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Zukunftsforscher Stephan Rammler im Interview
E-Autos statt Verbrenner ist nicht die Lösung

40 Millionen Verbrenner durch 40 Millionen E-Autos zu ersetzen – ein ökologisches Desaster, findet Zukunftsforscher Stephan Rammler. Wie fahren wir also in einigen Jahren?

Stephan Rammler
Foto: Nicolas Uphaus

Wenn es nach Stephan Rammler ginge, würde das Auto „eine möglichst geringe Rolle spielen“. Aber: es macht uns mobil und bewegt uns auch in Zukunft, findet der Forscher. Fünf Thesen zum Thema Mobilität:

  1. Wir werden auch in den nächsten 10 Jahren am Auto festhalten.
  2. In den nächsten 20 Jahren wird die Bedeutung des Autos als Verkehrsmittel sinken.
  3. Ab 2030 werden einige Regionen oder Nationen den Verbrennungsmotor verbieten.
  4. Irgendein chinesischer No-name-Hersteller könnte innerhalb von fünf Jahren so gute Autos bauen, wie VW es auch kann.
  5. Autonom fahrende Autos sind auch keine Lösung.

Folgend lesen Sie das komplette Interview mit dem Zukunftsforscher Stephan Rammler.

Unsere Highlights
Wenn Sie die Zukunft der Mobilität alleine neu organisieren könnten, spielt das Auto dann überhaupt noch eine Rolle?

Rammler: Wenn ich es mir wünschen dürfte, dann würde das Auto – so wie wir es heute kennen – unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit eine möglichst geringe Rolle spielen. Aber es wird trotzdem in den Mobilitätsentwürfen der Zukunft stattfinden.

Warum?

Weil es autonom und flexibel ist, vier Räder hat und Vorteile bietet, die andere Verkehrskonzepte in vielen Regionen dieser Welt so nicht bieten können. Wenn wir über ländliche Gegenden reden, werden wir uns immer mit dem Individualverkehr beschäftigen müssen, weil diese Räume anders nicht anbindbar sind. Als Geschäftsmodell und Dienstleistung wird das Auto also immer eine Rolle spielen, autonom, als Taxi oder als Last-Mile-Konzept in Weltregionen, die hoch entwickelt sind. Wenn ich ein Verkehrssystem neu aufbauen kann, also einmal Tabula rasa machen kann, dann wäre für mich auch der intermodal vernetzte, im Kern schienengebundene Verkehr mit Portionsautos und einer stark ausgeprägten Fahrradkultur mein Wunschbild.

Wunschbild versus Realität: Wie wird es in zehn oder 20 Jahren aussehen?

Das Wahrscheinlichste ist, dass wir weiter am Auto festhalten werden – auch in den nächsten zehn Jahren. Wenn wir Glück haben, werden einzelne Regionen oder Nationen in dieser Welt ab 2030 anfangen, den Verbrennungsmotor zu verbieten, dann werden sie aber auf das Elektroauto setzen. Das Individualverkehrsmittel Automobil, so wie wir es heute kennen, wird in den nächsten 20 Jahren nicht mehr so eine hohe Bedeutung haben. Wir werden andere Nutzungskulturen entwickeln und andere Technologien einsetzen. Aber das Auto an sich, als Gerät auf vier Rädern, wird in diesen Szenarien weiter eine große Rolle spielen.

Jetzt wanken viele Statusgedanken: Teilen statt besitzen scheint die Devise der Zukunft zu sein. Stimmt das so?

Angebote, die über Gebühr da sind, und dazu zählt auch das Auto, erfahren irgendwann eine emotionale Sättigung. Es leidet an seinem eigenen monokulturellen Erfolg. Heute kann jeder Jugendliche aus der Mittelklasse davon ausgehen, dass er sich ein Auto leisten kann, wenn er will. Da ist die Faszination dann geringer als in der Vergangenheit. Und dann kommt gerade jetzt erst die Einsicht der Shared Economy, dass sie über das Smartphone Dinge immer besser teilen kann, anstatt sie selber zu besitzen. Und wir haben das Smartphone ja erst sieben Jahre. Diese digitalen Medien ermöglichen eine wahnsinnige Nutzungseffizienz und verändern so auch die Kultur. In der Alltagsmobilität wird das Auto so künftig eine viel weniger faszinierende Rolle spielen als bislang.

Wir stehen weltweit an vielen Stellen vor dem Verkehrschaos. In Städten wie Mexico City stehen die Menschen pro Jahr 26 Tage im Stau. Helfen uns die Sharing-Kultur und der Trend zur Digitalisierung aus dem Dilemma des Verkehrschaos heraus?

Unsere Probleme lösen wir damit nicht. Es entsteht kein neues System. Wir wollen im Grunde neuen technologischen Wein in die überkommenen Schläuche der Nutzungskultur einfüllen. Wir wollen weiter Massenmotorisierung, Privatbesitz an Autos, nur mit einer neuen technologischen Facette. Das ist in meiner Beobachtung noch in weiten Teilen der Autoindustrie das gängige Modell. Ich führe viele Gespräche auf Vorstandsebene, und ich bin verwundert, wie groß die Kluft ist zwischen dem, was nach außen formuliert wird, und der internen, oft noch sehr tradierten Denkweise. Menschen auf dieser Führungsebene hätten am liebsten, dass alles so weitergeht, weil sie das neue System nicht können. Und weil sie mit dem alten Geschäftsmodell immer noch am meisten Geld verdienen.

Aber müssen sich tradierte Autounternehmen nicht auch mit ganz anderen Zwängen auseinandersetzen als junge, agile Software-Firmen?

Ja, das stimmt. Sie haben die vorgefertigten Produktionsanlagen, langfristig ausgelegte Beschäftigungsverhältnisse, und die Gewerkschaften sitzen ihnen buchstäblich im Nacken. Also machen sie E-Autos mit Reichweiten von 300, 400 oder 500 Kilometern, indem die Batterien weiter hochgezüchtet werden – das braucht es aus meiner Sicht alles nicht. Das würden wir nur benötigen, wenn wir die alten Pfade fortführen möchten. Wenn wir eine Systeminnovation der Mobilität haben, in der Elektroautos den Stadtverkehr prägen, kommen wir mit 150 Kilometern Reichweite aus. Das Geld, das wir in die Reichweitensteigerung investieren, sollten wir lieber in die Vernetzung der Verkehrsträger investieren. 40 Millionen Autos mit Verbrennungsmotor durch 40 Millionen Elektroautos zu ersetzen, macht keinen Sinn. Solange wir keine Kreislaufwirtschaft haben, führen Elektrifizierung und Digitalisierung meiner Meinung nach in ein ökologisches Desaster, weil wir die Rohstoffe aus den Produkten nicht so herausbekommen, wie wir sie herausbekommen müssten.

Wie sollen die Autohersteller künftig ihr Geld verdienen? Haben sie langfristig überhaupt eine Chance zu überleben?

Da schlagen zwei Seelen in meiner Brust. Ehrliche Antwort, Status jetzt: Nein, sie haben keine Chance. Oder nur zu Kosten einer radikalen Transformation. Aber es ist eine offene Frage. Warum sollte es nicht gelingen, mit guten Nutzer- und innovativen Geschäftsmodellen Geld zu verdienen? Die orientieren sich aber weg vom reinen Privatbesitz und basieren eher auf extrem hochwertigen Elektrofahrzeugen, die in intermodale Konzepte eingebunden sind. Aber wenn wir so das Kerngeschäft einer nachhaltigen Mobilität gestalten, dann ist klar, dass wir weniger Fahrzeuge brauchen. Jetzt kann man natürlich noch nutzungseffiziente Dienstleistungen anbieten – 24 Stunden am Tag. Aber dieses Geschäft beherrscht die Autoindustrie noch nicht. Sie dominieren das Geschäft mit dem Verbrennungsmotor und dem entsprechenden klassischen Vertrieb. Bei der Elektromobilität holen sie auf, aber da ist der Abstand von Google und Apple gering.

Ist es also der leichtere Zugang zur E-Mobilität, der Google und Co. so ein Selbstbewusstsein verschafft?

Ja, genau deshalb kann diese Industrie so frech auftreten. Gäbe es nur Verbrennungsmodelle, dann bräuchten sie die Autoindustrie. Bei Elektroautos sieht das schon ganz anders aus. Irgendein chinesischer No-Name-Hersteller könnte innerhalb von fünf Jahren so gute Autos bauen, wie es VW auch kann. Und dann setzt die Digitalisierungsbranche ihr Geschäftsmodell darauf. Das Szenario, dass Automobilhersteller zu Zulieferern degradiert werden, ist sehr ernst zu nehmen. Daimler zum Beispiel ist ein Übernahmekandidat für Google. Nur hat die IT-Branche kein Interesse an Produktionskapazitäten.

Warum denn nicht?

Sie möchten möglichst wenige Dinge, die ihnen Ärger machen können wie Fabriken, die ausgelastet werden müssen, oder auch den Umgang mit Beschäftigten und den Gewerkschaften. Das nervt sie, das sollen andere für sie machen. Aber sie wollen mit ihrem eigenen Geschäftsmodell Geld verdienen – und hier vor allem durch die Daten. Diese Organisationskultur hat die deutsche Autoindustrie nicht. Uns fehlt allein die Innovationskultur des Scheiterndürfens. Das ist bei Google ganz anders. Fassen wir es zusammen: Die IT-Branche ist um Längen besser aufgestellt, die neue Mobilität darzustellen, als die Autohersteller. Die wiederum können das nur in Kooperation mit der IT-Branche, in Kooperation untereinander oder in starker Absprache mit den nationalen Regierungen, um diese Transformation überhaupt noch schaffen zu können. Aber all das tun sie nicht.

Streng genommen ist doch das Geschäftsmodell von car2go mit Verlusten von 64 Millionen Euro gescheitert. Liegt auch das an der verkrusteten Organisationsstruktur dahinter?

Nein, car2go und moovel sind Beispiele dafür, wie Autobauer Opfer ihres eigenen Erfolgs werden. Daimler ist schon weit damit gekommen, flexible Beiboote auszusetzen. Das hat VW bislang noch nicht begriffen. Beiboote, die nicht dem täglichen Fluch ausgesetzt sind, dass da Ingenieure kommen und sagen: Ihr seid die Nattern an unserer Brust, wir wollen euch gar nicht. Darin ist Quicar bei VW gescheitert. Die Organisationskultur wollte dieses Carsharing-Konzept nicht. Car2go macht meiner Meinung nach Verluste, weil hier das Mobilitätskonzept einer IT-Branche zwar vorhanden, aber noch nicht in den Köpfen der Bevölkerung angekommen ist. Wir haben die Massenmärkte noch nicht.

Stimmen die politischen Rahmenbedingungen?

Nein. Es passiert was in Berlin, in London, in Peking, im Silicon Valley. In dichten urbanen Regionen haben die Menschen begriffen, dass etwas passieren muss. Aber damit haben Sie noch lange nicht die Masse. Wir haben in Deutschland nach wie vor Kommunen, die dafür keinen öffentlichen Raum zur Verfügung stellen wollen. Wir haben es nach wie vor auch mit Verkehrsunternehmen zu tun, die konkurrieren statt zu kooperieren. Moovel und car2go brauchen eine andere verkehrspolitische Rahmung, um erfolgreich sein zu können. Im Moment finden sie den Funktionsraum nicht vor.

Was macht die Politik also falsch?

Die Politik erwartet, dass sich Elektroautos und die Shared Economy unter rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gegen den Verbrenner durchsetzen. Das ist aber völliger Blödsinn. Das Auto mit Verbrennungsmotor hat sich über mehr als 100 Jahre unter massiver politischer Rahmenunterstützung erst zu dem entwickelt, was es geworden ist. Es hat sich eben nicht unter rein marktwirtschaftlichen Aspekten durchgesetzt. Es ist immer massiv unterstützt worden – über niedrige Energiepreise, niedrige Steuern, über bereitgestellte Infrastrukturen. Es ist im 20. Jahrhundert eine totale Kultur der Automobilität durchgesetzt worden. Wie soll sich dann das Neue unter rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten durchsetzen?

Können wir da optimistisch sein?

Nein. In meinen Augen ist vom Verkehrsministerium nichts zu erwarten. Das Umweltministerium hat begriffen, dass Mobilität ein riesiges Zukunftsthema im Bereich der Klimapolitik ist, wird aber regelmäßig düpiert. Der Klimaschutzplan des Umweltministeriums ist einmal durch das Wirtschaftsministerium und einmal durch das Kanzleramt gegangen, dann haben noch die Lobbyisten draufgeschaut und dann war der Bestandsschutz für das Dieselfahrzeug wieder drin. Das ist ein Skandal und kaum auszuhalten. Das ändert sich nur, wenn sich auch die Politik ändert, und das sehe ich in Deutschland nicht. Wohl aber in Kalifornien und ganz massiv auch in China. Das ist auch meine Hoffnung, dass durch die Quantensprünge der chinesischen Politik in Sachen Shared Economy, Elektromobilität und intermodale Konzepte sich auch die Rahmenbedingungen für die deutschen Autohersteller so verändern, dass sie in diese Richtung handeln müssen.

China in Kombination mit der IT-Branche – liegt da die wahre Sprengkraft für die deutsche Autoindustrie?

Wenn die Chinesen, die ja eine eigene Autoindustrie unabhängig von den Europäern aufbauen wollen, mit den IT-Unternehmen im Silicon Valley kooperieren, dann entsteht eine derartige Marktmacht, dass die deutsche oder die ganze europäische Autoindustrie sehr schlecht dagegen aussehen wird. Deshalb bräuchten wir eine europäisch-kooperative Strategie. Wir müssen jetzt politisch gesteuert in den Transformationsprozess einsteigen. Es geht ja nicht nur um Nachhaltigkeit und Klimaschutz, sondern um das Überleben dieser Industrie, damit wir mit China mithalten können. Das begreift die deutsche Politik aber nicht.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Möglich und nötig wäre es, dass eine mutige Politik entsprechende Rahmenbedingungen schafft. Im Moment haben wir aber nur Machterhaltungsmaschinerien statt kooperativer Strategien.

Welche Rolle spielt dabei das automatisierte Fahren?

Das brauchen wir nicht zwingend, um nachhaltige Verkehrssysteme anzubieten. Aber es hilft Lebenszeit zu sparen und macht es sicherer, wenn ich als Fahrer nicht mehr zwingend fahren muss. Gehen wir davon aus, dass sie in absehbarer Zeit funktionieren, dann werden Menschen alles tun, um automatisiert fahrende Modelle zu haben, z. B. damit sie auf dem Weg zum Arbeitsplatz bereits arbeiten können. Das Auto als dritter Lebensraum, das wird ja bereits beworben. Aber das ist mal wieder die alte Denke der Autoindustrie. Denen ist es dann aber wiederum egal, was das raum- und siedlungsstrukturell bedeutet, nämlich Zersiedelung. Letztlich ist das aber Mist, weil es noch mehr Mobilitätsbedarf in die Welt bringt.

Bleibt zum Schluss als Fazit, dass es also irgendwie keinen Sinn macht?

Doch, aber nicht als Universalkonzept, wie es jetzt mitunter diskutiert wird. Das ist das Phantasma einer Industrie, die um ihr Überleben kämpft und die hofft, durch neue Technologien das alte Automobilisierungsprojekt weiterführen zu können. In urbanen Räumen kann die Automatisierung in Form von Robo-Taxis Sinn machen. Aber eher als Dienstleistung flexibler Kleinbusangebote in intermodaler Kombination mit dem ÖPNV und der Bahn.

Stephan Rammler hat Politikwissenschaften, Soziologie und Ökonomie in Marburg und Berlin studiert und promovierte über „Mobilität in der Moderne“. Er ist Mitherausgeber der Reihe „Mobilität und Gesellschaft“ beim Lit Verlag und veröffentlichte zuletzt das Buch „Schubumkehr – Die Zukunft der Mobilität“, das im Fischer Taschenbuch Verlag erschienen ist und 12,99 Euro kostet.

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