Kurz vor der Abfahrt in Baytown bei Houston flattert ein Bulletin der Reiseleitung ins Haus. Wegen Änderung des ersten Tankstützpunktes in Austin ist unser elektronisches Roadbook Tripy zu ignorieren und das Tomtom zu aktivieren. Dazu gibt es ein paar Luftbilder in Schwarz Weiß, um die Highland Shopping Mall zu finden, wo der örtliche Fire Marshall uns geruht, unterzubringen.
300 Kilometer liegen vor uns
Endlich ein Abenteuer. Navigieren nach Karte, das konnten wir früher mal. Erst mit den Navigationsgeräten zog die Unselbstständigkeit ein und damit auch der rapide Schwund an Selbstvertrauen. Müssen wir in einer völlig fremden Großstadt einen Kaufhausparkplatz ohne Navi finden, erscheint uns die Aufgabe wie die Suche nach der einzigen Süßwasser führenden Insel im Pazifik im Umkreis von 1.000 Seemeilen mit Hilfe des Sternenhimmels. Noch dazu lauert vor Austin ein Autobahnkreuz für Fortgeschrittene mit kreuzenden Schnellstraßen über drei Etagen.
Doch wir wollen den Ereignissen nicht vorgreifen. Zunächst sind 300 Kilometer abzuspulen. Der Konvoichef wirft einen tiefen Blick in alle Augen. "Du weißt, was das bedeutet", sagt Stefan Reiff. "Pah, alles Routine" lautet die großkotzige Antwort. Kaum sind wir in Wagen Nummer drei warmgefahren, prangt uns auf dem Weg nach Westen ein noch großkotzigeres Schild entgegen: "Benham – die Eiskremhauptstadt". Die Riesen-Reklame ist eine willkommene Abwechslung zu Schildern wie "Wilbours Gunshop", zudem würde ein Abstecher zum Eisessen gerade im Verbrauchswettlauf dieser langen Etappe unsere Coolness untermauern.
Eiskrem voraus
Benham präsentiert sich dermaßen typisch texanisch, dass die Vermutung aufkommt, dass der Ort von den Machern einer Satire-Show kreiert wurde. Die gut situierte Wohnsiedlung am Wegesrand trägt natürlich den Namen der Vereinigung der örtlichen Angel- und Schusswaffenfreunde. Auf der höchsten Erhebung thront die christliche Grundschule. Wie fast alles, ist auch unser Eiskrem-Anlaufpunkt völlig oversized. Statt eines niedlichen Eiscafes an der Ecke, erheben sich die Milchtanks der Bluebell-Eiskremfabrik bedrohlich in die Höhe. Muss denn hier alles gleich wie eine Ölraffinerie aussehen?
Vom mondänen Besucherparkplatz geht es über einen beschilderten Fußweg zum Eingang des ehrwürdigen Ziegelgebäudes, das seit 1907 hier steht. Seit heute Morgen sitzt drinnen eine korpulente Lady, die uns einen zuckersüßen Morgen wünscht und uns zahnpastastrahlend fragt, ob wir die nächste Führung mitmachen wollen. Selbst die Begrüßung ist hier XXL. "Jetzt passen Sie mal auf. Ihre Führung interessiert uns einen feuchten Kehricht, wir wollen bloß ein Eis." Eingeschüchtert schickt sie uns einen Raum weiter, und siehe da: eine Eistheke. Selbstredend sind auch hier die Portionen XXL. Der unschuldig kleine Eisbecher für einen Dollar ist mit einer Kugel Vanille zum Bersten gefüllt. "Was ist, wenn man drei Sorten will?" Bei uns zu Hause rennen alle zu Hägendasz und verpulvern mit so einer exzessiven Bestellung mal eben leichtfertig ihr Weihnachtsgeld. "Drei Kugeln? Haben Sie eine Schufa-Auskunft und einen Bürgen dabei?"
"Kein Problem", sagt der Eisverkäufer in Benham und lässt ein hübsches Ensemble Vanille, Erdbeer und Caramel in den Becher plumpsen. "Einen Dollar", sagt er. So leicht kann es sein, einen Freund zu finden. Und wehe ich erwische irgendjemanden, der je wieder etwas gegen den Staat Texas sagt.
Nachwuchsschulung in Sachen Brennstoffzelle
Draußen warten ein paar Vorschulklassen auf ihre Führung. Nachdem wir geduldig alle Fachfragen zu Handbremshebeln, bunten Leuchtdioden und Teppichbefestigungen beantwortet haben, können wir uns stolz zurücklehnen. Wieder sind einige Heranwachsende, die in ihrer Zukunft mit ihrem Zehnzylinder-Dodge Ram sonst tonnenweise Kohlendioxid auf ihrer Fahrt zum Walmart um die Ecke in die Luft geblasen hätten, auf den Weg der Nachhaltigkeit gebracht worden. Tatsächlich sind die Kids von der Hochtechnologie unseres Wasserstoffautos schwerstens beeindruckt. Mit Bestimmtheit sagt ein kleines, blondes Mädchen: "Das ist meine Lieblingsfarbe."
Raus aus der Stadt, rein in die Todeskurven
Der Autobahn-Knotenpunkt von Austin erweist sich dann als erschütternd leicht zu entwirren. Den Weg zur Highland Mall hätten wir auch mit Augenklappe im Dunklen gefunden. Dafür ist es deutlich schwerer, wieder aus der Stadt herauszufinden, weil Tripy immer noch auf den ursprünglichen Tankort eingestellt ist.
Immerhin verspricht das Tagesprogramm noch eine landschaftlich wertvolle Straße, die durch eine hügelige Gegend Richtung Süden verläuft und sogar Kurven verspricht. Das Bulletin warnt sogar ausdrücklich bei Kilometer 402 und Kilometer 472 vor den Todeskurven in der Gemarkung Blanco. Angesichts der nur rund 200 Kilometer langen Nachmittagsetappe hat die Reiseleitung offenbar die nackte Angst befallen, wir könnten die rohen Kräfte unserer B-Klasse n sinnlos walten lassen und uns ins nächste Gebüsch werfen. Am Ende hat die angeblich so hinterhältigen Knicke in der Route fast niemand wahrgenommen.
Stier als Ziegenflüsterer
Der Tag endet mit einem hübschen Sonnenuntergang vor einem Gatter. Fotograf Dieter versucht für ein Foto eine Herde Ziegen anzulocken. Die Huftiere sind zwar neugierig, aber die leicht autoritäre Note in der Stimme des Lichtbildners lässt die Herde zögern. Da kommt Ziegenflüsterer Stier ins Spiel. Kaum an den Zaun getreten, drängen sich die lieben Tiere am Draht. Wozu eine angebrochene Tüte Barbecue-Chips doch alles gut ist?
Nach einem bunten und entspannten Tag rollen wir schließlich den Lichtern von San Antonio entgegen, im Tank noch ein ganzes Kilo Wasserstoff, den Kopf voller Träume. Das wär noch was: Eine eigene Fernsehserie. Der Titel steht jedenfalls schon. Wir nennen sie "Goatwhisperer".