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Vision Mercedes-Simplex (2019)
„Daimler ist kein Autohersteller mehr“

Daimler-Designchef Gordon Wagener sieht in seinem Unternehmen eine Luxus-Design-Company. Im neuen Designzentrum Nizza zeigt er eine abgefahrene Retro-Studie.

Vision Mecedes Simplex
Foto: Mercedes

Gut aufgelegt haben Gorden Wagener und sein Team einen Ur-Mercedes zu neuem Leben verholfen. Die Studie Vision Mercedes Simplex bezieht sich auf den ab 1902 gebauten Simplex – ist aber hochmodern und zeigt exemplarisch die Grundlagen von Wageners Design. Es geht um einen heißen Kern aus ultimativer Liebe zum Produkt, einer Hülle aus kühler Intelligenz und Forderungen nach Einfachheit und Nachhaltigkeit. Was nach abgehobenem Designsprech klingt, lässt sich recht handfest mit Leben füllen, wie Mercedes-Designer bei einem Rundgang durch das neue Zentrum zeigen.

Unsere Highlights

Die oberhalb von Nizza gelegene Gegend hatte die französische Regierung schon Anfang der 1970er-Jahre als Entwicklungs-Hort für fortschrittliche Techniken auserkoren. Der Technologie-Park Sophia Antipolis ist eine Art französisches Silicon Valley. Vor 20 Jahren entstand dort auch eine Art große Glasröhre. Dieses Glasgebäude hat Mercedes nach acht Jahren Leerstand gekauft und die Designabteilung durfte sich dort zwei Jahre lang austoben. Inzwischen sind die Räume eigerichtet – unter anderem mit Öfen für die Modellier-Tonmasse, Tonfräsen und Messgeräten für Tonmodelle. Tonmodelle? In Zeiten der digitalen Revolution? Ja, die sind Mercedes ganz wichtig. Und die digitale Revolution ist es auch. Aus folgenden Gründen.

Vision Mecedes Simplex
Mercedes

Tonmodell und virtuelle Realität

Mercedes ist bewusst, dass einige Autohersteller Tonmodelle kaum noch verwenden – zu gut sind inzwischen die Möglichkeiten der digitalen Visualisierung. Auf die verzichten die Daimler-Designer auch nicht. Gerade in Kombination mit einer VR-Brille (VR: Virtual Reality) lassen sich Lichtspiel, Details und Innenräume eines virtuellen 3D-Modells sensationell erkunden. Auch Fahrzeugbewegungen sind mit einem Tonmodell nur schwer darstellbar. Aber: Ein Tonmodell fassen die Designer an. Sie steifen mit selbstgebauten Schabern über den Ton, fühlen jede Form mit der Hand ab und entdecken so Unebenheiten, die beim virtuellen Modell verborgen blieben.

Vision Mecedes Simplex, Designstudio Nizza
Gregor Hebermehl
Was zum Anfassen: Frisch aufgeheizt kommt der Ton aus seiner Verpackung. Nur durch das Anfassen von Tonmodellen lassen sich auch noch die letzten Unebenheiten finden, freut sich Mercedes-Designchef Gorden Wagener.

Gorden Wagener betont es immer wieder: Die Liebe zum Objekt entsteht durch dessen skulpturhafte Form. Ein gut geformter Körper ohne überflüssigen Schnickschnack erweckt Begehrlichkeiten. Wageners Motto: lieber eine Linie weniger. Wer so eine Skulptur im Designstudio hat, profitiert ganz nebenbei auch von einfachen Vorteilen: Im Team und beim über das Design entscheidenden Vorstand weiß jeder, wo das Modell steht. Es lässt sich leicht zeigen, wer mag (und darf) kann kurz vorbeigehen und es sich anschauen. Die Designer können in seiner Gegenwart Kaffee trinken, plaudern und beim beiläufigen Betrachten des Modells auf neue Ideen kommen. Aufwendig, zeitraubend und teuer, aber für den letzten Designkick ein Vorteil: Gorden Wagener und sein Team haben sich für ein Beibehalten der Tonmodellierung entschieden. Deshalb sollten Designer, die sich bei Mercedes bewerben, nicht nur projektbezogen zeichnen und die Ideen auch digital umsetzen können, sondern auch einen Hang zum Modellieren haben – nach zirka sieben Jahren Übung an Tonmodellen sei man ein guter Modelleur, heißt es bei Daimler.

Vision Mecedes Simplex
Mercedes
Kraftübertragung beim Rad: Es dreht sich nur der mit einem Reifen bezogene Außenring.

Einfachheit und Nachhaltigkeit

Aber die Definition von Luxus ist im Wandel. Gorden Wagener sieht in Mercedes längst keinen reinen Autohersteller mehr, sondern eine Firma zum Designen von Luxusgütern. Und bei Luxus geht es inzwischen nicht mehr nur um die handwerklich beste Verarbeitung feinster Materialien. Digitale Inhalte, Nachhaltigkeit und soziale Akzeptanz haben sich dazugesellt. Also sitzt im neuen Designzentrum eine Abteilung, die digitale Menüführungen und das Aussehen von Apps gestaltet. Hier das Wichtigste: Einfachheit. Intuitiv bedienbare digitale Menüs wirken fast schon automatisch ein wenig luxuriös. Auch hier ist Weglassen die Königs-Disziplin. Fällt etwas weg, gibt es mehr Platz für das, was übrig bleibt. Also tüfteln Experten-Scharen jeden Tag daran, die wachsenden digitalen Anteile an der Mercedes-Welt einfacher und allein dadurch schon schicker zu gestalten.

Vision Mecedes Simplex
Mercedes
Gorden Wagener im originalen ab 1902 gebauten Mercedes Simplex - auf dem Bild ein englisches Exemplar aus dem Jahr 1904.

Und auch wenn der Ruf des Auto-Kunden nach Lederersatzstoffen aktuell eher noch ein leises Piepen ist, könnte der Bedarf an tierfreien Bezugsstoffen kurzfristig kräftig zunehmen. So liegen im Designzentrum Prototypen von luxuriösen Tür-Innenverkleidungen aus Dinamica. Das Material entsteht zu 100 Prozent aus Plastik-Granulat. Basis dieses Granulats sind beispielsweise PET-Flaschen, in Zukunft könnte es auch aus dem Ozean gefischter Plastikmüll sein. Das Material Dinamica wirkt jedenfalls hochwertig und fasst sich ähnlich wie Leder an. Das schiere Aussehen von Oberflächen lässt sich mit Projektionen von innen simulieren und ändern – auch damit experimentiert das Nizza-Designteam intensiv. Über allem steht, dass der Look nicht billig wirken darf – schließlich sprechen Mercedes-Mitarbeiter wegen Gorden Wageners Gespür für Luxus bei den Top-Ausstattungen längst davon, dass diese „Ultimate Gorden“ sind.

Vision Mecedes Simplex
Mercedes
Nautilus: Für sein neues Designzentrum hat Mercedes ein 20 Jahre altes oberhalb von Nizza gelegenes Gebäude renoviert.

Vision Mercedes Simplex

Zur Eröffnung des Designzentrums präsentiert Gorden Wagener also als Höhepunkt den Vision Mercedes Simplex. Schon mit dem originalen Simplex vom Anfang der 1900er-Jahre waren Enthusiasten in Nizza unterwegs – schließlich war die Côte d'Azur auch damals ein High Society Hotspot. Seinerzeit trat der in Nizza lebende Geschäftsmann Emil Jellinek bei Autorennen an der Côte d’Azur unter dem Pseudonym „Monsieur Mercédès“, also dem Vornamen seiner Tochter an. Der neue Simplex hat keine Chancen auf eine Serienverwirklichung, er ist ausschließlich als Showcar gedacht, das die Eckpfeiler der Mercedes-Designzukunft zeigt. So hat die gut proportionierte Studie kaum Kanten, steht wie aus einem Stück gegossen unter der Mittelmeer-Sonne. Der Frontgrill ist eher ein Spiegel und sein Rahmen ist Rosé vergoldet. Die Vierspeichen-Felgen drehen sich nicht, nur ein mit dem Reifen bezogener Ring sorgt für Vortrieb. Als Motoren sind ausschließlich Elektro-Aggregate vorgesehen – sie treiben alle vier Räder an.

Vision Mecedes Simplex
Gregor Hebermehl
Anstelle eines Kofferraums gibt es beim Vision Mercedes Simplex eine von den Mercedes-Designern entworfene Tasche.

Das Passagierabteil des Zweisitzers ist optisch durch eine dunklere Lackierung klar vom großen Motorraum getrennt – bei der Präsentation zusätzlich abgedunkelt durch einen Sonnenschirm. Die Bedienung ist auf das nötigste reduziert, das Cockpit nicht mit Bildschirmen gepflastert. Das Lenkrad sieht ein bisschen nach Kunstwerk aus und die Lenksäule ist von einem Glasrohr umgeben. Die Insassen sitzen auf einer gut gepolsterten und mit weichem Stoff bezogenen Couch, deren Chesterfield-Knöpfe den Bogen zu einem gemütlichen Look und der Vergangenheit schlagen. Hinter dem Passagierabteil hängt auf Höhe der Achse eine kleine Designtasche. Dieser Kofferraum-Ersatz ähnelt Gepäck des französischen Luxusgüter-Herstellers Louis Vuitton, ist aber ein Entwurf der Mercedes-Designer.

Das neue Designzentrum in Nizza nimmt jetzt seine Arbeit auf, dafür macht das Zentrum für Innenraum-Design am Comer See dicht. Der ehemalige Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco hatte es in den 1990er-Jahren aufgebaut, 20 Mitarbeiter kümmerten sich dort um Innenraumgestaltungen. In Nizza arbeiten mit 40 Mitarbeitern doppelt so viele Personen an der Mercedes-Designzukunft.

Umfrage
Sollte Mercedes den Vision Simplex in Serie bauen.
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Auf jeden Fall - das wäre mal eine schicke Abwechslung im Straßenbild.Nein, die Studie dürfte selbst nach einer Überarbeitung kaum zulassungsfähig sein.

Fazit

Die Verschmelzung von digitalen und analogen Welten, eine einfache Bedienungen, hochwertige Materialien und eine top Verarbeitung sowie das Entfernen von allem Komplizierten: Mercedes positioniert sich bei seiner Designzukunft klar – und gibt dafür viel Geld aus. Schließlich ist der Aufbau eines neuen Designzentrums an der Côte d'Azur ein teures Unterfangen. Aber Design ist einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Kaufgrund – nicht nur bei Autos. Daimler sichert sich also mit seinen immensen Anstrengungen in Sachen Design seine Zukunft.

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