Mit dem Produktionsstart der mittelschweren LP-Baureihe im Jahr 1965 begann für die Lkw-Sparte von Mercedes eine neue Ära. Gemeinsam mit dem leichten Frontlenker war die mittlere Baureihe im Gewichtsbereich von acht bis 22 Tonnen die erste Lkw-Generation, die im damals neu errichteten Werk in Wörth produziert wurde. Gleichzeitig begann damals das Zeitalter der Frontlenker bei Mercedes, das sich bis heute mit den Flaggschiffen Arocs und Actros gegenüber den Hauben-Lkw durchgesetzt hat.
Die ersten Frontlenker mit Stern
Als Frontlenker bezeichnet man Lkw, bei denen das Fahrerhaus direkt über oder unmittelbar vor der Vorderachse und dem Motor angeordnet ist, also ohne Vorbau an der Fahrzeugfront für den Motor. Der Hauptaspekt für diese Bauweise ist der geringere Platzbedarf für die Fahrerkabine, was sich entsprechend auf die zur Verfügung stehende Ladefläche auswirkt. Ein gerne mitgenommener Nebeneffekt ist die viel bessere Übersicht gegenüber Lkw mit langer Motorhaube, verstärkt noch durch die höhere Sitzposition. Schließlich befindet sich die Kabine über dem Motor entsprechend höher montiert.
Beim LP Mittelschwer gilt das mit dem Motor unter der Kabine nur eingeschränkt: Ein Teil der Maschine ragt in die Fahrerkabine, abgedeckt von einer großen Haube. Über diese Haube hatte man bei Reparaturen und Wartungsarbeiten Zugang zum Motor, denn die LP-Baureihe hatte noch keine heute übliche Technik, um die Fahrerkabine für einen leichteren Zugang nach vorne zu kippen. Stattdessen sorgten neben der Abdeckung in der Kabine zahlreiche Wartungsklappen an der Außenseite dafür, dass der LP zu seinem Spitznamen "Adventskalender" kam – weil sich so viele "Türchen" aufklappen ließen. Bei Mercedes wird dieses Fahrerhaus "kubische Kabine" genannt.
Einfache Technik
Insgesamt war der LP mit – besonders aus heutiger Sicht – verhältnismäßig einfacher Technik aufgebaut, was zu niedrigen Preisen und einem großen Verkaufserfolg führte. Das einfache Fahrwerk mit Starrachsen und Blattfedern rundum gewann keine Komfort-Preise, war aber robust und haltbar. Motorisiert waren die mittelschweren LP-Modelle über 10 Tonnen Gesamtgewicht durchgängig mit Sechszylindermotoren von 5,7 bis 8,7 Liter Hubraum und Leistungsdaten von 110 bis 192 PS. Letzteres ist die Motorisierung des grauen Fotomodells in dieser Geschichte, ein LP 1519. Dessen OM 360-Motor kommt auf ein Drehmoment von 579 Newtonmeter; die Typbezeichnung (erste zwei Zahlen Tonnage, zweite Zahlen Motorleistung) verrät den 15-Tonner mit 192 PS, die stärkste verfügbare LP Mittelschwer-Motorisierung.
Die "kubische Kabine" des LP 1519 feierte in vergleichbarer Form bereits zwei Jahre zuvor bei den schweren Frontlenkern von Mercedes (LP Schwer) Premiere, im Gegensatz zu diesen Modellen tragen die mittelschweren LP ihre Scheinwerfer aber nicht in der Stoßstange, sondern in der Kühlermaske. Das macht die verschiedenen Gewichtsklassen bereits aus der Ferne leicht unterscheidbar. Warum die damaligen Lkw die Bezeichnung "LP" trugen, ist auch schnell erklärt: L für "Lastwagen" und P für "Pullman", so bezeichnete der Hersteller die Frontlenker-Fahrerkabine.
Zahlreiche Konfigurationen
Die LP Mittelschwer-Baureihe war bereits damals mit zahlreichen Konfigurationen und kundenspezifischen Sonderaufbauten verfügbar, Mercedes lieferte das Modell unter anderem als Pritschenwagen, mit Kipper für den Baustelleneinsatz und als Sattelzugmaschine (LPS). Im Gegensatz zu den modernen Mercedes-Lkw gab es allerdings keinen optionalen Allradantrieb, die Fahrzeuge verfügten alle über eine 4x2-Auslegung mit angetriebener Hinterachse.
Die Kröpfung der Vorderachse beim Mercedes-Benz LP Mittelschwer war eine der auffälligen konstruktiven Besonderheiten dieser Baureihe. Die Vorderachse war markant nach unten gekröpft ("tiefergelegt"), was zur Folge hatte, dass der Rahmen über der Achse besonders tief geführt werden konnte. Dadurch ergaben sich zwei wichtige Vorteile: Ein tieferer, komfortablerer Einstieg für die Fahrer und ein verbesserter Schwerpunkt des Fahrzeugs.
Im direkten Vergleich mit dem modernen Arocs ist es mehr als offensichtlich, welche gewaltigen Fortschritte die Lkw-Technik in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat. Ein enormer Gewinn nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für das Fahrpersonal, das heute ungleich komfortabler und sicherer der Arbeit nachgehen kann.