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Mercedes S-Klasse W 108, W 116, W 126 Fahrbericht
Perfektion ist nicht langweilig

Inhalt von

Seit über 60 Jahren hat Mercedes' S-Klasse den Anspruch, die weltbeste Serienlimousine zu sein. Zur IAA im Herbst kommt wieder so ein Meilenstein – es ist die zehnte Generation. Drei von ihnen haben wir gefahren, um den Mythos S-Klasse zu ergründen.

Mercedes S-Klasse, Frontansicht
Foto: Arturo Rivas

Warum ausgerechnet diese drei aus 60 Jahren und 9 Nachkriegs-Generationen Mercedes S-Klasse? Die Erklärung ist einfach, sie liegt im Dreiklang von Tradition, Revolution und Evolution, es ist die Harmonielehre jeder S-Klasse, die sich bei unseren drei Typen W 108, W 116 und W 126 sehr schön isoliert betrachten lässt.

Mercedes 280 S (W 108) bedeutete die Abkehr von der Einheitskarosserie

Der Mercedes 280 S im ungewöhnlichen Original-Farbton Rotmetallic steht für die traditionelle Baureihe W 108. Sie bedeutete 1965 die Abkehr von der Einheitskarosserie. Die S-Klasse war plötzlich keine Frage mehr von zwei zusätzlichen Zylindern und fünf Zentimetern mehr Radstand. Daimler-Benz-Stylist Paul Bracq gab dem W 108 eine eigenständige Linie vornehmer Eleganz. Die modischen Heckflossen waren nur noch dezent angedeutet, der ebenso verspielte Fieberthermometer-Tacho wich klassischen Rundinstrumenten.

Unsere Highlights

Technisch gesehen war der W 108 nur eine modellgepflegte große Heckflosse, hier wirkte sanfte Evolution bei Motor und Fahrwerk. Aber er ist mit seinen markanten Vertikal-Scheinwerfern, dem aufrechten Hochkühler – gekrönt von einem Stern mit Sockel –, der letzte traditionelle Mercedes im S-Klasse-Gewand. Auch das Interieur des W 108 verrät dies deutlich. Holzeinlagen, Chromrähmchen, liebevoll garnierte Bakelitschalter und ein filigranes Lenkrad mit Hupring erzählen von guter alter Zeit.

Mercedes 280 SE (W 116) mit großen Schritten in Richtung Zukunft

Der Mercedes 280 SE im populären Farbton Astralsilber steht für die revolutionäre Baureihe W 116. Technisch wie stilistisch machte die erste S-Klasse, die offiziell in Prospekten und in der Werbung so genannt wurde, 1972 einen Riesenschritt in Richtung Zukunft. Sie setzte international Maßstäbe für aktive und passive Sicherheit, für überragenden Fahrkomfort und sorgte mit modernen leistungsfähigen Motoren für hohe Fahrleistungen. Erstmals wurde eine S-Klasse Auto des Jahres und errang das Tester-Prädikat „Das beste Auto der Welt“. Die antiquierte Pendelachse wurde endlich aufgegeben, ebenso der leidlich ausgequetschte Sechszylinder ohne Querstromkopf und die wartungsintensive Luftfederung. Es blieb der kleine, drehfreudige 3,5-Liter-Achtzylinder mit 200 PS, der erst 1969 Premiere gefeiert hatte.

Das neue Design von Chef-Stylist Friedrich Geiger im opulenten Stil des ein Jahr zuvor präsentierten Mercedes 350 SL suggeriert Macht und Größe. Die Doppelstoßstangen blieben, alles andere – Kühlermaske, Scheinwerfer und Rückleuchten -, wanderte in eine wuchtige Horizontale.

Dem 116er sieht man seine trotzige Unfallsicherheit an, außen wie auch innen. Obwohl man sich erfolgreich bemühte, die aufgeschäumte Kunststofflandschaft mit Palisaner-Holzdekor und ein paar verschämten Zierleisten wohnlich und wertvoll zu gestalten. Keine Frage, der 116er war nicht nur als entfesseltes Alphatier 450 SEL 6.9 die Mercedes-Ikone der Siebziger. Für den typischen Zeitgeist neben dem fortschrittsgläubigen wuchtigen Design sorgte auch die bunte Palette schriller Farben, von Citrusgrün über Milanbraun bis Cayenneorange. Am Schluss der knapp achtjährigen Karriere durfte sich der 116er sogar noch gegen Aufpreis mit ABS schmücken.

Er war ein wirklicher Meilenstein unter dem Stern. Fünf Jahre brauchte sein Nachfolger, um mit dem fulminanten Sechsneuner gleichzuziehen, als 560 SEL mit 300-PS-V8 und optionaler Hydropneumatik.

W 126 ist der kultivierte Feingeist

Der Mercedes 300 SE, ein für S-Klasse-Verhältnisse bescheiden wirkendes Modell in der selten gewünschten Fehlfarbe Liasgrau, steht für die Evolution der Baureihe W 126. Bessere Aerodynamik und geringeres Gewicht mussten im Zuge des Zeitgeists den Verbrauch senken, einen Nachfolger für den Supertanker Sechsneun verkniff man sich.

Technisch ist der 126er vor allem in der ersten Serie, von Ende 1979 bis Mitte 1985 gebaut, ein modellgepflegter W 116. Motoren und Fahrwerk haben sich nicht entscheidend verändert. Die V8-Triebwerke bekamen aus Gewichtsgründen Alu-Gehäuse mit gehärteten Zylinderlaufbahnen. Erstmals operierten die Konstrukteure auch mit hochfesten Stählen, um Materialstärke und damit rund 70 Kilo pro Karosse zu sparen.

Hinten blieb es bei der Schräglenkerachse, obwohl die überlegene Raumlenkerachse für den Baby-Benz schon in der Schublade lag. Selbst die bunte Welle der Popfarben hielt zunächst an. Die Testwagen in auto motor und sport trugen damals Inkaorange, Mimosengelb oder Petrolmetallic. Stilistisch ging der W 126 einen neuen Weg – schlichte Eleganz statt autoritäre Größe mit barockem Stoßstangen-Kult.

Der W 126 von Bruno Sacco war der Beginn einer neuen Design-Ära bei Mercedes, der 190er folgte ihm formal konsequent, die neue Mittelklasse W 124 wirkte gar noch radikaler im Vergleich zum Blech-Biedermeier des Vorgängers. Für viele ist der 126er die schönste S-Klasse aller Zeiten. Erst mit der zweiten Serie ab 1985 ist er ganz er selbst, emanzipiert sich endgültig vom Vorgänger. Er streift die Fuchs-Barockfelgen ab, trägt jetzt 15-Zoll-Räder. Schnörkellose Symbole einer neuen Mercedes-Sachlichkeit, um die Radkästen besser auszufüllen.

Ein neuer verbrauchsoptimierter und wirklich seidig laufender Reihensechszylinder löst den sportlich-kernigen Doppelnocker ab. Das Uralt-Relikt Vergasermotor hat in der S-Klasse endgültig ausgedient. Es wird Zeit, die drei zu fahren, genug gesagt, warum ausgerechnet sie es sind.

Der Mercedes 280 S Baujahr 1972 gehört Baldur Pauli. Der pensionierte Kfz-Sachverständige hat früher als Karosseriebaumeister bei Rometsch gearbeitet und seinen 108er selbst in mehrjähriger Arbeit restauriert. Der niedrige Kilometerstand von unter 100.000, ein vermeintlich guter Zustand, die üppige Ausstattung und nicht zuletzt die außergewöhnliche Candy-Farbe bewogen ihn zum Kauf des Vergasermodells mit dem traditionellen M 130-Sechszylinder, dessen heiserer Motorklang sofort Erinnerungen an die gute alte Mercedes-Zeit weckt.

Verschachtelte Karosserie sind der Tod vieler W 108er

Doch wie bei vielen Heckflossen und W 108 liegt die Wahrheit oft im Verborgenen. Pauli musste richtig ran ans marode Blech seiner klassischen Mercedes S-Klasse, viele Hohlräume sind des 108ers Tod. Heute steht der Wagen da wie neu, Pauli hat ihm im Zuge des Wiederaufbaus noch ein paar schöne Extras spendiert. In seinem vornehmen Stil und in seiner verspielten Detailverliebtheit ist er der wahre Klassiker, ein großer Bruder der Pagode, ein Neffe des 600, ein Onkel des Strichacht. Alle aus großer Daimler-Zeit aus einer heilen Welt von Holz, Leder, Chrom, Elfenbein und Bakelit.

Das zeigt sich auch beim Fahren. Majestätisch erhebt sich der Mercedes 280 S bei eingelegter Fahrstufe und sanftem Gaspedaltritt aus den Federn, ganz vorn auf der sinnlich geschwungenen Motorhaube weist der gute Stern auf allen Straßen den Weg. Die Servolenkung spricht leicht an, der große Wagen lässt sich mercedestypisch spielend leicht dirigieren. Erstaunlich, wie weich die als Ruckomatic verpönte alte Daimler-Viergangbox mit Flüssigkeitskupplung statt Wandler die Gänge wechselt, wenn nur gefühlvoll beschleunigt wird.

Mercedes S-Klasse (W 108) überzeugt als Klassiker

Der M 130 gibt in der S-Klasse sein Bestes. Mit 140 PS ist er kein Ausbund an Temperament, aber auch längst nicht so rau rasselnd und ausgequetscht wie sein Zwilling in der Pagode. Das große elektrische Schiebedach lässt noch einen blinzelnden Rest Herbstsonne herein, auf dem üppigen Ledersessel hinter dem dünnen elfenbeinfarbigen Lenkrad des Mercedes 280 S fühlt man sich so geborgen wie noch nie, große Fensterflächen laden die Umwelt ins Auto ein, keine Abschottung wie heute.

Wenn die alte Pendelachse etwas kann, dann ist es Komfort. Der Mercedes W 108 gleitet souverän über die Ausfallstraße zum Stadtrand, er sucht das Weite in Zeit und Raum. Die modernen bananenförmigen CDI-Mercedes, die sich mit 400 Newtonmeter von Ampel zu Ampel katapultieren, sind von einem anderen Stern. Der 108er hat den Charme einer wertvollen Antiquität, da können die beiden Youngtimer nicht mithalten.

Der astralsilberne 116er, ein 78er Mercedes 280 SE Automatik, gehört Jörg Ewering. Der Maschinenbau-Techniker und Youngtimer-Liebhaber entschied sich für den topgepflegten unrestaurierten Wagen aus erster Hand auch wegen der blauen Veloursausstattung: „Ich mag Velours lieber als Leder, der Plüsch verleiht dem Interieur etwas Wertvolles. Man spürt den typischen S-Klasse-Luxus auch innen, der serienmäßige Karostoff riecht zu sehr nach 200 D.“

Aus der Fahrerperspektive wirkt der mächtige Mercedes 280 SE plötzlich übersichtlich und zierlich. Man sitzt recht hoch hinter dem wuchtigen Sicherheitslenkrad, die Innenbreite ist fürstlich, das Raumgefühl auch, ein Auto zum Schwelgen. Es gibt nichts, was beim Mercedes W 116 nicht irgendwie überdimensioniert wirkt, ein Auto für zwei Leben, wenn er nur nicht so hemmungslos rosten würde.

Der Doppelnockenwellenmotor M 110 basiert immer noch auf dem alten Block des 108er-Triebwerks, seine Akustik ist ähnlich, vielleicht außen eine Spur rauer wegen des aufwendigen Ventiltriebs. Innen im Mercedes 280 SE ist alles bestens geräuschgedämpft. Ich scheue mich nicht, dem sportlich ambitionierten Motor hohe Drehzahlen über 4.000 Touren abzuverlangen. Er ist gierig, lädt dazu ein, man kann ihm nicht widerstehen.

W 116-Fahrwerk ist immer schneller als der Motor

Fünfgang würde gut zur Charakteristik passen, doch für eine S-Klasse ist Sport unschicklich. Der Viergang-Automat macht seine Sache gut und schaltet selbst von Hand ausgedreht unauffällig. Spätestens seit der Mercedes W 116 in den siebziger Jahren offizieller Dienstwagen der schlagkräftigen Anti-Terror-Truppe GSG 9 wurde, sind seine Fahrwerksqualitäten unbestritten. Mit Niveauregulierung verfeinert, ist das Fahrwerk stets schneller als der Motor, sogar beim 450 SE mit 225 PS.

Das besondere Erlebnis S-Klasse bleibt selbst im jüngsten und unscheinbarsten Modell spürbar. Die liasgraue Fehlfarbe namens Mercedes-Benz 300 SE, Baujahr 1986, gehört dem Diplom-Kaufmann Holger Dau, der ihn als Alltagswagen im Saisonbetrieb nutzt. Die karge Buchhalterausstattung wird von ein paar exklusiven Extras wie D-Netz-Telefon und Scheinwerferwischer ziemlich erfolglos konterkariert. „Ausschlag gebend für den Kauf war der gute Zustand bei einer respektablen Laufleistung von immerhin 213.581 km“, erklärt Dau überzeugt. Die Frage nach dem ersten Motor erübrigt sich bei einer S-Klasse, weil ihr neben perfekten Reisewagen-Eigenschaften eben auch Langlebigkeit ins Stammbuch geschrieben wurde.

Es verwundert beim Evolutionsmodell Mercedes W 126 kaum, dass seine Fahreigenschaften nahe am technisch eng verwandten Vorgänger liegen. Die 126er-S-Klasse wirkt jedoch stets eindeutiger, präziser und direkter, was nicht nur am geringeren Lenkspiel liegt, sondern vor allem an der sonstigen fahrwerksseitigen Verfeinerung. Im Fall des Mercedes 300 SE kommt noch der extrem leise und sehr sparsame Motor hinzu – subjektiv ein Fortschritt gegenüber dem aufwendigeren und optisch imposanteren Doppelnocker.

Aber älter bedeutet auf jeden Fall auch charismatischer, dafür sind die drei S-Klassen das beste Beispiel. Die formale Zeitlosigkeit des 126ers, gepaart mit einer immer noch zeitgemäßen Technik, lassen ihn nur langsam zum Klassiker reifen.

3 Generationen Mercedes S-Klassen – Fazit von Alf Cremers

Dieses S-Klassentreffen einmal so ganz ohne V8-Boliden machte eines deutlich. Auch die laufruhigen und vibrationsarmen Sechszylinder sind adäquate Antriebsquellen für die Königsklasse des Automobils. Es muss nicht immer ein 3.5 oder 6.9 sein, um den verlässlichen Geborgenheits-Charakter dieser großen Wagen zu erfahren.

Jede S-Klasse, ob traditioneller W 108, revolutionärer W 116 oder effizienter W 126, macht Freude beim entspannten Reisen mit großzügigem Raumgefühl. Auch das Design ist ein wichtiges Argument bei der S-Klasse, behutsam nimmt es modische Akzente auf und repräsentiert damit symbolisch ein Jahrzehnt.

Ich wollte schon dem göttlichen 116er die Krone aufsetzen, doch plötzlich umarmte mich der 108er mit voller Wucht – als hätte ich nach langer Zeit einen alten Freund wiedergesehen. Technisch konservativ, verkörpert er stilistische Eleganz, detailverliebte Verarbeitung und gediegenen Fahrkomfort in Reinkultur. Die Pendelachse sei ihm verziehen.

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Erscheinungsdatum 04.07.2024

164 Seiten