Als die Sonne am frühen Montagmorgen um 5.30 Uhr langsam das Dunkel der Nacht verdrängt, zeigt sich die Hölle von ihrer verführerischsten Seite. Der hügelige Horizont trägt einen morgenroten Mantel. Nebelschwaden stülpen sich über Ortschäftchen wie Kempenich, Meuspath oder Adenau. Kein Laster dieselt die B 258 entlang, kein Prototyp geifert um Aufmerksamkeit der wenigen, die schon wach sind. Es gibt nicht viele Nürburgring-Tage, die so leise beginnen. Als wolle die Nordschleife sagen: „Habt keine Angst, kommt nur, ich warte auf euch.“
Dominik und Katharina haben auf den Lockruf von Deutschlands berüchtigtster Rennstrecke gehört. Frisch verheiratet sind die beiden zum eintägigen „Ring-Kompakt“-Kurs aus dem Westerwald angereist; das schwarze „WW“ prangt an Dominiks weißem VW Scirocco III 2.0 TSI. „Ich bin schon ein paar Runden im Touristenverkehr gefahren“, sagt der 36-Jährige. Ein richtiges Rundstreckentraining habe er aber noch nicht absolviert. Kein Problem, denn an dieses unerfahrene, aber ambitionierte Publikum richtet sich das Einsteigertraining. Der Trackday tags darauf ist dann was für erfahrene Piloten.
Den Chef am Ring mimt an beiden Tagen Matthias Schröter. Und obwohl der gefühlt eigentlich immer lächelt, freut er sich besonders über das Fahrtraining für Neulinge: „Besonders gefällt mir heute, dass so viele verschiedene Autos da sind. Das bringt Abwechslung“, sagt Schröter.
Dann schlendert er in der Startaufstellung über die Döttinger Höhe zu seinem Instruktor-Auto, einem Mercedes-AMG A 45. „Und natürlich das Wetter, besser könnte es nicht sein!“ Gemeldet sind bis zu 26 Grad, purer Sonnenschein. Heißt: eine schnell abtrocknende Strecke, Traumbedingungen, T-Shirt-Wetter. Auf den Helm, der bei Hitze einem Inkubator gleicht, können die Teilnehmer trotzdem nicht verzichten. Safety first!

Traumhaft am Montag
Auch bei idyllischem Wetter kann die Nordschleife ihre fiesen Ecken nicht verstecken – das Tempo in den ersten Runden fällt entsprechend aus. Per Funk erklärt Matthias den Teilnehmern, wie sie die 73 Kurven auf 20,8 Kilometern zu fahren haben. Klingt unmöglich?
„Die Jungs und Mädels lernen schnell“, sagt Ring-Kenner Schröter, als er und seine Gruppe kurz vor 12 Uhr ihre Autos abstellen, um einen Happen zu essen. „Natürlich ist jetzt noch niemand nordschleifenfest. Aber es sind einige Talente dabei, die noch keinen einzigen Kilometer Nürburgring gesehen haben.“
Ganz frisch in der Grünen Hölle ist auch Cedric nicht. Wie Dominik hat auch der erst 19 Jahre junge Gladbecker schon ein paar Touri- und jetzt ein paar Trainingsrunden auf dem Konto. Ganz glücklich schaut er aber nicht. Die Ursache: sein Auto. Zwar wirft der Seat Ibiza FR 150 PS auf die Vorderachse, doch mit den Senken, Kuppen, Wechselkurven und Bodenwellen kommt das spanische Fahrwerk nicht so recht klar. Kennen Sie diese Figuren, die an einer Feder aus einer Kiste heraushüpfen und danach lose daran rumdümpeln? So ähnlich muss der Ibiza in Instruktor Matthias’ Rückspiegel ausgesehen haben.
Cedric klagt: „Das macht schon Spaß, aber ich muss unbedingt etwas an meinem Fahrwerk ändern.“ Wie es der Zufall will, steht im Fahrerlager ein Bilstein-Truck samt Technikern parat, die sicher auch für Cedrics Ibiza das ideale Nordschleifen-Set-up finden. Und auch darum geht’s: tüfteln, bis das Auto perfekt zur Nordschleife passt. Einfach herzukommen und die perfekte Runde auf den Asphalt zu stempeln, wäre ja auch irgendwie fad.
Am Nachmittag sitzen Dominik und seine Katharina im Schatten auf der Döttinger Höhe, beide mit etwas strubbeligen Haaren. „Es war ein toller Tag, hätte nicht gedacht, dass ich so viel lernen würde“, sagt Dominik. „Vor allem beim Bremsen fühle ich mich sicherer, das hab ich früher immer falsch gemacht.“ Vom Nordschleifen-Virus sind die beiden jetzt auf jeden Fall infiziert. Eins der gängigsten Symptome: Gänsehaut beim Gedanken an durcheilte Abschnitte namens Aremberg, Bergwerk oder Wehrseifen.

Albtraum am Dienstag
Ein anderes Zeichen dafür, dass man mehr als nur eine lose Freundschaft mit der Nordschleife pflegt, zeigt uns Alex am total verregneten Trackday. Seinen Renner transportiert der 30-jährige Kfz-Meister auf einem Hänger.
Von außen sieht der Seat Leon Cupra beinahe normal aus, abgesehen vielleicht von der Abschleppschlaufe samt rotem Pfeil daneben. Doch man muss nur etwas genauer hinsehen.Dann fallen dir die Plexiglasscheiben auf, der Überrollkäfig, die sich mit massivem Negativsturz in die Radkästen lehnenden Vorderräder. Das ist kein normaler Cupra mehr – das ist ein Tool. „Eigentlich wollte ich auf 400 PS kommen, aktuell sind’s 300“, sagt Alex und öffnet die Motorhaube.

Den Luftfilterkasten hat er selbst gebaut – aus Carbon. Blaue Rohre und Schläuche räkeln sich im Motorraum wie Schlangen an einem Baum. Da steckt echtes Herzblut drin, das merkt man, wenn Alex von seinem Werkzeug erzählt, mit dem er regelmäßig den Nürburgring und seine 73 Kurven filetiert. Seine Freundin Jelena teilt seine Begeisterung, begleitet Alex sogar an diesem 12 Grad kalten Hochsommertag.
„Im Regen fahre ich genauso gern wie im Trockenen.“ Da sei der Lerneffekt höher, meint er, als er seinen Sechspunktgurt schließt und mit seiner Freundin im prasselnden Regen auf die überflutete Nordschleife fährt. Manche verführt die Grüne Hölle eben immer – egal was das Wetter aus ihr macht.