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VW Phaeton verabschiedet sich
Das Aus nach 14 Jahren

Nie wieder wird es ein Auto wie den VW Phaeton geben, der aus dem Glashaus kam und an der Welt, na, vielleicht auch den Ambitionen seiner Schöpfer scheiterte. Ein Abschied.

VW Phaeton, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Als seine Tage gezählt sind, sind 5.114 zusammengekommen. Dann, am 18. März 2016, da sich Dresden bei neun Grad Celsius wärmt, sollen die Rechthaber recht haben und die Mutigen entmutigt werden: Produktionsende. Exakt 14 Jahre zuvor, am 19. März 2002, startete die Fertigung des Phaeton. Mit dem werde sich VW in der Oberklasse etablieren, sagten die einen. Mit ihm wollten sich ein paar Herren ein Denkmal setzen, sagten die anderen.

Wie bei den meisten Dingen, zu denen es mehr als eine Wahrheit gibt, lohnt es hier, eine eigene zu finden. Dazu leihen wir uns noch mal einen Phaeton. Keinen neuen, weil es keine neuen mehr gibt, wie auch die Internetseite von VW informiert. In Ermangelung eines fabrikfrischen Phaeton empfiehlt sie den Erwerb eines Touareg oder eben eines gebrauchten Phaeton. Wir finden einen drei Jahre und 78.000 km jungen Dreiliter-TDI, der zu einem Preis knapp südlich von 30.000 Euro beim Vertragshändler auf einen neuen Besitzer wartet. Der komme, so erklärt der Verkäufer, gerne aus dem Osteuropäischen oder Russischen. Aus einer Gegend, die seit Längerem schon der Eleganz der Größe zugetan ist, wenn es um Luxuslimousinen geht. So sehr wie dort schätzt man den Phaeton nur in China, wo er sich nie einen Premium-Status erkämpfen musste, sondern ihn immer hatte.

VW Phaeton - die Existenz ist das Experiment

Wie Kundige der ansonsten ja sehr weltfremden Literaturwissenschaft bestätigen werden, sollte man das Werk immer in seiner Zeit sehen. Der Phaeton debütiert Ende 2001 – ein paar Monate nachdem es dem BMW 7er E65 im eher experimentellen Bangle-Design gelingt, selbst treueste Kunden der Marke zu empören. Beim Phaeton dagegen ist die Existenz das Experiment, eigentlich das größte für VW seit dem Golf von ’74. Das Auto selbst ist extrem konservativ. Es gibt kein technisches Risiko. Als Highlight muss die zugfreie Klimaautomatik herhalten – entwickelt auf Wunsch des Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piëch, der, wenn es sein muss, mit seiner hochgradigen Zugluft-Unverträglichkeit argumentieren kann.

VW Phaeton, Frontansicht
Hans-Dieter Seufert
Was haben ihn manche miesgerechnet: 28.000 Euro habe VW pro Phaeton verloren. Dabei ist er unbezahlbar.

Es bedarf keines Psychologiestudiums, um sich vorzustellen, dass die Arbeit am Lieblingsprojekt des damaligen VW-Chefs für die Entwickler durchaus eine Herausforderung ist – technisch wie menschlich. Auf Probleme dürfte der Perfektionist ähnlich ungehalten reagiert haben wie König Cheops, wenn bei seiner Pyramide in Gizeh die Vordertür klemmte. Dass es dem Design etwas an, tja, Zug fehlt, erklärt Piëch so: "In eher schwierigen wirtschaftlichen Zeiten passt unsere Bescheidenheit hervorragend."

Eigentlich alles andere als bescheiden

"Bescheidenheit, Bescheidenheit", geht dir damals im Kopf herum. Dann Auftritt von 2,5 Tonnen und 9,62 Quadratmetern Phaeton mit Zwölfzylinder-Motor in W-Form, 420 PS und einer Norm-CO2-Emission pro Kilometer, die man besser in Pfund als in Gramm angibt, ein VW, der aus der für 187 Millionen Euro errichteten gläsernen Fabrik stammt, samt einer 870 Meter langen Teststrecke im Untergeschoss. Die Manufaktur steht übrigens nur deswegen mitten in Dresden, weil es selbst VW nicht gelang, für sie eine Baugenehmigung auf dem Markusplatz in Venedig zu bekommen. Das soll geprüft worden sein, heißt es. Aber "heißt es" hat es viel geheißen bei diesem VW.

VW Phaeton, Cockpit
Hans-Dieter Seufert
Dass er schon lange nicht mehr modern ist und sich beim Handling ungeschickt anstellt, gleich er mit zeitlosen Qualitäten aus.

Steigen wir nun in den berylliumgrau-metallenen Phaeton, versinken wir in diesen grandiosen Sesseln und in Gedanken über das Wesen der Perfektion. Die Materialien sind nicht von zeitloser Eleganz, aber wie die Verarbeitung von solch zeitloser Qualität, dass man sich eher um die Dauerhaftigkeit von Imperien sorgt als um diesen VW. Der wiegt als W12 trotz gewichtserleichternden Kunststoffkotflügeln übrigens 300 Kilo mehr als ein Mercedes S 600. Schlüsseldreh, in den Katakomben des Bugs selbstzündet der V6 los.

Phaeton glänzt durch zeitlosen Komfort

Wählhebel der Sechsstufenautomatik auf D, sacht aufs Gas, und der Phaeton bricht auf. Bei 1.500/min hat der Diesel 500 Nm beisammen, mit ihnen drängt der Wagen selten richtig eilig, aber immer erhaben voran. Vieles hat sich geändert in den letzten 14 Jahren, der Fortschritt hat Spuren auf dem Armaturenbrett hinterlassen. Viele Funktionen wirken wie nachträglich integriert, was daran liegt, dass sie nachträglich integriert wurden – wie Spurwechselassistent oder Verkehrszeichenerkennung.

Dass er schon länger nicht mehr wirklich modern ist, sich auch beim Handling etwas ungeschickt-untersteuernd anstellt – schon wegen der guten Tonne Gewicht, die allein auf die Vorderachse drückt –, gleicht der Phaeton mit Qualitäten aus, welche die Zeit überdauern. Luftgefedert flauscht er über Straßen, der Wind umflüstert die Karosserie. Und so ist der Phaeton in Wahrheit wohl vor allem eines: eines der komfortabelsten Autos der Welt – am Ende aller Tage. Und darüber hinaus.

Die Gläserne Manufaktur

Nun ist sie noch ein Schaufenster für E-Mobilität, zuvor produzierte sie in Dresden Autos, Nahverkehr und Philosophie. Trotz 17.600 Unterschriften gegen den Bau der Gläsernen Manufaktur (wegen der Nachbarschaft des Juchtenkäfers und des Großen Gartens) startet am 19. März 2002 die Serienproduktion des VW Phaeton. Außer der Karosserie werden alle Teile per Straßenbahn zur Gläsernen Manufaktur geliefert.

Sie ist auf 20.000 Autos pro Jahr ausgelegt. Weil im Schnitt aber pro Jahr nur 5.800, insgesamt 84.235, Phaeton über die 24.000 Quadratmeter Parkettboden (kanadischer Ahorn mit Fußbodenheizung) und vorbei an 27.500 Quadratmeter Glas schweben, bleiben Raum und Zeit für anderes. Die Exilproduktion des Bentley Continental oder Philosophie. Von 2002 bis 2003 trifft sich dort "Das Philosophische Quartett" fürs ZDF. Dem Juchtenkäfer übrigens geht es gut.

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