Amerikanische Full-Size Pick-ups haben es nicht leicht bei uns. Während ihre Besitzer und Nutzer sie lieben und niemals ersetzen würden, fehlt vielen anderen schlicht das Verständnis für die V8-Kolosse. Ja, es mag Ausnahmen geben, doch fast immer erfüllen solche Autos gerade hierzulande einen bestimmten Zweck. Ihre Fähigkeiten als Zugmaschine, Schwerlasttransporter oder Langstrecken-Nutzfahrzeug machen sie in ihrem Heimatland seit Jahrzehnten zum erfolgreichsten, was Räder hat. Bestes (weil hierzulande meistverkauftes) Beispiel dafür ist der Ram 1500, der übrigens seit 2011 nicht mehr Dodge heißt. Hier sind zehn Gründe für den Giganten unter den Gebrauchtwagen.
1. Was er alles kann
Wer schon mal in Gegenden zwischen New York und LA unterwegs war, kennt es: Jedes zweite oder dritte Auto ist ein Pick-up. Die Trias aus Ford F-150, Chevrolet Silverado (nebst Schwestermodell GMC Sierra) und Ram 1500 steht seit Ewigkeiten ohne große Unterbrechungen an der Spitze der Zulassungsstatistik. Von ihnen ist hierzulande der Ram 1500 der meistverkaufte. Rund 1.100 Kilo Nutzlast, 3.500 Kilo Anhängelast in Verbindung mit höchstem Reisekomfort, beachtlicher Geländetauglichkeit und unzähligen luxuriösen wie praktischen Annehmlichkeiten bilden eine Mischung, die ein einzelnes Fahrzeug von anderer Konvenienz kaum zu leisten imstande ist. "Kleinere" Pick-ups, wie ein VW Amarok oder ein Nissan Navara, sind zwar ebenso fleißige Zieher, bieten aber deutlich weniger Durchzugskraft und Platz im Innenraum. Luxus-SUV wie ein Mercedes GLE oder ein BMW X5 können auch 3,5 Tonnen an den Haken nehmen, sind ähnlich luxuriös ausstaffiert, bieten dafür jedoch nicht die grenzenlos praktische Pick-up-Ladefläche. Sie sind – wie beispielsweise auch fein ausstaffierte Mercedes V-Klassen oder VW Multivans – deutlich teurer in Anschaffung und Unterhalt. Kurz: So ein US-Pick-up ist die eierlegende Wollmilchsau.
2. Spritkosten
Fangen wir früh mit dem Elefanten im Raum an: "Ja, aber der Verbrauch!" Auch tendenziell sparsamen Fahrern gelingt es selten, einen Ram im Alltag mit deutlich weniger als 14 Liter Benzin auf 100 Kilometer zu bewegen. Auch wenn dieser Wert für Größe, Gewicht und Kompetenz des Ram gar nicht mal unverschämt hoch ausfällt, liegt er natürlich weit über dem, was für ein Alltagsauto akzeptabel erscheint. Die Lösung zu diesem Problem tragen die meisten Europa-Rams unter der Ladefläche. Da, wo sonst das Reserverad wohnt, sitzt ein rund 100 Liter fassender LPG-Tank. LPG, also Flüssiggas, wird steuerlich (noch) begünstigt und liegt preislich etwa bei der Hälfte von Dieselkraftstoff. Grob gerechnet stehen Sie also vor den Treibstoffkosten eines Diesel-Pkw, der knappe acht Liter verbraucht. Das ist im Blick auf das Gebotene kaum zu schlagen, erst recht nicht von obengenannter Konkurrenz.
3. Steuer und LKW-Zulassung
Auch bei der Kraftfahrzeugsteuer lauert nicht zwingend eine Kostenfalle. Obwohl einige Zulassungsbehörden den Ram bei der Erstzulassung als PKW klassifizieren, gibt es auf dem Gebrauchtmarkt zahllose Exemplare, deren Fahrzeugschein das Kürzel N1 BE oder N1G BE (Pick-up) aufweist. Das entspricht einer Lkw-Zulassung unterhalb von 3,5 Tonnen und wird somit nach Gewicht besteuert, nicht nach Hubraum und CO₂-Ausstoß. Rund 190 Euro kostet dies jährlich – unschlagbar. Dabei braucht sich auch niemand um ein Sonntagsfahrverbot sorgen, dessen Fahrten privat und ohne kommerziellen Hintergrund stattfinden.
4. Einsatz als Zugfahrzeug
Camper, Bootsbesitzer und ganz besonders Reiter wissen, dass es mit der reinen Anhängelast nicht getan ist. Die liegt beim Ram in Europa bei 3,5 Tonnen. Schlicht, weil außerhalb des Lkw-Territoriums nicht mehr gestattet ist. Mit gleicher Technik dürfen die Autos in den USA auch fünf Tonnen und mehr an den Haken nehmen. Allein das sorgt bereits für ein sicheres Gefühl, wenn der Hänger doch mal etwas schwerer wird. Gewicht, Geometrie und Fahrwerksabstimmung sorgen bei derartigen Pick-ups von Natur aus für ein sehr ruhiges Fahrverhalten. Für gefühlvolles Fahren ist der sanft ansprechende Saugmotor mit seinem großen Drehmoment erste Sahne und auch das Getriebe gehört in Sachen Feingefühl und Haltbarkeit zur ersten Wahl.
Eine kleine, mögliche Enttäuschung könnte dennoch lauern: Wer mit dem niedrigtourigen Antritt eines starken Turbodiesels rechnet, wird spätestens in den Alpen oder an den Kassler Bergen eines Besseren belehrt. Um unter großer Last in Schwung zu bleiben, schwingt sich der V8 nicht selten in unerwartet hohe Drehzahllagen auf. Ein echtes Problem stellt das allerdings nicht dar.
5. Platzangebot
Wer die Ladefläche bis zur Kante nach VDA-Norm auslitert, kommt auf ein Ladevolumen von 1526 Liter. Das entspricht einem mittleren Kombi bei umgeklappter Sitzbank, nur dass im Ram alle Sitzplätze erhalten bleiben. Wer mag, kann sich die Pritsche per Bed Cap (auch als Tonneau Cover bezeichnet) als Klappe oder Rollo verdecken, oder gar um ein aufgesetztes Kombi-Heck aufstocken. Diese Aufbauten sind nur durch Klemmschrauben gesichert und lassen sich auch leicht wieder entfernen.
Im Innenraum wartet der wahre Aha-Effekt. Der geriet in allen Dimensionen derart fürstlich, dass der Eindruck entsteht, man könne sich im Auto verlaufen. Überdies gibt es, wo man es sich nur vorstellen kann, noch Klappfächer in allen Größen und Formen. Die Boxen unter dem hinteren Fußraum lassen sich (um den Ablaufstopfen erleichtert) sogar als Getränkekühler mit Eis füllen.
6. Qualität
Noch immer hängt amerikanischen Autos der Ruf einer eher liederlichen Machart im Interieur nach. Davon kann im Ram keine Rede sein. Während die älteren, aber noch immer als Neuwagen bestellbaren Vorgängermodelle der Baureihe DS zwar im Bereich des Cockpits noch eher wenig opulent wirken, zündet spätestens ein gut ausgestatteter DT, also der Ram der fünften Generation, ein wahres Feuerwerk in Sachen Leder, Metall und sogar Edelholz. Das Ganze ist gefällig gestaltet, hübsch verarbeitet und zudem noch in einer Fülle verschiedener Stilrichtungen erhältlich – vom gut bürgerlichen Laramie bis hin zum extrem luxuriösen Longhorn.
7. Robustheit
Anfangs haben wir bereits genannt, dass der Ram in seinem Heimatland gemeinsam mit Pick-ups von Ford und General Motors um Käufer buhlen muss. Hierzulande beherrscht er den Full-Size-Markt fast im Alleingang, schon allein, weil die Konkurrenz nur über Grauimporte zu haben ist. Ein wichtiger Grund dafür bestand lange darin, dass die Dodge-Motoren im Vergleich am besten mit LPG klarkamen. Dieses verbrennt heißer als normales Benzin und kann so speziell bei Aluminium-Zylinderköpfen für thermisches Verziehen oder zumindest eine Schmierungsunterversorgung des Ventiltriebs führen. Dem kam man beim GM-typischen LS-V8 nur durch Einspritzung einer separaten Ventilschmierung bei, während bei einigen Ford-US-Motoren über längere Zeit nur eine Revision half. Der Hemi im Ram hält's dagegen auch auf Dauer aus.
Überhaupt ist die robuste Leiterrahmen-Konstruktion für dauerhaften Profieinsatz unter widrigen Bedingungen ausgelegt und extrem haltbar. Ab Werk ist der Rostschutz nicht allzu vorbildlich. Offiziell importierte Exemplare wurden jedoch noch vor der Auslieferung mit umfangreicher Hohlraumkonservierung geschützt.
8. Technische Finesse
Nach dem Kapitel zur Robustheit könnte der Eindruck entstehen, der Ram sammle seine Vorzüge allein durch vorsintflutliche Technik. Immer mehr Exemplare finden jedoch ihren Weg auf den Gebrauchtmarkt, die schon allein aufgrund ihrer Ausstattung alles andere als archaisch ankommen. Ein Luftfahrwerk, welches sich bei höheren Geschwindigkeiten selbstständig absenkt, moderne Fahrassistenzsysteme, ein echtes Head-up-Display ohne suboptimale Klappscheibe und alle Infotainmentschmankerl sind gar nicht so selten an Bord. Feinheiten wie aktive Vibrationsdämpfer, die beim Fahren auftretende Schwingungen durch gezieltes Einbringen feiner Unwuchten ausgleichen, zeigen den hohen Anspruch der Konstrukteure. Das Ganze resultiert in einem außergewöhnlich leisen und komfortablen Fahreindruck. Laute Auspuffanlagen, Höherlegungen und breite Offroad-Reifen machen diesen jedoch zunichte.
9. Wertstabilität
Dieser Abschnitt ist Fluch und Segen zugleich. Während vor Corona ein nagelneuer Laramie mit guter Ausstattung schon für rund 65.000 Euro beim Händler stand, werden neue Exemplare derzeit für deutlich über 80.000 Euro verkauft – ein Grund, weshalb der etwas günstigere Vorgänger noch ein letztes Revival feiern durfte. Auf dem Gebrauchtmarkt warten nicht unbedingt viele Schnäppchen. Junge Gebrauchte sind rar und teuer, mittelpreisige Ware mittleren Alters gibt es nicht, weil sie praktisch niemand weggeben möchte, und der preisliche Bodensatz besteht aus abgekämpften Arbeitstieren von Anno Tobak. Wer also ein gutes Exemplar besitzt oder zum fairen Kurs erstehen kann, darf sich sicher sein, auch im Verkauf gutes Geld zu bekommen. Eine kleine Aufmunterung: Mit über 2.000 Inseraten, die aktuell im Netz zu finden sind, ist die Auswahl gar nicht so klein.
10. Fahrgefühl
Okay, so ganz ohne Pathos kommt dieser kleine Ram-Ratgeber doch nicht aus. Es gibt – wie Sie sehen – genügend gute und rationale Gründe für einen Ram. Das einzigartige Fahrgefühl im großen V8 Auto mit Fahrerplatz im obersten Stockwerk darf aber auch gern einer davon sein. Spätestens auf langen Strecken mit vielen Mitfahrern oder Gepäck zeigt der fette Pick-up endgültig seine wahren Stärken, selbst wenn es hier nur auf den sahnigen Fahrkomfort oder die äußerst klangstarke Audioanlage ankommt. Einfach so zum Spaß ist das Ram-Fahren vielleicht nicht die beste Idee. Doch wer einen gewissen Nutzungsanspruch an ein Auto hat, darf hier gern zugreifen.
Negatives: Was ist schlecht?
Nun, es wäre gerade in Zeiten wie diesen geradezu verblendet, einen Fullsize-Pick-up bedenkenlos in den Himmel zu loben, ohne darauf hinzuweisen, dass er in Deutschland manchmal ein wenig deplatziert ist. Das hat objektiv damit zu tun, dass seinem XXL-Format nur wenige Parkhäuser gewachsen sind und auch manche Altstadt schlicht zu klein ist. Und subjektiv damit, dass nicht jeder mit Sympathie auf den XXL-Ami reagiert. Wer einmal längere Zeit im Ram unterwegs war, kennt den einen oder anderen bösen Blick oder Kopfschüttler, den man erntet, wenn man versucht, das Trumm durch die Stadt zu bugsieren. Immerhin: chronische und vor allem teure Technikmängel sind kaum zu befürchten.
Fazit
Dass Nutzfahrzeuge groß und kraftvoll sein müssen, ist ja keine Neuigkeit. Dass sie zudem aber auch vielseitig und luxuriös sein dürfen, das ist manch einem noch neu. Wenn Sie etwa einem raumgreifenden Hobby frönen, oder einen Handwerksbetrieb besitzen, dann kann so ein Ram plötzlich viel mehr Sinn ergeben, als Sie vielleicht gedacht haben.