Um 22.06 Uhr platzte die Bombe. Am Vorabend des fünften Laufs zur VLN-Langstreckenmeisterschaft trudelte die E-Mail von Rowe Racing auf die Smartphones: Das Team aus Bubenheim zog seine beiden SLS AMG GT3 zurück. Begründung: Im Vergleich zu Porsche und Audi sei der Mercedes zu schlecht eingestuft. Und weil die Rundenzeiten zudem immer schneller würden, habe man auch Sorgen um die Sicherheit auf der Nordschleife.
Die Presseaussendung sorgte im Fahrerlager der VLN am Morgen danach für Verblüffung und Unverständnis: Während das Rowe-Team seine Zelte abbrach und die Rennwagen in den Truck verfrachtete, versuchten sich die Top-Teams einen Reim auf den Rückzug zu machen. Ein Porsche-Teamchef fasste die Stimmungslage so zusammen: "Vor zwei Monaten hat Mercedes das 24h-Rennen auf dem Nürburgring gewonnen, und zwar mit der gleichen Balance of Performance. Und jetzt sollen sie auf einmal nicht mehr konkurrenzfähig sein? Was ist denn seither passiert?" Nur ein VLN-Lauf lag zwischen dem 24h-Sieg und dem Rückzug von Rowe - viel mehr war in der Tat nicht passiert.
BoP-Nachteil und Sicherheitsbedenken
Das Rowe-Team argumentiert so: Porsche und Audi hätten über den Winter Upgrade-Pakete für die Saison 2013 entwickelt, die im Fall von Porsche angeblich vier Zehntelsekunden pro Kilometer bringen sollen. Die Verbesserungen wären erst beim vierten VLN-Lauf - also nach dem 24h-Rennen - sichtbar geworden, als Porsche und Audi im Zeittraining Rundenzeiten im Bereich von knapp über 8.00 Minuten erzielt und diese im Rennen mit vollen Tanks bestätigt hätten. Im Gegensatz dazu würden Mercedes (und auch BMW) auf dem Rundenzeitenniveau des Vorjahres fahren. Und damit fehlten angeblich acht bis zehn Sekunden auf die Top-Teams von Audi und Porsche.
Zweitens meldet das Team von Michael Zehe Sorgen beim Thema Sicherheit an: "Die Sicherheitsrisiken durch Zeiten um die acht Minuten, die der Technikausschuss (...) in Kauf nimmt, um den Vorteil für Audi und Porsche aufrechtzuerhalten , halten wir für grob fahrlässig", poltert die Presse-Aussendung von Rowe Racing.
Das ist in der Tat starker Tobak, zumal Michael Zehe nicht nur Teamchef ist, sondern mit seiner Firma Rowe Motor Oil auch noch als Sponsor der Langstreckenmeisterschaft auftritt. Mit der Argumentationskette hat das Rowe-Team drei Diskussionen losgetreten: 1. Ist die BOP falsch und wird Mercedes benachteiligt? 2. Da das Rowe-Team im Gegensatz zur Konkurrenz auf Dunlop startet, gewinnt die Frage an Fahrt, ob nun Einheitsreifen in der GT3-Klasse vorgeschrieben werden sollten? 3. Sind die GT3-Rundenzeiten auf der Nordschleife ein Sicherheitsrisiko, und müssen nun DMSB und FIA einschreiten?
Wird Mercedes benachteiligt?
Die Fahrzeugeinstufungen auf der Nordschleife orientieren sich an den FIA-Einstufungen, wenngleich mit Abweichungen. Von einer generellen Benachteiligung der Mercedes SLS kann sicher keine Rede sein, auch wenn Mercedes im Vergleich zu Porsche und Audi kein Upgrade-Kit für 2013 homologiert hat. Die Rennergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. Mercedes hat im GT3-Sport 2013 alles gewonnen, was man gewinnen kann: die 24h-Rennen in Dubai, am Nürburgring und in Spa sowie das 12h-Rennen in Bathurst.
Die Unterschiede bei den Fahrzeugeinstufungen sind gering, wie ein Vergleich der Balance of Performance (BOP) zwischen Nürburgring (VLN) und Spa (24h-Rennen) zeigt: Beim Ardennenklassiker starteten die Mercedes-Teams mit 1.320 Kilo und zwei 36 Millimeter großen Restriktoren. Am Nürburgring sind die Restriktoren 1,2 Millimeter kleiner, das Gewicht aber fast gleich. Wenn Rowe die VLN-Einstufungen für falsch hält, hätte man erst gar nicht in Spa antreten dürfen - denn dort fuhren die Porsche mit 70 Kilo weniger Gewicht als in der VLN und einem um sechs Millimeter größeren Restriktor!
Die FIA hat seit letztem Jahr die Zügel im GT3-Sport stärker angezogen und neue Richtlinien für die Klasse verabschiedet, mit dem Ziel, den Faktor der BOP zu reduzieren. Zwar dürfen nationale und internationale Veranstaltungen davon abweichen, doch die Unterschiede sind gering. Dazu kommt, dass der beste Rowe-Mercedes im Top-40-Qualifying beim 24h-Rennen eine Zeit von 8.22 min schaffte. Zieht man die Differenz für die Streckenvarianten (24h gegen VLN) ab, der bei 19 Sekunden liegt, so müsste der Rowe-SLS also eine Zeit von 8.03 Minuten schaffen.
Ein Quantensprung bei der Rundenzeitenentwicklung ist nach dem 24h-Rennen 2013 nicht erkennbar. Es ist gewohnte Praxis, dass die werksunterstützten Teams vor dem 24h-Rennen Performance zurücknehmen, um nicht eingebremst zu werden, um nach dem 24h-Rennen wieder schneller zu fahren.