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Porträt Sébastien Ogier
Es lebe der französische König

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Wer schon die Karriere von Rekord-Weltmeister Sébastien Loeb für eine Reise im Zeitraffer hielt, sollte sich besser anschnallen. Namensvetter, Landsmann und Citroën-Markenkollege Sébastien Ogier katapultierte sich in fünf Jahren aus dem Nichts an die Weltspitze.

Rallye Finnland 2010, Ogier, Citroen C4 WRC
Foto: Citroen

Wenn in den Diskotheken rund um Grenoble nachts beim Après Ski die Wände wackelten, wedelte ein einsames Auto über verschneite Landstraßen. Am Steuer ein junger Skilehrer, der wissen wollte, ob man mit Rädern das Gleiche anstellen konnte wie mit Brettern. Ein bisschen Kart war er mal gefahren, für ernsthaften Motorsport hätte Sébastien Ogier kein Geld gehabt. Der Sohn einer Sekretärin und eines Kohlenhändlers rechnete eigentlich damit, sein Geld mühsam als Kfz-Mechaniker verdienen zum müssen, doch es kam alles ganz anders. Er gewann eine Nachwuchssichtung und bekam ein Jahr in einem Rallye-Marken-Pokal spendiert. In seiner zweiten Saison gewann er den Titel, rückte ins Nachwuchsprogramm von Citroën auf und bedankte sich schon im dritten Jahr mit dem Gewinn der Junioren-WM. Die Geschichte ist ein alter Hut, es ist die frühe Biografie des sechsmaligen Weltmeisters Sébastien Loeb, nur dass es der andere Sébastien ihm gleichtut.

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Die Stars jammerten über untaugliche Reifen auf eisglatten Waldwegen

Die Paralellen sind frappierend. Wie Loeb kommt auch Ogier aus einem ganz anderen Leistungssport. Loeb turnte, Ogier war als Jugendlicher französischer Meister in der exotischen Kegelsportart Boule Lyonais. Die französische Presse nennt ihn schon seit zwei Jahren ehrfürchtig "Sébastien, der Zweite". Der König ist nicht tot, noch nicht mal ein bisschen krank, schon jubelt die Menge: "Es lebe der König." Am Anfang schieden sich noch die Geister. Während die patriotische Heimatpresse ihn hochjubelte, hielten ihn andere für überschätzt. Die stärksten Fahrer der Junioren-WM seien schließlich abgewandert, zudem sei der Erfolg nicht zuletzt dem technischen und finanziellen Rückenwind aus der Heimat zu verdanken. "Das mag alles sein, aber man muss einfach feststellen, dass er die in ihn gesetzten Erwartungen immer erfüllt hat", verteidigt Sébastien der Erste seinen Namensvetter.

So, wie einst Citroën-Sportchef Guy Fréquelin den jungen Loeb generalstabsmäßig auf die Rolle des Weltmeisters vorbereitete, plante Nachfolger Olivier Quesnel die Karriere des Sébastien Ogier. Weil der große Loeb mit der Formel 1 und Le Mans liebäugelte, weil er mangels Gegner gelangweilt war und sich mit Rückzugsgedanken trug, musste Quesnel vorausplanen und hatte das große Glück, gleich das nächste einheimische Riesentalent auf dem Silbertablett serviert zu bekommen. Nachdem das Kapitel Junioren-WM im Schnelldurchlauf abgeschlossen war, setzte ihn Quesnel zum Jahresende 2007 in Wales erstmals in ein World Rally Car. Die Stars jammerten über untaugliche Reifen auf eisglatten Waldwegen, Ogier fuhr auf der spiegelblanken Auftaktprüfung Bestzeit. Kurz danach flog er ab, aber an seiner Tauglichkeit bestand kein Zweifel mehr. Plötzlich kurbelte der nie an Kundensport interessierte Quesnel die Gründung eines Semi-Werksteams für zahlungskräftige Kundschaft an.

Alle Topleute machten auf den letzten Kilometern der letzten Prüfung Fehler

"Ich brauche einen Platz für Ogier", bekannte er unverblümt. Der hatte kein Geld und keine Sponsoren. Quesnel holte das Budget weitgehend aus dem eigenen Etat. Es wurde teuer. Im Frühjahr 2009 feuerte der Hoffnungsträger gleich drei Mal in Folge sein Auto raus. Der Werdegang kam angesichts des ernsthaften Widerstandes in der höchsten Liga erstmals ins Stocken. Das Wunderkind musste feststellen, dass ein nicht gerade als Supertalent gehandelter Matthew Wilson zuweilen schneller war. Soll- und Istwert passten nicht zusammen, Ogier erhöhte den Einsatz und flog regelmäßig ab, bis Quesnel ihm die dunkelgelbe Karte zeigte. Das Budget für die zweite Saisonhälfte war noch nicht gesichert. Der Chef drohte: "Wenn er nicht aufpasst, vergesse ich vielleicht mal, das Geld zu besorgen." Der Warnschuss saß.

Der Mann aus Gap beschränkte sich in Griechenland aufs Ankommen, schon kam er als Zweiter ins Ziel. Seitdem ist Seb, der Jüngere, ein Muster an Beständigkeit und belegt 2010 hinter Loeb Tabellenrang zwei. In der Türkei und Neuseeland führte er lange das Feld an. In Neuseeland stand er kurz vor seinem ersten Sieg. Alle Topleute machten auf den letzten Kilometern der letzten Prüfung Fehler. Ogiers Dreher dauerte ein bisschen länger als der Ausrutscher von Ford-Mann Jari-Matti Latvala. Ogier verlor um 2,4 Sekunden. Loeb hatte erstmals zwei Patzer bei einer Rallye, rauschte gegen ein Brückengeländer, rettete sich aber ins Ziel. "Selbst wenn er einen Fehler macht, hat er noch Glück", sagte Ogier und steckte intern prompt einen Rüffel wegen Majestätsbeleidigung ein. Zuvor war schon Citroën-Kollege Petter Solberg beim Versuch, endlich mal wieder einen Sieg einzufahren, abgeflogen.

Darf Ogier überhaupt gegen Loeb gewinnen?

Dessen erfahrener Beifahrer Phil Mills schüttelt den Kopf: "Seit ich dabei bin, war das Tempo noch nie so hoch." Vize-Weltmeister Mikko Hirvonen stöhnt: "Wenn ich im Vorjahr auf Nummer sicher gegangen bin, wurde ich Zweiter, heute bin ich Fünfter." In diesem Frühling flog Sportchef Quesnel regelmäßig der Korken raus, wenn er wieder mal gefragt wurde, ob der schnelle Junior denn gegen Loeb überhaupt gewinnen dürfe? Der betonte, das sei überhaupt keine Frage, doch selbst der Betroffene war angesichts diverser Taktikrochaden im Frühjahr skeptisch: "Manchmal sind die Dinge anders als sie scheinen", sprach er in Portugal kryptisch. Dort übernahm er schon in der vierten Prüfung die Führung. Loeb steckten die Ausflüge in Neuseeland noch in den Knochen. Er begann verhalten und hielt 44 Sekunden Rückstand für leicht einholbar. Doch Seb II fuhr wie sonst Seb I und hielt den Champion trotz schlechterer Streckenposition auf Distanz.

In der Nacht vor der letzten Etappe schlief Olivier Quesnel schlecht. Er hatte seinen Fahrern gesagt, sie dürften frei fahren, solange sie auf der Piste blieben. "Wenn man ehrlich ist, bedeutet so eine Ansage im Grunde genommen überhaupt nichts", gestand der Sportchef. Loeb griff an, reduzierte den Abstand auf zehn Sekunden. Nach jeder Prüfung standen Reporter vor Quesnel und fragten, wann er eingreifen würde? Der steckte in der Zwickmühle. Ein Sieg des Youngsters würde alle Risiken und Investitionen rechtfertigen. Auf der anderen Seite riskierte Quesnel seinen Job, sollten beide Sebs abfliegen und Ford am Jahresende den Titel holen. Der Chef behielt die Nerven und sah erleichtert, dass Loeb drei Prüfungen vor Schluss den Kampf aufgab.

Loeb: "Er lernt sehr schnell."

Der beste Rallyefahrer der Geschichte suchte nicht nach Ausreden, er war fair besiegt worden. Die Gratulanten standen schon vor der abschließenden Superspecial im Stadion Schlange. Ogier wehrte alle Glückwünsche ab. "Denkt an Neuseeland", mahnte er. Eingefleischte Verschwörungstheoretiker rechneten immer noch damit, Ogier würde auf höheren Befehl auf der Startlinie den Motor abwürgen, um Loeb und vor allem Citroën zu weiteren Punkten zu verhelfen. Stattdessen statuierte der Führende ein Exempel. Zwar gaben beide nicht alles, machten aber auch keine Geschenke. Ogier und Loeb lieferten einen Parallelflug, bei dem der Neuling nervenstark die Nase haarscharf vorn behielt. Als die Autos an der letzten Kontrolle parkten, bot sich der Blick auf eine verkehrte Welt. Um den Citroën von Ogier wogte die Masse aus Fotografen, Reportern und Kameraleuten, neben der offenen Fahrertür des Loebschen C4 hockte ein einziger Ingenieur. Loeb bahnte sich den Weg und gratulierte. Er mag keine Niederlagen, aber er liebt harte Duelle. Er lächelte.

Sein Vorsprung ist groß - und in der zweiten Jahreshälfte stehen vier Asphalt-Rallyes an. Dort hat Ogier wenig Erfahrung. Als die Hymnen verklungen waren und die Hostessen den Champagner für die Gewinner zu spät brachten, scheuchten die Besatzungen des Citroën-Werksteams die unbewaffneten Sieger über den Platz - eine Szene wie kleine Kinder am Planschbecken. Bei der Pressekonferenz lobte Loeb: "Er lernt sehr schnell." Beifahrer Daniel Elena betonte, was für ein toller Kerl sein Kollege Julien Ingrassia doch sei, und dass dessen Sieg sicher schmerzhafter wäre als die eigene Niederlage: "Er muss nämlich heute Abend alle Getränke bezahlen." Einer saß zwar direkt daneben, aber trotzdem irgendwie weit abseits. Der drittplatzierte Dani Sordo blickte ins Leere. Er hat in dieser Saison einen zweiten Rang in der Türkei mit einem plumpen Fehler weggeworfen, doch ansonsten nichts falsch gemacht. "Ich bin mit meinen Fahrern sehr zufrieden", betonte Olivier Quesnel noch im Mai. Bezüglich der Fahrerfrage sprach er stets von einem "Luxusproblem". Lange schlug er sich damit nicht herum. Keine zwei Wochen nach dem Portugal-Sieg schob er Sordo für die restlichen Schotter-Rallyes ins Junior-Team ab und beförderte Ogier neben Loeb in die Werksmannschaft.

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Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten