Kennen Sie die Milwaukee Mile? Wahrscheinlich nicht. Es ist eines der unzähligen Ein-Meilen-Ovale in Amerika. Das qualifiziert die Rennbahn am Westrand der Biermetropole in Wisconsin noch nicht für einen Eintrag ins Buch der Rekorde. Doch Milwaukee hat ein Prädikat, das berühmteren Rennstrecken fehlt. Das älteste Rennen der Welt sind nicht die 24 Stunden von Le Mans (1923), nicht die 500 Meilen von Indianapolis (1911) und nicht der Grand Prix von Monaco (1929), sondern die Kreisfahrt um die Milwaukee Mile. Seit 1903 fand auf der ehemaligen Pferderennbahn stets ein Autorennen statt.
Jim Clark schockte die Yankees
Bekannt wurde die Mini-Arena durch die IndyCars der verschiedenen Epochen. Bis 1953 verlief noch eine Sandbahn rund um das Football-Stadion der Green Bay Packers. Dann kamen der Asphalt und die modernen Autos. Nur noch der gemauerte Fahrerlagertunnel und das Backsteingebäude hinter der Haupttribüne tragen die Patina der alten Zeit.
Der erste IndyCar-Sieger war 1956 ein gewisser Pat Flaherty, der im gleichen Jahr auch die 500 Meilen von Indianapolis gewann. 1963 schockte Jim Clark in seinem Lotus-Ford die Unverbesserlichen, die glaubten, ein anständiges Rennauto müsse den Motor vorne tragen. Zum ersten Mal war ein Siegerauto auf einem Oval mit einem Motor hinter dem Fahrer bestückt. Die Amerikaner verspotteten die Eindringlinge aus Europa als „funny cars“. Ein Jahr später wehrte sich das Establishment ein letztes Mal. A. J. Foyt markierte mit seinem Watson-Offy den letzten Erfolg der aussterbenden Rasse der Frontmotor-Roadster.
Kein Regenrennen auf Ovalkursen
Viele Dinge sind in Milwaukee zum ersten oder zum einzigen Mal passiert. 1933 regnete es am Renntag. Die Fahrer überzeugten den Veranstalter, dass es vernünftiger sei besseres Wetter abzuwarten. Das Rennen fand einen Tag später statt. Seitdem wird auf Ovalkursen bei Regen nicht gefahren. 1982 gab es ein Rennen ohne Gelbphase. Auf Ovalkursen eine Rarität. Ein Jahr später gewann Tom Sneva, wurde disqualifiziert und zwei Wochen später wieder als Sieger eingesetzt. Trotz eines illegalen Autos. Sein March-Cosworth hatte eine zu geringe Bodenfreiheit. 1991 standen nur Andrettis auf dem Podest. Michael siegte vor seinem Cousin John und Familienoberhaupt Mario. Mit fünf Siegen ist Michael Andretti der König von Milwaukee. Heute spielt er als Rennstallbesitzer und Promoter des Rennens eine Doppelrolle.
So war es kein Zufall, dass vier Andretti-Piloten 2013 auf den ersten fünf Startplätzen standen. Und die Erfahrung des Teamchefs eine Rolle. „Ich hatte im Schlussabschnitt das beste Auto im Verkehr. Während meine Gegner auf eine Linie festgenagelt waren, konnte ich in den Kurven fahren, wo ich wollte.
Oben, unten, das Ding klebte auf der Straße.“ Sein Chef strahlte: „Die alten Milwaukee-Tricks funktionieren immer noch.“ Der dreifache Milwaukee-Triumphator Hunter-Reay verstieg sich sogar zur Aussage: „Nur ein Indy-Sieg ist schöner.“ Penske und Ganassi teilen sich die Siege nicht mehr untereinander auf. Wenn 2013 überhaupt ein Team heraussticht, dann Andretti Autosport. „Wir arbeiten nicht härter, aber wissen jetzt besser, woran wir arbeiten müssen“, zieht Marco Andretti Bilanz.
Milwaukee ist ein besonderes Oval
Milwaukee nimmt unter allen Ovalen eine Sonderstellung ein. Die Kurven sind nur neun Grad überhöht. Damit gelten auch andere Gesetze als im Oval. „Du fährst mit mehr Abtrieb und spürst deshalb auch mehr Turbulenzen. Das Überholen ist schwieriger. Die Reifen leiden stärker, weil das Auto wegen der geringen Überhöhung der Kurven mehr rutscht“, erklärt der Zweitplatzierte Helio Castroneves. Keiner gibt deshalb gern seine Position im Rennen auf. „Die Versuchung in den Gelbphasen zu tanken, um die Sequenz der anderen zu brechen, ist hier kleiner als anderswo“, gibt Hunter-Reay zu.
Für Sébastien Bourdais ist Milwaukee das härteste Oval der Welt: „Weil es so viele Geheimnisse gibt. Du pendelst ständig zwischen Unter- und Übersteuern, je nachdem wie dein Auto abgestimmt ist und wie die Wetterbedingungen sind.“ Ein Beispiel: In der Qualifikation brannte die Sonne mit 27 Grad auf den Asphalt. Die schwarz markierte Ideallinie speicherte die Wärme mehr als der Rest der Straße und war plötzlich keine Ideallinie mehr. Bourdais: „Die Spur hat sich um 15 Grad stärker erwärmt als der Rest. Wenn du da draufgekommen bist, war plötzlich der Grip weg.“
Die Todesliste umfasst 18 Namen
Der erste Sieger William Jones brauchte für eine Runde 1.12 Minuten. Das entsprach einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 81 km/h. Das Rennen ging auch nur über fünf Runden. 1907 und 1908 dauerte die wilde Jagd im Kreis jeweils 24 Stunden. Heute sind es 250 Meilen. Die schnellste je in Milwaukee gefahrene Rundenzeit steht dem Kanadier Patrick Carpentier zu. Er orgelte 1998 im Training mit seinem Reynard-Mercedes in 20,028 Sekunden und einem Schnitt von 298,562 km/h um die Bahn. 15 Jahre später sind die Autos 24 km/h langsamer.
Man kann sich auch auf einer Strecke von 1,634 Kilometern ganz fürchterlich wehtun. 1968 kam Ronnie Duman nach einer Kollision in der Südkurve in einem Flammenmeer ums Leben. 1982 erwischte es Jim Hickman, als ihm in den letzten Trainingsminuten das Gaspedal steckenblieb. Die Todesliste umfasst 18 Namen.
So weit die Vergangenheit. IndyCar arbeitet gerade an der Zukunft. Ab 2015 gibt es wie der technischen Wettbewerb. In kleinen Schritten werden Änderungen an der Aerodynamik erlaubt. Zuerst nur an der Verkleidung, später auch an Flügeln und Seitenkästen. Die Basis bleibt ein Dallara, doch man wird die Autos wieder voneinander unterscheiden können. Nach zehn Jahren Stillstand bereitet sich die Serie vorsichtig auf die Revolution vor.
Neues Reglement für 2015
Die Unterböden müssen bis 2015 an Fläche verlieren, um den Auftrieb zu reduzieren. Der aktuelle Dallara ist ein großes Auto. Die Fläche des Bodens misst 12 Prozent mehr als beim Vorgänger. Bei Geschwindigkeiten jenseits von 300 km/h wird das zum Risiko. Wenn es das Auto vorn nur um sieben Grad anhebt, reicht die Unterluft aus, dass es zu fliegen beginnt. „Wir müssen auf der sicheren Seite bleiben, weil wir ja nicht wissen, welche aerodynamischen Formen uns auf der Oberfläche erwarten“, sagt der neue Wettbewerbshüter Derrick Walker.
Noch ist IndyCar für die neue Ära nicht bereit, auch wenn immer mehr Sponsoren in den Markt drängen und die Zuschauerzahlen vor Ort gestiegen sind. Die TV-Vermarktung bleibt eine große Baustelle. Und abgesehen von Chevrolet und Honda halten sich die Automobilhersteller noch fern. „Die Teams operieren finanziell weiter am Limit“, sagt Walker. „Deshalb kann die neue Freiheit nur schrittweise kommen. Das erste Aero-Kit wird ungefähr 200.000 Dollar kosten. Wenn wir ab 2019 alles freigeben, kann so ein Paket auf 500.000 bis 700.000 Dollar kommen.“
Dann soll es auch eine Verbrauchsformel nach dem Vorbild der Formel 1 geben. Für Motorenhersteller besonders interessant: Die Motor-Architektur wird freigestellt. Limitierender Faktor sind eine maximale Benzinmenge und eine Durchflussbegrenzung.
Details zum Oval
Die Strecke ist simpel. Zwei Kurven, zwei Geraden. Die Fahrer teilen den Kurs trotzdem in vier Kurven ein. Eingang und Ausgang werden getrennt gezählt. Für ein Oval sind die beiden 180-Grad-Kehren praktisch flach. „Es ist ein Straßenkurs mit zwei schnellen Kurven“, beschreibt Castroneves die älteste Rundstrecke der Welt. Der Klassiker unter den Ein-Meilen-Ovalen ist nicht exakt eine Meile lang. Neuvermessungen 1997 und 2009 ergaben zunächst eine exakte Länge von 1,034 und dann 1,015 Meilen. Macht 1,634 Kilometer.