Gebrauchtwagencheck Mercedes E-Klasse Typ 213 (2016-2023)

Gebrauchtwagencheck Mercedes E-Klasse (W213)
Daran kann der Diesel der Gebraucht-E-Klasse sterben

Veröffentlicht am 31.10.2024

Wer in der Vergangenheit als Gebrauchtkäufer zur Mercedes E-Klasse griff, wusste schon immer, warum. Es ist nur schwer möglich, für angemessene Preise einen besseren und dabei bedingungslos haltbaren Reisewagen zu finden – gerade mit Dieselmotor. Gilt das auch für den W 213?

Karosserie: Fein gemacht

Für den Kauf zählt zunächst, was schon seit Jahrzehnten für die E-Klasse gilt. Ein kritischer Blick auf den Fahrwerks- und Bremsenverschleiß ist ebenso wichtig wie die Kontrolle der Wartungs- und HU-Unterlagen, um sicherzugehen, dass die Laufleistung korrekt ist. Ein ganz typischer E-Klasse-Punkt ist die Ausstattung. Wie bei keinem anderen Mercedes gelingt dem E der Spagat zwischen der braven Taxiversion und dem üppig ausgestatteten Luxusauto bravourös. Dabei wirkt der 213 im Vergleich zu seinem Vorgänger im Detail zwar nicht weniger solide, aber dennoch eine Spur filigraner. Türen, die sich einst mit der Wucht des vielzitierten Geldschranks bewegten, können nun vom kleinen Finger ins Schloss geschubst werden. Spaltmaße und dergleichen sind dabei standesgemäß über jeden Zweifel erhaben. Sollte Ihnen etwas unsauber vorkommen, wird das in aller Regel auch einen Grund haben. Rost ist ab Werk ebenfalls kein Thema und kann im schlimmsten Fall ebenfalls auf vertuschte Unfallschäden hindeuten.

Gebrauchtwagencheck Mercedes W 213
Lena Willgalis

Diese feine Verarbeitung ist serienmäßig. Vieles andere dagegen nicht. So gibt es tatsächlich einige Basisautos, die mit simplen Freiform-Halogenscheinwerfern ausgestattet sind. Offenbar war Mercedes so davon überzeugt, fast nur die LED-Technik zu verkaufen, dass die Halogenversionen nicht mal mehr eine Linsenkonstruktion besaßen. Ebenso deplatziert: das serienmäßige Tankvolumen von 50 Litern. Sein einziger kleiner Vorteil: Es spart Gewicht und senkt so die Verbrauchsangabe. Gefühlt aber bieten 90 Prozent aller E-Klassen optional 66 Liter oder in den Topversionen sogar 80 Liter.

Innenraum: Zuhause 2.0

Auch im Interieur zählt die Ausstattung. Viele Erstkäufer wählten das volldigitale Kombi-Instrument, das bis zur Modellpflege 2020 Aufpreis kostete. Einerseits vereinheitlicht es die flache Display-Landschaft vor dem Fahrerplatz, andererseits funktioniert auch die analoge Version wunderbar. Das Instrument unseres Fotoautos ist bestens ablesbar und verwöhnt bereits mit einem großen Farb-Display, das zwischen Tacho und Tourenzähler eine Fülle von Informationen anzeigen kann. Wer auf Optik und Wiederverkauf Wert legt, möge sich für die Digitalversion entscheiden, alle anderen dürfen hier gern sparen.

Gebrauchtwagencheck Mercedes W 213
Lena Willgalis

So wie der Erstbesitzer unseres E 220 d, der sich stattdessen feine Ledersitze und die Avantgarde-Bestandteile außen und innen geleistet hat. Letztere verschönern zwar das Interieur mit ein paar netten Details und nobleren Zierleisten, bringen aber keinerlei Funktionsvorteil. Sehr empfehlenswert sind, wie hier, die Multibeam-LED-Scheinwerfer mit Matrix-Funktion und diverse Fahrassistenzfunktionen. Fehlen Letztere, leidet nicht nur der Wiederverkaufswert, sondern tatsächlich auch der Fahrkomfort. Die aktiven Systeme zum Spurhalten sind dezent, aber zielsicher abgestimmt, sodass sie mehr entlasten als nerven. Ein aktiver Stauassistent ist Balsam für Vielfahrer, der Totwinkelwarner für ein meist autobahnlastiges Fahrprofil ohnehin ein Muss, ebenso wie das hervorragende Comand-Online-Infotainment mit hochauflösendem 12,3-Zoll-Display und Smartphone-Spiegelung. Als Letztes schafft es noch das Head-up-Display auf unsere Empfehlungsliste.

Und wie ist all dieser Prunk arrangiert? Weniger futuristisch als in den ganz neuen Modellen mit Stern, aber derart zeitlos elegant, das zumindest heute wohl niemand den W 213 zum alten Eisen zählen würde. Grandiose Sitze und eine ebensolche Ergonomie für Fahrer aller Größen sind so selbstverständlich an Bord wie in allen Vorgängern der Mercedes-Business-Klasse. So ist auch die Materialgüte für eine außerordentlich lange Haltbarkeit aller Kontaktoberflächen zuständig.

Motoren: Problemfall OM 654

Der E ist ein echter schwäbischer Sparfuchs. Als Daimler-Archetyp mit Vierzylinder-Diesel spart er konsequent an Emissionen und Verbrauch. Im 213er feierte nämlich der OM 654 sein Debüt. Er löste den ebenfalls vierzylindrigen Selbstzünder des Typs OM 651 ab, nun mit 2,0 statt 2,1 Litern Hubraum. Viel wichtiger: Abgasreinigung, Zylinderbeschichtung, Ventiltrieb, ja sogar die Motorölsorte sind auf maximale Effizienz ausgelegt. Genau hier wird's jedoch brenzlig. Denn ausgerechnet dieser Motor, dessen Vorgänger fast ausnahmslos fürs ewige Leben gut waren, verzeichnet den einen oder anderen Totalausfall. Von eingelaufenen Schlepphebeln und gerissenen Steuerketten wird da berichtet. Letztere treiben die Nockenwellen an, die wiederum fürs Öffnen und Schließen der Ventile zuständig sind; die Schlepphebel übertragen die Drehbewegung in das dazu notwendige Auf und Ab. Fehlt es an der nötigen Schmierung, ist der gesamte Ventiltrieb einer erhöhten Reibung ausgesetzt. Es entsteht Hitze und in kürzester Zeit irreversibler Verschleiß, der letztlich darin endet, dass das schwächste Teil nachgibt – meist ist das die (wieder aus Effizienzgründen) eher fragil bemessene Steuerkette. Hat Mercedes also vergessen, wie man Motoren baut? Natürlich nicht, nicht ganz.

Gebrauchtwagencheck Mercedes W 213
Lena Willgalis

Nur so lebt der Diesel lang

Die Ursache hinter diesem Problem liegt (bis auf einzelne Exemplare, die bereits mit einer fehlerhaften Steuerkette zurückgerufen wurden) eher in falscher Behandlung. Nein, der Daimler-Diesel ist nicht mehr unkaputtbar, doch finden sich schon jetzt Exemplare mit weit über 300.000 problemlos zurückgelegten Kilometern auf dem Zähler. Und worin besteht die Falschbehandlung? Wer den Motor oft im Leerlauf betreibt und häufig die Rekuperationsphasen für den Rußpartikelfilter abbricht, der begünstigt einen überdurchschnittlich hohen Kraftstoffeintrag ins Motoröl, das damit wortwörtlich immer dünner wird. Geht dies mit einer nachlässigen Service-Mentalität und einem grobschlächtigen Fahrstil einher, etwa fehlendem Warmfahren oder sofortigem Abstellen nach schnellen Autobahnetappen, dann können die geforderten Schmiereigenschaften des Öls nicht mehr gegeben sein. Umgekehrt machen Motoren, die sachgerecht und pfleglich behandelt worden sind, keine Probleme. Immer mehr Mercedes-Meister raten zudem, auf ein dickeres Öl umzustellen. Statt des sehr dünnflüssigen 0W-20 ist auch die Viskositätsklasse 5W-30 zugelassen, solange das Öl der MB-Spezifikation 229.71 Low-SAPS entspricht.

Wer einen Benziner sucht, darf relativ bedenkenlos aus der umfangreichen Motorenpalette schöpfen. Die Vierzylinder spenden zwar völlig ausreichenden und vor allem leisen Vortrieb, doch sind die Sechszylinder mit ihrer feinen Laufkultur durchaus eine Sünde wert. Apropos Sechszylinder: Dieselseitig arbeitet im Bug der aus dem Vorgänger bekannte und solide V6 OM 642, und danach der noch seidiger und sparsamer laufende Reihensechszylinder OM 656.

Getriebe: ein kurzes Kapitel

Jeder W 213 nutzt die Neunstufen-Wandlerautomatik 9G-Tronic, die Mercedes selbst entwickelt und produziert. Das Aggregat selbst ist wiederum eine Evolutionsstufe, die auf Jahrzehnte der Zuverlässigkeit zurückblickt. Dennoch funktioniert das Getriebe präzise, schnell und effizient. Sollte Ihnen das Schaltverhalten komisch vorkommen, mag das am adaptierten Fahrprofil liegen. Die Software stellt sich mit der Zeit auf das Fahrverhalten des Wagenlenkers ein, in unserem Fall des Vorbesitzers. Diese Adaption lässt sich über eine Gaspedalsequenz bei abgestelltem Motor resetten. Wie bei jedem Getriebe gilt allerdings darüber hinaus, dass die Herstellervorgabe der sogenannten Lifetime-Füllung am besten über Bord geworfen wird, und alle 60.000 bis 100.000 Kilometer ein Getriebeölwechsel mit Spülung vorgenommen wird.

Mercedes E 400 d T, Interieur
Achim Hartmann

Fahrwerk: Airmatic kann, muss aber nicht

Standesgemäß fährt so eine E-Klasse ausgesprochen komfortabel, präzise und spurtreu. Ob dazu nun Stahlfedern am Werk sind oder die optionale Luftfederung Airmatic, resultiert allein in noch etwas höherem Komfort, der zwar sehr angenehm wirkt, aber wahrlich nicht notwendig ist. Einen Kompromiss macht ab Werk jedes T-Modell, dessen Hinterachse ausschließlich mit Luft federt und so auch ihr Niveau reguliert. Die Haltbarkeit der Luftfederung ist mittlerweile relativ unproblematisch. Im hohen Alter kann zwar ein Balg hier oder ein Verteilerblock da leckschlagen, doch kommt es praktisch nie zur völligen Funktionsunfähigkeit des Fahrwerks. Es ist also immer noch genug Puste da, um im Zweifel wieder heim oder zur Werkstatt zu kommen. Dort angekommen sind Ersatzteile auch nicht unverschämt teuer.

Gebrauchtwagencheck Mercedes W 213
Lena Willgalis

Ein Mercedes-Klassiker bleibt jedoch bestehen: Das Fahrwerk – speziell die aufwendig geführte Vorderachse – muss klapperfrei funktionieren. Wenn beim Überfahren kleinerer Stöße ein leises Poltern zu hören ist, ist eigentlich immer etwas ausgeschlagen. Das können Stützlager, Domlager oder auch Stabi- sowie Querlenkerbuchsen sein. Auch solche Defekte gefährden die Fahrtüchtigkeit nicht, gehören aber zum Leidwesen vieler Mercedes-Fahrer fast immer zu den Arbeitspunkten auf der Werkstattrechnung.

Mängel: Bühnenauftritt geglückt

Beim Check auf der Hebebühne entdecken wir keine Mängel, die über Gebrauchsspuren hinausgehen. Wie auch? Die meisten Flächen sind aus aerodynamischen Gründen glatt verkleidet. Die unteren Lenker der Hinterachse tragen ebenfalls Kunststoffspoiler. Problemstellen werden dadurch nicht verborgen. Anders als beim Vorgänger gibt es beim 213er kaum E-Klassen, bei denen der Hinterachsträger unter der dicken Pulverbeschichtung durchgammelt.

Gebrauchtwagencheck Mercedes W 213
Lena Willgalis

Nicht fehlen dürfen dagegen der prüfende Blick auf die Bremsanlage, die bei gewichtigen Kilometerfressern im Autobahneinsatz naturgemäß stark strapaziert ist. Ähnlich logisch erscheinen uns die ersten Steinschläge, die sich an der Wagenfront sammeln. In Sachen Haltbarkeit machen auch die durchweg als Mildhybrid daherkommenden Facelift-Modelle ab 2020 keinen Unterschied. Wohl aber im Preis. Hier stehen vor allem Leasing-Rückläufer zur Wahl.

Preise: Nicht billig, aber angemessen

Im oberpfälzischen Neumarkt steht unser Fotoauto im Schauraum des Autohauses Bögl zum Verkauf. Dort hören wir auch, dass vergleichbare Modelle stets sehr gefragt und gar nicht so oft zu bekommen sind – das gilt übrigens genauso für C-Klassen und den GLC. In der Tat finden sich die meisten Altersgenossen unseres Fotoautos eher bei freien Händlern – dann aber meist mit Laufleistungen, die deutlich über den gut 58.000 nachweisbaren Kilometern des Testwagens liegen. Die E-Klasse ist kein seltenes Auto, jedoch sorgt die enorme Vielfalt an Ausstattungs- und Motoroptionen in Kombination mit teils schon sehr hohen Laufleistungen für eine große Spreizung im Preis. 35.700 Euro stehen auf unserem Preisschild. Ja, es geht auch deutlich billiger. Wer jedoch Kilometer, Ausstattung, Motorisierung und Zustand einkalkuliert, stellt rasch fest: Das Angebot ist fair – erst recht mit Mercedes-Garantie. Knapp 2.000 W 213 finden sich derzeit im Netz. Hier gibt’s für etwas unter 20.000 Euro frühe Exemplare, die bereits an die 200.000 Kilometer auf dem Tacho haben. Der große Kombi-Überschuss zieht sich durch alle Jahre. Bei Vierzylindern ist die Ausstattung eher ein Preistreiber als die Leistung. Weniger als 100.000 Kilometer Laufleistung gibt’s ab 27.000 Euro, viel Ausstattung ab gut 30.000 Euro.