ist einmalig, einen solch seltenen Wagen in dem Zustand findet man nicht mehr. Schöne, milde Patina, eben kein totrestauriertes Exemplar, sondern ein weitgehend unberührtes. Deshalb der Preis. Ich stelle mir einen absoluten Borgward-Liebhaber vor, der den Zustand des Borgward P 100 zu würdigen weiß. Wenn ich den nicht finde, behalte ich den Wagen eben. Er ist mir ohnehin ans Herz gewachsen."

Kleissler startet den Sechszylinder, der dank einer Prise Choke sofort mit heiserem Klang erwacht. Überaus einladend wirkt der Große Borgward auf seine Fahrgäste. Das Raumgefühl ist imposant, etwas haltlos und verloren sitzt vor allem der Beifahrer im üppig gepolsterten Sessel. Die Sicht ist nach allen Seiten phänomenal, der Kofferraum riesig. Der Birgward P 100 wirkt größer, als er ist. Er hat nur knapp die Maße und den Radstand eines Ford 20 M P7.

Seine glücklosen Vorgänger Borgward Hansa 2400 und Hansa 2400 Pullman wirkten weit imposanter und luxuriöser, aber vom Stil her verquollen. Zudem trug er das provinzielle Borgward-Image der Vor-Isabela-Zeit nicht. Dabei konkurrierte der letzte Pullman ab 1955 mit seinem geldschrankhaften Manufaktur-Finish und den stattlichen 2,82 m Radstand eher mit dem royalen Mercedes 300 als mit den Ponton-Sechszylindern.

Ein kleiner 50-Kubik-Kompressor sorgt für Luftdruck im Fahrwerk

Den P 100 hat Borgward erstmals nicht nur für sich selbst als Chefwagen gebaut. Er wirkt weit demokratischer und damit auch gefälliger als seine machtvollen Vorgänger. Obwohl hinter dem riesigen Bakelit-Lenkrad mit Bremer Schlüsselwappen noch viel Freiraum für Überlegenheitsgefühle blieb, als VW Käfer, Ford 12 M und Opel Olympia Rekord das Straßenbild bestimmten.

Jetzt spüren wir es. Der Kompressor hebt den Borgward P 100 leicht aus den Luftbälgen, das kleine 50-Kubik-Aggregat wird per Keilriemen von der Kurbelwellenscheibe aus angetrieben. Der Zeiger im kleinen Rundinstrument bewegt sich ins grüne Feld. Der Betriebsdruck für Airswing ist erreicht. Nur eine Handvoll Erstserienautos des P 100 wurden mit konventionellen Stahlfedern ausgeliefert. Bis zu 15 atü hält der Druckspeicher mit acht Liter Volumen vor dem Abblasen bereit und verteilt sie per Regelventile über metallische Leitungen bis in die vier Federbälge der einzelnen Räder. Der Luftfilter über dem kleinen, einsam thronenden Solex-Zweistufenvergaser versorgt auch das Airswing-System.

Ein Regelventil hält die von Schubstreben geführte Zweigelenk-Pendelachse stets in aufrechter Balance, auch wenn die erlaubte, eher knapp bemessene Zuladung von 307 Kilo voll ausgenutzt wird. Die berüchtigten Spur- und Sturzveränderungen der aus der Isabella bekannten Pendelachse hat die Luftfederung bestens unter Kontrolle. Starkes Ausfedern findet nicht statt. Spurtreu zieht der Große Borgward seine Bahn, auch in schnell gefahrenen Haarnadelkurven des Schwarzwalds.

Arabella-Motor mal 1,5 = P 100-Sechszylinder

Selbst wenn dann bergab die Trommelbremsen trotz hoch drehendem Motor im zweiten Gang mehr gefordert sind, bleibt das Heck ruhig. Vorn wird das Ein- und Ausfedern der Räder einzeln geregelt, was Kurvenwilligkeit und Federungskomfort positiv beeinflusst. Beim Fahren merkt man die Arbeit der Regelventile nicht. Es wird nur deutlich, dass der Große Borgward ein sehr gut gefedertes Auto mit straffer Dämpfung ist. Er ist keine Sänfte wie der Citroën DS, der alles wegbügelt, aber ein echter Borgward P 100 braucht die Luftfederung, davon lebt sein Mythos.

Seine Autorität bezieht er auch aus dem drehfreudigen Sechszylinder-Motor, 100 PS aus 2,3 Liter galten damals als forsche Ansage. Opel bemühte beim Kapitän PLV für 90 PS 2,6 Liter Hubraum. Trotz konstruktiver Parallelen hat der Opel-Motor eine völlig andere Charakteristik - er ist laufruhiger, trotz kurzen Hubs elastischer, aber drehunwilliger.
Die Prise Sportlichkeit holt sich der Borgward P 100 aus den Isabella- Genen, der 2,3 Liter ist ein um zwei Zylinder erweiterter TS-Motor. Die 100 PS wären sicher noch nicht das letzte Wort gewesen, hätte der P 100 eine Zukunft gehabt, die nicht nur aus Mitleid und Sentimentalität besteht.

Fahrerwechsel, Reinhard Kleissler übergibt mir das ziselierte Gute-Stube-Lenkrad des Borgward P 100. Endlich Halt auf dem Sitz, stolzer Blick nach vorn durch die Panoramascheibe über die endlos lange Motorhaube. Chrom und schwarzes Kunstleder beherrschen die Instrumententafel. Das originale zeitgenössische Blaupunkt Autosuper schweigt.

Der Große Borgward kann beides: Komfort und Sport

Der Motor des Borgward P 100 säuselt heiser, nur wenn er etwas kerniger klingt, greife ich zur Lenkradschaltung, taste mich vorsichtig durch die langwegige, aber nicht unexakte Kulisse. Der repräsentative Wagen findet nach kurzer Eingewöhnung mühelos seinen Weg über die Schwarzwald-Straßen. Ich werde mutiger. Seine milde Sportlichkeit erlaubt auch schon mal höhere Drehzahlen. 70 im Zweiten sind allemal drin, auch 110 im Dritten. Dann öffnet sich die zweite Stufe des Registervergasers, und vom Drehmomentmaximum weht ein leichter Wind. Die Spurkonstanz beeindruckt, die Seitenneigung ist weniger ausgeprägt, als ich dachte.

Der Große Borgward ist ein Schiff, mit dem man auch heute noch gerne auf Reisen geht. Man spürt den Hauch der Geschichte. Es ist so, als ob der behutsam über die Zeit gerettete P 100 noch ein bisschen nach Borgwards Zigarre riecht. Am liebsten würde ich mit ihm, dem komfortablen Reisewagen, sofort nach Bremen fahren zur alten Borgward-Villa und dann ins Parkhotel. Dort, wo früher die Pressefotos vom Großen Borgward gemacht wurden.

Technische Daten
Borgward Borgward 2,3 Liter (P 100)
Außenmaße4715 x 1738 x 1420 mm
Hubraum / Motor2240 cm³ / 6-Zylinder
Höchstgeschwindigkeit162 km/h
Die aktuelle Ausgabe
Motor Klassik 10 / 2024

Erscheinungsdatum 05.09.2024

148 Seiten