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"Sonntagsauto"
Opel Rekord C, die Schwarze Witwe

In den Katakomben des Opel-Werks in Rüsselsheim gebe es Straßen, hieß es. Wir steigen hinab mit der Schwarzen Witwe, einem Opel Rekord C Renntourenwagen, den es früher wie jetzt nicht geben durfte. Und eilen seinem Echo hinterher.

Opel Rekord C, Schwarze Witwe, Michael Splieth, Jens Cooper
Foto: Hans-Dieter Seufert

Das Ober-Geschoss ist im Keller. Schwarz wie die Tiefe funzelt es aus Halogenscheinwerfern. Wir drücken die Stöpsel tiefer in die Ohren, während das Motorbollern des Opel Rekord C von den Wänden widerhallt. Wir könnten behaupten, dass wir hier genau sein müssen, im Keller des fast komplett stillgelegten Werksgebäudes K40 in Rüsselsheim, weil der C-Rekord 1966 bis 1971 hier vom Band lief – eine Etage höher, von wo das Stampfen einer letzten Stahlpresse herunterwummert. Vor allem aber hatten wir Lust auf etwas Unfug.

Und auf eine Tour mit diesem Rekord, den es eigentlich gar nicht geben sollte, durch Katakomben, in denen man selbstverständlich nicht fahren dürfte. Ein in seiner Lässigkeit bewundernswertes Ignorieren aller Bürokratie und ziemlich genau jeder einzelnen Sicherheitsvorschrift hat uns hierhergebracht. Anderswo gäbe es großräumige Absperrungen mit Flatterband, wir müssten Helme und Warnwesten tragen, dazu stünden zwei Ambulanzen und die komplette Werksfeuerwehr bereit. Hier klettern wir aufs Autodach des Opel Rekord C, drehen die Notbeleuchtung raus und suchen nach einer Steckdose für die Nebelmaschine. Das geht nur bei Opel – kein anderer großer Autohersteller hätte die Schwarze Witwe zustande gebracht, erst recht nicht zweimal.

Opel Rekord C, Schwarze Witwe, Garageneinfahrt, Heckansicht
Hans-Dieter Seufert
Los geht es in die Kellerräume des Opel-Werks.

Die Geschichte beginnt 1967. Zwei Jahre zuvor hatte GM beschlossen, einen Europäer von Detroit nach Rüsselsheim zu schicken, um das Forschungsstudio zu leiten. Anatole Carl Lapine, gebürtiger Lette, ist da 35, hat Krieg, Flucht, Armut, aber auch den amerikanischen Traum erlebt. In den fünf Jahren, die er bleibt, bis er als Designchef zu Porsche wechselt, bringt Lapine mit seinem Team unter anderem den Opel GT zur Serienreife. In versteckten Räumen entstehen zudem Projekte, die viel zu wichtig sind, als dass die Geschäftsführung von ihnen wissen müsste.

Opel Rekord C mit 200 PS starkem Motor

Obwohl GM jede Art von Rennaktivität verbietet – den Amerikanern war aufgefallen, dass es dabei zu Unfällen kommen kann –, lässt Lapine einen Opel Rekord C zum Renntourenwagen nach dem Reglement der Gruppe 5 aufbauen. Den Motor des in Taxischwarz lackierten Zweitürers frisieren die Techniker auf 200 PS, sie verstärken Viergangbox und Kupplung, optimieren das Fahrwerk mit einer Zusatzführung für die Hinterachse. Durch eine x-förmige Konstruktion, in deren Kreuzpunkt ein Gelenk sitzt, ist sie zusätzlich mit der Karosserie verbunden, was die Seitenneigung reduziert.

Opel Rekord C, Schwarze Witwe, Motor
Hans-Dieter Seufert
Ansaugluft zieht der 1900er durch die Lüftungsschlitze. Das führt zu geringem Staudruck auf dem Weg zum Doppelvergaser.


Der junge Erich Bitter fährt mit dem Renn-Rekord beim Saisonfinale der Gruppe 5 in Hockenheim zwar nicht ganz nach vorn, begeistert mit einer spektakulären Aufholjagd aber die Fans – auch für den Rekord, den Lapine „Schwarze Witwe“ tauft. Als die immer populärer wird, wollen die Opel-Chefs wissen, was es mit dem Rennwagen Opel Rekord C auf sich hat. Der Rekord muss weg. Kurt Bergmann holt ihn für sein Rennteam nach Österreich, dort wird ihn 1969 auf dem Flugplatzrennen in Tulln-Langenlebarn noch ein aufstrebender junger Österreicher namens Niki Lauda fahren. Bald danach verliert sich die Spur des Wagens.

Ein paar Fotos bleiben. Als Jens Cooper sie 1983 sieht, weiß er, dass er das Auto rekonstruieren will. 2011, da arbeitet der Werkzeugmacher schon lange bei Opel Classic, findet er einen Opel Rekord C und startet mit seinem Kollegen Michael Splieth nicht allzu offiziell den Wiederaufbau. Es gibt kaum Informationen zum Rekord, also nimmt Cooper Kontakt zu Anatole Lapine auf. Der lebt damals im Seniorenheim und erinnert sich an jede Einzelheit des Rekord. Lapine hat eine Dokumentation des Aufbaus, die Hinterachskonstruktion zeichnet er auf die Rückseite eines Speiseplans von „Essen auf Rädern“. Cooper kann sie und alle anderen Details exakt nachbauen. Die Rückkehr der Schwarzen Witwe erlebt Lapine nicht mehr. Er stirbt 2012, kurz bevor sie fertig ist.

Im Netz der Schwarzen Witwe

Jetzt steht der Opel Rekord im Keller, ich klettere durch das Gewirr des Sicherheitskäfigs, falle weich auf den dick gepolsterten Schalensitz. Schlüsseldreh, Benzinpumpensirren, Zündung. Der Anlasser rempelt den Motor an, Gasstöße prusten ihn nach der Rangiererei fürs Foto frei. Irgendwas wackelt, der Wagen oder die Wände? Das dürre Lenkrad bebt, das Schalthebel zittert. Der linke Fuß kämpft das Kupplungspedal nieder. Erster Gang, Kupplung zurück, Gas. Die Witwe brüllt sich in Fahrt, ihr Schrei hallt tiefer in die Gänge, übertönt endlich das Stampfen der Stahlpresse. Wir folgen dem Gewirr der Gänge, die K40 viele hundert Meter weit untertunneln, ein Netz aus langen Geraden verbunden durch rechtwinklige Abzweige.

Opel Rekord C, Schwarze Witwe, Seintenansicht
Hans-Dieter Seufert
Mit dem Opel Rekord wird Gelb zu Opels Rennfarbe, die 201 war die erste Startnummer der Schwarzen Witwe.


Dem Geräusch nach müsste sie schneller sein, denkst du. Dann überstreift der Drehzahlmesser die 4.000, und die Witwe tritt dir dermaßen in den Hintern. Mit tatsächlich noch mehr Gebrüll zerrt sie dich immer tiefer in die Flure. Wrooooom, Klack, zweiter Gang, wrooooom, Klack, dritter. Muffige Kellerluft stürmt durch die Seitenscheiben. Je schneller du fährst, desto weiter verengen sich die Tunnel für das Auge, im vierten Gang wirkt es, als blinzeltest du durch einen Trinkhalm. Hart bremsen, den Opel Rekord mit der präzisen Lenkung um den rechtwinkligen Abzweig zirkeln, zweiter Gang, Gas.

Der Opel Rekord C startet durch, gummiert den rutschigen Boden, stroboskopt unter Pressluftleitungen und Neonröhren, vorbei an verriegelten Treppenaufgängen, verrammelten Waschräumen, an Toren, die lang verschlossen sind, und Türen, die sich wohl nie mehr öffnen. Für ein 47 Jahre altes Auto fährt der C erstaunlich exakt, für einen Rennwagen überraschend leicht, ja komfortabel fast – im Rahmen der Möglichkeiten eines acht Zentimeter tiefergelegten Wagens. Über eine Rampe fahren wir hoch ins Zwielicht der Fertigungshalle. Ein Plakat wünscht Lena Meyer-Landrut Erfolg beim Eurovision Song Contest. Alles schon ein Weilchen her hier.

Heute ist die einst verbotene Witwe eine Heldin der Firmengeschichte. Opel-Chef Karl-Thomas Neumann fährt den Opel Rekord C gern auf Oldtimer-Events. Und auch wir kommen gern wieder – zum Krachen in den Keller.

Feierabend für den Opel Rekord C

Seit er 1983 bei Opel seine Lehre begann, träumte Jens Cooper von einer Replika der Schwarzen Witwe. Mit seinem Kollegen Michael Splieth baute er den Rekord ab 2011 auf. Zwei Jahre und viele Feierabende brauchten die beiden dafür. Sie rekonstruierten den Opel Rekord nach Fotos und bekamen Tipps von Anatole Lapine, dem Entwickler der echten Witwe.


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Erscheinungsdatum 03.07.2024

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