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Zustand der FIA-Weltmeisterschaften
Strohfeuer oder Flächenbrand

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Fast alle Weltmeisterschaften mit FIA-Prädikat stehen unter großem Druck: Die GT-WM ist schon tot, die TW-WM hatte jüngst den Ausstieg von Chevrolet zu verkraften, und in der Rallye-WM gelten Citroën und Ford als Wackelkandidaten. Noch bedenklicher: Sinkende Einnahmen, steigende Kosten und hohe FIA-Gebühren zertrümmern den Business- Case der Weltmeisterschaften.

FIA Flagge
Foto: dpa

Ich möchte mich öffentlich bei der FIA und ihrem Präsidenten Jean Todt für die Unterstützung bedanken.“ Stéphane Ratel las den holprigen Satz im Pressesaal der Strecke von Spa Francorchamps mit einem Gesichtsausdruck ab, als müsse er eine Hand voll Spinnen herunterwürgen. Die Zuhörer waren an diesem 27. Juli 2012 allesamt Insider, und sie wussten natürlich sofort: Die Aussage war ein Hohn, in Wahrheit hatte es zwischen GT-Promoter Stéphane Ratel und FIA-Boss Jean Todt ordentlich gescheppert.

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Ratels jährliche Pressekonferenz in Spa war schon immer ein Ort dramatisch-giftiger Scheidungen. 2005 kündigte Ratel an gleicher Stelle den Austritt seiner GT-Meisterschaft aus den beliebten Super Racing Weekends an, die zusammen mit der TW-Weltmeisterschaft von Marcello Lotti stattfanden. Ratel wollte endlich seine eigene WM, die ihm FIA-Präsident Max Mosley zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2009 dann auch zuschanzte. Nach nur drei Jahren warf Ratel den WM-Bettel in Spa nun mehr oder weniger freiwillig hin - obwohl er zuvor jahrelang wie ein Löwe um dieses Prädikat gekämpft hatte.

Warum scheiterte die GT-WM

Eine WM weniger auf dieser Welt, was automatisch die Fragen aufwirft, warum die GT-WM scheiterte und ob den anderen Weltmeisterschaften ein ähnliches Schicksal blühen könnte? In der Tat scheint das Scheitern der GT-Topklasse kein singuläres Ereignis zu sein, sondern viel mehr symptomatisch für die Lage der FIA-Weltmeisterschaften. Fünf Prädikate von Weltrang hat die Motorsportbehörde FIA in den verschiedenen Motorsportdisziplinen vergeben: Formel 1, Rallye, GT-Sport und Tourenwagen. Dazu kommt seit diesem Jahr der Titel für die Langstrecken-Weltmeisterschaft, eine Kooperation mit dem Le-Mans-Veranstalter ACO.
Außer Formel 1-Promoter Bernie Ecclestone hat im Moment niemand Anlass zum Lachen. Die einzige globale Bühne des Motorsports floriert fröhlich vor sich hin, sie ist die einzige Konstante im Konzert der Weltmeisterschaften. Kein Wunder, bei jährlichen Einnahmen von 579 Millionen Dollar über die GP-Veranstalter und jenen Regierungen, die sich einen Staats-GP leisten wollen. Die Formel 1 ist Big Business, und der kleine Bernie immer noch der Größte.
Der Rest vom Schützenfest stöhnt vernehmlich. Ein Teil der Probleme ist der wirtschaftlichen Instabilität geschuldet: Der Euro bröckelt, der alte Kontinent wackelt, was wiederum die Zukunftsmärkte der Automobilindustrie in Asien und Amerika beeinflusst. Und wenn die Auto-Industrie hüstelt, dann hat der Motorsport eine Lungenentzündung.
Ratel bringt die Misere, der sich alle WM-Promoter im Moment zu stellen haben, ohne Scheu auf den Punkt: „Das gesamtwirtschaftliche Umfeld hat sich so stark verschlechtert, dass wir unseren finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Weltmotorsportbehörde FIA nicht mehr nachkommen können.“ Damit schiebt der Franzose den Schwarzen Peter indirekt der FIA in die Schuhe: Die hohen Gebühren seien im aktuellen wirtschaftlichen Klima nicht mehr zu erwirtschaften - und damit platze das etablierte Geschäftsmodell der Weltmeisterschaften.
Ratel hat in Spa die Fortsetzung der WM ohne WM-Titel angekündigt. Kein sehr origineller Ansatz, um die akuten Probleme zu lösen - darin waren sich alle Zuhörer einig. Jahrelang diktierte Ratel den Journalisten sein Credo in die Notizblöcke: „Der WM-Status wird all unsere Probleme lösen: Nur mit dem FIA-Prädikat können wir Sponsoren finden und Geld mit der TV-Berichterstattung verdienen.“ In drei Jahren ist nichts davon wahr geworden - kein Hauptsponsor, ungenügende Präsenz im Fernsehen und damit keine Sponsoren. Wenn der Markt über Angebot und Nachfrage reguliert wird, hätte Ratel seine WM schon vor über einem Jahr zusperren müssen, als er begann, Teams künstlich am Leben zu erhalten. Spätestens da waren die Marktgesetze außer Kraft.

Welche Rolle hat der GT-Sport bei der FIA?

Was in Zukunft mit dem GT-WM-Titel passiert, liegt nicht in Ratels Hand, auch wenn er in der Pressekonferenz diesen Eindruck erwecken wollte. Entscheidend ist vielmehr, was die FIA macht. Bisher gibt es aus dem Hauptquartier der FIA nur das übliche Blabla: „Der GT-Sport ist für die FIA von zentraler Bedeutung.“ Und: „Wir werden die Lage analysieren und neu bewerten.“
Wenn die FIA Ratel und seiner neuen GT-Sprint-Serie nicht in den Rücken fallen will, dann hält sie still und macht gar nichts. Sie könnte den vakanten Titel aber auch der Langstrecken-WM zuschustern, wo die GT-Teams bisher um einen wenig lukrativen Weltcup fahren. Und schließlich könnten sich neue Promoter finden, die der FIA ein Angebot zur Austragung der GT-WM machen. Das wäre gar nicht gut für Ratel, doch dazu später mehr.
Trotzdem hat der Franzose zwei zentrale Probleme klar benannt: Während die Einnahmen für die WM-Promoter in den letzten Jahren konstant sanken, blieben die Ausgaben - sprich die Abgaben für die FIA - hoch. Und das Fernseh-Thema brennt allen Weltmeisterschaften unter den Nägeln. Ein WM-Prädikat bedeutet heute eben nicht mehr, dass die Fernsehsender für die Übertragungsrechte bezahlen. Der Fernsehmarkt ist überflutet mit Sportangeboten, ergo muss man zahlen, wenn man gesehen werden will. Und hier geht die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben dann endgültig auseinander.
Das wird auch deutlich beim Blick in die anderen Weltmeisterschaften: Der diabolische Mix aus sinkenden Einnahmen, steigenden Kosten bei Vermarktung und TV sowie hohen FIA-Gebühren plagt alle Weltmeisterschaften. So könnte aus dem Strohfeuer des Scheiterns der GT-WM ganz schnell ein Flächenbrand werden. Die Nachrichten von der Rallye-Front sind nicht minder Besorgnis erregend: Mit Citroën und Ford wackeln zwei Hersteller bedenklich, obwohl sich der mächtige Volkswagen-Konzern eben erst zum Einstieg in die Rallye-WM entschlossen hat. Vielleicht zittern die Gegner dort ja auch gerade wegen der Mächtigkeit des VW-Konzerns?
Eine Kostenspirale auf der Wettbewerbsseite braucht die Rallye-WM so nötig wie ein Loch im Kopf. Dazu rutschte der WM-Promoter North One im letzten Jahr in die Insolvenz, was zur Folge hatte, dass die FIA die WM nun selbst ausrichten muss. Dafür besitzt sie weder die Infrastruktur noch die Kompetenz. Das Geschäftsmodell der FIA ist das Melken der WM-Kühe, nicht die Aufzucht und Pflege derselben. Mitten im Chaos sprang auch noch der Hauptsponsor Nokia ab. Ein Fernsehvertrag, der die flächendeckende Berichterstattung sicherstellt, fehlt. Die FIA muss Erlöse durch die Weltmeisterschaften generieren, um ihren aufgeblasenen Apparat zu unterhalten. Stattdessen entgehen der FIA auf dem Rallye-Sektor Einnahmen von 2,5 Millionen Euro pro Jahr.

Der Tourenwagen-Weltmeisterschaft geht es da im Vergleich noch am besten. Zwar musste WM-Promoter Marcello Lotti erst jüngst den Ausstieg von Chevrolet verkraften. Doch erstens wollte Chevrolet eh Ende 2013 aufhören, und zweitens hat Lotti mit Honda einen neuen Fisch aus dem Hersteller-Teich gezogen. Ford will sein Engagement ausbauen, und Seat entwickelt ein neues Auto, das im Mai 2013 fertiggestellt sein soll. Die Tatsache, dass auch Lada im nächsten Jahr zurückkehren wird, erzeugt nur mäßige Bewunderung, doch ein Hersteller ist ein Hersteller.
Lotti ist zudem hoffnungsvoll, dass das Chevy-Werksteam RML einen neuen Kunden an Land ziehen könnte. Ray Mallock steht mit Nissan in engem Kontakt. Und wo Honda ist, da ist auch Toyota meist nicht weit weg - auch diesen Handlungsstrang verfolgt Lotti intensiv. Träume hat der umtriebige Italiener auch noch, zum Beispiel BMW vom Weitermachen zu überzeugen, auch wenn Spatzen aus München flöten, das stehe nicht auf dem Spielplan. Insgesamt steht die Tourenwagen-WM nicht so schlecht da: Lotti hat Autos und Hersteller und Teams. Es könnten mehr sein, aber immerhin.
Dazu hat Lotti ein Pfund, das kein anderer hat: TV. Denn der Italiener fungiert als General Manager der Tourenwagen-WM und der Intercontinental Rally Challenge IRC - und zwar im Auftrag der Firma Eurosport Events. Im Grunde ist Eurosport also Promoter dieser beiden Meisterschaften. Der paneuropäische Sportkanal ist mittlerweile auch international ein Schwergewicht: Die Ausdehnung ins asiatische Free-TV war erfolgreich, dazu vermarkten die Franzosen ihre Fernsehrechte weltweit. Ein Beispiel: Nur 35 Prozent aller TV-Zuschauer sehen die TW-WM auf Eurosport - der Rest kommt über weltweite Rechte-Deals. Als WM-Promoter liefert Eurosport das Fernsehen zur Rennserie also gleich mit.
Das bringt die Franzosen und ihren Generalmanager Marcello Lotti in eine bockstarke Ausgangslage für die Zukunft: Die Vertragsverlängerung mit der FIA über die Abhaltung der Tourenwagen-WM ist so gut wie durch. Die IRC wird zur Rallye-Europameisterschaft - und bleibt ebenfalls bei Eurosport. Da liegt es nahe, dass die Franzosen auch ein Angebot als Promoter für die Rallye-WM abgeben. Wir erinnern uns: Die französischen TV-Asse halfen der FIA bereits beim Saisonstart, der Rallye Monte Carlo, aus der Patsche. Und wer weiß: Vielleicht macht Eurosport sogar ein Angebot für die Fortsetzung der GT-Weltmeisterschaft, sozusagen im Huckepack-Verfahren mit der TW-WM - was die Kosten auf einen Schlag halbieren würde. Und Eurosport Events hält nach wie vor die Namensrechte an den Super Racing Weekends ...
Für die FIA hätte dieses Szenario nur Vorzüge. Sie bräuchten sich um nichts mehr zu kümmern und könnten ihre Gebühren kassieren. Die Hersteller hätten auch nichts mehr zu meckern, weil Eurosport die TV-Grundversorgung der Weltmeisterschaften sicherstellen würde. Ohne diese Grundversorgung ist es nahezu unmöglich, lukrative TV-Deals auszuhandeln. Stéphane Ratel ist drei Jahre lang von Pontius zu Pilatus gelaufen, um für jedes einzelne europäisches Land in getrennten Verhandlungen Sendeminuten herauszuschinden - eine Sisyphusarbeit, die zu einem TV-Flickenteppich führt, über den sich Hersteller, Teams und Sponsoren nur permanent beschweren.
Eurosport hat sich in den vergangenen Jahren als zuverlässiger Partner der FIA bewiesen. Die TW-WM liefert seit Einführung der internationalen Vorgängerserie ETCC - also seit 2001 - geschätzt drei Millionen Euro pro Jahr an die FIA ab. GT-Promoter Ratel zahlte seit letztem Jahr nur noch einen reduzierten Satz, angeblich die Hälfte. Mit einem Eurosport-Deal würde die FIA also mehrere Fliegen mit einer Klatsche schlagen.
Lotti reagiert auf solche Spekulationen amüsiert, die leichten Falten im Mundwinkel offenbaren: Er lächelt, aber mehr in sich hinein, als zu jemandem heraus. Lotti will kein Porzellan zerschlagen, noch nicht. Es sind schwierige Zeiten, die Lage ist ernst. Stattdessen ein sauberes politisches Statement: „Die Zusammenarbeit mit der FIA ist geprägt von Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung.“
Das kennen wir doch irgendwoher?

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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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