Aus der Nähe wirkt das Ding noch größer! Das denkt sich mancher vor dem Betreten eines Langstreckenflugzeugs, aber eben auch beim Audi A6 der achten Generation. Auf 4,94 Metern Länge und knapp 1,90 Metern Breite (ohne Spiegel) mimt unser weißes S-Line-Fotoauto den grimmigen Blick eines Star-Wars-Sturmtrupplers – nur eben deutlich größer und enorm treffsicher, was den Geschmack seiner vielfahrenden Fan-Gemeinde angeht. Denn gemeinsam mit den bekannten süddeutschen Konkurrenten gehört der A6 auch als Gebrauchtwagen schlicht zum Besten, was Sie auf Langstrecken pilotieren können. Dass wir uns heute ein Bild von den Gebrauchtqualitäten des A6 der achten Generation machen dürfen, verdanken wir der Fischer Automobile GmbH aus Neumarkt (Oberpfalz). Sie stellten das Fotoauto zur Verfügung, einen Vorführwagen mit Plug-in-Benziner und üppiger Ausstattung, erst ein halbes Jahr und gut 12.000 Kilometer alt. Hier werden wir wohl keinerlei Altersmüdigkeiten feststellen. "Bei Exemplaren mit hohen Kilometerständen aber auch nicht", beteuert Verkaufsberater Florian Pickel. "Die Langzeitqualität des A6 ist sehr gut, selbst ältere Exemplare machen kaum Ärger."
Karosserie: Auf die Feinheiten achten
Ganz gleich, ob Sie vor einem A6 mit bravem Zweiliter Diesel und Vertreterausstattung stehen, oder ob es sich beim Objekt der Begierde um einen mondänen Achtzylinder mit allen Schikanen handelt: Die hervorragende Karosserieverarbeitung ist Serie. Feinste Spaltmaße, Türen, die federleicht ins Schloss fallen und die völlige Abwesenheit von Polter- oder Verwindungsgeräuschen sind jedem Exemplar in die Wiege gelegt. Sollten diese Eigenschaften bei ihrem Wunschexemplar fehlen, dürfte es sinnvoll sein, die Lupe auszupacken und auf Spurensuche von schlecht reparierten Unfallschäden zu gehen. Unser Testauto zeigt sich selbstverständlich im Bestzustand und wir werden gleich in die Dialogannahme gebeten, um uns selbst ein Bild zu machen. Diese Möglichkeit steht (wenn nicht gerade Hochbetrieb herrscht) übrigens jedem Interessenten zu, nicht nur denen mit roter AMS-Jacke.
Beim Check auf der Hebebühne finden sich wie erwartet überwiegend neuwertige Teile ohne erkennbaren Verschleiß – Kunststück, bei dem frischen Fotoauto. Ebenso sichtbar ist allerdings die durchweg saubere Verarbeitung. Schweißpunkte, der Auftrag von Karosseriedichtmasse und die vielen Aero-Verkleidungen wirken so hochwertig wie alle darüberliegenden Glanzstellen. Nichts anderes darf ein Auto zeigen, auf dessen Preisschild 63.980 Euro stehen. Neu hat unser A6 50 TFSI e übrigens satte 95.410 Euro gekostet. Warum das beim Gebrauchtwagencheck ein wichtiger Punkt ist? Von dieser hohen Verarbeitungsqualität profitiert man ein ganzes Autoleben lang. Dass rund 60 Prozent der A6-Erstbesitzer sich für den Avant entschieden haben, heißt nicht, dass es an Vielfalt mangelt. Da wäre zum einen die klassische Stufenhecklimousine, die gebraucht einen Tick günstiger ausfallen kann als die Kombis, zum anderen aber auch der robust beplankte Allroad Quattro, der optisch was hermacht. Und wer es flacher mag, findet im A7 eine technisch baugleiche Fließhecklimousine mit rahmenlosen Seitenscheiben.

Die martialische S-Line-Optik im Verbund mit weißem Lack, lässt den A6 grimmig dreinblicken, wie ein Star-Wars-Stormtrooper. Die meisten anderen Exemplare sind in tristen Grau-Schwarz-Einerlei gehüllt.
Innenraum: Besser als im Nachfolger?
Können Displays eigentlich zeitlos sein? Denen im A6 scheint es zu gelingen, obwohl Digitalanzeigen nach immerhin bis zu sieben Jahren durchaus schon ins unmodische abdriften können. Mehr noch, alles, was im A6 auf Bildschirmen vonstattengeht (das ist so einiges) funktioniert nach immernoch zeitgemäßen Maßstäben in Sachen Reaktionsgeschwindigkeit. Weniger premium: Oftmals spinnt die Smartphoneanbindung, sowohl beim Versuch Apple Carplay bzw. Android Auto zu nutzen, als auch bei der ganz normalen Telefonkoppelung. Wenn mehrere Versuche, Neustarts oder gutes Zureden nicht helfen, löst das Problem dann aber meist ein Softwareupdate. Hierfür zeigen sich Audi-Stützpunkte mitunter sogar kulant.
Doch nicht alles am A6-Cockpit findet digital statt. Zunächst gibt es ein sehr hohes Qualitätsniveau, was Materialien und deren Verarbeitung angeht. Wie schon beim Blech, stehen Spaltmaße und Geräuschdämmung dem enorm hochwertigen Eindruck in nichts nach. Auch die Bedienbarkeit ist erfreulich. Wo es Sinn ergibt, finden sich physische Tasten und Regler. Doch die enorme Vielfalt z.B. der Klimasteuerung ist auf einem responsiven Touchscreen unter dem Hauptbildschirm logisch und leicht bedienbar untergebracht, sodass z.B. die Navikarte oder andere wichtige Anzeigen auch während der Bedienung anderer Funktionen zu sehen bleiben kann. Dieser zweite Bildschirm fiel im frisch enthüllten Nachfolger C9 weg.
Je nach Bauzeitpunkt und Sonderausstattung fällt der obere Bildschirm übrigens unterschiedlich groß, jedoch immer hochauflösend aus. Der elektronische Getriebewählhebel sitzt in jedem A6. Er fungiert auch als Handauflage bei der Infotainment-Bedienung und wurde im Nachfolger ebenfalls gestrichen. Die Digitalinstrumente mit großer Anzeigevielfalt sind erst seit dem Facelift serienmäßig. Über den Sitzkomfort dürfte sich beim A6 niemand beschweren, wohl aber über die teils kniepige Basisausstattung. Manuelle Sitze sind in der Oberklasse-Konkurrenz von Mercedes und BMW schon seit Jahrzehnten verpönt. Dass auch weitere scheinbare Selbstverständlichkeiten im A6 nicht zur Serie gehören, blenden wir hier aus, weil fast alle Exemplare eine angemessene Ausstattung mitbringen, selbst wenn diese einst extra kostete.
Ungeachtet von der Ausstattung ist das sehr großzügige Platzangebot im üppig dimensionierten Innenraum. Das Raumgefühl wird noch dadurch erweitert, dass vorn und hinten jeweils sehr tiefe Sitzpositionen möglich sind. Eine Wohltat besonders für große Menschen. Im Kofferraum erwarten einen gute Durchschnittswerte. 530 Liter in der relativ seltenen Limousine, sowie 565-1.680 Liter im Avant. Plug-in-Hybride wie unser Fotoauto haben einen etwas erhöhten Ladeboden ohne weitere Fächer.

Ist neu wirklich immer besser? Dieses Bedienkonzept wirkt auch nach bis zu sieben Jahren noch nicht angestaubt. Manches davon bietet der Nachfolger nicht mehr.
Motoren: Solide Triebwerke
Bei hochwertigen Langstreckenautos wie dem A6 ist es nicht vermessen, über die Wartung bei sechsstelligen Laufleistungen nachzudenken. Dafür sorgen nicht zuletzt die sehr haltbaren Antriebe. Benzinerseitig nutzt das Gros den aus dem VW Golf GTI bekannten Zweiliter-Vierzylinder EA888, der im Audi sparsam, ausreichend kräftig und vor allem beeindruckend leise zu Werke geht. Die Sechszylinder im C8 haben die vormals öfter aufgetretenen Lagerschäden an den Rollenschlepphebeln hinter sich gelassen, und der bärenstarke Vierliter-V8 im RS6 gilt ebenfalls als solide.
Ebenso verdienen die Selbstzünder großes Lob. Der ebenfalls von VW bekannte 2.0 TDI ist ausgereift, sehr haltbar und (besonders vor der Umstellung auf Euro 6d Ende 2020) enorm sparsam. Technisches Highlight und obendrein unsere Motorenempfehlung ist der 3.0 TDI EA897 Evo, wie er ab einschließlich 45 TDI in unterschiedlichen Leistungsstufen eingebaut wird. Der Motor begeistert mit bäriger Schubkraft, die stets von einem 48-Volt-Mildhybrid-System unterstützt wird, dem rauchig-feinen Klang und einem Spritverbrauch, der sich ohne viel Mühe auf eine Sechs vor dem Komma drücken lässt. Besonders wichtig ist hier allerdings das Einhalten der Serviceintervalle und eine vernünftige Behandlung des Motors. Der ist zwar im Kern sehr solide und jahrelang erprobt, seine komplex geführten und zudem hinten angebrachten Steuerketten werden im Schadenfall jedoch zu einem arg teuren Kostenpunkt.
Weil im Prinzip alle Motorvarianten kräftig genug sind, um mit dem A6 fertig zu werden, bleibt die Wahl letztlich eher eine Kosten- und Charakterfrage. So ein Sechszylinder wirkt durchaus verführerisch souverän, doch dank der hervorragenden Geräuschdämmung machen auch die Vierzylinder eine gute Figur. Wer nicht auf den allerletzten Cent achtet, sollte zur Allradversion greifen. Im Alltag funktionieren Fronttriebler zwar völlig problemlos, doch auf Schnee und Glätte wirkt das Scharren mit den Vorderrädern doch etwas fehl am Platze.

Viel zu sehen gibt es von der komplexen Antriebstechnik normalerweise nicht. Erst wer die Kunsstoffdeckel abnimmt, entdeckt das Leitungswirrwarr.
Getriebe: Zwei Menüs stehen zur Auswahl
Meist ab der zweiten Leistungsstufe der V-Motoren ist die zuverlässige und enorm sanft arbeitende Achtstufenautomatik an Bord. Darunter gibt’s in allen Versionen serienmäßig die Siebengang-S-tronic, ein Doppelkupplungsgetriebe. Dieses unterliegt zwar einem Kupplungsverschleiß ähnlich wie beim Schaltgetriebe, zeigt sich aber bislang in allen Applikationen als relativ robust und langlebig. Weil Abriebpartikel wichtige Ölpassagen und das Schaltschiebergehäuse zusetzen können, ist der vorgegebene Getriebeölwechsel mit Spülung alle 60.000 Kilometer wichtig. Kostenpunkt: 500 bis 600 Euro. Werden nach mehreren 100.000 Kilometern neue Kupplungen fällig, fallen 1.500 bis 2.000 Euro Reparaturkosten an. Spätestens ab der Umstellung von Euro-6d-Temp auf Euro-6d 2020 gehört in fast allen Nicht-Hybrid-Versionen des A6 eine gewisse Gedenksekunde beim Anfahren dazu. Diese ist rein softwarebedingt und erfordert ein wenig Gewöhnung.

Der Getriebewählhebel mit Lederbezug ist ein echter Handschmeichler und dient zudem der Handauflage während der Infotainmentbedienung. Da er rein elektronisch funktioniert, wäre eine billige Tastenbedienung wie im Nachfolger ebenso möglich. Schön, dass es ihn gibt.
Fahrwerk: Gear down …
… heißt es, wenn’s im Flugzeug ans Ausfahren des Fahrwerks geht. Auch beim A6 sollten sich Gebrauchtkäufer mit diesem Thema beschäftigen, denn es bietet ebenso viele Optionen wie potenzielle Schwachstellen. Vorn arbeitet immer die Audi-typisch komplexe Radaufhängung mit Fünflenkerachse. Der Gelenkverschleiß ist achtern deutlich geringer als an der Vorderachse. Dafür bringt die Allradlenkung eine weitere mögliche Komplikation, die neu knapp 2.000 Euro Aufpreis kostete. Rundum sollte der Zustand der Bremsen geprüft werden. Auch die Koppelstangen zum Stabilisator kommen als Ursache von Fahrwerkspoltern infrage. Der A6 ist schnell und schwer, doch die aufwendige Fahrwerkstechnik hat zum Vorteil, dass das Haftungsniveau in alle erdenklichen Richtungen der Fahrdynamik sehr hoch ist. Das macht ihn keineswegs zum Sportwagen, doch die Fahrstabilität und die Präzision, die der Zweitonner in schnell gefahrenen Kurven auf den Asphalt bringt, liegt erwartungsgemäß auf sehr hohem Niveau. Und speziell mit der Allradlenkung ist der große Wagen dann auch überraschend handlich. Unter den gern genommenen XXL-Alurädern mit sehr geringem Reifenquerschnitt leidet der Komfort kaum.

Eine Sportliche Gangart steht sicher nicht ganz oben im Oberklasse-Lastenheft. Ein sehr gutes Fahrwerk ermöglicht es dem A6 aber, spursicher und schnell zu sein, wenn freilich auch nicht allzu gefühlsecht.
Mängel: Nach Rückrufen bleibt wenig übrig
Bis zum Baujahr 2021 störten hängende Tankgeber die Füllstandsanzeige. Nicht wenige A6-Eigner klagen immer wieder über Störungen der Fahrassistenz. Beim Neustart verschwinden diese meist. Hartnäckiger sind dagegen Kommunikationsprobleme mit Smartphones, die, wie bereits erwähnt, immer wieder vorkommen. Undichte Radhausschalen waren Teil eines Rückrufs. Sind die Teppiche vorn trocken? Im Baujahr 2018 gab es Fehler in der Verklebung des Glasdachs. Die Folge: Windgeräusche. Panoramadächer neigen ab und zu zum Klappern. Hier hilft manchmal schon etwas Fett. So bleiben tatsächliche Mängel am Ende meist abhängig vom jeweiligen Exemplar. Wer sich für ein Premiumfahrzeug entscheidet, darf nicht davon ausgehen, dass für ein Butterbrot alles instand zu halten ist. Belege über erneuerte Brems- und Fahrwerkskomponenten sind also wertvolle Dreingaben, ein Wartungsstau dagegen eher ein Grund zum Zweifeln.

Die Radhausschalen früher Baujahre ließen in einzelnen Fällen Nässe bis in den Innenraum durch. Dass hier ein textilmaterial mit besserer Geräuschdämmung verwendet wird, hat damit nichts zu tun.
Preise: Kein Billigflieger, aber gebraucht durchaus preiswert
Mit knapp 6.000 Inseraten zum A6 C8 finden sich im Netz unzählige Kandidaten. Vielfahr-Autos mit reichlich sechsstelligen Kilometerständen beginnen schon bei etwa 20.000 Euro. Der Durchschnitt ist natürlich frischer und kostet zivil motorisiert um 30.000 Euro. Aufgrund der potenten Motorisierungen und der noch aktuellen Baujahre gibt es nach oben hin keine Grenzen. Ob der frisch enthüllte Nachfolger daran nennenswert etwas ändert, wird sich zeigen.